"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Langeweile -

ID 44850
 
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Selbstverständlich ist uns allen bewusst, dass es oft unbedeutender Mitteilungen bedarf, um über schwierige Zeiten hinweg zu helfen, und in diesem Sinne müssen wir wohl auch die Information interpretieren, dass auch Günter Jauch nicht die Nachfolge von Thomas Gottschalk antreten wird bei «Wetten, dass?»
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10:44 min, 12 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 06.12.2011 / 09:53

Dateizugriffe: 527

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 06.12.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Trotzdem blinkt die Frage auf, was das ganze Getue soll, und zwar einmal abgesehen vom Promi-Faktor, und wenn ich schon von Promis spreche, muss ich sofort die neuesten Neuigkeiten zu Hayden Panettiere nachreichen: Zunächst einmal möchte ich allen Suchenden nach der echten Wahrheit davon abraten, die Webseite haydenpenettiere.net aufzusuchen, denn die dortigen Informationen sind schon mindestens ausgewachsene 7 Jahre alt, es ist eine Webseite für Pädophile, nicht aber für echte Hayden-Panettiere-Fans. Die sollen sich auf www.hayden-panettiere.com umsehen. Dort sind die Filme immerhin bis 2010 nachgetragen. Aber nur die Wikipedia gibt Auskunft einerseits über die Beendigung der Affäre mit Wladimir Klitschko im Mai dieses Jahres, anderseits über ihre Beteiligung an Scream 4 im Jahr 2011; und offenbar spielte sie auch die Rolle der Amanda Knox im Reality-TV-Spektakel «Amanda Knox, Murder on Trial in Italy», einer Verfilmung des ominösen Prozesses, bei dem die Knox zunächst wegen des Mordes an Meredith Kercher in Perugia schuldig gesprochen und zu 26 Jahren Knast verurteilt wurde, in diesem Jahr aber in der Revision frei kam, weil die Untersuchungsbehörden geschlampt hatten. Von einem neuen Freund ist auf Wikipedia nicht die Rede, dafür von ihrem Engagement für den Tierschutz. An einem anderen Ort warnt sie vor den Gefahren des Sonnenbadens, und insgesamt zeigt die Maid alle Attribute eines Dutzendgesichts, das heißt, sie hat wie die meisten Menschen exakt zwei Augen, Haare, eine Nase sowie zwei regelmäßige Zahnreihen zwischen den Lippen, und auf der Schminke der Wangenpölsterchen spiegelt sich das Licht der Scheinwerfer oder des Blitzlichtes. That's all, folks.

Also: Welche historische Bedeutung kommt diesen «Wetten, dass?»-Sendungen zu jenseits der Tatsache, dass Thomas Gottschalk sie 25 Jahre lang moderierte? – Mangels einschlägiger Sendungserfahrung kann ich das nicht exakt sagen, aber dass diese Produktion über eine so lange Zeit hinaus ein Millionenpublikum am Samstagabend zu unterhalten vermochte, lässt nur einen Schluss zu, nämlich dass es sich hier um die perfekte sozialdemokratische Sendung handeln muss. Dazu passt wunderbar, dass Kamerad Gottschalk nicht nur eine eigene Wohltätigkeitsstiftung unterhält, sondern daneben im Jahr 2004 das Schloss Marienfels bei Remagen zu kaufen vermochte, wobei er meines Wissens den Großteil seiner Zeit in den Vereinigten Staaten verbringt. Als echte sozialdemokratische Veranstaltung wäre somit ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin in den Reihen der CDU/CSU auszusuchen. Am tauglichsten dafür, weil überall ebenso einsetzbar wie überflüssig, wäre wohl der ehemalige Umweltminister und aktuelle bayrische Finanzminister Markus Söder, der hat nämlich zu allem Überfluss auch noch eine Journalistenkarriere hinter sich. Und der wünscht sich mit Garantie auch ein Schloss an der Isar, da sind alle nötigen Ingredienzien zusammen.

All diese Talkmaster-Formate fliegen weit oberhalb meines Radars. Den Harald Schmidt habe ich hin und wieder noch wahrgenommen, aber das war dann auch eher eine Late-Night-Show, also ein Spätabendprogramm und nicht diese angebliche Unterhaltung, bei der ein normaler Mensch an Unterhaltung ungefähr gleich viel verspürt wie beim Biss einer Wanze; es handelt sich hier relativ eindeutig um Maschinen zum Zermahlen überflüssiger Zeit, und damit sind in erster Linie die Hauptfiguren eingespannt in enge dramaturgische Korsetts, bei denen ein ganzer Stab an Texte¬rin¬nen und Juristinnen darauf schauen, dass möglichst keine Grundwerte des sozial¬demo¬kratischen Konsens verletzt werden. Und damit bin ich bei einem eher traurigen Aspekt des modernen Staates: Er ist eben durchaus langweilig. Insofern muss man die vormodernen Theater loben, sei es in Griechenland oder in Italien, und auch die französische Staatsform ist vormodern genug, dass man sich immer wieder darüber aufhalten kann. Nehmen wir nur diesen ambulanten Penis Dominique Strauss Kahn. Seine Demontage wurde mit letzter Sicherheit aus Frankreich gesteuert, denn das Sofitel-Hotel, in dem angeblich die sexuellen Übergriffe auf ein Zimmermädchen erfolgt waren, gehört zum französischen Accor-Konzern, und wo französisches Kapital drin steckt, da ist die französische Regierung nicht weit. Allerdings war schon längst zuvor bekannt, dass DSK seine Position immer wieder in sexuelle Positionen umgesetzt hat, manchmal mehr und manchmal weniger freiwillig; das erschien allerdings nicht störend in einem Land, dessen Präsident seine Frau einem Philosophen ausgespannt hat, der sie seinerseits seinem Vater abgeluchst hat; und das macht natürlich eben schon ziemlich Salz und Pfeffer an das französische Gesellschaftsspiel. Ich wüsste daneben auch nicht auf Anhieb, wo ich in Deutschland eine Entsprechung für die französische Eliteschule Ecole Nationale d'Administration finden sollte; in Frankreich sind die Dinge wirklich noch sehr klar und eindeutig, während eben in Deutschland die Schlafmützerei nur hin und wieder von einem kleinen Siemens-Korruptionsskandal oder von einer Mannesmann-Schmiergeld¬zahlung aufgehellt wird. Frankreich und die Französinnen und Franzosen sind schwer in Ordnung, aber ihr Gesellschaftssystem ist vormodern, wie ich hier schon verschiedentlich ausgeführt habe, im Gegensatz zu Skandinavien und Deutschland, wo die besten Exemplare einer langweiligen Sozialdemokratie in jeweils zwei Ausführungen, nämlich der Regierung und der Opposition, zu finden sind.

Reine Unterhaltung finden wir hin und wieder in den Vereinigten Staaten, wobei gegenwärtig die Suche der Republikaner nach einem Gegenkandidaten zum heiligen Obama nichts Gutes verspricht. Es ist allzu offensichtlich: Der Flächenbrand der Tea Party hat alles Material, das da eventuell bereit lag, in einem riesigen Aufflackern zerstört, und jetzt kommen die Republikaner nicht heraus aus dem Konflikt zwischen den halbwegs vernünftigen Hirnen, einschließlich der Lobbyisten jener Industrien, die ihr Geld in modernen Sektoren mit modernen Methoden machen, also durchaus der Mehrheit dieser Industrie, und anderseits den schwer beschädigten radikalen Postkonservativen, die in schöner Einigkeit mit einigen verwirrten Anarchisten sämtliche staatlichen Institutionen beseitigen möchten. Aus diesem Konflikt scheint es bis im Herbst 2012 einfach keinen Ausweg zu geben. Vermutlich haben die Republikaner auch so etwas wie eine Vorahnung darauf, dass sich die US-amerikanische Industrie doch noch genau rechtzeitig auf die Wahlen hin, also möglichst von jetzt an und dann mit voller Kraft ab Anfang 2012, erholen könnte. Jetzt wird noch geunkt und schwarz gemalt, aber meiner Treu, wenn im März 2012 die Arbeitslosenzahlen zum vierten Mal in Folge zurückgehen und das Bruttoinlandsprodukt in den USA mächtig Aufwind zeigt, dann ist diese Wahl für unseren Lieblingspräsidenten gelaufen. Als Begleiteffekt werden sich die Ratingagenturen und vielleicht auch einige besonders geschliffene Spekulanten davor hüten, weiterhin auf den Zusammenbruch der europäischen Einheitswährung zu setzen. Wenn das Vertrauen global wieder einsetzt, so ist das, wie wenn man einen Reifen wieder aufpumpt: Der läuft dann wieder ganz normal, und insofern hat auch warme Luft durchaus ihre schöne Bedeutung.

Ja, das sage ich hiermit voraus: Barack Obama wird im nächsten Herbst mit einem mindestens ansehnlichen Resultat wiedergewählt, und es werden sich zwar die Republikaner darüber ärgern, dass es ihnen nicht gelungen ist, einen valablen Gegenkandidaten aufzubauen, aber darüber brauchen sie sich gar nicht zu ärgern, denn dies ist wie soeben erwähnt nichts als die logische Folge der Tea Party - mit solchen Reibeisen kann man einfach keine Politik machen, die sind ja nicht mal in der Lage, ihr Strohfeuer wenigstens rechtzeitig abzubrennen. – Und dann kommt eben noch dazu, dass die US-Wirtschaft ja gar nicht anders kann, als sich endlich wieder mal aus ihrem Koma aufzurappeln. Ich gehe davon aus, dass dies nicht zuletzt von einigen Interessenverbänden der US-Industrie auch justament so getimt wird, dass der Sozialdemokrat Obama noch einmal vier Jahre lang im Sattel sitzt und vielleicht in seiner zweiten Amtsperiode die Chance erhält, zu zeigen, was er eigentlich zu tun in der Lage wäre, wenn er nicht mit der katastrophalen Hinterlassenschaft von 8 Jahren Bush-Regierung zu kämpfen gehabt hätte.

In Deutschland dagegen herrscht Normalität bis zu den Ohren hinauf. Dass ausgerechnet der Altkanzler Helmut Schmidt gegenwärtig die größte Medienaufmerksamkeit auf sich zieht, ist kein gutes Zeichen für den Unterhaltungswert eurer Politik. Das wiederum halte ich für ein gutes Zeichen für die Politik selber. Politik sollte eigentlich überhaupt nicht für Aufsehen sorgen, sondern einfach gemäß einigen vorgegebenen Normen abgewickelt werden. Falls das Volk irgendwann mal ein Bedürfnis nach einer tief greifenden Innovation verspürt, wird es dies schon irgendwie zum Ausdruck bringen. Vielleicht zieht ihr bei Gelegenheit einmal nach mit weiteren direktdemokratischen Instrumenten, so in Richtung Initiative und Referendum. Soeben haben die BewohnerInnen von Baden-Württemberg gezeigt, dass diese direkte Demokratie nicht gar so gefährlich ist, wie dies die Regierenden offenbar 60 Jahre lang befürchtet haben, indem sie das Referendum zu Stuttgart 21 mit der notwendigen Klarheit den Bach runter schickten. Die Politik musste nicht mal die Notreißleine ziehen mit dem Passus, dass mindestens 30'% aller Stimmberechtigten das Referendum hätten annehmen müssen, also bei einer Stimmbeteiligung von 40% wären das 75% der Stimmenden gewesen. Kein Hauch von Gefahr – die Stimmenden haben sich sehr verantwortungsbewusst verhalten und damit exakt das bestätigt, was ich euch hier seit Jahr und Tag über die Schweizer Demokratie erzähle. Kurz: Anhand des Pilotprojektes Baden-Württemberg kann ichs euch hiermit offiziell geben, dass ihr, d.h. die Bundesrepublik Deutschland, reif seid für eine direkte Demokratie.

Den Unterhaltungswert jedoch müsst ihr euch auch weiterhin anderswo suchen, sei es in fernen Ländern oder aber eben dort, wo man Eintritt bezahlt für die Unterhaltung, also im Kino oder im Kabarett. Naja, strikt genommen könnte man die Steuern auch als eine Art von Eintrittszahlung betrachten, für die man einen Gegenwert einfordern kann. Aber ein solches Staatsverständnis ist mir dann wieder ein bisschen zu radikal.