Gensojaanbau in Paraquai

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Geschichte Paraquais, die eine Erklärung dafür liefert, warum der (Gen-) Sojanabau heute dieses Land so dominiert.
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Upload vom 25.05.2012 / 10:09

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Umwelt
Entstehung

AutorInnen: Undine Schmidt / Anna Keiderling (Greenpeace München)
Radio: LoraMuc, München im www
Produktionsdatum: 24.05.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Paraguay - dem Weg zur Soja-Exportnation


Wasser, das zum Wasser geht. Das ist die Bedeutung des Wortes „Paraguay“, abgeleitet aus der Sprache Guarani. Guarani, das ist die Sprache der Ureinwohner Paraguays und auch heute noch die meistgesprochene Sprache. Die Naturverbundenheit des Landes Paraguays steckt also schon in seinem Namen. Der Wahlspruch des Landes ist - „Frieden und Gerechtigkeit“. Die Entwicklungen des letzten Jahrzehnts in Paraguay zeichnen jedoch ein anderes Bild: von Naturverbundenkeit keine Spur, weder Frieden noch Gerechtigkeit. Denn im Volksmund gibt es eine neue Grenze im Osten des Landes, ebenso eine neue Republik: denn die Sojagrenze markiert den Anfang der Sojarepublik.
Paraguay grenzt im Osten an Brasilien. Diese Nachbarschaft hat eine lange Geschichte: eine Geschichte, die sehr wichtig ist, um die Entwicklungen des Anbaus von genmodifiziertem Soja zu verfolgen. Denn im Osten des Landes, der Region, die Paraguay zum viertgrößten Sojaexporteur gemacht hat- ist 40% des Landes im brasilianischem Privatbesitz.
Im Dezember 1864 erklärte Paraguays Diktator Lopez Brasilien den Krieg, da er den Eingriff Brasiliens in die Politik Uruguays als Bedrohung empfand. Kurz darauf verbündeten sich Argentinien, Brasilien und die neu an die Macht gekommenen Politiker Uruguays zur sogenannten Tripelallianz. Dieser Krieg dauerte über fünf Jahre und war gemessen an den Verlusten Paraguays wohl eines der verlustreichsten der Weltgeschichte. Nicht nur verlor Paraguay 50% seines Staatsgebietes an die Nachbarn Brasilien und Argentinien, auch verendete die Hälfte der Bevölkerung. Vor diesen Dreibundkrieg war Paraguay der fortschrittlichste und mächtigste Staat der Region. Doch seitdem ist Paraguay nur der kleine Nachbar Brasiliens und steht unter dessen Einfluss - auch im Bezug auf den Sojaanbau.
Eine Reparation für die Kriegsgewinner war nämlich auch ein neues Gesetz für den Landverkauf. Ab 1883 begann die paraguayische Regierung große Mengen an Land billig an ausländische Investoren abzutreten. Dies war der erste Grundstein für die extrem ungleiche Verteilung des Bodens in Paraguay. Doch eine weitere ebenso dramatische historische Periode kann erklären, dass heute ganze 40 % der Ostregion Paraguays in brasilianischen Händen ist. Alfredo Strössner war von 1954 bis 1989 diktatorischer Präsident Paraguays. In Deutschland ist er am ehesten für seine Bemühungen bekannt, Nazis nach 1945 Exil zu gewähren, im Westen allgemein war er für seine anti-kommunistische Haltung beliebt. So erhielt finanzielle Unterstützung durch die USA - und den bayerischen Verdienstorden. Nach einem Bericht der Kommission „Wahrheit und Justiz“ sind aber auch 19% des nationalen Territoriums während seiner 35 Jahre langen Diktatur an Personen gegangen, die Strössner wohlgesinnt waren. Der Diktator Schössner legte den Grundstein für die industrielle, auf Export ausgelegte Landwirtschaft.
Und so wanderten in den 60ern und 70ern zahlreiche brasilianische Siedler und Unternehmer in den Osten Paraguays. Eine halbe Millionen Portugiesischsprachige leben heute in dieser Region. Bei einer Gesamtbevölkerung Paraguays von ungefähr 6 Millionen Menschen ist das eine beachtliche Anzahl. Der brasilianische Einfluss ist also groß und geschichtlich aus mehrerer Hinsicht erklärbar.
Doch was hat das nun mit dem Anbau von genmodifiziertem Soja zu tun? Nun, ebendiese in diesem östlichen Gebieten Paraguays wird heute 2,6 Millionen Hektar Soja angebaut wird. Die grüne Meer könnte flächenmäßig die halbe Schweiz bedecken. Doch nicht nur die Nationalität der Besitzer ist ungewöhnlich, sondern auch auf die Verteilung insgesamt: Paraguay hat eine der ungleichesten Landverteilungen weltweit. 77% des bebaubaren Bodens gehört nur einem % der Bevölkerung. Im Gegensatz dazu stehen die Campesinos. Sie besitzen zehn bis zwanzig Hektar Land, ein wenig Vieh und leben oft von weniger als einem Dollar pro Tag. Sie sind die Leidtragenden der Sojarepublik. In Zahlen heißt das: 200.000 Campesinos kämpfen derzeit um Land.
Die Campesinos leben in kleinen Dörfern, oft bauen sie für den eigenen Verbrauch an, das Geld ist knapp. Ausländische Investoren wiederum bieten viel Geld, ihnen gehört oft schon das gesamte Umland. So entstehen Bilder die für uns unvorstellbar sind: eine Siedlung umgeben von tausenden Hektar Gen-Sojas, fast sieht man die Siedlung nicht mehr, so weit und so groß sind die einheitlichen Felder. Nachempfinden kann man das im neuen Kino-Dokumentarfilm „Raising Resistance“ von Bettina Borgfeld und David Bernet. Dort fährt die Kamera ruhig an den kilometerlangen Feldern entlang und zeigt eine spannungsgeladene Ruhe.
Das Gen-Soja erhielt um das Jahr 2000 seinen Einzug in Paraguay, maßgeblich durch den US-Konzern Monsanto und ausländische Investoren. Täglich werden große Mengen giftiger Pestizide versprüht. Gesetzlich gibt es eine Regelung, die einen Mindestabstand zwischen den Feldern und dem Lebensraum der Menschen vorsieht, doch wird diese selten eingehalten. Die gesundheitlichen Konsequenzen sind dramatisch: ein signifikanter Anstieg an Fehlgeburten, Missbildundungen bei Föten und der Tod vieler Kinder. Hinzu kommen Atmungsprobleme, Vergiftungen und ein deutlich höheres Krebsrisiko. Die Lebensqualität, wenn man denn von einer sprechen darf, nimmt also deutlich ab - und macht das Kaufangebot der Investoren noch attraktiver.
Doch viele potenzielle Käufer belassen es nicht bei attraktiven Preisen und Vergiften- sie ziehen ihre eigenen Methoden zu Rate. Viele Großgrundbesitzer haben ihre eigenen Patrouillen, doch kooperieren diese oftmals mit dem Militär oder paramilitärischen Gruppen. Gewalt steht somit auf der Tagesordnung: Juan Martens von einer paraguayischen Menschenrechtsorganisation hat über 75 Morde an Campesinos zwischen 1989 und 2005 dokumentiert. Bei Konflikten mit Großgrundbesitzern, spielt auch die Polizei eine fragwürdige Rolle. So wurden 6000 Landarbeiter in den vergangenen 15 Jahren verhaftet, 2800 wurden unter Anklage gestellt. Die Anklagen richten sich meist gegen die Anführer des Dorfes, wenn er oder sie sich an die Presse wendet, wird dies besondern ungern gesehen. Bei einer Aussprache zwischen Campesinos und brasilianischen Sojafarmern vom Januar 2008 erklärte ein Brasilianer, einen paraguayischen Beamten sei so einfach zu kaufen wie ein Kaugummi am Kiosk.
Eine Besonderheit des Sojaanbaus ist aber auch der minimale Arbeitsaufwand, der für die Bestellung notwenig ist. 80% dieser Feldfrüchte sind zusätzlich genetisch manipuliert, deren Anbauweise besonders stark mechanisiert ist. Vertrieben hat die seit Jahrzehnten steigende Nachfrage nach der energiereichen Hülsenfrucht deutlich arbeitsintensivere Wirtschaftszweige wie die Holzindustrie, die Viehzucht und die Baumwollherstellung. Diese Entwicklung hat zu viel Arbeitslosigkeit auf dem Land geführt und die Campesinos weiter isoliert. Hinzu kommt die fragwürdige Agrarpolitik, die beispielsweise nur Kredite für den Anbau von genmanipulierten Soja vergibt - dafür aber mit saftigen 30% Zinsen. Die Folge sind zahlreiche verschuldete Kleinbauern; viele verkaufen oder verpachten ihr Land an ausländische Investoren. Doch dadurch entstehen auch soziale Unruhen in den Dorfgemeinschaften, hatte man sich doch anfangs gemeinsam verbündet gegen die Mächtigen Sojakönige.
Und so erklärt sich, warum 120.000 Familien in Paraguay überhaupt kein Land besitzen und somit auch nur in seltenen Fälle eine Einkommensquelle. Eine Datenerhebung in den vier östlichen Regionen hat bestätigt, dass der Sojaanbau zu einer Entvölkerung des ländlichen Raums geführt hat. In den Städten erwartet die Landlosen keine bessere Zukunft. Viele enden in Slums vor den Toren der Hauptstadt Asunción, ohne Perspektive, denn ihre landwirtschaftlichen Fähigkeiten können sie nun auch nicht mehr anwenden.
Doch am 15. August 2008 wurde ein Mann als Präsident vereidigt, der alles ändern sollte: Fernando Lugo. „Der Bischof der Armen“, wie er in Paraguay auch genannt wird, ist der wohl bekannteste Befreiungstheologe des Landes. Er selbst hat auf Feldern protestiert, er kennt die sozialen, wirtschaftlichen, gesundheitlichen und ökologischen Folgen des Sojabooms. Für seine Präsidentschaft versprach er eine Eindämmung des Einsatz von Pflanzengiften und eine grundlegende Landreform. Enteignet werden Großgrundbesitzer, die ihr Land nicht bewirtschaften, gegeben wird es an die Besitzlosen.
Doch die Umsetzung dieser Landreform scheitert an den selben Tatsachen, die die Campesinos einst in die Slum der Hauptstadt trieben. Das Institut für Landverteilung INDERT ist ähnlich korrupt, der Prozess verschleppt sich. Die INDERT-Bauftragen übergeben so auch Ländereien an brasilianische Bürger, welche zwar nicht für die Verteilung qualifizieren, dafür aber die Kommissionen der Beauftragten erfüllen. 50% der Empfänger einer Landparzelle, verkaufen diese wieder, denn die ausländischen Großproduzenten zahlen gut, oftmals das Doppelte. Auf dem Land ist die Gesundheitsversorgung miserabel und das ist bei all den Herbiziden ziemlich ungeschickt. Allgemein erschwert die industrielle Landwirtschaft den Neuanfang der Kleinbauern natürlich: die aggressiven Pestizide schaden den Böden weitläufig, das Grundwasser ist teilweise verseucht, die robusten Gen-Pflanzen verbreiten sich selbstständig. Doch ein Einstieg in den Anbau von Gen-Soja ist ebenso folgenschwer: nicht nur kostet das patentierte Gen-Saatgut, auch die passende Pestizide müssen regelmäßig für viel Geld vom gleichen Konzern abgekauft werden. In Paraguay ist das mit 90% Marktanteil hauptsächlich der Konzern Monsanto, er liefert die Roundup Ready Soybeans und das dazu passende Roundup Ready Herbizid.
Und so begab es sich, dass Paraguay, der kleine Nachbar Brasiliens mit der großen Geschichte, heute der viertgrößte Sojaexporteur der Welt ist. Im Jahr 2010 hat Paraguay eine Rekordernte von 8,4 Millionen Tonnen Soja eingebracht, der größte Abnehmer ist die europäische Union. Wir importieren nämlich ganze 40 Tonnen Soja pro Jahr, das meiste davon ist genmanipuliert; in der EU werden nur 0,3 Millionen Tonnen produziert - wie auch? In Deutschland ist der Anbau von genmanipuliertem Saatgut ja auch verboten. Nur verfüttern, das ist unproblematisch.

Kommentare
26.05.2012 / 14:48 Andreas R., coloRadio, Dresden
gespielt am 26.05.12. coloRadio
Danke!