"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Smileys -

ID 47976
 
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Laughing out loud, laut herausgelacht – von diesem Ausdruck können zwei Reaktionen abgedeckt werden, eine knappe, eher gebellte sarkastische Reaktion auf einen besonders tollen Unfug sowie im positiven Sinn die schlagartige Erhellung einer Pointe aus einer Situation oder aus einem Wortwitz, aber die Abkürzung lol im Sprachraum des Short-Messaging-Systems meint keines von beiden, sondern schlicht und einfach: lustig. Nicht mehr und nicht weniger, aber sicher nicht «laut herausgelacht».
Audio
10:02 min, 11 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 02.05.2012 / 13:26

Dateizugriffe: 831

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 01.05.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Nun kommt man mit solchen ebenso korrekten wie nutzlosen Hinweisen nirgends hin, aber auffällig ist es doch, wie sich im Gebrauchs-Sprachkörper überall Lustigkeits-Warntafeln festgesetzt haben, noch eher als das lagughing out loud die Smileys, die unterdessen auch den E-Mail-Verkehr verzieren, weil der Empfänger oder die Empfängerin offenbar nur noch dann bereit ist, einen Witz als solchen zu erkennen oder zu akzeptieren, wenn er gebührend deklariert ist. Smile! – Diesem kategorischen Imperativ würde ich mich am liebsten vollends entziehen, und ich möchte wetten, dass auf den Straßen Deutschlands die Menschen um keinen Deut weniger grimmig aneinander vorbei stapfen, natürlich mit Ausnahme von Regionen, die seit jeher mit Frohnaturen besiedelt sind, Kölner und Holländer und so. Aber im Schnellverkehr hagelts Gelächter, was mich eine Beleidigung für das gute alte richtige und homerische Lachen dünkt. Umgekehrt kommt man da wohl nicht drum rum, die schriftliche Kommunikation und in ihr der Witz ist ebenso zum Massenartikel geworden wie Kniesocken und Hemden, und im Grunde genommen müsste man eher froh sein darüber.

Trotzdem darf man fürderhin keinen Witz mehr erzählen, ohne darauf hinzuweisen, dass es sich um einen Witz handelt, und das finde ich schade, denn der gute Witz entsteht oft aus der Überraschung bzw. geradewegs aus dem Fehlen der Vorankündigung. Die Witz-Konsumenten scheinen persönlich nicht mehr in der Lage zu sein, selber zum Opfer eines Practical Joke zu werden, und wäre es noch so lustig. Dagegen über andere und anderes darf, soll, muss gelacht werden. Vielleicht handelt es sich hier um den Prozess des Eindringens des Humors in den Alltag der breiten Bevölkerungsschichten? So, wie man vor zweihundert Jahren begonnen hat, allgemein Rechnen und Schreiben zu lernen? Die Spaßgesellschaft hat daneben sowieso ihre brauchbaren Züge, indem sie das Gegengewicht ausbildet zu den bedeutungsschweren und in der Regel doch meistens absolut inhalts- und folgendlosen Grundsatzerklärungen. Vielleicht ist die Spaßgesellschaft bloß das kleinbürgerliche Gegenteil vom Pathos. Umgekehrt frage ich mich, wo denn dabei die normale Mitteilungsebene abbleibt. Offenbar kann ich niemandem mehr eine Nachricht überbringen, ohne gleichzeitig noch anzugeben, wie sie gemeint ist. Anders gesagt: Die gleiche Mitteilung kann in Abstufungen von null bis hundert die Aussage selber oder auch ihr ironisch gedrehtes Gegenteil beinhalten, und zwar eben in der Alltags- und Umgangssprache. Damit haben wir es geschafft, uns sprachlich nicht den Amerikanern, sondern den Chinesen an den Hals zu werfen, die ebenfalls ihre Aussagen nur aus der Betonung der Silben verstehen und nicht aus den Silben selber. Ma Ma Ma Ma Ma Ma Ma Ma heißt, wenn ich mich richtig erinnere, Mama ist beim Karottenschälen vom Pferd gefallen. Und so geht es heute auch im Deutschen. Wir beharren auf einem strikten Sparkurs in Griechenland, das heißt, dass man davon ausgeht, dass die griechische Regierung nach den Neuwahlen keinen Deut tun wird, um irgend ein strukturelles Problem des Landes zu lösen. – Ach nein, das war jetzt Politikersprache, die war ja schon früher so. Bei Griechenland zeigt sich aber, wo der Spaß aufhört. Mindestens die Griechen lachen überhaupt nicht über die deutschen Späßchen. Das ergibt eine weitere Deutungsmöglichkeit: Witz beginnt dort, wo die Armut aufhört.

Ich weiß es nicht. Fest steht jedenfalls, dass der Witz gegenwärtig eine Konjunktur hat, dass es nur so scheppert. Kabarettisten und Comedians füllen die größten Hallen, was vor 10 Jahren höchstens dem Michi Mittermayer geglückt war, von dem man aber unterdessen nicht mehr so besonders viel hört, aber dafür wuseln alle anderen herum, auf den Bühnen und auch im Fernsehen, dass es einerseits natürlich eine Lust ist und dass man sich anderseits fragt, wo die Leute bloß all die vielen Pointen her nehmen. Ist diese Welt tatsächlich so lustig, dass sie so viele Scherze hergibt? – Und die Antwort lautet ganz und gar faktisch: Offenbar schon. Und wenn ich nicht so recht weiß, was ich mit diesem neuen Kulturphänomen anfangen soll, dann sagt das bloß etwas über mich selber aus und über weiter nichts. Und wenn ich das Massen-Lachen im Verdacht habe, nicht auf einen Moment der Erkenntnis zurückzugehen, sondern vielmehr zu einer neuen Form der Schenkelklopferei auszuarten, dass also all diese Spaß-Anlässe immer weniger weit entfernt sind von den früheren Bierzelten, dann mag das zwar stimmen, aber es dürfte auch ein Zeichen sein dafür, dass sich die Zeiten ändern.

Eines steht aber fest: Der politische Lacher, wie er seinerzeit im Kabarett gepflegt und manchmal durchaus auch bekämpft wurde, ist ausgestorben, und ich frage mich, ob es wohl Museen gibt, in denen auch so etwas ausgestellt wird. Einfach wäre das wohl nicht, da nur schon das Einfangen eines solchen politischen Lachers eine Sache für Fachleute wäre, und bis man den dann am Schluss ausgestopft hat, sodass er eben ausgestellt werden kann, mein lieber Schwan, das verschlingt riesige Summen Geldes. Aber lohnen täte es sich schon. Heute aber randaliert Urban Priol im ZDF gegen die Bundeskanzlerin, dass es stiebt und zischt, und die braven Kleinbürgerinnen und Kleinbürger im Publikum amüsieren sich köstlich und klatschen Beifall, und der einzige, der noch eine explizit politische Note in seinen Texten aufweist und hin und wieder die Dinge auch beim Namen nennt, nämlich Kamerad Barwasser alias Erwin Pelzig, der geht in diesem Ozean an Gelächter völlig unter. Und auch dies ist ein Zeitzeichen. Es kommt nicht mehr drauf an, in diesen Späßen steckt nicht einmal dann mehr ein Rest an Sprengkraft, wenn sie einen Inhalt haben, weil sie eingebettet sind in eine Sintflut an Nonsense, Damit ändert das Gelächter seinen Charakter, so, wie die Mitteilungen ihren Charakter ändern in einer Zeit, in der alles nur noch Kommunikation ist und der Facebook-Gründer demnächst, nämlich nach dem Börsengang, mehrfacher Milliardär sein wird. Diesen Zahlen schenke ich noch halbwegs Vertrauen, den Vermögens-Zahlen; so wie die reichsten Menschen Männer sind, die ihr Geld mit Telekommunikation, Internet und Börsenspekulation machen, nämlich Carlos Slim, Bill Gates und Warren Buffett, und nun neu auch noch eben die Zuckerpuppe mit den Social Media, so sind die reichsten Männer in Deutschland jene, die ihr Geschäft mit Billig-Konsumgütern machen, nämlich die Aldis. Angesichts derartiger Späße der Realität versteht man allerdings, dass dem politischen Witz seine Brisanz abhanden gekommen ist.

Dass aber mit der Kommunikation definitiv eine neue Ebene in unsere Gesellschaften eingezogen worden ist, das ist für mich mit dem Smiley-Test definitiv bewiesen. Ich spreche dabei nicht mehr von einem Informationsaustausch, wie wir ihn seit eh und je kennen, sondern diese Ebene hat sich verselbständigt und bildet ein Organ wie beim Menschen Haut, Nieren, Hände und Bauchnebel. Der Informationsaustausch findet auf dieser Ebene nach wie vor statt, aber das spezifisch Neue daran ist der Umstand, dass man sich hier plappernd in seinem Umfeld einrichtet, nicht einfach nur plappernd, sondern dauernd plappernd, in ständigem und vermutlich letztlich sogar anstrengendem Kontakt mit Freunden und Freundinnen, denen man immer signalisiert, was einem gefällt. Hier entsteht ein neues soziales Geflecht oder ist vielleicht bereits entstanden, dessen Bestandteile sehr viele Smileys sind; vor allem aber entheben sie das Individuum in Zukunft jeglicher usprünglicher und dichter Regung wie der Hass oder vor allem die Liebe, indem all diese Gefühle nur noch zum SMS- und Facebook-Gegenstand werden und so abgehaspelt werden, wie es einem die Leitmedien Film und Fernsehen und zunehmend die Fashion- und People-Seiten vorgeben.

Das finde ich spannend: Die Liebe geht unter! Sie entstand in den Ansätzen vor rund 1000 Jahren, baute sich nach und nach aus und erklomm den ersten Höhepunkt in der Aufklärung, in der das Drama der individuellen Beziehung vor dem Hintergrund der Herkunfts- und Klassenschranken prächtige Blüten trieb. In der Romantik erreichte man vielleicht den absoluten Höhepunkt, indem der Klassencharakter zunehmend verloren ging und sich das Gefühl in seiner reinen Form im Individuum ausbaute. Dieses Gefühl sickerte dann mit zunehmender Ausbildung und zunehmendem Wohlstand der breiten Bevölkerung auch hier in die Köpfe und Herzen und Bäuche, bis es sich vor etwa 50 Jahren immer mehr umzuwandeln begann in puren Sex. Was vom Sex am Schluss noch bleibt, kann ich nicht sagen, aber wenn das mit der Liebe wirklich zu Ende ist, dann verliert am Schluss auch der Sex seine Vorherrschaft. Und was kommt dann? Kommt dann endlich das Zeitalter der allgemeinen Intelligenz, auch im hintersten und letzten Volkskörper? Hat die Demokratie in dieser Form eine Chance? Es ist immer wieder die gleiche Frage, und wenn es auch keinerlei Garantien gibt für eine zustimmende Antwort, so gibt es anderseits auch keinerlei Anzeichen dafür, dass dies nicht der Fall sein sollte. Bloß kommen die Entwicklungen manchmal etwas überraschend.

Mit etwas Rückstand folgen auf unsere Gesellschaften ein paar andere Kulturen, zum Beispiel der Islam. Ich habe gehört, dass eine Gesellschaft in Deutschland jetzt gratis den Koran verteilt. Das tönt eigentlich recht spannend. Ich hatte mal so ein Exemplar, aber es war für meine Begriffe etwas unordentlich gegliedert, vielleicht war ich auch bloß voreingenommen, weil ich gehört hatte, dass im Koran mehr oder weniger das Gleiche steht wie in der Bibel, aber eben, in der Bibel sind noch einige historische oder dramaturgische Rahmen aufgespannt, während davon im Koran nach meiner Erinnerung nichts vorhanden ist, was man durchaus als Beweis für einen wirklich göttlichen Ursprung auffassen kann – was wäre unser Herr, wenn ihn alle verstehen täten, er wäre nichts anderes als einer von uns, nicht wahr. So oder so, ich finde mein Exemplar nicht mehr. Falls es also auch in der schönen Stadt Erfurt so eine Gratis-Koran-Aktion gibt, könnte bitte jemand so eines für mich auf die Seite tun? Ich kann nicht genau sagen, wann ich es abholen komme, aber immerhin. Vielen Dank schon jetzt.