Nachrichten Focus Europa 2.3.11

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Doch zunächst die Nachrichten – aufgrund der Nachrichtenfülle heute mal ausschließlich zum Thema Libyen.

Bereits heute morgen kam es erneut zu blutigen Kämpfen zwischen Rebellen und Gaddafis Truppen in den östlichen Städten Brega und Ajdabjyah. Bei Luftangriffen wurden mindestens 15 Menschen getötet. Wegen der widersprüchlichen Nachrichtenlage ist bislang unklar, ob Gaddafi bereits von den Aufständischen kontrollierte Gebiete zurückgewonnen hat.

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Unterdessen hat sich der oppositionelle libysche Nationalrat in Benghasi erstmals für eine UNO-Intervention ausgesprochen. Er fordert die UN auf, Luftschläge auf Söldnertruppen zu erlauben, die Gaddafi unterstützen. Der Rat spricht sich aber gegen ausländische Interventionstruppen auf libyschem Boden aus.

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Gaddafi wiederum hat mit „tausenden Todesopfern“ gedroht, sollte das Ausland militärisch in seinem Land eingreifen. „Tausende Libyer werden sterben, wenn Amerika oder die Nato intervenieren“, sagte er am Mittwoch in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede bei einer Zeremonie in Tripolis. „Wir werden bis zum letzten Mann und bis zur letzten Frau kämpfen.“

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Nach Schätzungen von Menschenrechtlern kosteten die Unruhen bisher Tausende Menschenleben. Die Internationale Menschenrechtsliga in Paris sprach von bis zu 3000 Toten. Sprecher einer libyschen Menschenrechtsorganisation gingen sogar von der doppelten Zahl aus. Diplomaten schätzen die Zahl der Todesopfer auf 1500 bis 2000.

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Die UN-Vollversammlung hat Libyen aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ausgeschlossen.
Das meldet die Französische Presseagentur AFP. Die Entscheidung der 192 Staaten umfassenden Vollversammlung fiel gestern einstimmig. In einer ebenfalls einstimmig verabschiedeten Resolution forderte der UN-Menschenrechtsrat zudem eine unabhängige Untersuchung der Gewalt gegen Demonstrierende. Es war das erste Mal, dass der Menschenrechtsrat mit einem solchen Schritt gegen eines seiner Mitglieder vorging. Die Arabische Liga hatte Libyen bereits zuvor von Treffen des Staatenbundes ausgeschlossen.

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In Libyen haben sich die ersten freien Medien gegründet.
Das berichtet die Online-Ausgabe der taz. In Benghasi hat das "Pressezentrum der Jugend des 17. Februar" eröffnet. Seit kurzem werde ein freies Radioprogramm ausgestrahlt und die Zeitung "Freies Libyen" gedruckt. Die Tageszeitung ist die erste arabische Zeitung in Libyen, die ohne staatliche Zensur arbeiten kann. Insgesamt beteiligen sich bei einer Auflage von 5000 Exemplaren bereits 62 freiwillige Mitarbeiterinnen.

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Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) nimmt an diesem Donnerstag seine offiziellen Ermittlungen gegen den Gaddafi-Clan wegen des Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf. „Der nächste Schritt für den Staatsanwalt wird darin bestehen, seinen Fall den Richtern des IStGH zu präsentieren, die dann entscheiden, ob auf der Basis des Beweismaterial Haftbefehle ausgestellt werden“, erklärte Chefankläger Moreno-Ocampo. Wann dies soweit sein könnte, sagte er nicht.

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Erstmals seit Ausbruch der Unruhen in Libyen hat die EU-Kommission Diktator Muammar al-Gaddafi direkt zum Rücktritt aufgefordert. „Das vollkommen inakzeptable Verhalten des libyschen Regimes in den vergangenen Wochen hat schmerzhaft klar gemacht, dass Oberst Gaddafi Teil des Problems ist, und nicht Teil der Lösung“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Nachmittag in Brüssel. „Es ist Zeit für ihn, zu gehen und sein Land an das libysche Volk zurückzugeben.“ Die 27 EU-Mitgliedsstaaten hatten am Montag den Druck auf Gaddafi verschärft und Sanktionen gegen seinen Clan verhängt.

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Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat an die Weltgemeinschaft appelliert, hunderte Flugzeuge zur Rettung von Flüchtlingen an der libysch-tunesischen Grenze zu entsenden. Dort warteten derzeit Menschenmassen auf einer Fläche von der Größe mehrerer Fußballfelder „in eisiger Kälte“ auf eine Weiterreise, sagte UNHCR-Sprecherin Sybella Wilkes am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP. „Die Lage ist ausgesprochen chaotisch“, fügte sie hinzu. Viele der Flüchtlinge hätten bereits „drei oder vier Nächte draußen im Regen“ verbracht. Nach Wilkes' Angaben flohen bisher knapp 80 000 Menschen aus Libyen nach Ägypten und etwa noch einmal so viele nach Tunesien.
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Während die Flüchtlinge aus den nordafrikanischen Staaten weiter auf Rettung warten, hat die türkische Regierung hat mehr als 21.500 Menschen aus dem von Unruhen erschütterten Libyen herausgeholt. Darunter seien vor allem türkische Staatsbürger, aber auch fast 3000 andere Ausländer, zitierte die türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwoch den Krisenstab in Ankara. Nach Angaben von Außenminister Ahmet Davutoglu handelt es sich um die größte Rettungsaktion in der Geschichte des Landes.

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Die aktuell hohen Benzinpreise sind in aller Munde. Die Aufstände in erdölfördernden Staaten wie Libyen sind der angebliche Grund. Doch weit weniger bekannt ist, wie direkt der Einfluss Gaddafis auf den deutschen Sprit ist. Die Süddeutsche Zeitung berichtet vom aggressivem Wachstumskurs des staatlichen libyschen Ölkonzerns in Deutschland. Nach Angaben der SZ sind zum Beispiel HEM-Tankstellen hundertprozentige Töchter des libyschen Staats.
Nach Angaben der SZ hat sich Libyen hat in Deutschland und Europa einen großen Mineralölkonzern zusammengekauft. Kerngesellschaft sei die Oilinvest B.V., Rotterdam, die dem libyschen Staatsfonds Libyan Investment Authority gehört und damit stets Staatschef Muammar al-Gaddafi unterstand. Bekannter ist der Konzern unter dem Markennamen Tamoil Group bekannt.
Besonders in Deutschland hat Tamoil in den vergangenen Jahren massiv Tankstellen übernommen. Die meisten werden inzwischen unter dem Namen HEM geführt.
Neben Deutschland sind vor allem die Schweiz und Italien große Tamoil-Standorte. In Europa betreibt der Konzern nach eigenen Angaben gut 2 800 Tankstellen, die ihm nicht nur große Gewinne, sondern Libyen auch einen sicheren Absatzmarkt garantieren. So liegt in Deutschland, Italien und der Schweiz der Import von Öl aus den libyschen Feldern weit über dem europäischen Durchschnitt. Außerdem betreibt Tamoil drei Raffinierien in Europa, eine davon in Hamburg. Diese werden vor allem mit libyschen Öl beliefert.
Interessant ist die Situation auf jeden Fall in Bezug auf Sanktionen gegen das Gaddafi-Regime. Die verbraucherpolitische Sprecherin der SPD, Elvira Drobinski-Weiß, sagte dazu der Süddeutschen Zeitung: “Es ist höchste Zeit, dass die EU mit Sanktionen gegen Libyen ernst macht. Dabei muss auch ein Zugriff auf europäische Vermögenswerte erfolgen, möglicherweise auch auf das hiesige Mineralölgeschäft und damit Tamoil.“
Audio
06:36 min, 6181 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 02.03.2011 / 19:25

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Klassifizierung

Beitragsart: Nachricht
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Internationales, Politik/Info
Serie: Focus Europa Einzelbeitrag
Entstehung

AutorInnen: Julia, Niels
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 02.03.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
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