Aus neutraler Sicht: Kioske und Modezeitschriften

ID 3277
 
Albert Jörimann ("unser Mann in der Schweiz")produziert jede Woche einen ca. zehnminütigen Kommentar zu aktuellen politischen Themen.
Audio
10:20 min, 4845 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 17.02.2003 / 19:55

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Klassifizierung

tipo: Kommentar
idioma: deutsch
áreas de redacción:
serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

autoras o autores: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
fecha de producción: 11.02.2003
keine Linzenz
Skript
Ich muss sagen, ich gehe gerne einkaufen. Nicht shoppen oder fensterln, also schaufensterln, ich meine ganz normal einkaufen, nicht die Kohle irgend einer verdammten Marke in den Arsch stopfen, die womöglich noch schlechtere Qualität hat als mein berühmtes No-Name-Produkt. Nein, einkaufen, ganz normal. Heute sind die Kaufhäuser ja alle schon nach neuesten psychologischen Erkenntnissen eingerichtet, vielleicht liegts daran: Es ist alles so hell, hier winkt das Gemüse, frisch und knackig, oder aber es lampt aus der Harasse heraus und macht einen richtiggehend gelangweilten Eindruck. Die Kartoffeln, Freundinnen und Freunde, lose Kartoffeln in ihren Kisten, was ein Anblick! Ich denke, nirgends erlebt man sinnlich die Ordnung der Dinge so richtig wie im Kaufhaus. Tee, meiner Treu, was es nicht alles für Tees gibt. Nur Männertee habe ich bisher noch nicht gesehen, aber sonst wird mit Garantie jedes innere Organ, jede Krankheit und sowieso jede Stimmungslage teemässig bedient und bekämpft. Babypuder, Sonnenmilch – auch wenn es mitten im Winter ist und ich gar keine Kleinkinder habe, befinde ich mich im Warenhaus mitten in der tröstlichen Umgebung der gesamten Gesellschaft, die eben die neuesten Sorten von Windeln braucht. Wein, drei Regale voll, spanischer Wein, Navarra ist meines Erachtens im Preis/Leistungs-Verhältnis absolut unschlagbar. Aber auch die übelste Brühe für einen Euro nulldrei Cents pro Liter findet ihren Abnehmer, Menschen, denen es weniger auf den Geschmack als vielmehr auf die nackte Tatsache Allohol ankommt. Fleisch, Freundinnen und Freunde, abgepackt oder von der Bank, bei uns hier in meinem Lieblingskaufhaus gehe ich immer den Aktionen nach, wenn es Rinderhack günstig gibt, dann gibt es zum Abendbrot Hamburger, wenn Kaninchenohren im Discount sind, gibt es Kaninchenohren, Affenhirn, Eselspimmel, was das Herz begehrt. Nein, wirklich, Kaufhäuser als solche sind wahre Kliniken gegen jede Sorte von Depression. Mindestens solange man noch den einen oder anderen Euro im Sack hat, aber das wird man sich ja hier und heute irgendwie noch organisieren können, auch wenn die Kasse nicht gerade überquillt.

In den Kaufhäusern findet man alles, die unterschiedlichsten Sachen friedlich nebeneinander. Hierin gleichen sie Zeitungen, die auch die unterschiedlichsten Sachen friedlich nebeneinander publizieren, wobei hier wie dort die Direktion dafür sorgt, dass einigermassen eine Linie eingehalten wird. Kioske sind auch solche Anstalten, in denen es ziemlich alles gibt, Kioske sind eigentlich fast noch besser als Kaufhäuser, denn an den Kiosken findet sich ein riesiges Angebot zur Befriedigung von Bedürfnissen, die unmittelbar und rein der Kindheit entstammen. Schokoriegel, Colafrösche. MMmmh, lecker, lecker. Und an den Kiosken findet sich auch eine unglaubliche Vielfalt an Zeitungen und Zeitschriften; so ein Kiosk ist so etwas wie eine Zeitung für Zeitungen, eine Meta- oder Pata-Zeitung. Manchmal gründet man für solche Veranstaltungen einen eigenen und eigentlichen Zeitschriftenladen, aber ich ziehe die Kioske vor, an denen es eben neben den Zeitschriften noch Schleckstängel gibt beziehungsweise neben den Kaugummis noch Modehefte.

Eben, ja, genau, die Modehefte, eines habe ich just vor mir, und zuerst fällt mir da auf, dass ich auf der letzten Umschlagseite sofort vom Dankeschön-Angebot für mich profitieren kann und eine Trenduhr mit Strass aktuell im Retro-Look für gerade mal25 Euro erwerben könnte. Eine Uhr. Gehören Uhren immer noch zur Mode? ist mir ganz entgangen. Aber es steht ja noch einiges mehr da drinne beziehungsweise vorne drauf, da lacht mich nämlich ein Strickpullover an, quer dreigeteilt, oben weiss, in der Mitte rosa und unten so ein bisschen weinfarben, also ich spreche jetzt von Wein, in den man ziemlich viel Schnee gegossen hat. Im Pullover steckt eine Frau mit halb geöffnetem Mund, was ich auch nicht auf Anhieb begreife. Im Innenteil liegt dann sofort eine andere Frau zwischen Bast- und Strohprodukten und hat aber den Mund geschlossen und kuckt nur einfach so in die Kamera. In die Kamera kucken sie alle, ob sie nun Cowgirls tragen oder halblange Hosen, nur bei der Farbe der Nacht lauschen die Models so ein bisschen vor sich hin und in sich hinein, das sieht natürlich auch gut aus. Moonlight Parties, ja, das ist es doch! Die Redaktorin schreibt zu diesem Modell: Es knistert – nicht nur die hochedlen Stoffe, hier liegt Spannung in der Nachtluft. Ob Gala, Poolparty oder Dinner-Event, das sind die neuen Dress-Codes! – Oh Mann, es muss in unserer Gesellschaft Schichten geben, die ich definitiv noch nicht entdeckt habe. Ich kann mir irgendwie einfach nicht vorstellen, dass sich erwachsene Leute nachts am beleuchteten Pool versammeln und solche Kleider anhaben. Wenn schon Pool, dann Alkohol und Gruppensex, bitte, aber doch nicht dieses Glitzerteil oben und Seidenjupe unten. Wer will denn im Ernst so was ankucken, wer will so was tragen. Und dann schreibt die Redaktorin noch folgende Texte zu insgesamt neun Abend-Pool-Produkten hin: Zum Blazer: Schmale Blusenform mit kleinem Stehkragen – Ausrufezeichen! – Verdeckte Knopfleiste, teillierte Silhouette, 100% Acetat. Nummer zwei: Corsage: Wirkt auch mit abgeknöpften Trägern sehr verführerisch – schon wieder Ausrufezeichen. eingearbeitete Stäbchen und der gesmokte Einsatz im Rücken sorgen für einen perfekten Sitz. Mit Seitenreissverschluss und verstellbaren Trägern. 100% Acetat, chemische Reinigung. Nummer drei: Hose, im Marlene-Stil – Ausrufezeichen. Mit angesetztem Bund und Bügelfalte. 100% Acetat. Nummer vier, Rock in ausgestellter Godet-Form – der Saumabschluss ist im Rückteil etwas länger. Kein Ausrufezeichen! Angesetzte rBund. 100% Acetat. Fünf: Stickerei-Rock. Schlank und gerade, mit kleinem Gehschlitz hinten. Kniemuspielend – hier musste ich zweimal kucken, es ist bloss ein Satzfehler, es müsste Knieumspielend heissen, aber es heisst nun mal Kniemuspielend. Und eine Abweichung: 60% Viskose, 40% Polyamid, Futter 100% Acetat. Nummer 6, Stickereigürtel. Mit Klettverschluss im Rückteil, wiederum Viskose/Polyamidgemisch. Sieben: Stickereitop. Tief dekolletiert, mit hahtreinem Seitenreissverschluss, Viskose und Polyamid, Chemische Reinigung. Goldfarben/apricot. Acht: Pantolette. Bandeau aus hochwertigem Textilmaterial mit Lederfutter, Lederinnensohle und flexibler Laufsohle. Absatzhöhe ca. 80 mm. Und Nummer neun: Schmuck, Funkelnde Zirkonia in Weiss und Gelbbraun zieren gländendes Gelbgold aufs Allerfeinste, Ausrufezeichen, und zwar handelt es sich um einen Ring, breite ca. 12 mm, und einen Herz-Anhänger. Dazu die passende Schlangenkette. Elegante Variante mit Karabinerverschluss.

Ja. Schön. Eigentlich habe ich jetzt genug, blättere aber doch noch etwas weiter zu den neuen Denimstoffen, zum Lederhemd ab 170 Euro, zu Hippie-bestickten Jeans, wo ich folgendes lese:Jeans. Top-Trend 03: dirty-used-Look mit transparentem Blumen-Einsatz. Stickerei und Zierperlen am linken Bein Ausrufezeichen. Bund mit Tunnelzug. Eingrifftaschen, abnehmbare, höhenverstellbare Riegel. Und weiter geht's zu Strickjacken, zu Röcken mit bestickter Bordüre, zu Kleidern, auch in Schoko, zu Goldringen und Sandaletten – na gut, eigentlich ist das nicht ein richtiges Modeheft, sondern eher ein Versandhauskatalog, aber das kommt doch ungefähr auf das selbe raus.

Was soll das, Frauen? Für Männer gibt's sowas nicht. Im Quelle-Katalog finden wir neben einer reichhaltigen Frauenabteilung auch noch die Seiten für den Mann, aber es steht in keinem Verhältnis. Was ist das? Ist das hier die neuzeitliche Form der alten Kavaliersauffassung, wonach so ein Frauchen doch auch tüchtig behangen und bekleidet werden muss, während der Mann werkt und schafft? Die Tradition scheint mir leicht erkennbar. Bloss sinds jetzt nicht mehr die alten Kavaliere, sondern es sind die sogenannt neuen Frauen selber, welche da irgend eine Form von Selbstverwirklichung betreiben, indem sie Originalität ab Stange koofen. Dabei hat sich offensichtlich die Erkenntnis immer noch nicht durchgesetzt, dass wir unter dem Stoff doch alle nackt sind.

Ach Gott, was soll ich sagen. Die Vorstellung, dass wir irgendwann alle einmal rumlaufen sollten wie im Militär oder seinerzeit in China unter Mao Zedong, die gefällt mir ja auch wieder nicht, weder bei Frauen noch bei Männern. Mir fällt bloss auf, dass die Bekleidung einerseits für beide Geschlechter ganz eindeutig den selben Stellenwert haben müsste und dass sies nicht tut. Die Frauen bilden im Gegenteil in der Modebranche, auch in jenem Bereich ausserhalb der Haute Couture, einen eigenen Wirtschaftszweig, aber schlimmer noch: Sie formen damit eine eigene Kommunikationssphäre, die leider ganz und gar wortlos ist ausserhalb jenes unbeholfenen PR-Gestammels in den Katalogen. Knieumspielend. Jawoll.

Da kommt mir die letzte Errungenschaft der Schuhbekleidung in den Sinn, die mir sehr gefallen hat. Ihr kennt ja diesen Trend, dass Turnschuhe für gewisse gesellschaftliche Bereiche salongfähig geworden sind. Zur Arbeit zum Beispiel macht sich je nach Art des Einsatzes der Turnschuh ganz wunderbar. Zudem muss man zugeben, dass die SchuhherstellerInnen in den letzten Jahren ziemlich viel unternommen haben, um die Treterchen möglichst trittschonend oder wie immer das heisst einzurichten mit Luftkammern, Gummifedern und so weiter, also ein Trend insgesamt, den man sogar noch halbwegs begreifen kann. Nun habe ich aber letzthin eine Frau gesehen, auch in Turnschuhen, aber das waren nicht einfach so ne welche Turnschuhe, bewahre. An der Ferse dieser Turnschuhe hatte diese Frau an beiden Füssen und Fersen je einen Noppen oder Nippel. Ein Turnschuh-Stöckelschuh, mit anderen Worten. Das hat mich ganz schwer beeindruckt.