"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Abtreibungsverbot -

ID 49151
 
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Der Absturz der griechischen Pasok-Sozialisten bei den Wahlen vom letzten Wochenende lässt darauf schließen, dass die angeblich linksradikale Parteienallianz Syriza nichts weiter ist als die neue Pasok. Man kann das problemlos überprüfen, nämlich in den programmatischen Aussagen zum Thema Staatspersonal.
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11:51 min, 14 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 19.06.2012 / 10:52

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Umwelt, Arbeitswelt, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 19.06.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Ich zitiere aus einem Beitrag des Syrizia-Beraters Theodoros Paraskevopoulos: «Es braucht erstens eine gut funktionierende Steuerverwaltung und ein einträgliches und gerechtes Steuersystem – ganz klassisch. (...) Es braucht darüber hinaus auch Maßnahmen zur Motivierung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. So sind etwa die Heerscharen von RegierungsberaterInnen abzuschaffen, die in den letzten Jahren den Staatsapparat lahm gelegt haben.» Kein Wort davon, dass der Staat auf sämtlichen Stufen überflüssiges und unnützes Personal beschäftigt, Leute, die im Rahmen einer radikal klientelistischen, man wagt fast nicht von Organisation zu sprechen, eingestellt wurden als Belohnung für dies und jenes und auch noch anderes. Die Schuld an der Misere des Staates tragen laut Syriza die externen Berater, und die Probleme mit den Staatsbediensteten sind zu lösen, indem man sie besser motiviert. Na dann zum allgemeinen Wohlsein.

Jetzt haben die konservativen Klientelisten die Wahlen gewonnen, das ist offiziell das Wunschergebnis der EU, weil damit der Sparkurs fortgesetzt werden kann und Griechenland in der Eurozone bleibt. Das ist und bleibt pervers, und ich will nicht hoffen, dass die offizielle Haltung der EU auch der tatsächlichen Einschätzung entspricht. Sparen im Konsumbereich und bei den Minderbemittelten ist idiotisch, wogegen das richtige Sparen, sprich die Strukturreformen, bisher wohl noch gar nicht angepackt wurden. Gegen die Sparprogramme wurde immer heftig protestiert, aber von einer Umsetzung ist mir bisher noch nichts zu Ohren gekommen, mindestens was den größten Krisenherd angeht, nämlich eben die öffentliche Verwaltung. Und so gehe ich davon aus, dass sich Athen weiterhin von Sparprogramm zu Sparprogramm und von einer Neuwahl zur nächsten schleppt, ohne dass wirklich etwas geschieht, solange bloß die Geldlieferungen aus dem Ausland nicht ausbleiben.

Zu diesen Geldlieferungen ist noch anzufügen, dass sie zu schönen Teilen direkt vom Schuldendienst aufgefressen werden, will sagen, dieses Geld fließt nicht nach Griechenland, sondern an die Deutsche Bank, und das ist auch der tiefere Grund dahinter, dass die EU diesen Staat nicht sofort seinem Schicksal überlässt; zuerst müssen die offenen Verbindlichkeiten gegenüber dem Bankensektor auf ein erträgliches Maß zurück finanziert werden, erst dann sind all die Prozesse rund um die Wiedereinführung der Drachme möglich, ohne dass das europäische Bankensystem in eine weitere existenzielle Krise abrutscht. Das dürfte allerdings jetzt bald einmal der Fall sein. Noch eine Kredittranche der Troika für Griechenland, sprich für die europäischen Banken, und dann kann man diesen Staat fahren lassen. Ich nehme an, dass die Börsen genau aus diesem Grund so positiv auf die Griechenland-Wahl reagiert haben: Es geht weiter wie gewohnt, die Griechen greifen nicht zu jenem Geheimrezept, das ich ihnen seit Jahr und Tag predige und auf das eben auch die angeblich linksextremen Syrizaner nicht im Traum zurückgegriffen hätten. Also noch einmal: Prosit und zum Allgemeinwohlsein.

Im Nachbarland Türkei wirkt dertweilen als Ministerpräsident der Herr Erdogan, über den ich schon manches lobende Wort verloren habe, weil er nach meiner Einschätzung genau im Bereich der staatlichen Organisation bzw. bei der klientelistischen Verschränkung mit den alten korrupten Eliten in der Privatwirtschaft und in der Armee recht ordentlich aufgeräumt hat. Es wäre dabei nicht korrekt, sofort die gleichen Maßstäbe anzulegen wie z.B. für Deutschland; wichtig ist hier vor allem die Entwicklungsrichtung, und die habe ich, bei allen gelegentlichen Rückschlägen, grundsätzlich als modern empfunden. Besonders wohltuend war dabei die Abkehr von der paranoiden Leugnung nur schon der Existenz einer kurdischen Bevölkerung in der Türkei. Selbstverständlich ist damit der Annäherungsprozess in keiner Art und Weise abgeschlossen, wie sowohl die Attentate der kurdischen Freiheitsbewegung als auch die anhaltenden Massaker der türkischen Armee in kurdischen Gebieten belegen. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass auf einer tragenden Ebene unter vielen Oberflächen die Dinge in Bewegung geraten waren, und zwar eben nicht nur in der Kurdenfrage. Umso stärker war die Verblüffung, als Kamerad Erdogan anfangs Juni plötzlich die Eingebung hatte, dass Abtreibung Mord sei und verboten gehört. Was hat den jetzt gepackt? Die offizielle Drei-Kind-Politik der Türkei kann es nicht sein, denn die wird nicht durch die Abtreibungen gefährdet, sondern ganz einfach vom modernen Lebensstil. Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat Erdogan doch einen größeren Sprung in der Schüssel, als ich bisher angenommen habe, oder aber er hat etwas vor mit der islamischen Geistlichkeit in seiner Partei, von dem ich aus Distanz nicht erkennen kann, was es sein könnte. Einen besonderen Handlungsbedarf im Spannungsfeld zwischen Sunniten und Schiiten kann ich nicht ausmachen, in der Türkei ist der Islam ordentlich weltlich eingekleidet, was auch immer Wellen des größten Vergnügens erzeugt, wenn besonders intelligente Kommentatoren in Deutschland und anderswo von der AKP als einer islamistischen Partei sprechen; das wäre etwa ähnlich, wie wenn man den Vatikan als evangelikale Organisation bezeichnen täte. Der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien lässt ebenso wenig spontan die Notwendigkeit der Aktivierung einer religiösen Schiene erkennen. Die irakischen und iranischen Auseinandersetzungen möchte die AKP wohl ebenfalls lieber nicht im eigenen Land; haben die ein Auge auf das Erdöl in Baku geworfen? Eine Partnerschaft mit Aserbeidschan? Wie man so hört, hat auch Israel seine Zusammenarbeit mit den Aseri intensiviert, das passt zur Zusammenarbeit mit den Türken, vor allem gegen den Iran, und der Iran hat denn auch seinen Botschafter aus Baku zurückbeordert und vice versa, nachdem der Oberste Religionsführer Ayatollah Ali Khamenei jüngstens keine Landeerlaubnis auf dem Flughafen Baku erhalten hatte. Daneben stehen in Aserbaidschan nicht nur NATO-Flughäfen, sondern auch russische Radar-Anlagen, was das kosmopolitische Gehabe dieses Landes ungefähr illustriert. Aber zurück zum Türken: Sind islamisch-erdöltechnische Bande der Hintergrund für ein religiöses Manöver, mit dem erwünschten Nebeneffekt, den ungeliebten christlichen Armeniern eins auszuwischen ebenso wie den europäischen Politikern, welche lautstark das Eingeständnis einfordern, dass es sich beim Tod von einer Million Armenierinnen und Armeniern vor hundert Jahren um Völkermord gehandelt hat. Oder bereitet Erdogan mit diesem Rückschritt auf der einen Flanke gerade eine Bewegung in der anderen Sache vor? – Man wird das demnächst sehen, denn der Genozid feiert in drei Jahren das hundertjährige Jubiläum, und ich gehe schon davon aus, dass sich die Türkei darauf angemessen vorbereitet.

Eine andere Geschichte habe ich letzte Woche in der Zürcher WochenZeitung gelesen, und zwar geht es dabei um die Ems-Chemie, also jenen Konzern, dem unser bekannter Rechtsnationalist Christoph Blocher seinen Milliardenreichtum verdankt, indem er ihn vor gut dreißig Jahren der Besitzerfamilie Oswald abgeluchst und anschließend saniert hat. Die Ems Chemie war ursprünglich ein eher rustikal chemischer Betrieb mit dem Namen Hoval, was für Holzverzuckerungs-AG steht und ein Verfahren bezeichnet, mit dem während dem Zweiten Weltkrieg, als Benzin in der Schweiz absolute Mangelware war, Holz in Treibstoff umgewandelt wurde, ein grausam unwirksames Verfahren, das wirklich dem Kriegsrecht zuzuordnen ist und dementsprechend nach Kriegsende sogleich wieder fallen gelassen wurde. Sogleich heißt in unserem Fall: nach 10 Jahren, denn so lange verfügte das Unternehmen noch über Lieferverträge mit dem Schweizer Staat, und es bedurfte einer veritablen Schweizerischen Volksabstimmung, dass die entsprechenden Subventionen im Jahr 1956 abgeschafft wurden. Zuvor aber, im Jahr 1953, hatte die Hoval einen neuen Produktezweig aufgetan, nämlich eine synthetische Textilfaser mit dem Namen Grilon, das sozusagen aus dem Nichts auf den Weltmarkt trat. Dieses Nichts entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als nichts anderes als die ehemalige IG Farben bzw. deren Fabriken in Schkopau, Leuna und Schwarza. Konkret handelt es sich um Professor Johann Giesen, den Generaldirektor der IG Farben Werke Leuna, der nach dem Krieg dank den Beziehungen des Hoval-Besitzers Oswald in die Schweiz zog, auf dem Umweg über ein weiteres ehemaliges IG-Farben-Werk in Uerlingen, wo er fristlos entlassen wurde, weil er dem Kollegen Oswald heimlich eine moderne Produktionsanlage nach deutschen Bauplänen installiert hatte. Giesen rekrutierte Spezialisten aus Ostdeutschland für die Emser Werke, die mit ganzen Rucksäcken an Produktionsunterlagen anreisten. In den Folgejahren kam weiterer Nachschub dazu, junge Chemiker, die sich darüber wunderten, dass die Ems Chemie aussah wie eine Kopie der Fabrikgebäude in Leuna. Der Verfasser des Artikels zieht Bilanz: »So entsteht in der Schweizer Provinz, ausgelöst durch den steten Know-how-Transfer aus Ostdeutschland, aus einer unbedeutenden kleinen Chemiebude ein heute milliardenschwerer Weltkonzern.» – Der sich eben zudem im Besitz der Familie Blocher befindet, heute konkret der Blocher-Tochter Magdalena Martullo, die in letzter Zeit von sich reden gemacht hat wegen mehrerer Anzeigen wegen Industriespionage, übrigens. Und ebenfalls übrigens: Geschrieben wurde der Artikel von einem Herrn Martin Kreutzberg, den ich stark im Verdacht habe, seinerseits ein Gewächs aus der ehemaligen DDR zu sein und dort Theaterwissenschaften studiert und praktiziert zu haben, inklusive einiger Filmarbeiten und Intendanturen, falls es sich nicht um den Rechtsanwalt Martin Kreutzberg handelt, der in Tartu in Estland Mitglied der Anwaltskanzlei Tanel Melk & Partners Law Firm Ltd ist. Ich vermute aber, dass es sich um eben den anderen Herrn Kreutzberg handelt, der bis 1962 an den Städtischen Bühnen Karl Marx Stadt gearbeitet hat und dann nach den Studien Dramaturg am Maxim-Gorki-Theater Berlin war, bis er 1979 in die Bundesrepublik wechselte und begann, auch in der Schweiz zu arbeiten. Daneben arbeitet dieser Martin Kreutzberg seit 1992 auch für den Mitteldeutschen Rundfunk. Und betreut zu guter Letzt heute das Mitteilungsblatt des Quartiervereins Fluntern hier in Zürich.

Ansonsten nicht viel Neues hier bis auf die Tatsache, dass die neutrale Sicht, nämlich ich demnächst wieder meinen Jahresurlaub in Italien antreten werde, was mir dann wieder Anlass sein wird für einen ausführlichen Lagebericht. Vorab kann ich schon mal sagen, dass wir diesmal nicht mit dem Zug reisen werden, denn alle entsprechenden Nachtzüge auf unserer Linie sind gekappt worden. Die italienischen Staats-Eisenbahnen sind eben durchaus dem griechischen Staat zu vergleichen: Die müssen so viele Angestellte beschäftigen und bezahlen, da kann man es sich schlicht nicht mehr leisten, auch noch Züge fahren zu lassen.