Das was geschehen ist lag nicht im Bereich des Vorstellbaren

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Studiogespräch zu dem Geschehen in Norwegen.
Die Strategie der Verteidigung des Mörders scheint aufzugehen. Die Tat erscheint als die Tat eines Wahnsinnigen. Dieser aber hat über Jahre ein kalkuliertes Szenario aufgebaut in dessem Mittelpunkt der Mord, die Publizität und das politische Programm stehen. Schon die Nachrichten über den Bombenanschlag im Osloer Regierungsviertel ließen Schlüsse zu, wonach dieser Anschlag von dem Ablauf islamistischer Terroranschläge zu unterscheiden war. Dieser Anschlag zielte vorrangig auf Regierungsinstitutionen, während islamistischer Terrorismus in Europa gezielt die Bevölkerung in öffentlichen Verkehrsmitteln traf. Diese Unterscheidung haben die Berichterstatter_Innen in den ersten Stunden nicht unternommen. Auch nach ersten Berichten, wonnach der Täter gefasst und ihm ein rechtradikaler Hintergrund zugeordnet wurde, blieb die Schleife „islamistischer Anschlag“ auf Sendung. Selbst die Auswahl der Jugendlichen des sozialdemokratischen Sommerlagers als Opfer des kalkulierten Mordes führte zunächst und teilweise bis zum heutigen Tage nicht zu einer genaueren Einordnung der Tat als Tat aus der als „eigen“ definierter Gesellschaft heraus. Dem Phänomen „islamistischer Terrorismus" wird man so nicht gerecht und die Vorstellung, daß es rechten Terrorismus gibt, dazu keineswegs aus den definierten „Unterschichten“ sondern aus der bürgerlichen Mitte verschwindet hinter der Zuschreibung der Tat als „wahnsinnig“.
Auf diesem gesellschaftlichen Hintergrund funktioniert der Nachrichtenmarkt und das hat der Täter bewußt eingesetzt. Zunächst wurde sein Twitter Account über alle Kanäle publiziert, dann sein wohlanständiges Facebook Foto. Schließlich sein sogenanntes Manifest. Damit hat er das Zielpublikum erreicht: Jene Individuen und Gruppen der bürgerlichen Mitte, welche, wie viele Untersuchungen der letzten Jahre zeigen in Verunsicherung anfällig und offen für rechte Krisenlösungen sind.
Schaut oder hört man sich die Kommentierungen schließlich auf ARD und ZDF als Pegelstand des hiesigen Bewußtseins zur Lage an, dann bleibt nur ein Schluß: Erkenntnisverweigerung. Das ZDF beschwört über seinen Chefredakteur das “wahre Christentum“ womit der christliche Fundamentalismus des Mörders von Norwegen exorziert werden soll eben ohne die gemeinsamen religiösen Ursprungsquellen wahrnehmen zu müssen. Von Glaubensqualität ebenfalls der Leitkommentar der Tagesthemen: Der Ruf nach dem starken Sicherheitsstaat, selbst gegen Stimmen in Norwegen welche für gesellschaftliche Offenheit plädieren, also noch in deutscher Gewissheit über die Lippen des Kommentators gehüpft.
Es wäre wohl weit überzogen anzunehmen, in den Redaktionsstuben wäre ernsthafte Analyse der geselschaftlichen Zustände zu erhoffen. Aber dann doch bitte lieber mal ein paar Tage schweigen, ein Buch zur Hand nehmen oder andere Veröffentlichungen, als sich diesem Zwang zur Nachrichtenproduktion zu ergeben, wo genau diese das unmittelbare Ziel des Mörders ist.
Wir verweisen für diesen Moment weiterführend auf einen Artikel, der weitere Einordnungen ermöglicht:
Weltbild des norwegischen Attentäters - Rechter Bruder der Dschihadisten Ein Debattenbeitrag von Volker Weiß
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,...
Audio
57:13 min, 52 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 27.07.2011 / 18:08

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AutorInnen: recycling
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 26.07.2011
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