Topaktuell: Arbeit und Soziales, neues Gerichtsurteil setzt Signal gegen Dumping-Verträge bei Zeitarbeit

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Die Stimmung der Wirtschaftsverbände ist derzeit gut. Sie erwarten 2011 höhere Produktions- und Umsatzzahlen als 2010. Das könnte die Investitionen und den Job-Aufbau anfeuern. Der Handelsverband HDE erwartet, dass die Löhne 2011 etwas kräftiger steigen, und die Verbraucher wieder lockerer mit ihrem Geld umgehen.
Wie wirkt sich die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes für die Arbeitnehmer aus?
Die Zeitarbeitsbranche vermittelt Menschen auf Zeit eine Beschäftigungsmöglichkeit. Nur 1/3 schafft es über den Klebeeffekt eine Festanstellung zu bekommen. Wegen der Vergütungsstruktur gerät die Zeitarbeitsbranche wiederholt in Kritik. So hat das Bundesarbeitsgericht (= BAG) in Erfurt in dem Grundsatzentscheid, Az: 1 ABR 19/10, am 14.01.2011 verkündet, dass die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen, CGZP, nicht tariffähig ist. Das BAG setzte damit ein deutliches Signal gegen Dumping-Verträge und Gefälligkeitsvereinbarungen. Nach Auffassung der Richter ist die CGZP trotz der vielen von ihr abgeschlossenen Tarifverträge keine Gewerkschaft, da ihr aufgrund fehlender Mitglieder die dafür erforderliche Tarifmächtigkeit fehlt. Damit hat der gemeinsame Antrag von ver.di und der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Gefälligkeitsverträge auch in der Leiharbeitsbranche zu unterbinden Erfolg. Die Tarifverträge der CGZP sind damit nichtig.
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Upload vom 19.01.2011 / 14:36

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: sonar -aktuell-
Entstehung

AutorInnen: Diana Henrich
Radio: bermuda, Mannheim im www
Produktionsdatum: 19.01.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die Bundesagentur für Arbeit, Herr Frank-Jürgen Weise, gab bekannt, dass die Zahl der Arbeitslosen unter die Drei-Millionen-Grenze gefallen sei. Er sieht Deutschland auf der Schnellstraße zur Vollbeschäftigung. Optimistisch äußerte er, dass der Arbeitsmarkt sich 2011 positiv entwickle. Er prognostizierte, dass Oktober 2011 die Grenze von 2,7 Millionen Arbeitslosen unterschritten werde. Die Arbeitslosigkeit läge auf niedrigem Niveau. Die Zahl der Menschen in Arbeit sei so hoch wie noch nie. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hätten 40,9 Millionen Menschen in Deutschland einen Job.
Wie gestaltet sich der Arbeitsmarkt konkret?
Nach einer Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit sank der Anteil der unbefristet in Vollzeit Beschäftigten zwischen 1992 und 2007 von 45 Prozent auf 38 Prozent. Gleichzeitig nahm der Anteil der unbefristet Teilzeitbeschäftigten von 7 auf 11 Prozentpunkte zu. Die Leiharbeit boomt. Der Anteil der Beschäftigten, die für einen Niedriglohn arbeiten, ist zwischen 1992 und 2007 von 15 auf 21,5 Prozent gestiegen. Etwa 5 Millionen Menschen arbeiten derzeit in Minijobs. Die Zahl von 700.000 Ein-Euro-Jobs wird zurückzufahren, da die Eingliederungshilfen von 6 auf 4,7 Milliarden gekürzt werden. Die nüchternen Zahlen belegen, dass der Arbeitsmarkt sich durch eine wachsende Flexibilisierung auszeichnet.
Die Stimmung der Wirtschaftsverbände ist derzeit gut. Sie erwarten 2011 höhere Produktions- und Umsatzzahlen als 2010. Das könnte die Investitionen und den Job-Aufbau anfeuern. Der Handelsverband HDE erwartet, dass die Löhne 2011 etwas kräftiger steigen, und die Verbraucher wieder lockerer mit ihrem Geld umgehen.
Wie wirkt sich die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes für die Arbeitnehmer aus?
Für viele Menschen wird der Wunsch nach einem sicheren, gut bezahlten Vollzeitjob trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht in Erfüllung gehen. 2010 war jede zweite Neueinstellung befristet. Nach einer Umfrage des Münchner Ifo-Instituts bei etwa 1000 Personalleitern nach deren Einstellungsplänen für den Sommer 2011, gaben diese an, die befristeten Arbeitsverhältnisse weiter zu favorisieren. Diese Arbeits-marktentwicklung ist kritisch zu bewerten. Gerade für Berufseinsteiger bedeuten befristete Jobs Unsicherheit. Dies führt dazu, dass Paare ihren Kinderwunsch verschieben oder ganz aufgeben – und die Geburtenrate niedrig bleibt.
Bei den neueingestellten Hochschulabsolventen erhielten im vergangen Jahr 43% einen befristeten Vertrag. Die abwartende Haltung der Unternehmen bewirkt eine hohe wirtschaftliche Unsicherheit auf Seiten der Arbeitnehmer, die sich auf die künftige Lebensplanung auswirkt.
Der vielzitierte Fachkräftemangel erscheit vorgeschoben. Nach einer IFO-Erhebung ließe sich der Fachkräftemangel lösen, wenn die Firmen, insbesondere Kleinunternehmen, den begehrten Arbeitskräften gut dotierte, unbefristete Stellen anböten. Arbeitsstellen werden demnach nicht besetzt, weil die Bezahlung der Jobs für die Fachkräfte nicht attraktiv genug ist.
Die deutschen Arbeitnehmer mussten im vergangenen Jahrzehnt trotz anziehender Konjunktur kräftige Gehaltseinbußen hinnehmen – der durchschnittliche Monatslohn schrumpfte preisbereinigt um 4,5 Prozent. Das geht aus dem „Globalen Lohn Report“ hervor, den die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) veröffentlichte. Durch die Kurzarbeit während der Krise, fiel der Stellenabbau geringer aus. Der gut funktionierenden Dialog zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verhinderte eine stärkeren Stellenverlust. Durch die Krise wurde die Kaufkraft der Arbeitnehmer erheblich beschnitten. In der Krise zeigte sich, dass die Löhne nicht nur ein Kostenfaktor sind, sondern vor allem auch der Stabilisierung des Konsums und damit des Wirtschaftswachstums dienten. Der "Kleine Mann" ist der Moter der Wirtschaft. Wenn der "Kleine Mann" nicht mehr genügend Geld zum Leben hat, dann kommt die Wirtschaft ins Stottern. Der Mindestlohn ist ein Auffangnetz, das dem "Kleinen Mann" ein Minimum an wirtschaftlicher Sicherheit brächte. In vielen europäischen Staaten gibt es ihn schon. Die Bundesrepublik Deutschland hinkt hinterher.
Die Zeitarbeitsbranche vermittelt Menschen auf Zeit eine Beschäftigungsmöglichkeit. Nur 1/3 schafft es über den Klebeeffekt eine Festanstellung zu bekommen. Wegen der Vergütungsstruktur gerät die Zeitarbeitsbranche wiederholt in Kritik. So hat das Bundesarbeitsgericht (= BAG) in Erfurt in dem Grundsatzentscheid, Az: 1 ABR 19/10, am 14.01.2011 verkündet, dass die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Service-Agenturen, CGZP, nicht tariffähig ist. Das BAG setzte damit ein deutliches Signal gegen Dumping-Verträge und Gefälligkeitsvereinbarungen. Nach Auffassung der Richter ist die CGZP trotz der vielen von ihr abgeschlossenen Tarifverträge keine Gewerkschaft, da ihr aufgrund fehlender Mitglieder die dafür erforderliche Tarifmächtigkeit fehlt. Damit hat der gemeinsame Antrag von ver.di und der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Gefälligkeitsverträge auch in der Leiharbeitsbranche zu unterbinden Erfolg. Die Tarifverträge der CGZP sind damit nichtig. Das könnte für die Arbeitgeber extrem teuer werden. Leiharbeiter, für die bislang die christlichen Tarife gelten, steht nun ein Anspruch auf „Equal Pay“ – zu, das kann im Einzelfall einen Lohnzuschlag von 30 Prozent bedeuten. Da die CGZP nicht tariffähig ist, werden die Sozialkassen von den Zeitarbeitsfirmen Beiträge für die Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung nachfordern. Derzeit wird die Nachforderung auf 2 Milliarden geschätzt.
Die Rentenversicherung kündigte Betriebsprüfungen bei eventuell bis zu 1.600 Zeitarbeitsfirmen an. Auch Rentner, die früher als Leiharbeiter tätig waren, könnten noch provitieren. Betroffen könnten Menschen mit einem Rentenbeginn ab 2006 sein. Diese Menschen sollten noch in diesem Jahr einen formlosen Antrag bei ihrem Rentenversicherungsträger stellen, und um Prüfung der Rentenzahlung bitten.
Aufgrund des Sparpakets werden die 700.000 Ein-Euro-Jobs zusammengestrichen. Die Stellen waren für Menschen gedacht, die lange vergeblich eine reguläre Stelle suchten. Für viele Ein-Euro-Jobber verbesserten sich die Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht. Gleichzeitig zeigte sich die Gefahr, dass „normale“ Stellen durch Ein-Euro-Jobber verdrängt wurden. Einige Kommunen sanierten auf diesem Wege ihren kommunalen Haushalt, indem sie kommunale Aufgaben von Ein-Euro-Jobber statt von Privatunternehmen ausführen ließen.
Quo vadis?
Ab dem 01. 05.2011 tritt eine Eu-weite Öffnung des Arbeitsmarktes ein. Den Produktionsfaktor Arbeit gibt es dann zum Dumpingpreis. Es wird vermutet, dass die Arbeitgeberseite längst gerüstet ist, sprich Dumpingverträge in ihren Schubladen aufbewahren. Es steht zu befürchten, dass sich die Lohnspriale nach unten fortsetzt. Um so wichtiger ist es, dass nun flächendeckende, gesetzliche Mindeslöhne zu Stande kommen, damit Lohn- und Sozialdumping verhindert wird.


Moderatorin: Diana Henrich
Bermuda Funk

Kommentare
21.01.2011 / 18:06 sonar aktuell, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
gesendet
am 21.1.2011
 
25.01.2011 / 18:02 b.sonar, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
gesendet am 25.01.11
gesendet am 25.01.11 im sonar