Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann - Silvia Bächli nach vier Jahren -

ID 46903
 
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Am Wochenende ist mir eine Künstlerin wieder über den Weg gelaufen, über die ich hier schon vor vier Jahren mal gesprochen hatte, eine Zeichnerin mit Namen Silvia Bächli. Damals stellte sie an der Biennale in Venedig als Vertreterin der Schweiz ungelenke Striche, Kreise und Quadrate aus, in der Sonntagsausgabe der Neuen Zürcher Zeitung stand sie nun vor ein paar Blättern mit ungelenken horizontalen und vertikalen Strichen, die man bei viel gutem Willen als Gitternetzlinien interpretieren könnte.
Audio
11:23 min, 8005 kB, mp3
mp3, 96 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 06.03.2012 / 09:44

Dateizugriffe: 382

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Kultur, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 06.03.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Es sind monochrome Linien, alle im gleichen Ton zwischen Ocker und Rostrot und damit aus den Farbkübeln der Beschäftigungstherapie, kurz, die Bedeutungslosigkeit in Person oder in Linea. Dies reicht nun nicht für eine Mitteilung an ein desinteressiertes Publikum in der Mitte Deutschlands, aber zu den Bildern gab es einen ganzen Artikel gratis dazu, und aus dem möchte ich doch ein paar Muster zitieren als Beispiele für den Jargon der kulturellen Geist- und Inhaltslosigkeit, und diesen Jargon findet Ihr dann wohl auch bei euch in vielen Museen und Feuilletongs, achtet mal darauf.

Gerhard Mack, so heißt der Kunstkritiker, braucht keine Aufwärmzeit. «Der Auftakt kommt einem energetischen Schock gleich. Wer müde hierher kommt, ist plötzlich hellwach. Red Bull könnte davon einiges lernen. Überall ist Rot. Silvia Bächli hat mit der Farbe Linien auf Blätter gezeichnet. Die meisten ergeben die Formen eines Gitters. Aber diese Ikone der Moderne, das Grid, das auch den Straßenraster ihres kultischen Ortes Manhattan prägt, ist merkwürdig aufgelöst. Die Pinselstriche, mit denen die Farbe aufgetragen ist, setzen einmal am Rand an, dann in der Mitte, sie sind bald von rechts, blad von links geführt. Der Druck des Pinsels verändert sich, denn jedes Mal müssen Hand und Papier ein neues Einvernehmen finden. Die Farbe nimmt mit zunehmender Länge des Striches ab. Wo die Hand ansetzt, entstehen Lücken.»

Menno. Silvia Bächlis Gekrakel löst angeblich bei Gerhard Mack einen energetischen Schock aus. Wisst ihr was, Freunde? Der Junge lügt. Er lügt gerade heraus, um auch in Zukunft ähnlichen Unsinn einer Zeitung zu verkaufen, auf deren Kulturredaktion Leute arbeiten, die davon leben, fertigen, ausgewachsenen und abgerundeten Unsinn zu verkaufen. Ist das nun schön oder doof?

Wichtig ist sicher zunächst einmal, dass der Blödsinn die Form einer scheinbar sinnhaften Syntax annimmt. «Zeichnen heißt weglassen», sagt Silvia Bächli bzw. schreibt Gerhard Mack, dass Silvia Bächli sage. So stehen denn auf dem Papier auch nur noch die knappsten Andeutungen von Zweidimensionalität herum – anders kann man dieses Liniengekrakel nicht bezeichnen. Und dann nimmt Mack seinen Anlauf: «Zugleich heben diese neuen Blätter den Bezug zum Raum und das Zwiegespräch zwischen Körper und Umgebung in ungewohnter Radikalität hervor. Sie sind zentimetergenau gehängt, die Künstlerin hat sie mit schützenden Plexiglasboxen umhüllt und ihnen dadurch mehr eigenes Volumen gegeben. Die Abstände dazwischen sind so wichtig wie die Zeichnungen selbst. Denn sie lassen das einzelne Blatt zum Element einer Gesamtkomposition werden, die mit ihrem Rhythmus auf die Wände übergreift und sie in einer großen Bewegung zusammenschließt. Dieses Ineinandergreifen von räumlichem Bezug und Körperhaftigkeit, man könnte auch sagen von innerer, empfundener und äußerer, messbarer Dreidimensionalität, besitzt die Künstlerin schon seit eh und je.» – Das ist doch absolut fantastisch, wobei ich das Attribut halluzinogen in diesem Zusammenhang ablehne, denn Halluzinationen nehmen nun mal nicht die Gestalt schwachroter Gitterlinien an. Niemals, hört ihr! Aber wie Mack da aus einer Linie eine gewaltige dreidimensionale Dynamik heraus schreibt und damit hinten das Zeilengeld auf seinem Konto rascheln hört, das hat schon seine eigene Güte. «Silvia Bächli ist gerade deshalb eine der interessantesten Zeichnerinnen ihrer Generation, weil sie Zeichnung, dieses älteste und überaus schwierige Medium, als strategisches Mittel einsetzt, um Räume zu schaffen und zu strukturieren. Davon ist schon der Produktionsakt selbst betroffen: Bächli zeichnet, häufig mit Gouache oder Tusche, relativ zügig und wählt hinterher aus. Zeichnen ist weniger ein grandioser individueller Schöpfungsakt, ein innerster Ausdruck der Künstlerseele, wie Geniekult und Autonomieästhetik es wollten, als vielmehr eine Untersuchung, ein Forschungsprozess.» Oder anders gesagt: Die Frau haut einfach eine halbe Stunde lang ein paar Striche aufs Papier, und was dann grad am besten gefällt, das wird dann zur Kunst erklärt. Der Mack deklariert das verblüffend offenherzig. «Ist eine Zeichnung einmal entstanden, so wird sie zum Material, das die Künstlerin hinterher in Schachteln unter verschiedenen Kategorien ablegt, wieder hervorholt, aussortiert und erneut zur Wiedervorlage nimmt. Dieses fortgesetzte Auswählen, der kritische Blick auf das aus einem Fluss der Impulse und Assoziationen Entstandene, die Distanz zur eigenen Intuition sind ebenbürtiger Teil des kreativen Prozesses.» Also ich weiß nicht: Früher, habe ich den Eindruck, hätten sich die Betreiber des Jargons noch mehr Mühe gegeben. Früher wäre es keinem ordentlichen Kunstkritiker beigefallen, offen zuzugeben, dass die angebetete Künstlerin ihre Billigware schlicht in Kartongs ablegt, falls sie nicht direkt in die Papiersammlung gehen. Diesen Schaffensprozess sieht man, im Gegensatz zu irgendwelchen Bildinhalten, durchaus deutlich und dreidimensional vor dem inneren Auge. Dass man dabei an Betrug denkt, ist eigentlich nicht ganz richtig, denn der Kunstbetrieb ist einer, der von Illusionen lebt, insofern ist Frau Bächli und Herrn Mack nicht der größte Vorwurf zu machen. Ein wirklicher Betrugsakt findet nur insofern statt, als irgendwo noch die Vermutung im Raum steht, es gebe sie tatsächlich, die Kunst, die Künstlerin und das Kunstwerk, eine Sache also oder ein Ereignis, in dem ein Verhältnis zu einer definitiven und vielleicht sogar vollendeten künstlerischen Form findet. Und Macks Beitrag zum Betrug ist nur jener, dass irgend jemand noch die Vermutung hegte, dass es so etwas wie Kulturkritik gebe, also die Begutachtung und Beurteilung von Kunstwerken gemäß einigen objektiven Kriterien, zu denen unter anderem das Handwerk zählt oder auch die Feststellung, dass die Kunst des Zeichnens vielleicht schon im Weglassen, aber nicht im Weglassen des Zeichnens besteht; weiter ist da nichts. Übrigens bestätigt Kamerad Mack, dass Frau Bächli nach wie vor an der Professur an der Kunstakademie Karlsruhe klebt, also seit bald 20 Jahren, was auch ein kleines Licht auf dieses gestrichelte Künstlerdasein wirft und ihm seine eigene Dreidimensionalität verleiht; und schließlich gibt es noch den Warnhinweis, dass Madame Bächli im Jahr 2013 mit einer großen Ausstellung in der Pinakothek der Moderne in München geehrt wird, und die Fanfaren und Trompeten dieses Ehrenempfangs möchte ich dann also nicht hören.

Daneben komme ich aus dem Staunen nicht heraus, wie nun auch die deutsche Justiz die Pressefreiheit der Bild-Zeitung schützt, indem sie die privaten Räumlichkeiten eures zurückgetretenen Bundespräsidenten durchsucht im Hinblick auf mögliche Beweise für eine Vorteilsnahme bei der Vergabe von, was weiß ich, Lehrstühlen an der Kunstakademie oder was weiß ich. Langsam drängt sich eine vergleichende Studie auf zwischen den unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten der Medienunternehmen in den verschiedenen Ländern. In Italien hat sich der Fernsehbescheißer Berlusconi sicherheitshalber gleich 20 Jahre lang selber die Regierungsmacht gesichert; der Axel-Springer-Verlag lässt bloß die Regierungen zappeln, und die übrigen Medien huldigen ihm dann auch noch pflichtschuldigst, und eben, nicht nur die Medien, sondern auch die Justiz. Das ist schon verwunderlich. Von Österreich weiß man, dass die Kronen-Zeitung für den Machterhalt nicht unwichtig ist; die Beziehung des britischen Premierministers zu Rupert Murdoch wurde ebenfalls an diesem Wochenende wieder aufgewärmt, zum Beispiel von der Washington Post mit dem schönen Titel: «David Cameron admits riding Rebekah Brooks’s horse», was medientechnisch immer noch besser ist als «admits riding Rebekah Brooks». Übrigens habe ich gestern in einem Buch gelesen, dass eine Ausgabe der King-James-Bibel aus dem Jahr 1631 die «wicked» genannt wurde, also die boshaft-gefährliche, und zwar vor allem deswegen, weil sich in den zehn Geboten ein Druckfehler eingeschlichen habe, nämlich ging das «nicht» verloren beim Nummer 6, wodurch es hieß: «Du sollst deines Nachbarn Weib begehren». Ein wirklich göttlicher Verschreiber. Russland ist bekannt dafür, dass die Medien regimetreu berichten, in Amerika widerspiegelt sich die Auseinandersetzung zwischen geifernden Reaktionären und halbwegs liberalen Demokraten auch in den Medien, wobei nach meiner Beobachtung dort die liberalen deutlich stärker sind; in Frankreich bilden Medien, Wirtschaft und Regierung einen unentwirrbaren Klüngel, und den Rest der Welt kenne ich nicht besonders genau, aber dass eine Staatsanwaltschaft auf Hinweis eines Kack-Mediums eine Hausdurchsuchung einleitet, das ist mir wirklich neu. Unterdessen bin ich schon so weit, dass ich ehrlich gespannt bin, was dabei heraus kommt.
Daneben hat sich eure sozialdemokratische Kanzlerin derart tüchtig auf ihrem Sessel etabliert und gilt auch international unterdessen als unbestrittenes Symbol der wirtschaftlichen und auch wieder politischen Stärke Deutschlands, dass es euch wohl leicht fallen wird, sie bei den nächsten Wahlen abzusetzen und wieder eine SPD-Regierung auf den Bock zu hieven, die euch dann mit der Agenda 2020 jene Rosskur verordnen wird, dank der eure Lohnkosten derart tief sinken, dass ihr China als Exportweltmeister wieder überholt. Dabei möchte ich bloß darauf aufmerksam machen, dass China seine Bundeswehr in den letzten Jahren ganz ordentlich ausgebaut hat, will sagen: Wenn man dauerhaft gewaltige Exportüberschüsse erzielen will, tut man gut daran, dieses Verhältnis bei Gelegenheit auch mit einer ordentlichen Armee zu verfestigen, weil sonst die Not leidenden Nachbarn in Versuchung geraten könnten, ihrerseits mit brachialen Methoden das zu holen, was ihnen ihrer Ansicht nach zusteht. – Ich glaube nun nicht, dass dies in Europa in den nächsten Jahren eine wirkliche Option wird, aber die Frage, wie weit der Ausbau der wirtschaftlichen Vormachtstellung Deutschlands wirklich verträglich ist mit dem Aufbau einer halbwegs ausgewogenen Europäischen Union, die müsst ihr euch wohl doch hin und wieder stellen. Und die Ausrede, ihr hättet eben die besseren Strukturen oder Institutionen, die zählt hier nicht. Wenn das nämlich zutrifft, dann müsst ihr euch auf den Export von Strukturen verlegen statt von Waren. Das wiederum ist wohl nicht so einfach.