"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - George Clooney -

ID 45464
 
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[01. Kalenderwoche]
Wer Schnee will zu Weihnachten, der soll sein Haus nicht auf der Insel Rügen bauen oder am Zürichsee. Zu diesem Schluss bin ich auch dieses Jahr gekommen, nachdem sich das Wetter dazu entschlossen hatte, die weiße Pracht direkt als Pflotsch auf die Erde zu hauen.
Audio
11:15 min, 13 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 03.01.2012 / 11:21

Dateizugriffe: 444

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 03.01.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
«Pflotsch» ist alemannisch für Schneematsch, und auf der Suche nach weiteren möglichen Entsprechungen für diese niederschlagstechnische Katastrophe im Hochdeutschen bin ich auf folgenden Blog-Eintrag gestoßen: «Ein "Pflotsch" ist bei uns in Niederbayern und der Oberpfalz ein Tölpel. Einen Oberpfälzer bringt man z.B. durch den Ausruf "Freibier!" zum Bellen. Er wird sogleich antworten: "Wou, Wou?" Sinngemäß wird daher "Pflotsch" mehr wie "Flouuhtsch" ausgesprochen. Was nun Tölpel und Schneematsch miteinander zu tun haben sollen, erschließt sich mir momentan nicht.» Zitat Ende. Dabei ist die Sache doch klar: Überhaupt nichts! – Und weiter will ich mich nicht in die Sache hinein knien, aber den Protest über diese Unter- und Unart von Wetter musste ich doch noch loswerden. Es sind die aller-ungesundesten Bedingungen, bei denen die Viren, Bakterien, Strepto- und Gonokokken so groß werden wie Pferdeäpfel, und dementsprechend liegt die Hälfte der Bevölkerung im Bett. Wäre es dagegen kalt, so um die minus 20 Grad Celsius, da gäbe es in der Luft nicht die Spur von Bazillen oder anderweitigen Krankheitserregern, die fürchten nämlich die Kälte ebenso sehr wie die Hitze, aber wem erzähle ich das, Ihr lest doch sicher auch jeden Monat die Apotheker-Rundschau oder sonstwelche Fachmagazine. Immerhin ist die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ideal für Kinobesuche, egal von den Umwelttemperaturen und einer allfälligen Klimaerwärmung, und dementsprechend kann ich von zwei Besuchen berichten, die beide ihre eigene Schönheit hatten. Zunächst stopfte ich mir den neuesten Almodóvar rein, «La piel que habito» oder «Die Haut, die ich bewohne». Ich schicke voraus, dass ich gegen den Almodóvar ein Vorurteil habe, seit ich aus dem ersten Film, den ich von ihm gesehen habe, unter Protest hinaus gelaufen bin, das war vor rund 20 Jahren, weshalb es jetzt Zeit wurde, dieses Vorurteil wieder mal zu überprüfen. Und siehe da: Dieser Film ist ja noch schlechter als der erste! Schon damals fiel mir das geleckte und gelackte Äußere auf, das die Almodóvar-Bilder prägt, schöne Frauen und natürlich vor allem schöne Kerle, garniert mit einer, zwei oder drei strengen älteren Damen, und alles in aufgemotzten Intérieurs, dass sich die Balken biegen. Ich habe mich noch selten so aufgeregt über die Inneneinrichtung eines Hauses wie über jene des Doktor Ichweißnichtmehr wie er heißt. Es ist so ein halbes Schloss, an den Wänden mischen sich flämische oder flamisierende Helgen mit Picasso oder Picasso-ähnlichem, von der Decke hängen unregelmäßig geblasene Designer-Glaslampen, die modernen Anbauten sind ultrakorrekt mit Glas an die authentischen alten Gemäuer angedockt, Pfui Teufel, der schlechteste Geschmack der gehobensten Mittelklasse schwingt sein Szepter durch den ganzen Film. Einen Plot hat das Teil schon gar nicht, sondern nur, und ich möchte mich für den Begriff bei allen homosexuellen Mitbürgerinnen und Mitbürgern entschuldigen, eine Schwulität, indem nämlich ein schöner Jüngling vom Herrn Doktor einer zwangsweisen Geschlechtsumwandlung unterzogen wird und zu einer schönen jungen Dame operiert wird, nicht ohne dass die dümmsten klassischen Stereotype runtergenudelt werden, zum Beispiel setzt nämlich der Herr Doktor bei der Strafoperation auch noch transgene Haut ein, also Hautzellen, die widernatürlichen Verkehr mit Schweinezellen gehabt haben, und es versteht sich von selber, dass der Lieferant für all das verbotene Material aus dem KZ Buchenwald, ach, Verzeihung, heute natürlich aus irgend einem Nachfolgebetrieb in Leipzig stammt, und so kann man bei dieser neuen jungen Frau auch noch Feuer und Dolch zur Anwendung bringen, ohne dass sie Schmerzen empfindet, und dann kreuzt noch ein von Grund auf böser Halbbruder des Herrn Doktor auf, ein Krimineller, der natürlich aus Brasilien kommt, ach – Dass die Klischiererei nicht verboten ist, weiß ich längst, aber dass es ein zahlreiches Filmpublikum gibt, welches sich sowas unter dem Titel der schönen Künste gefallen lässt, das erstaunt mich immer wieder, und hätte ich entsprechende Neigungen, ich würde es sogar depressiv finden.

Zum Ausgleich gab es dann den schönen Film «The Ides of March», der in Deutschland meines Wissens unter «Tage des Verrats» läuft, was auch präziser ist, denn der von Herrn George Clooney gespielte Präsidentschaftskandidat wird ja gar nicht gemeuchelt wie seinerzeit Julius Cäsar. Es geht um die fiktiven Primärwahlen für die Festlegung des definitiven Präsidentschaftskandidaten, wie sie gegenwärtig in der realen Welt bei den Republikanern stattfinden, und zwar ulkigerweise im gleichen Iowa wie im Film; bei Clooney versucht der demokratische Gegenkandidat, den Pressesprecher aus seinem Wahlkampfteam abzuwerben, was bei den realen Republikanern dann so aussieht, dass am 28. Dezember 2011 Kent Sorenson, der Leiter des Wahlkampfteams für Iowa der Kandidatin Michelle Bachmann. die Seiten wechselte und zum Rivalen Ron Paul überging, nachdem ihr Haupt-Kampagnenleiter Ed Rollins und sein Stellvertreter David Polyansky bereits im September den Bettel hingeworfen hatten. Mit anderen Worten: «The Ides of March» ist hauteng dran an der Wirklichkeit. Dass Clooney dabei technisch gesehen nicht die Hauptrolle spielt, versteht sich von selber, denn genau darin unterscheidet er sich von Schnulzierer-Heroen wie Kevin Kostner oder früher mal Kenneth Branagh; eine tragende Rolle ist es dennoch, und zwar insonderheit in jenen Teilen, wo er Stück um Stück seine Grundsätze preisgeben muss, um sich doch eine Mehrheit für die Präsidentschaftskandidatur zu sichern; für die Nachwelt aber vor allem von Bedeutung sind jene Passagen, in denen er ein Präsidentschaftsprogramm formuliert, und zwar zum einen mit durchaus erfrischenden Worten zu Themen wie Religion, was in den bigotten Vereinigten Staaten bereits als kleine Revolution verstanden werden kann, und dann auch zu den Vorstellungen über die künftige Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika: Die USA sollen wieder eine Führungsrolle übernehmen, aber nicht in erster Linie militärisch, sondern bei den neuen Technologien und bei umweltfreundlicher Energie, hier sollen hunderttausende von Arbeitsplätzen entstehen. Kurz: Ein wunderbares sozialdemokratisches Regierungsprogramm, das ganz eindeutig die Haltung von George Clooney höchstpersönlich widerspiegelt, und so fragt man sich am Ende des Films in erster Linie: Wird der jetzt nach Ronald Reagan der zweite Schauspieler-Präsident in, sagen wir mal 8 Jahren? – Angesichts der Verheerungen der Tea Party würde man sich über so etwas natürlich ganz besonders freuen, aber anderseits erscheint es eher ungewöhnlich, dass ein Interessent seine Kandidatur mit einem derartigen Vorlauf und mit einem relativ wahrheitsgetreuen Film über die Kampagnen- und Politmechanismen ankündigt. Da müssen noch mehrere Dinge zurecht gebogen werden.

Immer neue Fragen zu den Politmechanismen in Deutschland stellen sich im Zusammenhang mit der Kampagne gegen euren Bundespräsidenten. Wenn ich lese, dass sich dieser über die Bild-Zeitung enerviert haben soll, dann habe ich bereits eine Ahnung, wohin die Reise mit dem Wulff gehen soll. Nun unterstellt der Spiegel offenbar sogar, dass Wulff Sonderkonditionen für einen Hypothekarkredit erhielt als Dankeschön für seine Rolle bei der Abwehrschlacht von VW gegen die feindliche Übernahme durch Porsche. Eine Bestechung im Nachhinein also dafür, dass Wulff seine gesetzlich und parlamentarisch vorgeschriebene Arbeit erledigte - das ist aber spektakulär. Wulff saß in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident von Niedersachsen im VW-Aufsichtsrat während diesem Angriff von Porsche, der übrigens u.a. mit dem Selbstmord des Ratiopharm-Gründers Adolf Merckle endete. Und nun soll er dafür als Belohnung eine Hypothekarkredit-Vergünstigung erhalten haben, sodass er statt 12'000 Euro im Jahr bloß 6000 Euro bezahlt haben soll? Wenn das zutrifft, dann sind Eure Politiker aber wirklich wohlfeil zu kaufen. Das erinnert mich an eine andere Story hier in der Schweiz, die pünktlich zu Neujahr zu einem vorläufigen Abschluss kam, und die geht wie folgt: Auch wir haben verschiedene Präsidenten, und einer davon ist der Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand. Besagter Nationalbankpräsident geriet in die Schusslinie verschiedener Industrieller und Banker, als er frühzeitig eine Verschärfung der Bankenaufsicht forderte, und zwar ungefähr in jenen Umrissen, die heute in ganz Kontinentaleuropa eingeführt werden. Der Chef der rechtsnationalistischen Schweizerischen Volkspartei ist nun nicht nur ein verblödeter Ideologe, sondern beiläufig auch noch einer der einflussreichsten Industriellen im Land, und so versuchte er, den Kamerad Hildebrand anzuschwärzen und zu demontieren auf Teufel komm raus. Dass er damit die Institution Nationalbank gleich mit ins Visier nahm, kümmerte ihn keinen Dreck. Er musste dann zurückstecken, als die zunehmende Euro-Schwäche gegenüber dem Franken die Bedeutung der Nationalbank und ihrer Intervention immer klarer hervortreten ließ, und als der Hildebrand dann einen Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro festlegte, war vollends klar, worum es bei der Nationalbank bzw. ihrer Politik letztlich geht. Aber bereits im Dezember kamen wieder Gerüchte in Umlauf, wonach die Frau von Kollege Hildebrand im August zu tiefen Kursen US-Dollars gekauft habe im Wissen darum, dass ihr Ehemann im September diesen Mindestkurs festlegen würde. Die Nationalbank leitete unverzüglich eine Untersuchung ein, welche Hildebrand einen Persilschein ausstellte. Und jetzt kommt heraus, dass der SVP-Idiot Blocher mit gestohlenen Daten zu den Bankkonten der Familie Hildebrand auf der Bank Sarasin bei Bundespräsidentin Calmy-Rey aufgekreuzt war, um den Hildebrand anzuschwärzen. Ausgerechnet Blocher, den Verteidiger des Bankgeheimnisses um jeden Preis. Wir sind jetzt gespannt auf die Fortsetzung dieser Geschichte. Sie erinnert mich aber in jedem Fall an die Kampagne gegen euren Wulff. Geschätzte Hörerinnen und Hörer, da ist etwas faul. Und jene Medien, die sich als Vertreter der absoluten Sauberkeit und Unantastbarkeit des Bundespräsidentenamtes gerieren, haben sich offensichtlich einfach in die medientechnische Variante eines Blutrausches hinein geschrieben, in einen Papierrausch, und sie versuchen jetzt, die Macht der Presse und vor allem der Medienkonzerne wieder einmal zu demonstrieren anhand einer Figur, welche weiter keine anderen Mängel hat als jene, mit einem gewissen Teil der Wirtschafts- und Politelite der Bundesrepublik Deutschland verbandelt zu sein. Wenn das aber zu einem Generalvorwurf wird in Deutschland, dann kann ich nur sagen: Weiter so, aber dann richtig. Dann müsst ihr bzw. dann müssen der Spiegel und die Bild Zeitung besagter Elite samt und sonders an den Kragen, bis wir endlich eine Räterepublik ausrufen können, welche ihren Namen auch verdient, also nicht eine DDR-Variante und auch keine, welche von irgendwelchen Sonderbündlern zusammen kartätscht wird, sondern eine echte, direktdemokratische republikanische Ordnung. Das soll mir recht sein, und unter solchen Prämissen bin ich jederzeit bereit, den Präsidenten Wulff machttechnisch über die Klinge springen zu lassen. Solange die Kampagne aber nur dazu dient, in der Politik die Macht und den Einfluss des Springer-Konzerns zu festigen, solange kann ich mich nicht über Wulff empören, sondern nur über jene, welche in diese künstliche Empörung einstimmen.