Letzter Tag des WSF 2011 in Dakar, Teil 1: Die Versammlung der Frauenorganisationen endete in einer kaotischen Auseinendersetzung und eine Einschätzung des Forums von Lilian und Betania von den Feministischen Dialogen.

ID 39197
 
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Die Versammlung der Frauenorganisationen spaltete sich an der Frage, ob die Enderklärung sich mit dem Kampf der saharouischen Frauen gegen die Besetzung der West-Sahara durch Marokko solidarisierte oder nicht. Marokkanische Frauen wehrten sich strickt gegen jede Erwähnung des saharouischen Kampfes.
Ein Interview mit Lilian Celiberti und Betania Avila von den Feministischen Dialogen über das WSF 2011, die Frauenversammlungen und Zukunftsperspektiven.
Audio
12:30 min, 11 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 22.02.2011 / 01:50

Dateizugriffe: 1236

Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Frauen/Lesben, Politik/Info
Serie: Weltsozialforum 2011 in Dakar, Senegal
Entstehung

AutorInnen: Bianca Miglioretto, AMARC
Radio: LoRaZH, Zürich im www
Produktionsdatum: 20.02.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Am Morgen des 11. Februars, dem Letzten Tages des WSF 2011 in Dakar fand die Versammlung der Frauenorganisationen statt. Dort wurde die Erklärung der Frauenorganistionen, die während den letzten fünf Tagen zusammengetragen wurden, vorgestellt. Der Schwerpunkt der Erklärung waren die viele bewaffneten Konflikte in Afrika unter denen viele Frauen leiden. Sie enthielt aber auch viele andere Punkte. Einer der Punkte war die Unterstützung des Kampfes der Frauen der Polisario gegen die Marokkanische Besatzung der West-Sahara. Dieser Punkt war Anstoss für risiege Meinungsverschiedenheiten, die praktische keine weitere Diskussionen über andere Punkte der Erklärung zuliessen.

O-ton

Die Versammlung artete in einem Chaos aus, in dem einige durcheinander schreiten und kaum etwas zu verstehen war. Die Veranstalterinnen versuchten immer wieder Ruhe im Zelt herzustellen und appellierten an die Frauen, dass sich gegenseitig zuzuhören und ausreden zu lassen.

O-Ton

Als die Frauen sich wieder mal etwas beruhigt hatten, gelang einer Teilnehmerin anzufügen, dass wir den Kampf der Frauen gegen die WB und den IWF sowie die Demokratiesierung der UNO in die Erklärung aufnehmen sollen.

Während die Mehrheit der anwesenden Organisationen die Solidarität mit den Saharaouischen Frauen befürworteten, verhinderten marokkanische Frauen immer wieder lautstark jede Diskussion darüber und stellten sich dagegen diese Erklärung zu verabschieden. Sie betonten immer wieder, dass es am WSF keine Abstimmungen, sondern nur Konsenze gebe.

O-Ton

Schlussendlich wurde die Versammlung beendet mit dem Entscheid, dass es keine Erklärung der Versammlung der Frauenorganisationen gibt. Und dass die Erklärung mit der Solidarität mit den saharouischen Frauen, von einzelnen Frauenorganisationen unterzeichnet werden.

Musik

Ich nutzte die Gelegenheit, mit Lilian Celiberti aus Italien und Betania Avila aus Brasilien von den Feministischen Dialogen ein Interview zu machen.

O-Ton Lilian ....

Auf die Frage, welchen Eindruck sie vom WSF in Dakar haben, meinte Lilian Celiberti:
Dieses Forum hatte zwei sehr widersprüchlich Gesichter. Auf der einen Seite ein starke und aktive Afrikanische Präsenz von Frauen, jungen Leuten und anderen Organisationen und auf der anderen Seite war das Forum extrem schlecht organisiert. Ein Dialog braucht gewisse Voraussetzungen. Es braucht Räume und Übersetzung, sonst ist es unmöglich, sich auszutauschen und gegenseitig zu bereichern. Ein WSF zu organisieren, bedeutet in erster Linie den Raum zur Verfügung zu stellen, damit die vielen verschiedenen Kämpfe der Welt zusammenkommen können. Diese Voraussetzungen waren hier nicht gegeben.

O-ton Lilian

Von Betania wollte ich wissen, was sie von der Veranstaltung der Feministischen Dialoge hält und und was dabei herausgekommen ist.

O-Ton Betania

Unter diesen erschwerten Umständen Feministische Daloge zu organisieren war eine echte Herausforderung. Wir hatten keinen Raum und mussten von einem Ort zum nächsten gehen bis wir die Dialoge durchfürhen konnten. Unterwegs verloren wir viele Teilnehmerinnen und einige Rednerinnen. Was am Ende herauskam, war trotzdem recht interessant. Wir haben allen Rednerinnen die einleitende Frage gestellt, wie sie die struckturelle Frauenunterdrückung angehen, wie zum Beispiel die geschlechterspezifische Arbeitsteilung, Sexualität, religiöse Dominanz sowie Machtstrukturen innerhalb der feministischen Bewegung. Trotz der mieserablen Voraussetzung hatten wir eine sehr gute Diskussion aus unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen. Die äusseren Umstände erlaubten uns jedoch nicht Vorschläge für die Zukunft zu erarbeiten. Mit anderen Worten die Organisationen der Feministischen Dialoge müssen die Diskussion wie bis anhin per Internet weiterführen.

O-Ton Betania

Zur Versammlung der Frauenorganisationen meinte Lilian:

O-ton Lilian

Am letzten WSF in Belem in Brasilen war die Versammlung der Frauenorganisationen ein Höhepunkt des Forums. Heute morgen wurde die Erklärung der Frauenorganistionen präsentiert, die viele verschiedene Punkte umfasste. Die Erklärung war sehr umfassend. Uns fehlte jedoch die Reproduktionsarbeit der Frauen. Für meinen Geschmack bezieht sich die Erklärung zu stark auf internationale Abkommen und UMO-Resolutionen. Vielleicht zeigen sich hier die unterschiedlichen feministischen Kämpfe auf den verschiedenen Kontinenten. In Afrika gibt es viele Spannungen, Konflikte mit den Traditionen und Kriege. Die Frage oder das Problem war hier, ob wir gewisse Kämpfe in der Erklärung erwähnen oder nicht. Dabei kamen Machtstrukturen sehr zum Tragen. Die saharouischen Frauen der Polisario erleben selbst hier am Forum starke Repression. Jede Veranstaltung der Polisario gegen die marokkanische Besetzung der West-Sahara wurde von Marokkanischen Forums-Teilnehmerinnen und Teilnehmer sabotiert und fand an der Versammlung der Frauenorganisationen ihren Höhepunkt. Dieser Konflikt verhinderte einen demokratischen partizipativen Verlauf der Versammlung. Wir von den feministischen Dialogen kamen nicht zu Wort. Wir müssen lernen mit solchen Konflikten innerhalb der Frauenbewegung umzugehen. Es beweisst, dass wir gewisse Themen noch nicht zu Ende diskutiert haben. Auf den ersten Blick erscheint der Kampf des saharouischen Volkes vielleicht als ein Detail in der Erklärung aber es ist eine Frage des Respekts, dass wir alle Kämpfe ernst nehmen und dass alle Völker ein Recht auf ihr Land haben. Wenn wir z. B. vom Palästinensischen Volk sprechen, müssen wir auch vom Saharouischen Volk sprechen .

O-Ton Lilian

Ich fragt Betania, ob sie die Versammlung der Frauenorganistionen hier als einen Rückschritt erachtet, verglichen mit der letzten Versammlung in Belem?

O-Ton Betania

Ich glaube wir können keine Vergleiche ziehen, weil wir jede Versammlungen in ihrem jeweiligen sozialen Kontext und der Geschichte sehen müssen. Hier sind die bewaffneten Konflikte sehr präsent. Während in Belem sehr wenig Leute aus Afrika teilgenommen haben. Es ist extrem wichtig, dass an diesem Forum viele Leute aus Afrika teilgenommen haben. Bedauernswert ist, dass die Dominanz gegenüber dem Kampf einer Minderheitbevölkerung auf diese Weise an der Frauenversammlung ausgetragen wurde. Besonders schlimm fand ich die bedrohliche Art, wie gewisse Männer auftraten, die gegen den demokratischen Entscheid waren, den Kampf der Saharouis in der Erklärung zu erwähnen. Die patriarchale Präsenz dieser Männer an der Versammlung der Frauenorganisationen war schrecklich.

O-Ton Betania

Lilian meinte im Moment ist es wichtig in die Zukunft zu sehen.

O-ton Lilian

Ein WSF ist ein Moment in einem langen Prozess. Die Erfahrungen, der Austausch, die Kontakte ermöglichen die Weiterentwicklung und Vertiefung der Debatten. Wir müssen erkennen, dass die Kolonisation weiterlebt in den Spaltungen, die wir in verschiedenen Teilen der Welt erleben. Wie können wir direktere Beziehungen zwischen den afrikanischen Frauen und den lateinamerikanischen Frauen aufbauen? Wie können wir ein kollektives Denken entwickeln? Das sind Herausforderungen für das nächste Forum. Die Erfahrung hier zeigt uns, dass wir den Kämpfen in diesem Kontintent mehr Aufmerksamkeit schenken und die Solidarität mit den Afrikanischen Frauen verstärken müssen.

O-ton Lilian

Musik
Jingle
Musik


Kommentare
22.02.2011 / 13:08 Georg Wimmer, Radiofabrik, Salzburg
gesendet
gekürzt gesendet auf der Radiofabrik im Magazin um 5. Danke!
 
24.02.2011 / 15:25 smn, Radio LoRa, Zürich
Übernahme
Teile 1-6 wurden auf Radio LoRa Zürich am 27.Februar 2011 von 17.30-18.00h gesendet. Danke & Gruss!