"Handys bitte ausschalten." INDECT wtf?

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Das europäische Forschungsprojekt INDECT war Berichtsthema des Innenausschusses des Bundestages vom 8.2.2012. Natürlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Was INDECT ist und warum 1984 nicht nur für Paranoiker interessant sein könnte, dazu hier mehr.
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06:11 min, 8700 kB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 17.02.2012 / 23:55

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Klassifizierung

Beitragsart: Feature
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: linksdrehendes radio
Radio: RadioBlau, Leipzig im www
Produktionsdatum: 17.02.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Handys bitte ausschalten!, so stand es in der Tagesordnung zur 65. Sitzung des Innenausschusses, am 8. Februar 2012 im Bundestag. Soweit so absurd normal. Als Tagesordnungspunkt 20 fand sich dort der: „Bericht des Bundesministeriums des Innern zum europäischen Forschungsprojekt INDECT“. Schon wieder ein Akronym? In der Tat, aber diesmal kein vierstelliges, wie acta, pipa, sopa. INDECT,  Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment also auf deutsch, Intelligentes Informationssystem zur Unterstützung von Überwachung, Suche und Erfassung für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung. Für die Sicherheit. Na wie schön. Doch was steckt dahinter, immerhin finden sich sich so illustre einrichtungen, wie die Bergische Universität Wuppertal, die University of York in England oder die Technische Universität in Gdansk in Polen als beteiligte Partner. Das ganze ist also ein Forschungsprojekt, so stand es ja auch in besagter Tagesordnung, der europäischen Kommission, im Rahmen des Forschungsrahmenprogramm. Diese werden aller 4 jahre neu ausgelegt und mehrere Milliarden Euro ausgeschüttet. Das aktuelle, zu dem auch INDECT gehört, hat gar ein Volumen von über 50 Milliarden Euro. Zum Ziel des Ganzen heißt es dann:
„wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen in der Gemeinschaft zu stärken und die Entwicklung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu fördern sowie alle Forschungsmaßnahmen zu unterstützen, die aufgrund anderer Politiken der Gemeinschaft für erforderlich gehalten werden „
Soweit so unüberraschend. Doch was will INDECT nun genau.
Steigt man tiefer ein diese Welt liest sich das Ganze als wäre 1984 von George Orwell nun doch zur Gebrauchsanleitung geworden. SO sollen unter anderen computergestützte Routinen entwickelt werden, mit denen sogenannter abnormales Verhalten automatisch identifiziert werden kann. Im Internet und auf der Straße. Abnormales Verhalten, dieser Begriff findet sich seit längeren in Aufsätzen und Theorien über Strafrecht und die Zukunft der Sicherheit in Gesellschaften. Also die Abweichung einer festgelegten oder akzeptierten Norm und findet heute schon Anwendung wenn es um glitzernde Innenstädte geht.
In Großbritannen findet man Anti-Social-Behaviour schon länger wieder und reicht von der randalierenden Jugendgruppe bis zum Kippenfallenlasser in der Fussgängerzone.
Würde also solches Verhalten identifiziert werden, soll automatisch festgestellt werden, wer diese Person, oder diese Gruppe ist, ob sie schon in der Vergangenheit auffällig geworden ist und ob automatisierte Abhilfe geschaffen werden kann.
Als klänge das noch nicht vollumfassend und paranoid, wird auch an dem Einsatz unbemannter Fluggeräte, also Drohnen geforscht, die hochauflösende Fotos des überflogenen Gebietes schießen können oder zum Beispiel flüchtende Autos verfolgen können. Dabei ist die Technik schon heute in der Lage, aus der Luft so detaillierte Fotos zu machen, dass daraufhin eine automatische Gesichtserkennung ansetzen kann. Unter anderen bei Musikfestivals wird das, wenn auch noch analog, schon lange genutzt. Analog deswegen, weil die Festivalbesucher im Nachhinein aufgefordert sind, sich und ihre Freunde zu taggen, also mit Namen zu kennzeichnen. Tausende Personen sind so auf einem einzigen Bild identifizierbar. Und mit der nötigen Technik bedarf es dieser menschlichen Hilfe eben nicht einmal mehr.
Um um alles perfekt zu machen, werden am Ende alle vorhandenen Datenbanken, also daten die mittels Vorratsdatenspeicherung erhoben wuren, Telekommunikationsüberwachung etc. vernetzt werden.
Was von INDECT als Ergebniss konkret erwartet wird:
Testinstallation von Überwachungssystemen zur Gefahrenerkennung in großstädtischen Bereichen.
Geräte zur mobilen Objektverfolgung
Erstellung einer Suchmaschine mit der Möglichkeit einer semantischen Suche in Dokumenten, basierend auf Wasserzeichen
System zur Verfolgung krimineller Aktivität und Gefahrenerkennung im Internet
Sicherstellen von Datensicherheit und Schutz der Privatsphäre durch den Einsatz von Wasserzeichentechnologien und kryptografischen Algorithmen

Dass das ganze nicht transparent abläuft, geschenkt. Hier wurden aber über die Jahre, immerhin seit 2009 wird nun geforscht, die Informationen immer tröpfelnder, und werden letzten Endes nun über einen sogenannten Ethikrat freigegeben. Dieser hat sich auch mit den ethischen Fragen dieses Projektes beschäftigt und kam März 2011 zu dem Ergebniss, dass dass alle Forschungsaktivitäten voll den ethischen Grundsätzen und Bestimmungen der Europäischen Union entsprechen.
Was nun im eingangs erwähnten Bericht im Innenausschuss des Bundestages zu lesen war, - man weiß es nicht, schließlich sind diese Sitzungen ebenfalls geheim und wenn nicht aus Versehen irgendwie Dokumente an die Öffentlichkeit gelangen, die dort nicht hin gelangen sollten – wird man dies wohl nie erfahren. INDECT jedenfalls liest sich wie der real gewordene Albtraum, eines jeden Paranoikers, nur dass das Ganze realer wird und näher rückt, als man es für möglich gehalten hätte.
Fraglich auch, inwieweit die beteiligten Forschungseinrichtungen damit leben können, an solchen Projekten beteiligt zu sein, Ansonsten ist die Popularität von INDECT ähnlich wie bei den 4buchstabenakronymen ACTA, SOPA, PIPA. Jedenfalls über die Jahre gesehen. INDECT fand zwar schon statt, in Nachrichtenmagazinen, abends, und mit ausführlicher Darstellung des Geplanten, so richtig auf dem Behandlungstisch scheint das Thema aber noch nicht zu liegen. Dabei gilt die Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine schon als Testfeld für die ersten konkreten Ergebnisse. Vielleicht lässt sich ja etwas vom ACTA Schwung, von diese Mobilisierung auch auf INDECT verteilen. Verdient hätte es dieses Projekt in jedem Fall.

Kommentare
20.02.2012 / 10:12 hikE, Radio Unerhört Marburg (RUM)
20.2.2012 in Frühschicht
gesendet. Danke!
 
20.02.2012 / 12:44 Philipp, Radio Dreyeckland, Freiburg
Mittagsmagazin RDL 20.02.12 - 12:40Uhr
Danke.
 
21.02.2012 / 02:55 Hagen, LORA München
Wird heute gesendet bei LORA München
ab 20 Uhr. Vielen Dank!
 
24.02.2012 / 22:08 fredi, radio flora, Hannover
in Die Technik schlägt zurück vom Februar
danke