"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Kai Diekmann -

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[02. Kalenderwoche]
Am 6. Januar meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass die Münchner Kanzlei CLLB Rechtsanwälte mit ihrem Buchstaben B, nämlich Franz Braun, im Namen von rund 70 Banken, Versicherungen und Fonds gegen Christian Wulff und weitere eine Schadenersatzklage von rund 2 Milliarden Euro eingereicht habe wegen seiner Rolle als Ministerpräsident von Niedersachsen und dementsprechend Vertreter im Aufsichtsrat von VW beim feindlichen Übernahmeversuch durch die Firma Porsche. Geilo, finde ich das, und zwar in zweifacher Hinsicht:
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12:13 min, 11 MB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 10.01.2012 / 09:21

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 10.01.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Erstens wegen der Koin¬zi¬denz, also dem absolut zufälligen Übereinstimmen dieser Klageerhebung mit der Hetzkampagne des Springer-Konzerns, der ideal sekundiert wird vom unabhängigen, neutralen und objektiven Magazin «Der Spiegel», und zweitens wegen dieser Klage selber, die man mindestens am 9. Januar 2012 noch vergeblich auf der Webseite der Kanzlei CLLB suchte, ganz im Gegensatz zum Beispiel zur «Richtigstellung» der IVG Euroselect Zwölf GmbH & Co KG zur Pressemitteilung vom 2.1.2011 von CLLB Rechtsanwälte, welche die Kanzlei abschließt wie folgt: «CLLB Rechtsanwälte sind stets um eine seriöse, zutreffende Berichterstattung besorgt und bedauern die unzutreffenden Angaben in der Pressemitteilung vom 2.1.2011.» Dieses Schmankerl darf man sich gerne noch zwei oder drei Mal zu Gemüte führen: CLLB Rechtsanwälte sind stets um eine seriöse, zutreffende Berichterstattung besorgt und bedauern die unseriöse und unzutreffende Berichterstattung vom 2.1.2011. Aber egal. Eben, die Klage gegen Wulff findet sich weder seriös noch zutreffend auf der Berichterstattungsseite, ganz im Gegensatz zur ursprünglichen Klage vom 12. September 2011, wo der Streitwert zum großen Entzücken aller Liebhaber von Koinzidenzien aber erst die Hälfte, nämlich etwas über 1 Milliarde Euro betrug. Ich empfehle euch diese Klagemitteilung nun unbedingt zur Lektüre. Darin wird relativ ausführlich dargelegt, wie der Übernahmeversuch von Porsche innerhalb eines sehr dichten Beziehungsnetzes unter den beiden Firmen ablief und letztlich doch scheiterte, einerseits wegen der radikalen Veränderungen auf den Kapitalmärkten, welche die Kläger natürlich nicht als ursächlich für das Scheitern anerkennen können, sonst würde ja die gesamte Klage spontan weg brechen, und zweitens, aber darauf wird aus koinzidenztechnischen Gründen nicht so wirklich eingegangen, wegen des Widerstandes der Landesregierung, also wenn man so will von Christian Wulff höchstpersönlich, deren Sperrminorität im Aufsichtsrat die Porsche-Raider nämlich auf alle erdenkliche Art und Weise und vor allem bei der Europäischen Union zu Fall bringen wollten, wenn ich mich recht erinnere; und von diesem Widerstand ist in der Anklageschrift eben mit überhaupt keinem Wort die Rede. Mit anderen Worten: Die Kanzlei CLLB verzichtet in ihrer Klagebegründung, wie es sich für eine respektable und industriell betriebene Rechtsverdreherei gehört, auf alle relevanten Punkte. Schön ist dies nicht in erster Linie wegen der Koinzidenzen, sondern weil die Jurisprudenz offenbar auch in Deutschland vollends aufgehört hat, sich an übergeordneten Rechtsprinzipien zu richten; sie ist zur systematischen Winkeladvokatur verkommen. Das mag übrigens im Rahmen des internationalen Privatrechtes durchaus seine Logik haben, aber wenn hier Figuren wieder aufleben, wie man sie aus Molières Dramen kennt, und wenn sich diese Molière-Figuren dann erst noch zu Anklägern des Bundespräsidenten aufwerfen, dann wird es urig bis scha-urig. –Immerhin wird in der Klage noch darauf verwiesen, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen die bei Porsche verantwortlich handelnden Personen ermittle, insbesondere gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Dr. Wendelin Wiedeking und den ehemaligen Finanzvorstand Holger Härter. Wiedeking wird auf der Webseite mit den Worten zitiert: «Von uns kann mancher Hedgefonds noch etwas lernen.» Wie gesagt, ich empfehle den ganzen Artikel zur Lektüre, weil man sich hier endlich einmal am Leid der geprellten Aktionäre und Investoren konkret ergötzen kann als vorübergehende Ablenkung von der Hartz-IV-Misere. Auch Milliardäre haben Nöte, ich verweise auch diese Woche auf den bei der Porsche-Affäre glorios gescheiterten Adolf Merkle; nächste Woche hat dann vielleicht die Kanzlei CLLB bereits Anklage wegen Anstiftung zum Selbstmord gegen Wulff erhoben. – Nä, etwas ernster: Ich bin auf die Kapriolen gespannt, welche die famose Kanzlei CLLB bzw. Kamerad Franz Braun schlagen werden, um von dieser Anklage der Stuttgarter Staatsanwaltschaft den Überschlag auf Christian Wulff zu schaffen. Meine Prognose: null. Ich glaube nicht, dass die Klage gegen Wulff den Frühling 2012 überleben wird. Aber hier und im Rahmen der «Bild»-Kampagne tut sie ihren Dienst ganz famos.

Ihr braucht den Wulff nicht zu lieben, macht mit dem doch, was ihr wollt, das ist mir und der neutralen Schweiz ziemlich wurscht, aber was mir nicht wurscht ist, das ist der allgemeine Konsens unter den deutschen Journalisten darüber, dass Christian Wulff schwer gegen die Pressefreiheit verstoßen habe, als er dem «Bild»-Chefredakteur Kai Diekmann mit einer Nachricht auf dessen Combox irgendwie gedroht habe. Das halte ich nun für pervers. «Bild» und Pressefreiheit, das ist wie Ludwig Heinrich Edler von Mises und das Kommunistische Manifest, das hat miteinander so wenig zu tun, dass nicht einmal beim allerschlechtesten Willen eine Koinzidenz herbei zu würgen ist. Die «Bild»-Zeitung darf man nicht einmal zum Einwickeln von Wurstwaren verwenden, da diese sonst sofort vergammeln. Interessant ist allerdings, dass es heute nicht mehr um die verlorene Ehre der Katharina Blum geht, sondern um den Bundespräsidenten. Anders gesagt: Früher machte die «Bild»-Zeitung noch unbescholtene BürgerInnen alle, heute ist es schon die hohe Politik. Die Zeiten ändern sich definitiv. Und aus diesem Blickwinkel stellt sich die Frage erneut: Ist oder war der Wulffchristian nun ein besonders verrottetes Element aus der Politiker/innen-Garde Deutschland, dass man ihm ums Verrecken pressefreiheitlich an den Kragen musste – und diese Frage darf man ohne Einschränkungen verneinen –, oder was treibt den Verein zur Neudefinierung der Pressefreiheit als Freiheit der «Bild»-Zeitung an bei der Demontage des Bundespräsidenten? – Und die Antwort kann in Ermangelung weiterer Detailinformationen nur sein: Die Presse versucht wieder einmal, ihre eigene Wichtigkeit zu demonstrieren, es handelt sich um einen Schauprozess, bei dem die Dreckschleuder als Weisswaschmittel verkauft werden, während gleichzeitig ihr Einfluss gestärkt wird oder mindestens bestätigt; weiterhin kann es sich keine Politikerin erlauben, ihre Arbeit ohne oder gar gegen die «Bild»-Zeitung zu erledigen. Schon Schröder hat gesagt, er benötige zum Regieren bloß die «Bild» und die Glotze. Ich kann wirklich nicht begreifen, weshalb dann auch die anderen, angeblich seriöse Medienhäuser sich auf eine solche Kampagne einlassen.

Die Wikipedia-Einträge für Journalistinnen werden von selbigen mit Sicherheit gut durchforstet, weshalb man davon ausgehen kann, dass jener für den «Bild»-Chefredakteur Kai Diekmann erheblich geschönt ist. Trotzdem prangt auch da noch eine Begründung des Berliner Landgerichtes aus der Mitte der 00-er Jahre, wonach Diekmann als Chefredakteur der «Bild» «bewusst seinen wirtschaftlichen Vorteil aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung Anderer sucht». Das reicht doch schon völlig aus, um die Pressefreiheit zu definieren, welche sich die Anständigen in eurem Lande jetzt zu verteidigen anschicken. Auf der Wikipedia prangt daneben eine Foto von Genosse Kai Diekmann auf der taz-Generalversammlung 2009; tatsächlich scheint Diekmann im Mai 2009 der taz-Genossenschaft beigetreten zu sein, und wenn man hier einen Zusammenhang sieht zum Umstand, dass diese taz ein Jahr zuvor scharf gegen die türkische rechtspopulistische Zeitung Hürriyet-Zeitung geschossen hatte, in deren Beirat Diekmann als Vertreter des Springer-Verlags seit dem Jahr 2004 sitzt, dann hat man gute Augen. Und um die Vita schließlich abzurunden, noch den Nachtrag aus der Abteilung Privates: 1995 heiratete Diekmann die Journalistin Jonica Jahr, also einem Spross des sozial¬demo¬kra¬tischen Grunder+Jahr-Konzerns, obwohl er schon seit 10 Jahren für den Springer-Konzern tätig war; die Ehe hielt aber nur zwei Jahre, dann wurde geschieden und Diekmann wurde in den Auslandsdienst von Springer versetzt, laut Wikipedia, weil er zu gute Kontakte zu Kohl und Kirch unterhielt. Aber schon 1998 wurde er bei Springer wieder promoviert, und zwar zum Chefredakteur der Welt am Sonntag, welche jetzt neben der «Bild»-Zeitung zu den wichtigsten Verteidigerinnen der Pressefreiheit gegen den Bundespräsidenten zählt. Im Januar 2002 heiratete er die «Bild»-Kolumnistin Katja Kessler, wobei Helmut Kohl Trauzeuge war, und am 8. Mai 2008 war Diekmann zusammen mit Leo Kirch Trauzeuge bei der Hochzeit von Helmut Kohl. Dies also ist der Haufen, von dem aus euer Bundespräsident, und man kann es nicht oft genug wiederholen, im Namen der Pressefreiheit mit Mist beworfen wird. Man fragt sich noch zwei Sekunden lang, weshalb, aber dann geben wir auch das schon wieder auf.

Ich gebe es zu: Empörung oder auch nur Häme gegenüber einem «Bild»-Chefredakteur ist doof; man gerät, wie ich soeben auch, in Versuchung, sich in eine Reihe zu stellen mit Ikonen der Selbstgerechtigkeit wie Heinrich Böll selig. Eben, der Diekmann als Person geht mir viel weniger auf den Keks als die anderen, welche mit ihm kläffen. Und das wars dann schon wieder. Für die Medienfreiheit werden offensichtlich auch in Zukunft nicht die großen Verlage sorgen. Dort befinden sich im Gegenteil verschiedene große Maschinen, welche Information in PR umwandeln, die einen etwas dezenter, die anderen etwas weniger; und was die «Bild»-Zeitung selber angeht, so hat die wohl seit Beginn ihres Bestehens noch nie etwas mit Information oder Presse zu tun gehabt. Dies wiederum läuft auf eine praktische Beschimpfung ihrer Leserschaft hinaus. 3 Millionen Exemplare werden täglich verkauft, das heißt, zwischen 10 und 20 Millionen EinwohnerInnen eures Landes führen sich den Quatsch täglich zu Gemüte, wohl nicht immer in der Absicht, daraus eine wohl recherchierte Information zur Weltlage zu ziehen, aber doch immerhin mit der Bereitschaft, die regelmäßig ausgeschüttete Jauche der Be- und Verarbeitung von Vorurteilen in allen möglichen Bereichen auf sich einwirken zu lassen, eben, bis hin zur Eigenzelebrierung als Meinungsmedium und als Machtfaktor, der für eine Regierung viel wichtiger ist als die Bundestagswahlen, da diese nur alle 4 Jahre, die «Bild»-Zeitung aber täglich stattfinden. Aber dazu sind schon so viele interessante und intelligente Bücher geschrieben worden, dass ich mich hier durchaus der weiteren Analyse enthalten und es beim Stoßseufzer bewenden lassen kann: Bis es soweit ist, dass auch der hinterste und letzte Prolet in unseren Ländern täglich seine Dosis an Nonkonformismus und Basisphilosophie über die Zeitungslektüre zu sich nimmt, bis dahin dauert es vermutlich noch das eine oder andere Jahrzehnt, wo nicht Jahrhundert. – Wobei man eigentlich nicht allzu kulturpessimistisch sein sollte. Wenn mans genau betrachtet, können heute doch immerhin schon praktisch alle Menschen lesen und schreiben, und bis es so weit war, ging es auch bloß rund 150 Jahre, also machen wir uns den Satz der Scientology zu eigen, welche nicht zu Unrecht behauptet, dass wir nur 10% unseres geistigen Potenzials nutzen. Was steht dem denn im Wege, sich auch die restlichen 90% zu erschließen, und zwar eben für alle zusammen und nicht nur für die Abgänger von Elitehochschulen? – Na, nichts natürlich, außer ein paar handfesten wirtschaftlichen und politischen Interessen. Und welches wären die?