Blutrünstige Bestie oder Symbol der Wildnis - der Wolf im Spiegel der menschlichen Seele

ID 40099
1. Teil (Hauptteil)
Der Wolf ist für den Menschen schon seit Jahrtausenden eine Projektionsfläche seiner Fantasie. Die Autorin will die Mythen über den Wolf kritisch hinterfragen und wissenschaftlichen Fakten gegenüber stellen. Dabei begibt sie sich zu den aus Polen eingewanderten Wölfen in die Lausitz, sucht in alten Mythen, in der Literatur von Wolfsforschern und Philosophen, sowie einer Schweitzer Studie über die psychologischen Hintergründe bestimmter Sichtweisen über den Wolf. Im Mittelpunkt steht das besondere Verhältnis des Menschen zu dem ersten von ihm domestizierten Tier. Eine historische, naturwissenschaftliche und psychologisch-philosophische Spurensuche.
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mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 02.04.2011 / 13:58

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Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Umwelt, Kultur
Entstehung

AutorInnen: Marlen Neumann
Radio: coloradio, Dresden im www
Produktionsdatum: 26.03.2011
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
2. Teil
Audio
24:59 min, 23 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 01.04.2011 / 12:03
CC BY-ND-NC
Creative Commons BY-ND-NC
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 4.0 International - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Zitator:
„Seit nunmehr 100 Jahren ist in der Lausitz im Herzen Deutschlands kein Wolf mehr geschossen worden, und heute, oder vielmehr am 27.02.1904 wird eine solche Bestie, die nachweislich fünf Jahre ihr Dasein gestiftet hat, ebendort zur Strecke gebracht...dass vier Jahre vergehen mussten, ehe man dem Satan das Handwerk legte, das ist unverzeihlich. Nun ist Gott sei dank Ruhe, und den Erfolg werden wir recht bald an unserem Wildstand merken..."

Sprecher:
Am 27. Februar 1904 wurde offiziell der letzte Wolf Deutschlands in der Lausitz erschossen. In weiten Teilen Europas galt er schon als ausgerottet, was das Ergebnis einer langjährigen Verfolgungsgeschichte ist. Doch seit 1999 kehrt er wieder zurück nach Deutschland.

Atmo: Wolfsgeheul Neustädter Wölfe

O-Ton Bathen:
Und dann kommt der Wolf, der ausgestorben war in Deutschland. Und der ist nicht ausgestorben, weil man ihm den Lebensraum weggenommen hat, sondern das ist ein Tier, dem hat man nachgestellt im ausgehenden Mittelalter wie beispielsweise die Kirche die Hexen im Mittelalter verfolgt und verbrannt hat, die letzten Wölfe wurden gezielt ausgerottet. Das ist ein Unsymbol gewesen und die Bestie in Person und genau dieses Tier, was wir so als Teufel verjagt und ausgerottet haben, das kommt nun selbständig zurück, kommt in unsere Landschaft und sagt, die Landschaft ist geeignet. Alles was ihr machen müsst, ist mich zu akzeptieren. Schützt die Schafe, das müssen wir machen, aber ansonsten kann alles so weitergehen in Deutschland wie bisher. Wir müssen das Tier nur akzeptieren.

Sprecher/in vom Dienst:
Blutrünstige Bestie oder Symbol der Wildnis

Zitator:
„...wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf. Rotkäppchen aber wusste nicht, was das für ein böses Tier war....“

O-Ton Kaasche:
Es hat sich so ein bisschen der Wolf als Mythos gehalten. Wir kennen natürlich die Märchen: jeder weiß, was Rotkäppchen im Korb hatte, wo das kleinste Geißlein sich versteckt hat, aber wie viele Zähne ein Wolf im Maul hat, wissen wir nicht. Und das ist so bisschen ein Problem, weil der Wolf kehrt ja zurück, der läuft mal irgendwo lang und wenn die Leute aber nur diesen Gruselwolf kennen, dann ist es nicht leicht für den Wolf.

Sprecher/in vom Dienst:
Der Wolf im Spiegel der menschlichen Seele (-zw. wiss. Fakten und kulturellen Projektionen)

Atmo: Wolfsgeheul

O-Ton Bathen:
Der Wolf ist den meisten Menschen nur aus den Märchen bekannt. Wer weiß schon, was wirklich der Wolf ist und was er macht. Aber die Menschen kennen den Wolf erstmal nur aus Rotkäppchen und den anderen Grimmschen Märchen. Und da spielen Horrorszenarien, dass Wölfe in Sibiriens Wintern ganze Dörfer überfallen. Spielen einfach in dieses vorgefertigte Bild.


Zitator:
...Der Wolf drückte auf die Klinke, die Türe sprang auf und er ging, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte sie...

Sprecher:
Um den Wolf ranken sich viele Mythen und Sagen. Einerseits als blutrünstige Bestie dargestellt, andererseits als besonderes Lebewesen verehrt und Symbol der letzten übrig gebliebenen Wildnis thematisiert. Aber wie kam es dazu, dass der Wolf derart gehasst wurde und immer noch wird? Und was macht andererseits die Faszination dieses Raubtieres aus?

O-Ton Schellenberg:
Es hat bestimmt etwas damit zu tun, dass der Wolf damals als existentielle Bedrohung wahrgenommen wurde, aber nicht weil er Menschen tötet, sondern weil er Schafe und Ziegen reißt. Damit war der Wolf Nahrungskonkurrent. Das war bestimmt ein Grund, dass man ihn für alles Böse und Schlechte hergenommen hat. In Kulturen, wo es keine Nutztierhaltung gibt, hat er nicht so ein schlechtes Image. Nordamerikanische Ureinwohner haben den Wolf sogar bewundert um seine Jagdfähigkeiten und um sein Geschick, und nicht so verteufelt wie bei uns, weil sie keine Nutztierhaltung haben, sondern gejagt haben wie der Wolf.

Musik: Native Flute

Sprecherin:
Bei vielen nordamerikanischen Indianerstämmen, die von der Jagd lebten, wurde der Wolf als ihresgleichen verehrt, denn er war ein angesehener Jäger, dessen Fähigkeiten sie bewunderten. So wurde der Wolf oft als Bruder betrachtet oder als übernatürliches Wesen verehrt. Bei den Irokesen und den Mongolen erscheint der Wolf als Totem. Die Usbeken und die Hunnen leiteten ihre Herkunft vom Wolf ab, ebenso die alten Türken.
Wertschätzung erfuhr der Wolf auch bei den Germanen, deren Gott Odin von zwei Wölfen begleitet wird. Vornamen wie Wolf, Adolf und Wolfgang dienten den Kriegern als Identifikation mit dem beliebten Krafttier. Auch die griechische Göttin Hekate, Göttin der Wegkreuzungen und dunkle Zauberin wurde häufig in Begleitung von drei Wölfen dargestellt. Hier galt der Wolf als Todesbote und Begleiter ins Jenseits.

O-Ton Anhalt:
Überall wo es Wölfe gegeben hat historisch, gibt es mehr Mythen über den Wolf als über jedes andere Tier... das hat Gründe: das eine ist die extreme Nähe, die wir zum Wolf haben und das Bewusstsein, dass unser bester Freund der der Wolf ja auch ist als Hund, ein Raubtier ist, ein Tier das andere Tiere tötet. Und dass der Wolf genau an der Grenze steht, d. h. der Wolf ist ein wildes Tier, er ist „draußen“, er ist aber nicht nur draußen, sondern er ist auch drinnen in der Kultur und damit auch direkt in der Psyche, und er steht genau an dieser Grenze und gerade weil er an dieser Grenze steht, und uns auf uns auf eine bestimmte Art und Weise ähnlicher ist als jedes andere Tier, was uns begegnet, gleichzeitig ist er gefährlich. Deswegen bietet er genau den Raum, mit dem diese Grenzen, Imaginationen, Vorstellungswelten gefüllt werden können....

Sprecherin:
Eine positive Rolle spielt der Wolf auch bei der Entstehung Roms. Diese Stadt wurde der Legende nach von den Zwillingsbrüdern Romulus und Remus gegründet, welche von einer Wölfin gesäugt und aufgezogen wurden. Ähnliche Geschichten gibt es auch aus dem indischen Raum. Eine moderne Version des Wolfskinder-Mythos enthält Rudyard Kiplings Dschungelbuch. In Fabeln und Märchen wurden meist negative menschliche Eigenschaften auf den Wolf projiziert. Bei Jack London wird er zum Symbol der Wildnis. In Hesses Steppenwolf zum Symbol für die triebgesteuerte und gesellschaftskritische Seite des Protagonisten Harry Haller.
In all diesen verschiedenen Mythen und Märchen sowie auch in der modernen Literatur zeigt sich eine starke Ambivalenz gegenüber dem Wolf. Einerseits wird er verehrt als starkes und überlegenes Tier oder als ein Symbol für Wildnis und Freiheit und die zu Unrecht verfolgte Kreatur, zum anderen werden auf das Tier verschiedenartige Ängste projiziert oder es wird als gefährlich zähnefletschende Bestie dargestellt.


Sprecher/in vom Dienst:
ein Feature von Marlen Neumann

Musik: Mari Boine

Sprecher:
Der Wolf war ursprünglich auf der gesamten Nordhalbkugel verbreitet. Sein Lebensraum erstreckte sich über ganz Europa und Asien bis nach Nordafrika sowie Nordamerika. Aber inzwischen ist er in großen Teilen seines Verbreitungsgebietes durch die menschliche Verfolgung ausgerottet.
Aufgrund der Anpassung in den unterschiedlichsten Klimazonen entwickelten sich im Laufe der Evolution sehr viele Arten des Canis Lupus. So gibt es die Weißen und Schwarzen in den nördlichen Gegenden wie Alaska, Grönland und Kanada, Gelb- und Rotbraune in den subtropischen Regionen wie Mexiko und dem Iran und die Grauen in den gemäßigten Zonen Europas und Asiens. Auch in der Größe sind die Variationen extrem. In den nördlichen Breiten Lettlands, Weißrussland, Alaskas und Kanadas bringen es Wölfe zu einem Körpergewicht von 80 kg und einer Länge von 160 cm, im vorderen Orient und der Arabischen Halbinsel hingegen nur auf 20 kg und 80 cm.

MUSIK: Mari Boine

Sprecher:
Der Facettenreichtum und die Anpassungsfähigkeit des Wolfes sind faszinierend. Er überlebt in den arktischen Regionen des Nordens ebenso wie in den subtropischen des Südens, in totaler Wildnis oder in vom Menschen beeinflusster Kulturlandschaft. Ihn gibt es als Jäger von Großwild, ebenso als Müllverwerter, wie die sogenannten Spagettiwölfe in den italienischen Apeninnen als Einzelgänger oder im großen Rudel je nach Ernährungsweise. So spiegelt die Lebensweise der deutsch-polnischen Wölfe im Lausitzer Tagebaugebiet nur eine Facette seiner Möglichkeiten.

O-Ton Kaasche:
Wenn wir in Rietschen losfahren...

Autorin:
Es ist der zweite Morgen des neuen Jahres. Die Landschaft ist in eine dicke Schneeschicht eingehüllt. Wir haben uns in Rietschen, also mitten im Lausitzer Wolfsgebiet mit Stephan Kaasche getroffen, um auf Wolfsspurensuche zu gehen. Er ist Naturführer und leitet Wolfsexkursionen.
Wir fahren mit dem Auto zum Truppenübungsplatz, wo 1996 die ersten Wölfe nach der Wiedervereinigung Deutschlands gesehen wurden und 2000 die ersten Welpen geboren wurden. Einzelne Wölfe wanderten in den letzten Jahrzehnten zwar immer wieder von Polen in die Lausitz ein, sie waren zu DDR-Zeiten jedoch nicht geschützt und wurden daher von Jägern sofort erschossen.

O-Ton Kaasche:
Jetzt sind wir hier an den Truppenübungsplatz gefahren und an der Kante an der B 156 zum Tagebau Nochten und hier fängt das Wolfsdrama im Prinzip auch schon an. Der letzte Wolf der überfahren worden ist am 14.12.2009 um18:30 Uhr. Der ist hier in der 70 Zone überfahren wurden. Die wechseln vom Truppenübungsplatz in die Tagebaufolgelandschaft. Auf drei Kilometern fünf Wölfe in den letzten 2,5 Jahren und 45 Wildtiere.

Autorin:
Auch die B97 erwies sich im Oktober 2010 als tödlich für den dreibeinigen Vaterwolf des Welzower Rudels. Es war das erste Mal, dass ein Elterntier auf Deutschlands Straßen getötet wurde, doch kurz darauf, im Januar 2011 erwischte es auch den Vaterwolf des Milkeler Rudels – diesmal auf der B169. Damit ist die Zukunft von zwei Rudeln gefährdet. Finden sich keine neue Partner, so werden wir in der Lausitz erstmal zwei Rudel weniger haben.
Der Autoverkehr ist zu Zeit die größte Gefahr für die Lausitzer Wölfe. So wurde am 27. Februar 2011 abermals eine junge Wölfin angefahren, die eingeschläfert werden musste. Aber auch vom Zug wurde schon ein Wolf überfahren. Und 2007 und 2009 wurden zwei Wölfe illegal erschossen, obwohl sie streng geschützt sind, angeblich wegen Verwechslungen mit wildernden Hunden. Bei so einem kleinen Bestand wie in der Lausitz ist jeder einzelne Verlust dramatisch.

O-Ton Kaasche:
Das ist mal so eine typische Wolfslosung, ich zeige die jetzt mal, weil die normal wir nicht finden. Ich finde natürlich eine, weil ich weiß, wo die liegt...

Autorin:
Bevor wir losgehen, zeigt uns Stephan Kaasche am Auto noch seinen Fundus an Wolfshinterlassenschaften und erklärt uns, worauf man bei der Wolfsspurensuche achten muss.

...Da sind dann so Knochen und Haare drin, Reh, Rotbild, dann ist da noch ein Huf dabei. Das hat so einen typischen Geruch, so stechend amoniakartig, mitten auf dem Weg. Die gibt es in unterschiedlicher Ausprägung. Knochenlosung und Felllosung. Nach solchen Losungen sucht man immer. Das ist das beste, was man machen kann, weil die kann 3 Wochen da liegen, eine Spur ist nach einem Regen weg. - Die fressen wirklich mit Haut und Haaren. - Ja, das ist immer das einzige, was an Rotkäppchen stimmt, die fressen ihre Beutetiere mit Haut und Haaren.

Zitator:
...Damit ich dich besser fressen kann. Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rotkäppchen. ...

O-Ton Kaasche:
Das ist hier mal so eine geschnürte Wolfsspur, vier Zehen, herzförmiger Ballen und Spur in Spur, das sind nämlich die Krallen der Vorderpfote. In diesen Abdruck der Vorderpfote, die größer war, ist die Hinterpfote rein getreten. Wenn man solche geschnürte Spuren findet, wo die Zehen der Vorderpfote noch zu sehen sind und die Hinterpfote sich drin abdrückt, dann kann man davon ausgehen, dass es ein Wolf sein könnte. Das sieht man auch bei Hunden. Im tiefen Sand, im tiefen Schnee, dann fangen die an zu schnüren. Das ist eben viel, viel vager, diesen Unterschied zwischen Wolf und Hund anhand der Spur fest zu machen. Die Art und Weise, wie so Tier dann langgeht. die trabt immer gleichmäßig und das macht ein Hund nicht. Der läuft dann mit seinem Besitzer immer hin und her. Da ist ein Unterschied zwischen Wolf und Hund, in der Art wie die sich fort bewegen.

O-Ton Bathen:
So jetzt sind wir in der Nähe der Kulturinsel Einsiedel und damit am östlichsten Punkt Deutschlands, dem Nullpunkt sozusagen auch unserer Zeitzone, nämlich hier unweit von Görlitz.

Autorin:
Auch mit Markus Bathen bin ich einen Tag lang unterwegs. Er ist Wolfsexperte des „Naturschutzbundes Deutschland“ und unterstützt die Biologinnen des Wildbiologischen Büros „Lupus“ bei der Erforschung der Wolfsvorkommen durch Spurenmonitoring. D. h. er sammelt oder registriert Losungen, Risse, Urinspuren und Fußabdrücke.
Anhand einer Karte erklärt er mir die Lausitzer Rudelvorkommen.

O-Ton Bathen:
Dieses Jahr neu Welzower Rudel, das erste Rudel wirklich in Brandenburg, das ist auch noch Tagebaugelände hier oben. Dann das Neustädter Rudel ist umgezogen dieses Jahr und heißt jetzt das Seeländer Rudel. Das ist das neue Rudel dieses Jahr. Das gibt es schon seit 2004, das Milkener Rudel hat sich vorletztes Jahr in Milke gegründet, ist letzten Winter hier hoch gewandert. Dann haben wir im Biosphärenreservat das Daubaner Rudel. Hier zwischen das Nochtener Rudel. Und hier ganz im Osten das Daubitzer Rudel, die sehr viel Gebiete auch auf der Polnischen Seite benutzen, für die ist die Neiße wirklich kein Problem, und hier noch Teile vom Truppenübungsplatz, aber auch hier runter in die Kulturlandschaft gehen.

Autorin:
Inzwischen sind es sechs Rudel - fünf in Sachsen und eines in Brandenburg, jedoch fehlen bei zwei Rudeln die Vatertiere und ihr Bestand ist daher ungewiss...

O-Ton Bathen:
Wir sind jetzt hier bei Kannemeile, das ist der östlichste Punkt Deutschland und hier auf der polnischen Seite ist die Görlitzer Heide, das ist ein riesiger Waldkomplex, da gibt es immer wieder Hinweise, dass dort regelmäßig Wölfe unterwegs sind. ...und dafür nutzen wir den Schnee heute

Autorin:
Das Thermometer zeigt minus 13 Grad an. Für die Wolfsspurensuche ein guter Tag: man kann Urin und Kot einsammeln. Im gefrorenen Zustand ideal für die genetische Untersuchung. Außerdem haben alle Tiere, die sich in den letzten Stunden durch den Wald bewegten, im Schnee ihre Spuren hinterlassen.

O-Ton Kaasche:
Mal hier nicht auf der Mitte gehen, auf der Mitte liegt nämlich die Losung. Wir müssen mal gucken. Es liegt doch mehr Schnee als ich dachte... das ist eine ganz typische Stelle, man sagt Wölfe markieren mitten auf den Weg, und vor allen Dingen auf Wegkreuzungen. Es sind ja Reviermarkierungen, die sollen gefunden werden. Fremde Wölfe sollen wissen, hier gibt's ein Wolfsterritorium, da die Wölfe die Wege nutzen... ist ein richtiger ecklig stinkender Haufen.. Mal riechen, das ist wirklich sehr stechend. Und wie gesagt mitten auf dem Weg, in der Nähe einer Wegkreuzung. Nicht auf Wegen wäre kein solcher Nachweis...
Ich sammel die dann und die kommen ins Museum in Görlitz... Nahrungsfrequenz... Und man kann dann die Fundpunkte auf einer Karte einzeichnen und nach David Mech auch das Territorium ableiten.
Wölfe markieren ihr Territorium mit Heulen und mit Kot und mit Urin, das sind alles Dinge, die nicht aggressiv sind. Sondern die machen viele Dinge, um Aggressivität zu vermeiden. Und wenn man immer diesen Wolf immer so gefährlich darstellt als reißende Bestie, vergisst man ja, dass das gedacht ist, um sich nicht zu verletzen. Um Gefahren auszuschließen.

Musik: Soundtrack End Of A Legend

Sprecherin:
Wie konnte dann dieses Bild von der blutrünstigen Bestie in Mythen und Märchen entstehen?
Die Vorstellung, dass der Wolf ausschließlich gierig und böse sei, setzte sich vor allem im europäischen Mittelalter durch. Damals wurde der Wolf zum Konkurrenten des Menschen, als durch Überjagung der Wildbestände und Ausdehnung der Städte der Wolf aus seinem natürlichen Lebensraum verdrängt wurde und sich immer öfter an Haustieren vergriff. Da es dabei oft um die Existenzgrundlage ganzer Familien ging, ist der Hass nicht verwunderlich. Besonders in der Zeit um den 30jährigen Krieg häufen sich Berichte über Wölfe...

Zitator:
„...welche nicht allein auf dem Felde die Geißen von den Herden wegnahmen, sondern auch bei Tag in die Dörfer liefen und Geißen und Hunde holten und auch wohl kleine Kinder anfielen.“

Specherin:
War der Wolf also doch ein menschenfressendes Untier gewesen? Gertrud Scherf hat in ihrem Buch „Wolfsspuren in Bayern – Kulturgeschichte eines sagenhaften Tieres“ vielen historische Quellen nachgespürt. Widersprüchlich findet sie vor allem, dass der Adel vielfach die Bauern bei Geldstrafen dazu zwingen musste, sich an der Wolfsjagd oder der Pflege von Wolfsgruben zu beteiligen, obwohl diese doch so unter dem Wolf gelitten hätten. Sie vermutet eher wie auch Utz Anhalt, dass der jagende Adel den Hass gegenüber dem Wolf bewusst geschürt hätte, um von sich selbst abzulenken.

O-Ton Anhalt:
Irgendwann im europäischen Mittelalter hatte der Adel das Monopol über die Jagd für sich in Anspruch genommen. D. h. die Bauern durften nicht jagen. Jagd war ein Privileg der Herrschaft. Und der Wolf durfte es natürlich auch nicht. Der Wolf war ein großer Konkurrent, wenn er an das Wild gegangen ist. Wenn der Wolf die Tiere der Bauern jagte, machte er sich die Bauern zum Feind. Zugleich war der Wolf ein probater Sündenbock. Adel schaffte es, dass ein sozialer Hass der Bauern, der sich gegen den Adel hätte richten können, dadurch dass er sich als Befreier vom Wolf präsentierte, diesen gut kanalisieren konnte.

Sprecherin:
Da großes Elend unter den Menschen herrschte wie Seuchen, Kriege und Hungersnöte, brauchte man Sündenböcke. So wurden in dieser Zeit viele Frauen der Hexerei angeklagt und Männer als Werwölfe auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Auch den Wölfen wies man neben Juden und Zigeunern gern die Rolle der Verursacher zu. Die Beziehung des Menschen zum Wolf wurde dadurch einseitig von Angst und Dämonisierung geprägt.
Erste organisierte Wolfsjagden gab es schon im 8. Jahrhundert unter Karl dem Großen. Auch sein Kampf gegen die Wölfe ging einher mit dem Kampf gegen die heidnischen vorchristlichen Völker. Der Wolf musste, wie alles was als unzivilisiert und wild galt, bekämpft werden.

O-Ton Anhalt:
Das hat in Europa sehr viel mit der Ausbreitung des Christentums zu tun, weil in den vorchristlichen Religionen, also sprich der Keltischen, der Germanischen, aber auch der Altgriechischen, der Altrömischen da war die Trennung zwischen Mensch und Tier war nicht absolut, weil die Trennung zwischen Göttern und der Natur nicht absolut war bzw. bei den so genannten Naturreligionen ist es ja durchaus so, dass die Natur selber göttlich ist. Und im Christentum bzw. vorher schon bei Aristoteles gibt es dann eine ganz scharfe Trennung. D. h. auf der einen Seite steht dann die menschliche Zivilisation, die menschliche Kultur und auf der anderen Seite dieser Mauer steht dann die Natur und die Natur ist prinzipiell negativ besetzt. Und im Christentum wird dann alles, was mit dieser Natur zu tun hat, sprich die Sexualität, die wilden Tiere, der nicht-gerodete Wald etc. wird dann zum Ort der Geister, der Gespenster, der Vampire, der Teufel, der Dämonen und eben auch des Wolfes. Und damit wird dann ein Bild vom Wolf als Jäger und Räuber, was vorher immer ambivalent war, das war ja nicht nur positiv, das wird dann im Laufe des Mittelalters wird das ausschließlich negativ. In der frühen Neuzeit kippt das dann, in den Hexenprozessen, da wird der Teufel allgegenwärtig und seine Geschöpfe wie der Wolf werden eben auch in Form des Werwölfes. Da richtet sich das auch gezielt gegen Bevölkerungsgruppen, die mit diesen wilden, alten Lebensformen in Zusammenhang gebracht werden, denen werden dann wölfische Taten zugeschrieben, die etwas mit Sexualität und Gewalt zu tun haben. Und da wird dieses Bild voll ins negativ. Das ist allerdings schon in einer Zeit, wo die meisten Menschen in Europa kaum noch Kontakt zu realen Wölfen haben.

Musik

Zitator:
„…Leise, stets lauernd, mit schiefem, scharfem Blick, halb furchtsam und halb tölpisch
durchforscht der alte Mörder, den sein hagerer, knochiger Bau, seine eingezogenen Weichen, sein
schleichender, unentschlossener Gang charakterisieren, gegen den Wind das Dickicht des
Hochwaldes und hinterlässt eine Fährte, die der eines großen Hundes ähnlich, aber länger
gewöhnlich schnurgerade ist. Widerlich und unangenehm in seinen Manieren, gierig, boshaft,
veschlagen, mißtrauisch, gehässig in seinem Naturell, unerträglich durch seinen abscheulichen
Geruch ist er ein Schrecken der Tierwelt der er sich naht.“

O-Ton Bathen:
Hier kann ich erkennen, dass das eine Pfote ist. Wolf könnte sein, aber Hund genauso, der macht aber hier so ein Schlenker, das würde ein Wolf nicht machen, der Wolf würde direkt zu dem Baum gehen. Das ist die größte Schwierigkeit von der Fährtensuche ist, den Hund auszuschließen, weil die beide erstmal die gleichen Pfoten haben. Die Größe ist nicht entscheidend, sondern ich muss aus der Spur lesen, ist da ein Wildtier gelaufen?


O-Ton Kaasche:
...könnte von der Schrittlänge her ein Wolf sein... aus der Statistik heraus und aus meiner Erfahrung her: das Rotwild das will genauso zum Futter wie der Wolf, deswegen kreuzt das und der Wolf nutzt, weil der weitere Strecken zurücklegt, den Weg. Und dass er auf dem Weg geht, spricht eher für den Wolf...“
„hier rein, weil da oben kommt nämliche eene raus...“ „hier kommt er, hier ist er wieder...“
„es geht schon 150 m / 200 m auf dem Weg“
„Die Wölfe nutzen hier die Wege. Auch wenn der da in den Wald hinein gelaufen ist, der wird irgendwo wieder den Weg benutzen und nun ist meine Theorie... spätestens da kommt sie irgendwo wieder.„
Übrigens kann ich für das Gebiet hier sagen, dass hier Wolfsspuren auf jedem Weg zu finden sind sind. “

Atmo: Eisbrechende Schritte

Sprecher:
Auf der Suche nach Nahrung legen Wölfe eine Strecke von circa 30 km pro Tag zurück. Meist sind sie die ganze Nacht unterwegs und ruhen sich tagsüber in störungsarmen Rückzugsräumen wie an Hochspannungshäusern aus. Dies hat man durch Telemetriestudien, d. h. durch Anbringen eines Senders an Wölfen, in der Lausitz nachweisen können.
In großen Rudeln gibt es regelrechte Jagdstrategien, wobei ein paar Wölfe die Beutetiere in Richtung anderer Wölfe des Rudels treiben, welche dort schon auf der Lauer liegen. Auch treiben Wölfe die Huftiere in für sie ungeeignetes Gelände wie zugefrorene Seen, Morast oder Dickicht, wo sie ihnen überlegen sind.

O-Ton: Schellenberg:
So große organisierte Jagden gibt es bei uns in der Lausitz nicht.

O-Ton Bathen:
Der Wolf ist ja auf der gesamten Nordhalbkugel verbreitet und es gibt kein Beutetier, das so verbreitet ist wie der Wolf. D. h. die Wölfe verändern ihr Jagdverhalten entsprechend ihrer Beute... für ein Elch muss ein Rudel zusammen wachsen.

Musik

Zitator:
„Sein gesellschaftlicher Trieb, den wir sonst selten bei Raubtieren wiederfinden, ist nur scheinbar und von der Raubsucht und Mordlust bedingt. Die Wölfe gehen nur in Rudeln, um ein starkes Tier zu besiegen, wobei es einer jagt und die andern dem Opfer den Weg abzuschneiden suchen. Sie vereinzeln sich sofort nach gemachter Beute. Da sie ihre Nahrung, selbst zermalmte große Knochen, sehr rasch verdauen, sind sie immer hungrig und gierig und trotz ihres klapperdürren Aussehens beinahe unersättlich…“

Sprecherin:
Sicher führte das strategische Verhalten von Wölfen bei der Jagd dazu, dass so Schlechtes auf den Wolf projiziert wurde, wozu doch nur der Mensch in der Lage ist. Aber der Wolf tötet nicht aus Gier, sondern ausschließlich um zu überleben. Außerdem tötet er kranke und schwache Tiere und wirkt sich damit positiv auf seine Beutepopulationen aus. Der Mythos von dem gefährlichen Raubtier ist also unangebracht. Es ist in diesen Fällen wohl eher so, dass Menschen von sich auf den Wolf projizieren. Außerdem ist es oft sehr selektiv wie die Menschen Wölfe wahrnehmen.

O-Ton Bathen Kaasche:
Das ist übrigens die nächste Legende, mit diesem harten Winter: Dass Wölfe im Winter Hunger haben. Interessanterweise ist genau die Denkweise, in einem kalten, strengen Winter leiden die Wölfe Hunger und überfallen Dörfer, ist so falsch, wie man falscher gar liegen kann.
Die Beutetiere von dem Wolf die hungern, die haben es schlecht. Man geht eben gerne als Mensch aus und sagt sich, im kalten Winter muss es doch ganz schlimm sein, draußen in der Natur zu leben. Der Wolf findet gut Nahrung, weil die Rehe und Wildschweine in dem Schnee ja nichts mehr finden. Aber denjenigen, denen es schwer geht, das sind die Pflanzenfresser, die nämlich jetzt, wo ein Reh muss sich jede Pflanze aus dem Schnee ausgraben. Und wenn's Frost ist, wie sollen die Wildschweine in den Boden kommen?
Ein kalter Winter führt dazu, dass die Zahlen der Pflanzenfresser, also der Rehe, der Hirsche, auch bei den Wildschweinen gibt es viele Todesfälle in einem strengen Winter. Und der Wolf ist ein Aasfresser, also für den Wolf gibt es kaum eine bessere Jahreszeit als einen strengen Winter.
Und deswegen haben die Wölfe übrigens auch im Winter ihre Fortpflanzungszeit. Und kriegen im Spätwinter sind die Föten im Bauch, wenn es wirklich schlecht wäre. … Das ist eigentlich eine gute Zeit für Wölfe.

Sprecher:
Die Paarung findet von Januar bis März statt und im März bis Mai werden die Welpen in einer Erdhöhle geboren. In einem Wurf befinden sich meist 4 bis 6 Welpen, die die ersten zwei Wochen noch blind sind. Ab circa 3 Wochen verlassen sie die Höhle und nehmen auch Fleisch zu sich, dass ihnen der Vater und die älteren Geschwister vorwürgen. Die Jungwölfe vom letzten Jahr unterstützen so die Eltern bei der Versorgung der neuen Welpen. Wenn diese selbst geschlechtsreif geworden sind, verlassen sie die Familie und suchen sich ein eigenes Revier. Obwohl Wölfe auch einzeln vorkommen, leben sie doch normalerweise im Rudel.

O-Ton Schellenberg:
Der Wolf ist ein Rudeltier, das heißt er lebt in einem Familienverband, Elternpaar und Nachkommen der letzten zwei Jahre. Anzahl schwankt... Zum Sozialverhalten ist noch wichtig, dass es in einem wildlebenden Wolfsrudel keine strickte Rangordnung gibt, das kann man nur im Gehege beobachten, im wildlebenden Rudel sind die Rollen klar verteilt, Rudel funktioniert ähnlich wie eine Menschenfamilie, Eltern sind sehr fürsorglich. Diese Rangordnungskämpfe, wie man sie im Gehege sieht mit den Aufnahmen von zähnefletschenden Wölfen, die die Bild-Zeitung auch gern abdruckt, die sieht man in der Freiheit fast nie.

Sprecher:
Wölfe sind (hingegen) sehr soziale Tiere. Sie tauschen Zärtlichkeiten aus, haben feste Bindungen, zeigen Trauer beim Tod von Rudelmitgliedern und vermeiden Aggression. Die verbreitete Vorstellung einer strengen Rangordnung bei Wölfen ist das Resultat der Erforschung von Wölfen in Gefangenschaft. Dabei werden meist Wölfe unterschiedlicher Familiengruppen zusammen gesperrt, so dass es oft zu Kämpfen kommt. Auch hier wurde der Wolf nicht objektiv wahrgenommen.

O-Ton Kaasche:
Woran das liegt, ist folgendes: Die Menschen gehen im Sommer hinter ihr Haus, gucken auf die Erde früh und sehen nichts. Ob da nachts ein Reh, ein Hirsch, ein Wildschwein, ein Hase oder ein Wolf lang gerannt ist, sieht man nicht. Und dann gehen sie nach so einer schön verschneiten Winternacht, wo es in der zweiten Nachthälfte aufgehört hat, hinter ihr Haus früh und sehen plötzlich eine Spur. Die ist im Sommer auch da, die sie aber da nicht sehen. Und dann sagen sie, die Wölfe kommen den Orten immer näher, weil sie im Winter Hunger haben. Das ist auch so eine Übertragung. Natürlich haben Menschen im Winter Hunger gehabt, historisch gesehen...
Musik: Wolfslied aus „Ronja Räubertochter“

...Und dann übertragt er einfach die Situation von sich auf den Wolf. Der hat auch Hunger. Nur dass er im Winter Spuren sieht, heißt ja noch lange nicht, dass die das im Sommer nicht machen. Und so gibt es den nächsten Mythos: Wölfe nähern sich den Orten, weil sie Hunger haben im Winter: gefährlich! Dabei machen die das immer.

Sprecherin:
Der Projektionsmechanismus ist auch hier erkennbar. Die Übertragung von sich auf den Wolf ist relativ typisch in der menschlichen Wahrnehmung.

O-Ton Bathen:
Wir sehen da jetzt gerade vier Rehe, die aus dem Wald raus gekommen sind am helllichten Tage. Ein ganz normaler Vorgang. Die Rehe lösen im Winter ihre Territorien auf, wie auch Vogelschwärme im Winter. Die tun sich zusammen und haben in den letzten Jahrzehnten die großen Feldschläge mit dem Winterweizen als eine gute Futterquelle entdeckt. Und haben auch gemerkt, dass wenn sie sich mitten auf ein Feld legen, sie so weit vom Wald weg sind, dass kein Jäger sie erreichen kann mit einem Schuss. Und diese Feldrehe sind ein ganz normaler Anblick, gibt's überall in Deutschland. Und dann tauchte vor einigen Jahren hier in Sachsen plötzlich die Meinung auf: Das sind Angstrudel von Rehen, die sich aus Angst vor den Wölfen nicht mehr in den Wald hinein trauen. Und dann eben sich auf dem offenen Feld verstecken.

Sprecherin:
Auch hier handelt es sich also um eine Projektion. Die Rehe haben eigentlich Angst vor den Jägern. Ebenso hatten Adlige der Feudalgesellschaft den Wolf genutzt, um ihre Jagdprivilegien zu legitimieren, indem sie vorgaben, dass sie die Menschen und ihr Vieh vor dem Wolf schützen müssten. Auch heute gibt es noch Jäger, die Angst vor Wölfen schüren, weil sie ihre eigenen Interessen in Gefahr sehen oder den Wolf als Sündenbock nutzen, um von sich selbst abzulenken. Dieses Verhalten steht im scharfen Gegensatz zu Jägerkulturen, die zu Ernährungszwecken jagten, welche Wölfe meist mit großem Respekt behandelten.

O-Ton Schellenberg:
Ein Jäger der Natur als Ganzes versteh