"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Steuerschmankerl -

ID 47057
 
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[11. Kalenderwoche] Letzte Woche war ich in Konstanz und benötigte aus irgendwelchen Gründen Zahnpasta und eine Zahnbürste. Ich betrat eine etwas schmuddelig wirkende Kaufhalle mit dem Namen Norma, welche neben Lebensmitteln auch ein rudimentäres Zahnpflegeangebot führte. An der Kasse bezahlte ich für zwei Zahnbürsten und eine Tube Minzen-Zitronenblüten-Apfelsinen-Zahnpasta die Summe von einem Euro und vier Cent. Ich verließ das Geschäft mit Schwindelgefühlen.
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10:29 min, 9833 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 13.03.2012 / 10:09

Dateizugriffe: 1208

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 13.03.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Auf der anderen Seite der Grenze, im schweizerischen Kreuzlingen, bezahle ich für die Zahnpasta drei.fuffzich und für die Zahnbürsten zwei fünfzig, also insgesamt 6 Franken, dachte ich mir, und hier im deutschen Europa kostet das Zeuchs einen Franken dreißig, das darf und/oder kann doch nicht wahr sein.

Zuhause schaute ich mich um auf der Webseite eines unserer größten Einzelhandelskonzerne, und siehe da: die billigste Zahnpasta kostet zusammen mit 3 Zahnbürsten exakt 2 Franken. Die teuersten Produkte dagegen sind 6.90 für die Zahnpasta sowie ebenfalls 6.90 für eine einzelne Zahnbürste, macht zusammen 13.80 oder, wenn man zwei Zahnbürsten rechnet, 20.70 Franken. Vergleicht man gar das Billigangebot mit 3 Zahnbürsten, so stünden auf der anderen Seite 27.60 Franken.

Ich weiß nicht, weshalb man da noch Drogen braucht, wenn die Preisrealität derart hammerhaft bescheuert aussieht. Ich weiß nicht, was der Begriff «freie Marktwirtschaft» insbesondere im Bereich der so genannten Konkurrenz für einen Sinn hat, wenn die Unternehmen weiter existieren, obwohl die einen für die gleiche Ware einmal 2 Franken verlangen und einmal 27.60 Franken. Und um die gleiche Ware handelt es sich, wie mir mein Zahnarzt versichert hat. Der sagt nämlich, dass das Zähneputzen hauptsächlich den einen Zweck hat, die Bakterien zu zerstören, die sich im Zahnfleischkragen der Zähne eingenistet haben. Dies erfolgt aber nicht mit einer erfolgreich getesteten Zahnpasta, sondern einzig und allein dadurch, dass diesen Bakterien Sauerstoff zugeführt wird beim Zähneputzen, wodurch sie sofort ihren Geist aufgeben, den sie wahrscheinlich gar nie gehabt hatten. Und bezüglich anderweitiger Wirkungen von Pasten und Putzen meint mein Zahnarzt, dass dies eine Frage des Säurehaushaltes im Munde sei, der für die Remineralisierung der Zähne zuständig sei. Dieser Säurehaushalt nun würde innerhalb von 15 Minuten nach der Einnahme einer Mahlzeit oder sonst eines Lebensmittels wieder eingepegelt, weshalb es nur eine Sache gebe, welche die Zahn-Remineralisierung dauerhaft schädige, nämlich die häufige Einnahme von Lebensmitteln und wahrscheinlich auch das häufige Kauen von Kaugummis oder Lutschen von Bonbons, vielleicht auch der regelmäßige Konsum von Bier, ansonsten regle eben der Säurehaushalt all das selber und völlig ohne Zahnpasta. Mit anderen Worten: Man könnte gleich zum Vornherein auf die Zahnpasta verzichten und bräuchte eigentlich für die Zahnpflege bloß eine einigermaßen weiche Billigstbürste, Kostenpunkt 45 Rappen.

Aber Ihr wollt hier ja nicht die Weisheiten meines Zahnarztes hören, sondern einige Nachrichten aus der neutralen Schweiz. Nun, abgesehen von der Bestätigung davon oder dafür, dass die Demokratie eben nur dann funktioniert, wenn die Bevölkerung zuverlässig gegen ihre eigenen Interessen stimmt, indem sie nämlich am letzten Sonntag bei der Volksabstimmung die Volksinitiative für 6 Wochen Urlaub im Jahr abgelehnt hat, und zwar nicht etwa knapp, sondern mit einer soliden 2-Drittel-Mehrheit an Nein-Stimmen, abgesehen davon also kann ich Euch zwei Schmankerl aus dem Steuerbereich erzählen. Es begab sich nämlich zu jener Zeit, da Hans-Rudolf Merz Finanzminister war, also vor ein paar Jahren, dass dieser Bundesrat eine so genannte Unternehmenssteuerreform II schnürte. Die sozialdemokratische Partei hat dagegen noch das Referendum ergriffen, das vom Volk dann nicht mit einer Zwei-Drittels-Mehrheit, sondern ziemlich knapp mit 50.5% zu 49.5% der Stimmen abgelehnt wurde. Jetzt beginnen die Effekte dieser Unternehmenssteuerreform zu greifen. Nämlich können Unternehmen ihren Aktionärinnen und Aktionären jetzt Kapitalrückstellungen ganz und gar steuerfrei ausbezahlen, und da liest man dann von Menschen wie dem Glencore-Chef Ivan Glasenberg, der vor einer Woche das Sümmchen von 109 Mio. Franken steuerfrei überwiesen erhielt, und so weiter und so fort. Der gute alte Bundesrat Hans-Rudolf Merz hatte von Steuerausfällen in der Höhe von etwa 2 Milliarden Franken gesprochen; jetzt zeichnen sich Beträge um die 15 bis 20 Milliarden Franken ab. Das ist mal eine tolle Nachricht, die vermutlich den unterdessen pensionierten Hans-Rudolf Merz selber überrascht, der hat sein eigenes Gesetz nicht kapiert bzw. das, was ihm die Kapitalistenlobby da hinein diktiert hat.

Das zweite Schmankerl betrifft eine Umlagerung der Prioritäten in der Schweiz vom Bankgeheimnis zum echten Steuerparadies, will sagen, nun verstecken nicht mehr die Steuersünder aller Planeten ihr Schwarzgeld in der Schweiz, sondern sie kommen persönlich und auch mit ihrem Firmensitz hierher. Die erwähnte Glencore ist ein solches Beispiel; sie hat kürzlich mit XStrata fusioniert und sitzt im prächtigen Zug am ebenso prächtigen Zugersee. Viel famoser ist aber die Region um den Genfersee, welche unterdessen Ableger und zum Teil eben sogar die Europasitze der großen Rohstofffirmen der Welt beherbergt, wobei es reihenweise zu Steuerdeals gekommen ist, bei denen die Firmen versprachen, ein paar Arbeitsplätze zu schaffen und ein paar Millionen in Infrastrukturen zu investieren, wogegen ihnen gewaltige Steuererleichterungen gewährt wurden. Die Region ist unterdessen zu einem der wichtigsten Rohstoff-Handelsplätze geworden, eben, als Ergänzung oder in Ablösung zum Bankenplatz und immer in Begleitung von gewaltigen Steuergeschenken. Anders gesagt: Die Schweiz exploriert immer neues Terrain beim Versuch, den anderen Ländern der Erde das so genannte Steuersubstrat zu entziehen. Passt doch auch mal auf so etwas auf und nicht nur auf diese Schwarzgeld-Affären, die unterdessen wirklich Schnee von gestern sind.

Der Steuerwettstreit ist unterdessen so weit gediehen, dass einzelne Gemeinden mit sehr reichen Einwohnerinnen und Einwohnern ihre Ausgaben nicht mehr decken können, weil sie eben diesen reichen Mitbürgerinnen derart weit entgegen gekommen sind mit ihren Steuergeschenken, dass sie nun definitiv zu wenig Geld in der Kasse haben. Was solls, diese Reichen brauchen ja auch keine öffentlichen Schulen, die können die Kinder ja auch ins Internat stecken.

Sprechen wir von was anderem. Neulich ist mir aufgefallen, dass man Grund hat, zwischen einem Juristen und einem Advokaten zu unterscheiden. Und zwar den folgenden Grund: Der Jurist oder die Juristin beschäftigt sich mit dem Rechtskörper und damit auch mit der Rechtsphilosophie. Ja, doch, so was gibt’s, das ist nicht nur ein Trick. Die Rechtsordnung beruht irgendwo im Hintergrund tatsächlich auf Überlegungen, was das sein könnte, das Individuum, der Mensch und dann vor allem der Mensch in seiner Beziehung zum Mitmenschen, eben, nicht auf der Gefühlsebene, sondern auf der juristischen Ebene, welche manchmal die Gefühlsebene durchaus mit berücksichtigt. Aus solchen Überlegungen heraus entstehen dann Werke wie die Verfassungen oder das Grundgesetz, die Menschenrechte und all der Karsumpel, die im täglichen Leben kaum eine Bedeutung haben, weil die überwiegende Mehrzahl der Leute all diese Prinzipien eh in den Alltag integriert hat. Und dennoch braucht es sie, diese Form der Juristerei, welche sowohl im Einzelnen als auch im Großen und Ganzen die Beziehungen und das ganze Gefüge immer wieder überprüfen, erneuern und auch im Rahmen supranationalen Rechtes, zum Beispiel der EU, mit den Gefügen anderer Staaten abgleichen. Das ist überhaupt nicht sittenwidrig.

Im Gegensatz dazu steht der Advokat oder die Advokatin, welche zwar auch Jurisprudenz studiert hat, diese dann aber in den Dienst einer bestimmten Interessengruppe stellt. Es gibt seit Anfang der Zeiten beziehungsweise seit Anfang der Rechtssprechung auch Armenadvokaten, und hier sei wieder einmal an einen hervorragenden Vertreter ihrer Zunft erinnert, an Firmian Stanislaus Siebenkäs aus Kuhschnappel. Die meisten aber ergreifen den Beruf des Advokaten, weil sie an ganz anderen Sachen interessiert sind als an Armut, konkret nämlich an Reichtum. Der Weg dahin ist der beste für jene, welche sich entweder in der Anwendung und Auslegung des Rechts, im Volksmund auch als Rechtsverdreherei bekannt, besonders hervortun oder aber direkt auf die Ausgestaltung des Gesetzes Einfluss nehmen. Ich habe vorher das Beispiel der Unternehmenssteuerreform II in der Schweiz erwähnt, wo es den Vertretern der reichen Säcke gelungen ist, dem schöngeistigen Finanzminister einen Text unterzujubeln, ob dem ihm heute mit Sicherheit selber graust. Einen lausigen Rechtsstaat erkennt man daran, dass er beiden Gattungen an Advokaten freies Spiel ermöglicht, und das haben wir in den letzten zwanzig Jahren unter Berlusconi in Italien gesehen. Berlusconi versuchte sowohl am Laufmeter und manchmal durchaus mit Erfolg, die Gesetze zu seinen Gunsten zu ändern, wie er auch hunderte von Advokaten beschäftigte, welche mit tausenden von Einsprachen die hunderte von Prozessen, die gegen diese zeitübergreifende Witzfigur von allen Gerichten des ganzen Landes angestrengt worden waren, bis zur Verjährung in die Länge zogen. Und hier, wo nämlich sozusagen das juristische Recht mit dem Mittel von Verfahrensfinessen in sein Gegenteil verkehrt wird, hier kippt der Beruf des Advokaten über in eine simple Schweinerei. Und ich fürchte, dass an den Universitäten insgesamt zuwenig darauf geachtet wird, dass diese Schweinereien zum Vornherein als solche geächtet werden und dass das Studium der Jurisprudenz nur echten Juristinnen und Juristen offen stehen sollte.

Aber was heißt das schon, echte Juristinnen und Juristen. Auf irgend eine Art erinnert mich das an die andere Geschichte vom Paradies, bei der gewisse Leute behaupten, am Anfang hätten sowohl Männer als auch Frauen einen Penis gehabt, bis der Ur-Hund der Ur-Frau den ihrigen abgebissen hätte, weil er ihn mit einer Ur-Wurst verwechselt habe, weshalb die Männer noch heute beide Hände über das Geschlecht halten, wenn sie irgendwie stramm stehen. Mindestens die Nazis.

Kommentare
15.03.2012 / 17:19 Konrad, Radio Dreyeckland, Freiburg
gesendet im mora
8:45 danke