New York liegt im Elsass - Thüringen und die neue Werbekampagne

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Thüringen hat eine neue Werbekampagne. Über Sinn und Unsinn denkt Johannes Smettan in seinem Kommentar nach.
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04:33 min, 6395 kB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 22.09.2011 / 14:25

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: johannes
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 22.09.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
New York liegt im Elsass

„Was ist das?“ fragte vor kurzem ein Werbespot im Fernsehen. Dazu gab es treibende Musik und Bilder aus New York, ein startendes Flugzeug und eine blonde Frau, die erst geschminkt wurde und anschließend durch einen Perlenvorhang lugte. Natürlich liefert der Spot die Antwort auch gleich mit. Große blockige Buchstaben verraten den Zuschauerinnen und Zuschauern: „Das ist Thüringen“.
Der Film ist Teil einer Imagekampagne des Wirtschaftsministeriums. Dazu gehören auch Radiowerbespots, Plakate, Zeitungsanzeigen, ein Fotowettbewerb und natürlich eine begleitende Webseite. Entworfen wurde diese Kampagne von der Werbeagentur KNSK aus Hamburg, gefördert mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklungen und irgendwie soll es Thüringen bekannter machen. Um die zwei Millionen Euro soll die Kampagne kosten, heißt es auf den Fluren des Wirtschaftsministeriums, pro Jahr.
Doch die Kampagne wirft einige Fragen auf. Die drängendste sei hier mal zuerst genannt: „Wo bleibt der andere Teil der Geschichte?“ Wenn sich ein Land mit Goethe, Liszt, Bach und Luther schmückt; wo bleiben dann Buchenwald, die Erfurter Pogrome oder das Engagement des Thüringer Mittelstandes in der Zeit des Nationalsozialismus, die Ofenbauer von Auschwitz, die Firma Topf&Söhne?
Stattdessen gibt es Bilder vom quirligen Straßenverkehr in New York. Ein ungewohntes Bild für diejenigen die sonst nur den verschlafenen Vorplatz des Weimarer Theaters, den einsamen JenTower oder die mittelalterliche Krämerbrücke kennt. Verbindendes Element soll die Brooklyn Bridge sein. Sie wurde von Johann August Röbling aus Mühlhausen konstruiert und gilt als eines der Wahrzeichen New Yorks. Klar, dass die Hamburger Medienprofis daraus ein Generalpatent für Thüringen ableiten. Eigentlich dumm nur, dass Röbling lediglich die ersten 18 Jahre hier lebte. Seine Ausbildung genoss er in Berlin und den beruflichen Erfolg in den USA. Wenn es nach der Geburtslogik der Werbeagentur geht, dürfte zum Beispiel Goethe nicht eines der Kampagnen-Gesichter sein. Denn der berühmte Geheimrat hat zwar viele Jahre in Thüringen gelebt aber geboren und aufgewachsen ist er in Frankfurt.

Nun ist also Thüringen nicht mehr "grünes Herz" oder "Denkfabrik" sondern irgendwie "Zukunft die Tradition hat". Klingt ein wenig verschwurbelt? Mag sein, ist aber auch schwer bei einem Land in dem augenscheinlich nur die Bratwurst identitätsstiftend sein kann.

Doch spannender als die leicht dröge wirkende Kampagne selbst sind die Hintergründe. Immerhin spricht das Thüringer Wirtschaftsministerium auch gerne von Thüringen als der "Wiege der Kreativwirtschaft". Warum nun also eine Hamburger PR-Firma? Vielleicht lohnt ein Blick zurück:

Im Jahr 2002 heizte Herr Möllemann von der FDP mit antisemitischen Flugblättern den Wahlkampf an, der Irakkrieg stand vor der Tür und das HartzIV-Zeitalter warf seine Schatten vorraus. Genosse Schröder sonnte sich auf den Deichen der Elbe und schipperte so zur Nachspielzeit von Rot-Grün. Damals betreute eben jene KNSK-Werbeagentur aus Hamburg den Wahlkampf der SPD. Wahlkampfleiter und Spin-Doctor der Sozialdemokraten war wiederum ein bekanntes Gesicht: Matthias Machnig. Heute Wirtschaftsminister von Thüringen.
Ist es nicht schön, dass sich die Wege der Werbeagentur und des Ministers wieder ganz zufällig in der Mitte Deutschlands getroffen haben? Nur ein Schelm ist, wer dabei böses denkt!

"Was ist das?" frag ich mich bei dieser Kampagne auch. Und auch bei mir lautet die einfache Antwort "Das ist Thüringen!" Aber ob das Wirtschaftsministerium und ich an dieselben Dinge bei dieser Antwort denken, wage ich stark zu bezweifeln. Aber immerhin hat mich die Kampagne auf eine Idee gebracht. Meinen nächsten Urlaub verbringe ich im verträumten Colmar im Elsass. Vielleicht werben auch die mit New York, schließlich hat Frédéric-Auguste Bartholdi die Freiheitsstatue entworfen.