"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Die Hartz-Maschine -

ID 46752
 
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Vor etwa zwei Wochen sah ich auf einem öffentlichen deutschen Fernsehsender einen Beitrag mit dem Titel «Die Hartz-Maschine». Man konnte sich darunter etwas vorstellen und sah sich das Teil an, nicht zuletzt deshalb, weil die Industrie der Arbeitslosigkeit zwangsläufig ihren perversen Anstrich hat neben der Industrie mit der Arbeit, vor allem auf der ideologischen Ebene, aber auch vom zweiten oder dritten Beschäftigungsmarkt mit offiziell entwerteten Tätigkeiten bis hin zum Ruch, dass in der Hartz-Maschine eben nicht nur funktionsuntaugliche oder -unwillige Arbeitskräfte bewegt werden, sondern auch dritt- und viertklassiges Management- und Unternehmerpersonal, das unter dem Vorwand eines sozial nützlichen Engagements ganz anständig Knete scheffelt.
Audio
12:10 min, 14 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 28.02.2012 / 14:51

Dateizugriffe: 327

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 28.02.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Das hätte man sich gerne etwas näher zu Gemüte geführt, und das erhielt man zu Beginn des Films auch durchaus illustriert mit verschiedenen Firmen, welche ein ganzes Spektrum an angeblichen Qualifikationsprogrammen anbieten und von denen in erster Linie das Beratungs- und Führungspersonal den Nutzen davon hat, während von den Programmen selber nur eines einen richtigen Output generiert, nämlich ein Ausbildungsgang für Lastwagenchauffeure, wo die Absolventen weggehen wie warme Semmeln. Die Redakteurin mahnte dabei, dass mit diesem Programm die Transportunternehmen ihre Ausbildungskosten auf den Staat überwälzen würden, was einerseits nicht von der Hand zu weisen ist, anderseits aber die Regeln im Transportgewerbe völlig außer Acht lässt; diese Ausbildungskosten gehen in der Regel nicht zulasten der Transportunternehmen, sondern der Chauffeure selber, die dann auch gerne als Subunternehmer in einer so genannten Scheinselbständigkeit auf den Straßen herum fahren. Aber ansonsten ist diese Welt der Schein-Einkaufsläden, Schein-Büros, der Schein-Telefoniererei usw. usf. eine Welt in einem trüben Grau; es sei denn, es gelinge einem, die Absurdität der ganzen Veranstaltung in eine Art von positiver Lebens¬erfahrung umzuwandeln, was zweifellos ein schwieriger Prozess ist, der aber ebenso zweifellos stattfinden muss – wenn man nämlich mal fünf oder zehn Jahre oder gar noch mehr in diesem Paralleluniversum verbracht hat, dann sind die Aussichten auf einen Wechsel in die normale Welt und gar die Arbeitswelt nicht mehr realistisch, und der Mensch ist bekanntlich nicht nur ein Allesfresser, sondern auch ein Chamäleon, und so passt er sich halt an diese bürokratische Realität an, sonst würde er das Zeuchs nämlich gar nicht überleben. Das ist einerseits trist, aber anderseits ist es eben absurd, und das Absurde sollte man nicht unterschätzen. Das Absurde ist nichts weiter als ein Zerrspiegel des Normalen. Im Grunde genommen sind all die Leute, die einen ebenso normalen wie völlig überflüssigen Bürojob, zum Beispiel bei der Siemens AG erledigen, in einen ebenso sinnlosen Mechanismus eingespannt wie jene in diesen Beschäftigungs¬programmen, bloß liegt über ihnen die Benediktion oder Approbation oder Akkreditierung beim übergeordneten Gesellschaftsmechanismus, den einige auf dieser Welt hin und wieder «Scheißsystem» nennen, ohne sich darüber weiter Gedanken zu machen, denn eben: die Absurdität sowohl des parallelen wie auch des normalen Beschäftigungsrhythmus verdiente einer etwas gründlicheren und durchaus auch liebevollerer Betrachtung, auch aus anthropologischer Perspektive. Damit das auch wieder mal knapp und verständlich gesagt ist.

Nach diesem kurzen Überblick über die Arbeitssituation, der allerdings neben dem zugrunde liegenden Skandal der systematischen Entwertung von Menschen keine weiteren größeren Skandale ans Tageslicht brachte, abgesehen von Umsätzen von 500'000 Euro bis zu vielleicht sogar mal 2 Mio. Euro im Jahr für die betreffenden Firmen, was ja nicht im Traum zu vergleichen ist mit den immensen Vorteilen, die sich zum Beispiel euer ehemaliger Bundespräsident Wulff abgegriffen hat mit den Sonderkonditionen, dank denen er im Jahr bei seiner Hypothek doch rund 5000 Euro gespart hat; nach diesem kurzen und nur beschränkt spektakulären Überblick also ging es zur Konsumseite über, wo die zweite große Maschine mit dem Namen «Die Tafel» vorgestellt wurde. Hier werden Lebensmittel, deren offizielles Verbrauchdatum abgelaufen ist, die aber noch einwandfrei konsumierbar sind, an Menschen mit geringem Einkommen zu Tiefstpreisen abgegeben, also fast geschenkt. Im Beitrag wurde gezeigt, wie einige Unternehmen dieses Unternehmen dazu benutzen, um ihren Biomüll kostenfrei zu entsorgen, wobei besonders eine Plastiktüte mit erkalteten Pizzaüberresten eine bemerkenswerte Rolle spielte und auf ihrem Gebiet sicher einen Preis als bester Sondermülldarsteller verdient hätte.

Soweit, so gut, aber dann, aber dann, vielmehr es begann schon etwas vorher: Nämlich tauchte noch in einem dieser sinnlosen Parallel-Beschäftigungsprogramme eine Figur auf, die immer mehr zum Hauptdarsteller aufrückte. Es handelte sich um einen, sagen wir mal 45-jährigen Mann, der sich schon rein optisch als Hauptfigur aufdrängte, indem er nämlich einen Schnurrbart trug, der neben den Mundwinkeln buschig wie ein Bismarck-Bart herunter wuchs, während aber die Oberlippe völlig frei blieb, und auch die Backen waren rasiert, so dass eigentlich nur zwei ansehnliche Puschel von den Mundwinkeln in Richtung Brustwarzen zeigten. Dieser gab sich nicht nur auf skandalöse Art und Weise unbeeindruckt vom ganzen Beschäftigungsprogramm und somit auch absolut unmotiviert, von diesem sinnlosen Paralleluniversum in ein offensichtlich ebenso sinnloses Hauptuniversum zu wechseln, sondern vor allem sagte er auf die Frage, was denn sein Lebensziel sei, nur das eine Wort: «Rente». Dem Jungen sein Lebensziel ist eine Rente. Das zeigt nun einmal in der nötigen Deutlichkeit auf, dass sogar die Hartz-IV-Bezüger im Prinzip einen PR-Berater brauchen, womit ich einen konstruktiven Vorschlag zur Ausweitung des Programm- bzw. Kursangebotes unterbreitet hätte. Denn natürlich hätte dieser PR-Berater dem Haupthelden gesagt, dass er so etwas niemals in die Kamera sagen dürfe, sondern er müsse ums Verrecken sagen, dass er nichts so heiß begehren täte wie einen normalen Arbeitsplatz in einer Hotelküche oder als Frisör-Aushilfe oder was der attraktiven Berufsaussichten für 45-jährige Langzeitarbeitslose noch sind, und vor allem, dass er auf gar keinen Fall etwa den Eindruck erwecken dürfe, dass er etwa nicht geknickt sei und sich in seinen Gegebenheiten etwa häuslich niederlasse, weil dies nämlich einen flagranten Verstoß gegen alle PR-Konventionen im Bereich Sozialhilfe, Armenunterstützung, Aktivierungsprogramme, kurzum: gegen sämtliche Konventionen darstelle, die in Deutschland doch einen Sektor mit einem Umsatz von um die 50 Milliarden Euro am Funktionieren erhalten.

Von dem Moment an, und der neue Hauptdarsteller tauchte etwa nach einem Drittel des Films auf, kippte der Beitrag. Vorher ging es um die Hartz-IV-Maschine, von da an ging es nur noch um Sozialschmarotzer, die sich auf Kosten der Allgemeinheit einen schönen Tag machen, sich nicht um eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bemühen, zu aller Verarsche hinzu sich noch den Magen voll schlagen mit qualitativ einwandfreier Ware für lau. Damit aber nicht genug: Die findige Redakteurin machte sich auf nach Berlin Marzahn oder so, und siehe da: Da standen lauter frisch renovierte Blöcke für Sozialhilfebezügerinnen herum, und sogar die privaten Vermieterinnen sagten vor laufender Kamera, dass sie am liebsten an Hartz-IV-Bezügerinnen vermieten würden, da bei diesen der Staat für die Miete aufkommt. Das ist mir ja ein rechter Skandal, das. Neuerdings wohnen Sozialhilfebezügerinnen nicht mehr in verfaulten Altwohnungen ohne Strom und Heißwasser mit einem verdreckten Klo auf der Treppe? Wo soll das alles noch hin führen?

Und da die geschätzte Redakteurin nun schon mal auf diesem Weg war, machte sie rüber nach Holland, wo der Staat gnadenlos sämtliche Bezüger von Sozialhilfe am Schlafittchen packt und sie direktemang in Arbeitsprogramme steckt, aber nicht in parallele, sondern in staatliche, das heißt, sie müssen Straßen kehren und auch Straßen kehren, vor allem aber Straßen kehren, sonst gibt’s keine Knete. Und all die Interviewten, in der Mehrheit Kinder von Migranten aus den Molukken, junge Männer ganz ohne Fu-Man-Chu-Schnauzbart und Bauchansatz, gaben alle ihrer völligen Befriedigung Ausdruck darüber, dass der Staat sie vor dem völligen Absacken ins Nichtstun bewahrt und ihnen eine Perspektive anbietet.

Die Frau Redakteurin heißt Rita Knobel-Ulrich, und wer will, kann sich den Beitrag am 30. März auf Sat3 in einer Wiederholung anschauen oder sich das Zeuchs direktemang auf youtube hereinziehen. Weitere Werke dieser Redakteurin heißen zum Beispiel «Koks, Container und Kontrollen – Einsatz im Hamburger Hafen», wobei der Vorläufer dieses schmissigen Beitrags vermutlich jener mit dem Titel «Die Kaviar-Mafia. Millionengeschäfte mit Fischeiern» im Jahr 2007 war; daneben gibt es «Die USA in einem Zug», «Mit dem Zug durch Kanada», was eine Nachfolgeproduktion ist der Sendung «Mit dem Zug von Toronto nach Vancouver», dann haben wir «Mit dem Zug von Berlin nach Peking», «Per Schiff von Berlin nach Stralsund», «Traumschiff nach Manhattan, Queen Elisabeth 2», aber auch «Menschen & Hotels», nämlich eine TV-Serie über Nobelhotels; einen weiteren Themenschwerpunkt entnehmen wir den Titeln «Menschen hautnah – Papa allein zu Haus», «Mutti muss arbeiten – Vom Ende der Hausfrauenehe», «Zum Papa nur am Wochenende – Kleine Pendler auf Deutschlandtour», «Mit Mutti in der Antarktis – Von Packeeis, Portwein & Pinguinen», und schließlich finden wir noch einen Strang mit «Die Braut heißt Uwe», «Der Tag, als ich meiner Hochzeit entkam. Die Flucht einer versprochenen Braut» sowie «Schwule am Altar», was 15 Jahre nach der Braut namens Uwe gedreht wurde. Zum Beitrag über die Hartz-IV-Maschine, welche sie selber auf ihrer Webseite auch als «Hartz-IV-Fabrik, das Geschäft mit der Arbeitslosigkeit» anführt, passt dann noch der Beitrag «Arbeit nein Danke! Scheitern mit Hartz IV» aus dem Jahr 2005.

Ich hatte noch nie zuvor von Frau Knobel-Ulrich gehört und hoffe, ihr nie wieder zu begegnen, denn man kann sie nicht wirklich als Autorin dieses Beitrags bezeichnen, obwohl sie ihn zweifellos verantwortlich gedreht hat, aber es kommt hier nicht ihre auktoriale oder gar etwa irgendetwas wie eine journalistische Arbeit zum Ausdruck, sondern sie fasst bloß eine Gesinnung in Bilder und Worte, welche weitab ihrer Person in den Köpfen der Allgemeinheit herum geistert, und zwar in stetem Widerstreit mit einer anderen Gesinnung, jener des weitgehend hilflosen Mitleids, kombiniert mit einem grenzenlosen Verständnis für die schwierige Lage der Betroffenen und für das Gewicht dieses spezifischen Problems der postkapitalistischen Gesellschaften. Welches dieser beiden Gefühle in den Köpfen das Übergewicht hat, entscheidet über die Zugehörigkeit zu den zwei Lagern, in die sich Deutschland diesbezüglich aufteilt, und selbstverständlich ist das Verhältnis zwischen den zwei Lagern dynamisch, also je nach Schlagzeile der «Bild»-Zeitung am Montagmorgen hat die eine oder andere Gemütsströmung die Überhand. Sicher aber bleibt eines: Vom Geschäft mit diesen Stimmungen in der Allgemeinheit profitiert eine bestimmte Schicht an Journalistinnen, welche ohne jegliche Absicht einer thematischen Vertiefung den Ressentiments der öffentlichen Meinung einen quasi sachlichen Ausdruck verleihen. Aus neutraler Sicht kommt es nicht mal groß drauf an, ob solche Quasi-Journalistinnen ihr Geschäft mit der Armut mit der Bedienung der misanthropischen oder der philanthropischen Gemütslage machen – beide sind strikt antipolitisch und zielen nicht auf Veränderung, sondern auf Unterhaltung eines apolitischen Publikums. Bloß ist das Draufhauen auf die Hartz-IV-Empfängerinnen auf einer anderen Ebene dann schon ziemlich widerlich. Das riecht eher nach dem Stil des Magazins «Focus» als nach Fernsehanstalten des öffentlichen Rechts wie dem ZDF, der ARD bzw. dem Norddeutschen Rundfunk und dann nachgeschaltet Sat3. Auf Sat3 habe ich auch schon andere Beiträge gesehen.

Kommentare
14.03.2012 / 14:43 Bernadette, Radio Dreyeckland, Freiburg
RDL Sendung für Erwerbslose awr
am 14.03.12 ab 19:00 Uhr - Danke !