Focus Europa Nachrichten vom 17.11.2010

ID 37378
 
AnhörenDownload
Nachrichtenspecial von unserer Italienkorrespondentin:
1. Brescia/ Mailand: MigrantInnen setzen Zeichen
2. No Gelmini Day in Italien
3. Regierungskrise: Italiens Premierminister Berlusconi muss sich am 14.Dezember einer Misstrauensabstimmung stellen
4. Müllberge in Kampanien
5. Innenminister kritisiert Journalisten für Mafia-Bericht
6. Prozess um Attentat in Brescia: Angeklagte bleiben straflos
7. L'Aquila: 18 Monate nach dem Erdbeben
Audio
07:15 min, 6803 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 17.11.2010 / 19:49

Dateizugriffe: 314

Klassifizierung

Beitragsart: Nachricht
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Serie: Focus Europa Einzelbeitrag
Entstehung

AutorInnen: Johanna
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 17.11.2010
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die Focus-Europa-Nachrichten vom 17. November 2010-
heute als Italien-Spezial:

Brescia/ Mailand: MigrantInnen setzen Zeichen
In Brescia hat am Montag eine Gruppe von Migranten nach 17 Tagen die Besetzung eines Baukrans aufgegeben. In Mailand wurde in einer Anschlussaktion ein Turm besetzt, der bisher noch immer von 3 Migranten gehalten wird.
Die Migranten protestieren mit den Besetzungen gegen die Illegalisierung berufstätiger Sans Papiers. Diese hatten sich von einer gesetzlichen Neuregelung zur Legalisierung von Schwarzarbeitern einen verbesserten Rechts- und Aufenthaltsstatus erhofft. Es stellte sich jedoch heraus, dass diese Regelung nur wenigen Berufsgruppen zugute kommt. Der Protest zielt ausdrücklich nicht nur auf die Akteure selbst, sondern auf eine Verbesserung der Bedingungen aller Migrantinnen und Migranten in Italien.

Die Besetzungen waren auf eine überwältigende Unterstützung der migrantischen wie der italienischen Bevölkerung gestoßen. Am 6. November nahmen nach Angaben der Veranstalterinnen ca. 100.000 Personen an einer Solidaritätsdemonstration in Brescia teil.

Dieses öffentliche Zeichen hatte jedoch nicht die erhoffte positive Wirkung auf die Politik: Statt dessen wurden zwei Tage später bei einer Kundgebung mehrere migrantische Aktivisten festgenommen und kurz darauf mindestens 5 von ihnen nach Ägypten abgeschoben; einer davon sitzt bisher noch im Abschiebegefängnis von Mailand ein.

Die Besetzer des Krans von Brescia müssen nach bisherigen Informationen keine Abschiebung befürchten. Eine Aufenthaltserlaubnis werden sie hingegen voraussichtlich nicht erhalten.

Die Besetzer des Turms von Mailand von Mailand wollen ihre Forderungen nach Aufenthaltserlaubnis und Rechten für MigrantInnen aufrechterhalten und rufen zusammen mit MigrantInnenorganisationen für kommenden Samstag zu einer Demonstration auf.


No Gelmini Day in Italien
Am heutigen Mittwoch haben in über 70 italienischen Städten Schüler und Studentinnen gegen die massiven Kürzungen protestiert, für die sie Bildungministerin Gelmini verantwortlich machen. Insgesamt gingen 200.000 Personen für das Recht auf Bildung auf die Straße. Schon seit gestern werden zahlreiche Schulen besetzt.
Die Protestierenden beklagen sich über ein Sparprogramm, das zu massiven Ausfällen z.B. von Unterrichtsstunden, Seminaren und bereits bewilligten Studienstipendien führt. Daneben mangelt es auch an Mitteln, allein die bauliche Instandhaltung der Schulen zu garantieren. Die Proteste dauern mit Unterbrechungen seit 2008 an.

Regierungskrise: Italiens Premierminister Berlusconi muss sich am 14.Dezember einer Misstrauensabstimmung stellen
Auslöser der Regierungskrise war die Rücktrittserklärung mehrerer Minister und Staatsektretäre am vergangenen Montag. Sie gehören dem Lager des ehemaligen Berlusconi-Schützlings Gianfranco Fini an, welcher inzwischen eine eigene Partei gegründet hat. Nach dem jüngsten Sex-Skandal Berlusconis hatte Fini Berlusconi vergeblich zum Rücktritt aufgefordert.

Präsident Napolitano gab den Termin heute nach einem Gespräch mit den Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Fini und Schifoni [Skifoni] bekannt. Gleichzeitig mit dem Misstrauensantrag der Opposition wird auch ein Vertrauensantrag von Berlusconi selbst abgestimmt werden. Er kann auf die Unterstützung seines Wahlbündnisses “Volk der Freiheit” sowie der Lega Nord zählen.
Aktivere Oppositionelle beobachten mit Unverständnis, dass die Regierung nicht etwa durch einen längst überfälligen breiten Protest der Bevölkerung ins Wanken gebracht wurde, sondern ausgerechnet durch ehemaligen Neofaschisten wie Fini.

Müllberge in Kampanien:
In der Gegend um Neapel droht eine Umweltkatastophe, wenn nicht innerhalb eines Monats keine Lösungsmöglichkeit für die wachsenden Müllberge gefunden wird. So äußerte sich gestern der Vorsitzenden der parlamentarischen Kommission zur Abfallwirtschaft. In dieser Provinz haben sich inzwischen 9000 Tonnen Müll auf den Bürgersteigen angesammelt, da kein Platz zu seiner Ablagerung mehr vorhanden ist. Die lokale Müllentsorgung ist darüber hinaus zu großen Teilen in Händen der Mafia. Eine vorläufige Lösung könnte der Transport des Mülls in umliegende Provinzen oder nach Spanien sein.
Dass die vermeintliche Ent-Sorgung nicht so leicht zu haben ist, hat sich in den vergangenen Wochen gezeigt: Gegen den geplanten Bau einer Müllverbrennungsanlage im Naturschutzgebiet unterhalb des Vesuvs regten sich massive Proteste der lokalen Bevölkerung.

Eine wirtschaftliche Katastrophe in der Region Kampanien dürfte dagegen bereits eingetreten sein: Wie eine neue Untersuchung des Wirtschaftsministeriums ergab, haben sich ihre Schulden der Region durch massive Misswirtschaft innerhalb von 3 Jahren auf 5,4 Milliarden Euro erhöht und damit beinahe verdoppelt.

Innenminister kritisiert Journalisten für Mafia-Bericht
Der Journalist Roberto Saviano, international bekannt durch sein Buch über die Camorra, hatte am Montag in einer vielbeachteten Fernsehsendung über den mittlerweile starken Einfluss der kalabresischen Mafia, der 'Ndrangheta, in Norditalien berichtet. Dabei erwähnte er auch, dass die 'Ndrangheta verstärkt den Kontakt zur rechtsextremen Partei Lega Nord suche.
Lega-Innenminister Maroni deutete dies als Vorwurf der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Mafia und verlangte daher eine Beratung der Angelegenheit in der Verwaltung sowie des Aufsichtsrates des öffentlichen Fernsehens. Er betrachte die betreffende Sendung als Lega-feindlich und damit antidemokratisch betrachte. Andere Lega-Politiker wie der Europaparlamentarier Borghezio schlossen sich der Kritik an oder drohten gar mit juriristischen Schritten gegen den rufschädigenden Journalisten.
Oppositionelle Politiker verwiesen dagegen auf das nachweisliche Engagement der Mafia für Wahlerfolge der Lega Nord.Umgekehrt bemühe sich die Lega zu wenig um die Bekämpfung der Mafia.
Der enorme Einfluss der organisierten Kriminalität in der italienischen Wirtschaft wurde zuletzt im vergangenen Sommer in einer Studie des italienischen Handelsverbandes bestätigt. Danach erwirtschaftet die Mafia insgesamt 7 Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts, davon geht der größte Teil an die 'Ndrangheta. Damit ist die Mafia der Wirtschaftssektor, der trotz Krise am schnellsten wächst.
Dennoch gelingen in jüngster Zeit vermehrt schwere Schläge gegen die Mafia. So wurde heute Nachmittag bekannt, dass ein einflussreicher Kopf der Camorra festgenommen wurde.

Prozess um Attentat in Brescia: Angeklagte bleiben straflos
Am gestrigen Dienstag wurde der Prozess gegen 5 mutmaßliche Attentäter eingestellt. Sie sollen mit einem Bombenanschlag auf eine antifaschistische Demonstration 1974 8 Personen getötet und 100 verletzt haben. Eine Verurteilung sei aufgrund mangelnder Beweislage und teilweiser Verjährung unmöglich, so die Richter. Die Angehörigen der Opfer wie auch der Bürgermeister von Brescia äußerten massives Unverständnis. Unter anderem machen sie eine mangelnde Neuordnung des Gesetzes über Staatsgeheimnisse für das Scheitern des Prozesses verantwortlich.

L'Aquila: 18 Monate nach dem Erdbeben
1 ½ Jahre nach dem Erdbeben liegt die Stadt L'Aquila noch immer in Trümmern. Die Bevölkerung leidet unter wirtschaftlich prekären Lebensbedingungen und unter dem Verbot, an ihre früheren Wohnorte zurückzukehren, begleitet von einer anhaltenden Präsenz von Militär und privaten Ordnungsdiensten in der jetzt unbewohnten Stadt. Daher rufen die EinwohnerInnen von L'Aquila für kommenden Samstag landesweit zu einer Demonstration auf.