Neonazi-Aufmarsch in Schwäbisch-Hall

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Anmoderation
Schon wieder gab es heftige Auseinandersetzungen um die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Der diesmalige Schauplatz: Das beschaulich-mittelalterliche Städtchen Schwäbisch Hall in Baden-Württemberg. Von Anfang Juni bis Mitte Juli wurde dort die umstrittene Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht im zweiten Weltkrieg gezeigt. Auf Initiative des linken Jugendzentrums Club Alpha kam die Ausstellung nach Hall. Nach einer über zweijährigen Phase des Zögerns übernahmen Stadtverwaltung und Volkshochschule die Schirmherrschaft. Sechs Wochen lang konnten dann über 10000 Menschen die Ausstellung besuchen und sich dabei über die Gräueltaten der Wehrmacht während des Naziregimes informieren. So weit so gut. Während dieser sechs Wochen kam es allerdings zu drei Neonaziaufmärschen in Schwäbisch Hall, toleriert von der Stadtverwaltung und den Gerichten. Ein Bündnis gegen Rechts aus linken Initiativen, Parteien und Organisationen forderte von der Stadt, diese Aufmärsche zu verbieten. Vergeblich. Wie nicht anders zu erwarten, kam es bei den ersten beiden Aufmärschen am 14. und 21. Juni zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Angezettelt wurden diese Straßenschlachten zwar von den Neonazis, aber von der Stadtverwaltung und dem Haller Tagblatt den linken Gegendemonstranten in die Schuhe geschoben. Nach außen waren der Bürgermeister und die Stadtverwaltung zwar gegen die Aufmärsche, aber erst bei der dritten Demonstration wurde ein Verbot angeordnet, auch das offenbar nur halbherzig. Dieses Verbot wurde in letzter Minute vom Oberverwaltungsgericht Mannheim aufgehoben. Das bedeutete: Am 14.Juli wurde Schwäbisch Hall zum dritten mal in kurzer Zeit zum Schauplatz eines Neonazi-Aufmarsches. Andreas Linder vom Freien Radio Tübingen war dort und berichtet.
Audio
07:16 min, 3407 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 16.07.2003 / 00:00

Dateizugriffe: 560

Klassifizierung

Beitragsart: Reportage
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: zip-fm - Einzelbeitrag
Entstehung

AutorInnen: AL
Radio: WW-TÜ, Tübingen im www
Produktionsdatum: 16.07.2003
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Mod
Schwäbisch Hall 14.Juli, vormittags um 11 Uhr: Rund 200, oder besser gesagt nur 200 Menschen versammeln sich auf einem kleinen Platz am Rande der Innenstadt zu einer Kundgebung gegen den bevorstehenden Aufmarsch. Hauptredner Bernhard Löffler vom DGB aus Schwäbisch Hall ruft zum gewaltlosen Widerstand auf und fordert ein breites Bündnis gegen Rechts, dem auch die konservativen Parteien und die Polizei angehören sollten.

O Ton DGBler Bernhard Löffler
"Dass sich NS-Täter heute wieder an der Seite von Neonazis gegen die Wehrmachtsausstellung zu Wort melden, darf nicht ohne entschiedene Antwort aller Demokraten geschehen und deshalb sind wir hier. Es muss heute mehr denn je deutlich gemacht werden, wo Menschenverachtung und Diskriminierung enden können. Wir dürfen nicht wegsehen und wir müssen zeigen, dass alte und neue Nazis hier in Schwäbisch Hall, aber auch in der gesamten Republik und weltweit unerwünscht sind."

Mod
Zu diesen Unerwünschten gehören unter anderen: Truppenkameradschaft der ehemaligen SS-Panzerdivision Leibstandandarte Adolf Hitler; Truppenkameradschaft der ehemaligen SS-Panzerdivision "Das Reich", Truppenkameradschaft der ehemaligen SS-Panzerdivision "Totenkopf. Diese ehemaligen Nazitruppen mit ihren gruseligen Namen waren während des zweiten Weltkrieges für fürchterliche Verbrechen wie Massenexekutionen an Soldaten und Zivilisten verantwortlich oder als sadistisches Wachpersonal in Konzentrationslagern tätig. Dem neofaschistischen Spektrum war es offenbar gelungen, diese altfaschistischen Organisationen für die Unterstützung ihres Aufmarsches zu gewinnen. Das perfide Glaubensbekenntnis der Neonazis ist, die Soldaten der Wehrmacht zu Helden zu stilisieren. Mit den Altnazis in ihren Reihen sollte diese schizophrene Botschaft rüberkommen.

Gegen diese Heldenverehrung wettert auf der Kundgebung Peter Gingold, über 90-jähriger Antifaschist und Widerstandkämpfer gegen das Naziregime. Die Wehrmachtsausstellung stellt nach seiner Auffassung gerade keine kollektive Beleidigung der Wehrmachtssoldaten und ihrer Angehörigen dar, sondern sie ist ein Plädoyer gegen den Krieg und den Mißbrauch von Menschen zu verbrecherischen Zwecken. Die Bedeutung der Wehrmacht für das Hitlerregime dürfe nicht verharmlost werden,

O-Ton Peter Gingold, VVN
"Denn die Wehrmacht war die wichtigste Stütze des Naziregimes und ohne die Wehrmacht hätte nichts, aber auch nichts von Hitlers Vernichtungspolitik verwirklicht werden können."

Mod
Peter Gingold ruft dazu auf, die Erfahrungen aus der Naziherrschaft ernst zu nehmen. Im Gegensatz zur Vorkriegsgeneration müsse heute jeder Mensch wissen, was Faschismus bedeutet.

O-Ton Peter Gingold, VVN
"Und dass es heute Neonazis gibt, die den Krieg und die Wehrmacht verherrlichen und gegen die Ausstellung demonstrieren, ist nicht so sehr der eigentliche Skandal. Ach, die Neonazis, so was wird es ja immer geben, solange nach Bert Brecht der Schoß fruchtbar noch aus dem es kroch, also solange gesellschaftliche Bedingungen herrschen, die sie immer wieder hervorbringen. Der eigentliche Skandal besteht doch darin, dass sie aufmarschieren dürfen, staatlich geschützt aufmarschieren dürfen."

Mod
Eine politische Ermunterung, sich zu organisieren und die verfassungswidrige Gesinnung zu demonstrieren, ist für Gingold die von den höchsten Gerichten und der Politik ausgestellte Erlaubnis zu einem Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung. Ermuntert gefühlt haben sich die Neonazis offenbar auch von der schwächlichen Beteiligung an den Gegenaktionen in Schwäbisch Hall. "Eine Stadt ohne Zivilcourage" titelte der linke Club Alpha nach den ersten beiden Nazidemos am 14. und 21.Juni in seiner monatlichen Stadtzeitung.
Silvia Wagner, Sprecherin des Bündnis gegen Rechts sieht die wachsweiche Haltung der Stadtverwaltung und die Gleichgültigkeit der Schwäbisch Haller Bevölkerung als Ursache dafür, dass es die Neonazis so oft nach Schwäbisch Hall zog:

O-Ton Silvia Wagner, Bündnis gegen Rechts, SHA
"Ich denke, sie haben da am 21.Juni gesehen, wo die JN hier aufmarschiert ist mit 300 Menschen, dass es in Schwäbisch Hall einfach möglich ist, weil wir hier das Potenzial nicht haben, also das linke Potenzial nicht haben, um dagegen zu stehen. Also. die haben hier gute Karten und nutzen natürlich jede Möglichkeit, die sie kriegen."

Mod
Wolfgang Sommer vom Jugendzentrum Club Alpha hätte sich ein massives Auftreten gegen die Neonazis gewünscht, wie es in anderen Städten zur erfolgreichen Verhinderung von Aufmärschen führte. Aber auch kurz vor dem dritten Naziaufmarsch in Schwäbisch Hall war das nicht zu erwarten.

O-Ton Wolfgang Sommer, Club Alpha 60
"Ja gut, wenn man das hier so anschaut auf der Gegenkundgebung vor dem Aufmarsch der Neonazis. Es sind vielleicht 100 Bürgerinnen und Bürger da. Für eine Stadt mit Umfeld von über 30000 Einwohnern, in der seit Wochen die Wehrmachtsausstellung ist und auch diskutiert wird, ist das indiskutabel."

Mod
So ganz indiskutabel war es dann aber doch nicht. Was noch während der Kundgebung wie ein armseliges Häufchen aufrechter Bürgerinnen und Bürger aussieht wächst bis zum Eintreffen der braunen Geschichtsverleugner auf rund vierhundert Gegendemonstranten an, die Schaulustigen dieses warmen Sommertags nicht mitgezählt. In der ganzen Innenstadt tummeln sich neben schwarzgekleideten Antifas mit grimmig entschlossenen Minen, Menschen aus verschiedenen politischen Spektren bis hin zu engagierten Stadtpfarrern, die sich durch die selbstgewählte Rolle als Streitschlichter beteiligten.

O-Ton Parole "Nazis raus"

Mod
Mit erhobenem Mittelfinger schreien aufgebrachte Antifas "Nazis raus", "Haut ab" und andere bekannte Parolen, als der Aufmarsch von über 200 finsteren Neonazi-Gestalten die Innenstadt von Schwäbisch Hall schließlich erreichte. Vom Bahnhof aus ziehen die Faschisten mit ihren schwarzweißroten Reichskriegsflaggen und ihrem Lautsprecherwagen in die Fußgängerzone. Über zwei Stunden warteten die Gegendemonstranten auf den Moment, bis sie lauthals gegen das Eintreffen der Neonazis protestieren können. In dieser Zeit suchten immer wieder einzelne Grüppchen nach Möglichkeiten, so nah wie möglich an die Nazis ranzukommen, aber vergeblich. Die Polizei hatte alle Seitenstraßen kompromisslos abgeriegelt. Zu gewalttätigen Zusammenstößen wie am 14. und 21. Juni sollte es nicht kommen. Doch das war auch gut so, auch wenn einige Antifas frustriert dreinschauten.
Auch wenn das Bündnis gegen Rechts nicht die gewünschten Massen mobilisieren konnte, wurde das Minimalziel doch erreicht: Und die Faschisten selbst haben durch ihr militaristisches Auftreten und ihre ekelerregende Ästhetik zu diesem Minimalziel beigetragen. Es ist vermittelt worden, dass die Neonazis, deren paar wenige weibliche Anhängsel unerwünscht sind. Alte Nazis waren übrigens nicht zu sehen. Und so schnell wie sie kamen, zogen die Neonazis dann auch wieder ab, gefolgt von der wilden Meute der Gegendemonstranten, die sie noch bis zum Bahnhof mit "Nazis raus"-Rufen begleiteten.