Zwischen Ceuta und La Jonquera II: Sommerkrimi in Madrid

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"Radio Chapapote - Zwischen Ceuta und La Jonquera" berichtet dieses Mal über das Thema, das den Sommer über Spaniens Medien beherrschte: den im Mai gewählten "Landtag" von Madrid, dessen knappe Mitte-Links-Mehrheit wegen zweier Überläufer und wahrscheinlich einer "Immobilien-Mafia" abhanden kam.
Anregungen und Kritik bitte an: zculj@yahoo.es
Audio
08:27 min, 8116 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.08.2003 / 10:03

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: Zwischen Ceuta und La Jonquera
Entstehung

AutorInnen: Johannes Mahn
Radio: WW-TÜ, Tübingen im www
Produktionsdatum: 30.08.2003
keine Linzenz
Skript
SOMMERKRIMI IN MADRID

Ein ganz besonderes Sommertheater wurde dieses Jahr in Madrid dargeboten. Es trägt den Titel „Ein schmutziger Sommer oder eine kurze Legislaturperiode“ und ist eine Polit-Kriminalkommödie. Die Handlung sei im Folgenden kurz zusammengefasst:

Vorspiel, 25. Mai
In ganz Spanien finden Kommunalwahlen statt, in vielen Regionen wird auch der Landtag gewählt. Viele erhoffen sich von diesen Wahlen einen Linksruck. Denn zu viele Hämmer hatte sich Spaniens Regierungschef Aznar und dessen rechts-konservative Volkspartei in den letzten Wochen und Monaten geleistet. Die Katastrophe rund um den Öltanker Prestige etwa oder auch das nachdrückliche Eintreten der spanischen Regierung für den dritten Golfkrieg, der gerade seit ein paar Tagen vorbei ist.
Doch die erhoffte Niederlage der Volkspartei bleibt aus. Die Wahlergebnisse bestätigen allerorten nur die bisherigen Mehrheitsverhältnisse. Ein kleiner Lichtblick ist das Bundesland Madrid. Im dortigen Landtag haben Sozialdemokraten und Vereinigte Linke mit 56 Abgeordneten einen Sitz mehr als die Volkspartei. Die bisherige konservative Regierung scheint durch ein Mitte-Links-Bündnis ersetzt werden zu können.

1. Akt, 10. Juni
Die Asamblea de Madrid, also der neugewählte Landtag, hält seine konstituierende Sitzung ab. Zu erledigen sind erst einmal Formalitäten, etwa die Wahl des Parlamentspräsidenten. Doch im entscheidenden Moment kommt alles anders als geplant. 2 sozialdemokratische Abgeordnete fehlen plötzlich und sind auch nicht zu erreichen. Im zweiten Wahlgang gewinnt schließlich die Kandidatin der Volkspartei. Der Eklat ist perfekt. Die beiden Abgeordneten gelten erst einmal als verschollen.

2. Akt, 11. Juni
Eduardo Tamayo, einer der beiden Abgeordneten taucht in einem Hotelzimmer in Madrid auf und gibt dort Presseinterviews. Er sei zwar Sozialdemokrat, wolle jedoch keinesfalls eine Koalition mit Linksradikalen und Kommunisten und habe daher ein Zeichen setzen wollen.
Mit den Kommunisten und Linksradikalen meint er die Abgeordneten der Partei Izquierda Unida, der Vereinigten Linken, die freilich viel zu sehr Realpolitik betreibt, um dieses Label wirklich zu verdienen.
In den vorangegangenen Tagen aber hatte Tamayo seiner Unzufriedenheit mit den angeblichen Kommunisten niemals Ausdruck verliehen. Hatte er also andere Gründe?

3. Akt, Juni, Juli, August

Die Gerüchteküche brodelt. Die Volkspartei reibt sich die Hände angesichts der verlängerten Regierungszeit im Bundesland. Zwar sind sich schließlich alle einig, dass Neuwahlen erforderlich seien. Denn weder Sozialdemokraten noch Konservative wollen ihren Regierungschef mit den Stimmen der beiden Abtrünnigen wählen lassen. Doch behält die Volkspartei nicht nur provisorisch die Macht in Madrid. Sie steigert auch ihre Chancen, die Neuwahlen zu gewinnen. Denn sie versteht es vorzüglich, über ihr nahe stehende Medien – und das sind sehr viele – den ganzen Vorfall als Blamage der Sozialdemokraten zu verkaufen, die ihren eigenen Laden nicht im Griff hätten.
Dass bei den Madrider Sozialdemokraten nicht alles nach idealdemokratischen Regeln abgelaufen ist, ist dagegen tatsächlich nicht zu bestreiten. Im Laufe der Zeit kommt immer mehr über das Zustandekommen der sozialdemokratischen Wahlliste ans Tageslicht – ein Kräftespiel bei dem die verschiedenen Seilschaften der Partei ihren Einfluss messen. Aber überall in der Welt ist das Aufstellen von Wahllisten wohl ein höchst unappetitlicher Prozess.

4. Akt, Juni, Juli, August
Doch es wird noch viel unappetitlicher. Zahlreiche Hinweise deuten darauf hin, dass Mitglieder der Volkspartei und womöglich sogar Regierungschef Aznar schon zuvor wussten, dass die beiden Ex-Sozialdemokraten – denn inzwischen wurden sie aus der Partei ausgeschlossen – ausscheren werden. Und da die Volkspartei ohnehin der Hauptgewinner des ganzen Vorgangs ist, liegt es auf der Hand, Verbindungslinien zwischen Tamayo und der Volkspartei zu suchen.
Die werden auch schnell gefunden: Tamayo ist eng mit Vertretern der Madrider Immobilienbranche befreundet. Die Baulöwen haben von einer Mitte-Links-Regierung wohl tatsächlich Nachteile zu befürchten und daher ein lebhaftes ökonomisches Interesse daran, eine solche Regierung zu verhindern. Im Zusammenhang mit den Nachforschungen wird weiter Schmutz aufgewirbelt, der auf den Filz zwischen Baubranche und Volkspartei hinweist.
Auf ebenfalls nicht ganz legale Weise gelangt der Verbindungsnachweis von Tamayos Telefon an die Öffentlichkeit. Der zeigt, dass Tamayo just in den Stunden vor und nach seinem Untertauchen am 11. Juni nicht nur sehr viele Gespräche mit seinen Immobilien-Amigos geführt hatte. Sondern auch mit einem befreundeten Anwalt. Der wiederum vertritt viele Baulöwen und unterhält über seine Frau auch hervorragende Beziehungen zur Volkspartei, deren Mitglied er zudem ist.
Im Folgenden jagt eine Anschuldigung die nächste, folgt Indiz auf Indiz und Theorie auf Theorie. Schließlich richtet die Asamblea de Madrid eine Untersuchungskommission ein, die aber mehr als Austragungsort einer Schlammschlacht genutzt wird.

5. Akt, 25. August
Die Asamblea beschließt über den Abschlussbericht der Untersuchungskommission. Drei Entwürfe liegen vor. Einer von der Volkspartei, der den Sozialdemokraten alle Schuld in die Schuhe schiebt. Einer von den Sozialdemokraten, der die Volkspartei verantwortlich macht. Und einer von der Vereinigten Linken, der sowohl den Volkspartei-Immobilienkomplott als auch den Parteifilz der Sozialdemokraten benennt, und damit der Realität wahrscheinlich am nächsten kommt. Auch wenn es bis heute keine handfesten Beweise für den Komplott gibt.
Die beiden Überläufer Tamayo und Sáez dürfen mitabstimmen. Und stimmen gegen einen Entwurf nach dem anderen. So findet schließlich gar kein Entwurf eine Mehrheit und die Arbeit der Untersuchungskommission ist ergebnislos beendet.
Bevor diese kurze Legislaturperiode jedoch zu Ende geht, beschließt das Parlament noch einstimmig eine Reform des Wahlgesetzes. Mit ihr werden die öffentlichen Zuschüsse für die Wahlkampfkosten der Parteien erhöht.

Nachspiel
Am 26. Oktober werden also in der Region Madrid noch einmal Landtagswahlen abgehalten werden. 6 Millionen Euro wird allein dieser Spaß kosten. Und zu befürchten steht, dass dieses Mal die Volkspartei nicht nur die stärkste Fraktion erhalten wird, sondern auch die absolute Mehrheit.