"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Sarkozy-Wahl

ID 47730
 
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Am nächsten Wochenende findet die erste Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich statt, und es erscheint unwahrscheinlich, dass dabei bereits ein Kandidat gewählt wird. Also geht es in eine zweite Runde, und ich glaube, dann treten nur noch die beiden KandidatInnen mit den meisten Stimmen im ersten Wahlgang gegeneinander an.
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09:48 min, 11 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 18.04.2012 / 10:50

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 17.04.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ganz sicher bin ich nicht, aber man erinnert sich an die Wahl vor 10 Jahren, als zur allgemeinen Überraschung der Nationalsozialist Jean-Marie Le Pen in den zweiten Wahlgang gegen Chirac rutschte, den er dann allerdings im Verhältnis von 83% zu 17% verlor. Jetzt mischelt Le Pens Tochter Marine irgendwo im Hintergrund wieder mit als eher unberechenbare Größe. Insgesamt gehen 10 Kandidat/innen in die erste Runde, neben den Hauptfiguren Nicolas Sarkozy alias Louis de Funès oder auch französische Ober-Koksnase und der französischen Ober-Schlafpille François Hollande noch 4 Kandidatinnen auf der grünen, linken und links-außen-Seite als echte linke Außenseiter und neben Sarkozy noch François Bayrou vom Mouvement Démocratique, der es alle paar Jahre wieder versucht und diesmal offenbar vor allem den Posten des Ministerpräsidenten unter Sarkozy im Blick hat, sowie Marine Le Pen und einem Herrn, dessen Namen mir entfallen ist und der auch so aussieht wie ein Herr, dessen Namen einem immer entfällt, und wenn das zusammen jetzt nicht 5 gibt, macht das nichts, vielleicht sind es auf der linken Seite insgesamt 6, woher soll ich das wissen. Jedenfalls läuft alles auf ein Duell zwischen Sarkozy und Hollande hinaus, und eines steht jetzt schon fest: Wenn die Französinnen und Franzosen den Zappelphilipp Sarkozy nochmals wählen, dann sind sie absolut selber schuld. Sarkozy konzentriert die Zeit, die er für das französische Volk aufbringt, auf zirka zwei Monate vor den Wahlen, ansonsten ist ihm dieses Wählerinnen-Zeuchs sichtbar unangenehm und immer ein möglicher Klotz am Bein, er ist offensichtlich froh über den praktisch absolutistischen Status, den so ein französischer Präsident inne hat, es gefällt ihm, beim Regieren immer wieder über die eigenen Fußspitzen zu stolpern und daneben Minister und höhere Verwaltungsbeamte einzustellen und zu entlassen, mal hier eine große Lippe zu riskieren und immer im Gestus des großen zappelnden Steuermannes auf der Weltbühne herumzuirren. Wie gesagt: Wenn sich die Französinnen und Franzosen dies nochmals fünf Jahre lang bieten lassen wollen, dann haben sie jetzt eine echte Chance dazu.

Die wären schön blöd. Ich bin jetzt ein paar Tage in der Nähe der französischen Mittelmeerküste gewesen, und unter uns, die machen einen durchaus anständigen Eindruck, die Leute dort, vielmehr nicht nur anständig, sondern geradezu und gerade heraus freundlichen Eindruck, die Städte sind sauber und das Essen ausgezeichnet. Herausgefunden habe ich, dass es hier eine relativ ansehnliche reformierte Gemeinde gibt im ansonsten stockkatholischen Frankreich, das hat wohl damit zu tun, dass die Reformation vor fünfhundert Jahren hier noch das Erbe der versprengten Albigenser und Katharer antreten konnte, jedenfalls ist die Präsenz der evangelischen Kirche unübersehbar, ebenso wie die spanischen Einflüsse, die, na ja, von Spanien halt her herüber wehen, und natürlich gibt es einen ordentlichen Anteil an afrikanischen MitbewohnerInnen, welche aber hier nicht in vollem Umfang jene Probleme zu haben scheinen, die man aus den Vororten der übrigen Großstädte kennt. Anderseits machen mich natürlich ein paar Tage und Takte Aufenthalt in Nîmes noch nicht zu einem intimen Frankreichkenner, aber das möchte ich denn doch gesagt haben: Nach Nîmes gehe ich wieder mal, nicht zuletzt wegen des reichhaltigen historischen Erbes in der ganzen Umgebung, vor allem aus der Römerzeit, und dann auch wegen der verkehrstechnisch fast idealen Lage, man kommt innert nützlicher Frist ans Meer und an verschiedene andere interessante Orte, und eben, man isst einfach verdammt gut.

Die Medien beschäftigten sich natürlich vor allem mit den Wahlen, daneben aber veröffentlichte Le Monde praktisch einen Artikel zur Energie und zur Umwelt nach dem anderen, unter anderem zur Produktion von Erdöl-Äquivalenten aus Mikroalgen, aber auch aus dem Wahlkampf, in dem der sozialdemokratische Kandidat Hollande offenbar einen leichten Abbau des Atomkraft-Engagements im Schilde führt. Hier gehe ich allerdings davon aus, dass dieser Sozialdemokrat das tun wird, was alle Sozialdemokratinnen auf der ganzen Welt tun, wenn sie an die Macht kommen: ein Päckchen schließen mit den herrschenden Eliten und einige doch eher weniger bedeutsame Reförmchen durchführen; dass uns aber der Hollande gar den französischen Atomtechnik-Konzern Areva irgend auf die Hälfte schrumpft oder etwas unternimmt gegen all die schönen Exportprojekte für Atomtechnologie, unter anderem gegen die 19 AKW, die der tschechische Reaktionär und Präsident Klaus als Provokation für die deutsche Bundeskanzlerin Merkel planen lassen will, das halte ich also für absolut unwahrscheinlich.

Keine besondere Begeisterung weckt die Kandidatin der Grünen, Eva Joly, deren Hauptargument in ihrer grünen Plastikbrille besteht. Allerdings neigt man wohl dazu, die Frau zu unterschätzen. Irgendeiner der links-linken Kandidaten fordert, dass die Kapitalisten die Krise bezahlen müssten anstelle der ArbeiterInnen. Das ist nun ein derartiger Bruch, dass es selbst seinen AnhängerInnen auffallen müsste. Als Linksextremer muss man die Revolution fordern, nicht etwas derart Unfassbares wie die Bezahlung der Krise durch die Kapitalisten. Wie soll denn das gehen, soll etwa Areva ihre Aktien der Nationalbank schenken zwecks Abbaus der Staatsverschuldung? Da ist Frau Joly doch von einem ganz anderen Kaliber. In Le Monde schreibt sie einen offenen Brief an Christophe de Margerie, den CEO des französischen Erdölmultis Total, dessen Schnauz übrigens so aussieht, als hätte er die Fliege vom Hemdkragen nach oben unter die Nase kopiert. Eva Joly listet in knappen Worten erstens die Umweltschäden auf, welche Total dauernd verursacht, ohne sie zu bezahlen, begonnen mit dem Erika-Tankerunglück, welches die Bretagne auf Dauer verunreinigte, über die Verheerungen bei der Ölsand-Förderung bis zum jüngsten Erdgas-Leck in der Nordsee, das Total und de Margerie wohl erneut nicht Kopf, Kragen, Fliege und Schnurrbart kosten wird; sie verweist auf die imperialistischen und neoimperialistischen Manöver hin beim Kampf um Prospektions- und Förderrechte, unter anderem in Afrika, und dann spricht sie all die Lügen und Korruptionsfälle an, dank denen sich Total durch die Jahre hindurch gewurschtelt hat. – Dabei kann oder muss man Total zugute halten, dass sich diese Firma wohl nicht wesentlich anders verhält als alle anderen Erdöl-Multis auf dem Planeten, mindestens die westlichen Erdöl-Multis wie Exxon, Shell, BP und was da alles noch herum kreuchen kann, während wir die spanische Repsol sicher nicht dazu zählen, die haben den Absprung wirklich verpasst mit Erdölfeldern, die demnächst ausgepumpt sind und einer argentinischen Tochter, die kurz vor der Nationalisierung steht. Da haben natürlich die Briten, US-Amerikaner und Franzosen durchaus andere imperiale Instrumente in der Hand, um ihre Hegemonie in der Energiefrage zu sichern. – Daneben gibt es links von Hollande immerhin noch den Kandidaten Melenchon, der in den Meinungsumfragen gegenwärtig bei ebenso überraschenden wie erfreulichen 15% steht – der Franzose leistet sich also nicht einfach nur den Nationalsozialismus von Marine Le Pen, sondern durchaus auch den Spaß einer echten linken Kandidatur, was für François Hollande durchaus gefährlich werden könnte. Mal sehen, was die erste Runde bringt.

Jaja, die Zeit vor und während den Präsidentschaftswahlen ist schon eine Zeit, in der man nicht nur große, sondern auch wahre Töne spucken kann. Was das Publikum und die Medien im Alltag mit Stirnrunzeln an den Rand rücken würden, hier ist die Zeit der offenen Mikrofone und der freien Bühnen. Ändern wird es nichts, weder am Stimmenanteil von Frau Joly noch an der Politik der Möchtegern-Weltmacht Frankreich, und das wissen die meisten StimmbürgerInnen auch, aber wie gesagt: Wenn sie dann trotzdem Sarkozy wieder wählen, dann sind sie selber schuld. – Nicht dass unser Louis de Funès einen besonders schlechten Job gemacht hätte, nebenbei, soweit es sein Verdienst war, hat er Frankreich mehr oder weniger ordentlich durch die Krise gesteuert, und abgesehen von einigen Aussetzern im Wahlkampf wird man auch an seinen europäischen Überzeugungen keinen Zweifel hegen müssen – übrigens auch bei François Hollande nicht. Aber eben: So richtig sein Verdienst war es halt doch nicht, sondern es war vielmehr das ganze französische System, die französische Elite, der es letztlich egal ist, wer an der Oberfläche welche Turnübungen veranstaltet, solange sie nur ihre Privilegien ungestört weiterhin unter sich verwalten kann und die wesentlichen Entscheide fällt, deren Text dann der Präsident im Tonfall des obersten Kaisers aller Römerinnen und Römer, das heißt mit möglichst viel Pathos vor dem großen Publikum vortragen darf.

Da seid ihr in Deutschland doch etwas weiter, will mir scheinen. Weder gibt es diesen völlig offensichtlichen Klüngel von Großfinanz, Großindustrie und Ministerialbeamten, garniert mit verschiedenen Medienfuzzis, Universitätsprofessoren und absolut auch einigen Freaks, noch gibt es einen direkt gewählten Präsidenten mit freakigen Vollmachten, das ist in Deutschland doch recht viel transparenter, und zudem machen sich immer mehr Stimmen bemerkbar, welche die demokratischen Rechte der Bevölkerung ausbauen wollen. Umgekehrt macht gerade ein Besuch in Frankreich deutlich, dass auch der Zentralismus ein System ist, das im Alltag durchaus funktionieren kann, warum auch nicht, wenn man ihn bloß richtig anwendet, das heißt, der Peripherie ihre Luft zum Atmen lässt. Das, genau das schien mir bei unserem Besuch in Nîmes im hohen Maß der Fall zu sein: sehr viel Luft, ausgesprochen freundliche Menschen und halt immer wieder einfach gutes Essen.