"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Der Wulff -

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[51. Kalenderwoche]
Gerhard Schröder hieß noch zu Lebzeiten, also ich meine zu Amtszeiten «Der Genosse der Bosse» wegen seines großen Verständnisses für deren ihre liebe Not mit den Steuern und generell den Arbeitskosten, und wie korrekt diese Bezeichnung ist, zeigte sich nach seiner Wahlniederlage, als er das Verwaltungsratspräsidium der Hersteller- und Betreiberfirma für die nordeuropäische Erdgaspipeline der russischen Gazprom übernahm und dafür sorgte, dass jetzt Schalke 04 mit der Gazprom-Trikotwerbung die Trommel rührt für eine mehr oder weniger saubere Energieversorgung im Dienste der internationalen Kräfte- und Machtverhältnisse, also zwischen der EU und Russland.
Audio
11:03 min, 10 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 03.01.2012 / 10:53

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 18.12.2011
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Dabei spricht der Schröder doch gar kein Russisch, ganz im Gegensatz zu Angela Merkel, von der man dementsprechend erwarten könnte, dass sie mal Ferien macht auf einer Datscha von Medwedjew oder von Putin. Aber nix da, eure Frau Bundeskanzlerin wandert lieber in den Südtiroler Alpen herum, da sprechen sie ein halbwegs anständiges Tiroler Deutsch, und die Brotzeit wird auch dem Ehemann, Herrn Sauer, wohl bekommen. Trotzdem gehe ich davon aus, dass der Schrödergerd nicht nur seine Verwaltungsratshonorare kassiert, unter anderem jetzt auch von der russisch-britischen Erdölgesellschaft TNK-BP, die übrigens periodisch von heftigen Krisen erschüttert wird, wenn den Russen wieder mal danach zumute ist, die Engländer so richtig zu piesacken. Aber wie gesagt, man kann als gesichert annehmen, dass der Gerd hin und wieder auch ein Glas Wein trinkt mit der Frau Bundeskanzlerin, und dass dabei nicht über Banalitäten gesprochen wird wie die russische Seele. Das hat ja auch seine Richtigkeit, und wenn halt der Schröder noch als Bundeskanzler eine Garantie des deutschen Staates für das Pipeline-Projekt gesprochen hat, dessen Verwaltungsratspräsidium er ein Jahr später annahm, dann kann man sich einigermaßen vorstellen, dass das ganze Unternehmen irgendwie nicht auf Russisch, Englisch oder Deutsch, sondern in einer ganz und gar universalen Geschäftssprache zur Stabilisierung der Beziehungen zwischen Russland und Deutschland und insgesamt zu Europa beiträgt und vielleicht jene Vorrangstellung sogar mit begründet, welche Deutschland in Europa gegenwärtig zweifellos inne hat. Deutschland sei zudem der praktisch einzige verbliebene Industriestaat in Europa, heißt es ebenso, und zwar eben nicht zuletzt dank der Attacken der sozialdemokratischen Regierung Schröder auf Löhne und Soziallasten, und ob dies stimmt, weiß ich nicht; was ich dagegen weiß, ist, dass im Jahr 2008 die finnische Nokia ihr Werk in Bochum schloss und mit Mitteln des EU-Strukturfonds ihren industriellen Standort nach Cluj in Rumänien verlegte und dass nun dieses Werk in fünf Tagen ebenfalls geschlossen wird, weil die Produktion ganz und gar nach China auswandert, und auch die Werke in Finnland werden geschlossen, und überhaupt verschwindet Nokia demnächst wohl ganz und gar von der grafischen Oberfläche der Mobiltelefongeräte-Anbieter. – Ein Opfer von Steve Jobs bzw. seines iPhones bzw. der Google-Konkurrenz mit ihrem Android, offenbar, und eine weitere Bestätigung des Grundsatzes, dass nicht der Große den Kleinen, sondern der Schnelle den Langsamen frisst. Aber das hilft uns hier nicht weiter. Immerhin weiß man dank den Angaben von Nokia, dass im Jahr 2008 die Lohnkosten rund 5% der Herstellungskosten des Gesamtgerätes ausmachten, was wir hier als Standardwert für ein nicht absolutes High-Tech-, aber doch immer noch einigermaßen High-Tech-Gerät mitnehmen wollen.

Aber eigentlich will ich gar nicht darauf hinaus, sondern ich will euch bloß die Frage stellen, wie es kommt, dass ihr auf der einen Seite mehr oder weniger ohne Widerrede hinnehmt, dass euer ehemaliger Bundeskanzler und Genosse nicht nur der Bosse, sondern auch der ehemaligen KGB-Elite, die jetzt in Moskau am Drücker ist, gegen sehr gutes Geld mehr oder weniger den Transmissionsriemen spielt zwischen Angela Merkel und den Geschwistern Putin und Medwedjew, und ich gehe davon aus, dass hier nicht nur Energiepolitik besprochen wird, sondern auch die Interventionen in Tschetschenien, zum Beispiel, oder der Wettlauf um das Erdöl unter der Eisschicht der Arktis und wohl noch ein paar weitere interessante Angelegenheiten, über die ich hier nur spekulieren kann, was ich aber im Moment unterlasse, weil ich euch eben die Frage stellen wollte, weshalb ihr die millionen- und milliardenschweren Deals stillschweigend toleriert, welche euer Gerd Schröder zuhanden der makellosen Angela abwickelt, während ihr ein derartiges Geschrei veranstaltet um einen Kredit, den euer Bundespräsident während seiner Amtszeit als Regierungschef von Niedersachsen von einem Kollegen zu einigermaßen günstigen Konditionen erhalten hat. Das war noch nicht mal ein Geschenk, das war ein Freundschaftsdienst, über den man sich weiter nicht aufzuhalten braucht, da dafür ganz sicher keine Gegenleistung notwendig war.

Eine Gegenleistung, dass ich nicht lache! – Als ob eine Gegenleistung nötig wäre in einem kapitalistischen Land, dessen Regierungen geradezu die Pflicht haben, ihren Unternehmen und den entsprechenden Eignern das Leben so angenehm wie möglich zu machen, ob es sich um Sub¬ven¬tionen handelt wie in den 90-er Jahren für Nokia, um den Erlass der Gewerbesteuern wie in den 00-er Jahren ebenfalls für Nokia oder was auch immer – der Kapitalismus ist in seinem geschäftlichen Teil keine moralische Veranstaltung, sondern eine geschäftliche, und insofern ist eben in einem kapitalistischen Land keine geschäftsfeindliche Politik zu erwarten, weshalb die politischen Eliten, ob sie nun der CDU, der FDP, der SPD oder den Grünen angehören, immer die Interessen der Unternehmerklasse berücksichtigen werden, im Fall von SPD und Grünen ganz selbstverständlich mit dem Argument der Arbeitsplätze, welche unseren freundlichen Herren Kapitalisten herzustellen scheinen. – Die Kapitalisten brauchen, mit anderen Worten, ihre Politiker durchaus nicht mit einer leichten Zinsvergünstigung von, sagen wir mal 2% jährlich für ein Darlehen von 500'000 Euro zu schmieren. Das wären ja gerade mal 10'000 Euro im Jahr, das ist doch lächerlich. Oder dass man dem Präsidenten Wulff immer mal wieder vorwirft, dass er seinerzeit Ferien gemacht habe auf der Datscha von Carsten Maschmeyer, dem Gründer des Wirtschaftsdienstes AWD, dem dubiose Geschäftspraktiken nachgesagt werden, was ich spontan und unüberprüft glaube, zumal seine, also Maschmeiers Freundin niemand anderes ist als Veronica Ferres, also eines der hochrangigen Pferde aus dem Koksbusiness des Showzirkus, und mit dieser ist übrigens auch Frau Wulff befreundet. Was soll der Vorwurf? Darf sich ein Bundespräsident nie mehr von seinen Freunden einladen lassen, bloß weil er Bundespräsident ist, oder darf er überhaupt keine Freunde mehr haben? – Ich meine, das einzige, was in der Maschmeier-Geschichte gegen Wulff spricht, ist der Umstand, dass er für diese Ferien, die er zu allem Überfluss noch vorzeitig abbrechen musste wegen der Katastrophe an der Duisburger Loveparade, mit der wir übrigens wieder im Ruhrgebiet zurück wären, das einzige also, was gegen Wulff spricht, ist der Umstand, dass er für diese Ferien bei Maschi angeblich Miete bezahlt hat. Dies ist ein eindeutiger Hinweis auf ein schlechtes Gewissen – aber wofür denn? Hat Putin jemals Miete bezahlt, wenn er bei Berlusconi zu Gast war an der Costa Smeralda auf Sardinien? Geht alles mit rechten Dingen zu und her in der hohen Politik, wenn die Damen und Herren hohen Politikerinnen ihre Hotelrechnungen selber bezahlen? – So ist Politik doch auch wieder nicht, oder?

Ich kenne diesen Maschmeyer nicht, ich weiß nur, dass er ungefähr zur gleichen Zeit aus dem Verwaltungsrat der Swiss Life geworfen wurde, wie die Nokia-Arbeiter in Cluj ihren vorletzten Monatslohn erhielten. Ich kenne auch den Geerkens nicht, ich weiß bloß, dass seine Frau bei zugekniffenen Augen Ähnlichkeit hat sowohl mit der Wulff-Gattin Bettina als auch mit Veronica Ferres und dass sie 18 Jahre jünger ist als Geerkens, was auch in ein gewisses Beziehungsmuster hinein passt. Aber abgesehen davon – was ist hier los, was will der «Spiegel» beweisen mit diesem Affentheater um Bestechungen und Begünstigungen, die mit Sicherheit keine waren, sondern Vorgänge, wie sie nun mal in der Welt der Schönen, Reichen und Mächtigen reiner Alltag sind?

Mit scheint, dieser Kampagne des «Spiegel» sei ein Bild einer Bundespräsidenten-Figur unterlegt, das grundsätzlich und radikal verheuchelt ist. Nämlich dürfte man laut den impliziten Anforderungen an eine solche Person mehr oder weniger nur eine arbeitslose Spezialistin für Ethik und Philosophie als Bundespräsidentin wählen, welche in ihrem Leben nur mit einem einzigen Partner Sex hatte und zudem lange Jahre in einer Fabrik gearbeitet hat, wahrscheinlich in der Nokia-Fabrik in Bochum, bis sie eben entlassen wurde. Eine moralische Instanz müsse ein Bundespräsident sein oder eine Bundespräsidentin, höre ich immer wieder - geschätzte Kolleginnen und Kollegen, jetzt mal ganz ehrlich: eine moralische Instanz brauchten sie vielleicht in der Tschechoslowakei, damals, und dann noch in der Tschechei, aber der Vaclav Havel ist uns jetzt auch gestorben, und auch er musste noch während Lebzeiten mit erleben, wie dieser Reaktionär und Hanswurst Vaclav Klaus zu seinem Nachfolger und geradezu zum Symbol für die in der Tschechei heute grassierende Korruption wurde. Eine moralische Instanz benötigt ganz dringend ein anderes Land, nämlich Italien; tatsächlich fungiert hier der greise Giorgio Napolitano, zeit seines Lebens bekennender Kommunist, als moralische Instanz, als einzige wirklich integre Person in einem authentischen Sauhaufen, der sich italienisches Parlament oder insgesamt italienische Politik nennt, inklusive seiner ehemaligen Genossen aus der ehemaligen italienischen Kommunistischen Partei und ganz speziell, damit es wieder mal gesagt ist, Massimo D'Alema. Ja, genau, Italien braucht einen moralisch herausragenden Bundespräsidenten – aber ihr doch nicht, geschätzte Freundinnen und Freunde in Deutschland! Für euch sind diese Blondinen-Gatten wie geschaffen, und ich brauche gar nicht daran zu erinnern, dass Frau Schröder-Köpf 19 Jahre jünger ist als ihr Erdgas- und Erdöl-Gemahl.

Was hat euch der Wulff denn getan, möchte ich mal wissen? Ich habe seine erste Rede als Bundespräsident auf der Deutschen Welle in Sao Paolo gehört, darum erinnere ich mich recht gut daran, und er sprach von nichts anderem als von Integration. Integration der ausländischen MitbewohnerInnen, Rechte und Pflichten, Verständnis, Toleranz, Ansprüche, Regeln und so weiter und so fort, nichts anderes, als es ein ordentlicher, halbwegs pflichtbewusster und weltoffener sozialdemokratischer Politiker tun würde und tun sollte. Was ist jetzt so falsch an diesem Wulff? Wenn ihr Heilige in eure Staatsämter bestellen wollt, dann könnt ihr das ruhig tun, aber ich warne euch hier aus neutraler Sicht: Das gibt mir dann mit Sicherheit keinen besonders freundlichen Staat. Ich würde es wirklich schätzen, wenn eure Massenmedien und notabene die angeblich intelligenten etwas Zurückhaltung üben täten. Sonst greife ich bei Gelegenheit in meine Begriffskeulenkiste und nenne die fortan nur noch Medien-Taliban.