"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Syrien

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Dass der iranische Präsident Ahmadinejad ständig so herum blinzelt, hat nichts mit dem Kleider-Code zu tun. Tatsächlich trägt der Iraner, soweit er in der Politik tätig ist, in erster Linie weder Schlips noch Schleier, will sagen keine Krawatte und keinen Beduinen-Umhang, sondern einen grauen Anzug mit weißem Hemd, und oben verpasst einem der Staatscoiffeur eine grau melierte mittellange Frisur mit Seitenscheitel, während man vom Staats-Optiker eine Brille erhält.
Audio
10:39 min, 12 MB, mp3
mp3, 160 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 12.07.2012 / 15:55

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 10.07.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die trägt Ahmadinejad nicht, aber eben, blinzeln tut er nicht deswegen, sondern es ist der Ausdruck dafür, dass er nicht die materielle Welt, sondern die dahinter liegende sieht. Ein Markenzeichen, ein Brand, so wie der Obernazi Hitler seinerzeit immer die Hände über sein Geschlecht schlug, nicht um es im Zaum zu halten, sondern um es irgendwie zu transzendieren. Die Transzendenz im Geschlechtlichen ist übrigens ein interessanter Bereich, wenn ich mir den Hinweis erlauben darf mit dem Verweis darauf, dass der Orgasmus ja oft «der kleine Tod» genannt wird, ganz abgesehen davon, dass Orgasmus in jedem Fall als Kurzform von Organismus gelesen werden muss, aber dies nebenbei. Jedenfalls tut der Ahmadinejad so, als wäre er praktisch blind und damit letztlich ein Seher. Eine solche Pose passt recht gut in eine Bevölkerungslandschaft, in der noch mit viel Religion gekocht wird und die politische Führung unter der Knute der Ayatollahs steht. Trotzdem scheint er bei den Wahlen im März den jüngsten Machtkampf mit dem Chef der Ayatollahs, Ali Khamenei, verloren zu haben, aber was das für konkrete Auswirkungen hat, weiß ich nun wieder nicht so genau. Dagegen bin ich nicht abgeneigt, die iranische Einschätzung des Syrien-Konflikts zu teilen, wonach nämlich die Revolte gegen Bashir Al Assad, die zu Beginn durchaus auch vom Geist des arabischen Frühlings geprägt gewesen sein mag, unterdessen einen ziemlich gegenteiligen Charakter angenommen hat, indem einerseits Saudiarabien und seine Verbündeten mit Geld und Waffen in den Bürgerkrieg eingegriffen haben und ihn vielleicht überhaupt erst zu einem solchen eskalieren haben lassen, während anderseits die US-Amerikaner die Gelegenheit benutzen, um den Russen den letzten Flottenstützpunkt im Mittelmeer abzujagen und gleichzeitig nach dem Irak nun auch noch Syrien unter US-Aufsicht zu bringen. Die Präsenz der US-Marine im persischen Golf dient durchaus nicht nur, vielmehr dient ganz und gar nicht der Schreckung von Ahmadinejad und Konsorten im Zusammenhang mit dem Streit um die Atomaufbereitung, sondern es handelt sich um schlecht getarnte Angriffsmaßnahmen unseres Volkshelden Barack Obama, zusammen mit den salafistischen Saudis, auf den letzten einigermaßen unabhängigen Knotenpunkt in dieser Region. An dieser Variante halte ich für den Moment fest und werde darin unter anderem dadurch bestätigt, dass die syrischen Rebellen unterdessen Schweizer Handgranaten werfen, welche unsere Rüstungs-Kleinfirma Ruag produziert hat und anschließend an die Vereinigten Arabischen Emirate lieferte. Wo sich Erdöl und Geopolitik Gute Nacht sagen, da sollte man übrigens auf eine tränenüberströmte Berichterstattung über unschuldige Opfer in der Zivilbevölkerung und vor allem unschuldige Opfer des eigenen blutrünstigen Regimes besser verzichten – entsprechende Anklagen und Vorwürfe richtet man am besten direkt an das Weiße Haus und an sein Gegenstück in Riad. Das Geklön über den Widerstand von Russen und Chinesen gegen antisyrische Maßnahmen im UN-Sicherheitsrat gehört da grad mit dazu. Ich finde übrigens in den Erklärungen des Sonderbeauftragten Kofi Annan kein einziges Wort, das dieser Interpretation widerspricht. Aber offen ins Gesicht hinein darf man so was seinem Auftraggeber natürlich nicht sagen.

Mit all dem will ich nicht behaupten, dass Assad ein lupenreiner Demokrat sei oder die große Schwalbe des arabischen Frühlings, der sich übrigens auch zusehends seinem Sommer zuneigt mit all den Wahlerfolgen von Moslembrüdern und Salafisten in der ganzen Region. Allerdings entpuppen sich die Moslembrüder als weit weniger finstere Gestalten, als man sie sich vorgestellt hatte. Und wenn sie in demokratischen Wahlen an die Macht kommen und die grundlegenden Spielregeln der Demokratie einhalten, so wollen wir sie loben, schätzen und ehren und sie als leuchtendes Vorbild zum Beispiel den Ungarn vorspiegeln, oder den Rumänen, soviel steht fest.

Übers Wochenende war ich nach langer Zeit wieder mal in Paris. Es ist schon verblüffend, welche Begriffe aus der jüngeren Kultur und Geschichte einem da laufend über den Weg kreuchen, von der Bastille über die Rue Daguerre, eine Réaumur-Haltestelle, den Boulevard St-Michel, das Odéon, all die Bahnhöfe bis zu den verschiedenen Toren und Stadtvierteln, man fühlt sich sofort heimisch in dieser Welt der Zeichen und Bezeichnungen, während man sich in den Straßen dann doch besser am Stadtplan orientiert. Extrem effizient arbeitet die Métro, die in den Spitzenzeiten im 2-Minuten-Takt fährt; gleichzeitig ist sie auch ein kleines Schaufenster für die sozialen Realitäten der Stadt mit den vereinzelten Bettlern, Musikantinnen und Obdachlosen. Insgesamt möchte ich diese Stadt als leicht dreckig, etwas versifft bezeichnen. Auch in Mittelklassehotels stehen Polstergruppen herum, die sich in anderen Ländern nicht mal die billigste Absteige leisten würde. Dafür sitzen darin sehr schön angemalte und ausstaffierte Personen herum. Vermutlich steht die leichte Luftverschmutzung in engem Zusammenhang mit dem nationalen Geschäft der Parfümerie, das bekanntlich auf Madame von Pompadour zurückgeht mit den Töpfen mit verrottenden und duftenden Blumen, welche den Gestank der durchschnittlichen Hofschranzen, aber auch des ganz schrecklich aus dem Maul stinkenden Königs Ludwig XIV. vertreiben sollten. Daneben macht mir vor allem die Métro einen ziemlich nervösen Eindruck, alle Leute rucken mit ihren Augen sehr schnell über die anderen hinweg und bewegen sich auch in Windeseile herum, hinaus und hinein. Das erstreckt sich bis in die populären Quartiere hinaus. Einer unserer Abstecher endete an der Métro-Station Château Rouge, und wenn man dort auf die Straße tritt, dann befindet man sich, soweit man weißer Hautfarbe ist, in einer erdrückenden Minderheit neben ungefähr 20 Prozent AraberInnen und 70 Prozent Schwarzen. Das tut zwischendurch auch ganz gut, und so kann sich eine durchschnittliche Pariserin, wenn sie sich mal die Realitäten auf der ganzen Welt vor Augen führen will, einfach in die entsprechenden Quartiere begeben, und soweit sie eine Métro-Monatskarte hat, kostet sie das nicht mal einen Cent an Transportkosten, während sie umgekehrt so interessante Sachen wie einen Ingwersaft für 3 Euro trinken kann oder eine garantiert echte Louis-Vuitton-Tasche für 10 Euro erwerben. Aber dafür braucht man nicht in die populären Viertel zu fahren, solche Angebote finden sich auch rund um die Bahnhöfe der Innenstadt.

Insgesamt aber eine sehr lebendige Stadt, und eben eine Stadt, in der einem auf Anhieb extrem viel bekannt vorkommt, auch wenn man noch gar nie dort war; und wenn man sich vorstellt, man würde all die Versprechen, die hinter den Ortsnamen stehen, einmal außerhalb der Touristensaison einlösen, inklusive all der Museen und kulturellen Veranstaltungen, von denen die Stadt geradezu strotzt, dann und unter solchen Bedingungen kann man den Besuch nur empfehlen. Einer der Menschen, die ich dort getroffen habe, lebt seit einiger Zeit in Brüssel, weil sich die Stadt Paris seiner Meinung nach insgesamt immer mehr in ein Museum verwandelt. Das mag durchaus sein, aber eben, für einen Besucher und Museumsliebhaber ist das durchaus attraktiv. Daneben hat man in all dem leichten Siff und all der leichten Ungepflegtheit immer den Eindruck, es existiere am Rand oder in einer Sphäre leicht darüber noch eine weitere Gesellschaft, in der alles fast klinisch sauber ist und wo die Menschen nicht nur gut aussehen, sondern auch besonders gut riechen, nämlich nach Geld, das bekanntlich nicht stinkt. Und das macht insgesamt den Mief dieser Stadt aus, die ich trotz alledem weiter empfehle.

Daneben habe ich noch gelesen, dass der Softwareriese Microsoft sich jetzt auf die Produktion von Hardware verlegen will, namentlich im Tablet-Bereich, da es sich gezeigt hat, dass die Kooperation mit externen Hardwareherstellern im gewissen kritischen Bereichen zu langsam ist. Zum anderen ist denen offenbar aufgefallen, dass sich Apple vor zwei Jahren bei der Lancierung des iPad riesige Mengen an qualitativ hoch stehendem Aluminium gesichert hatte für die Herstellung eben dieses Tablets, was ein weiteres Argument für die Herrschaft über die ganze Produktionskette darstellt. Microsoft hat für ihr neues Surface-Tablet ein Magnesium-Gehäuse gewählt, und ich gehe davon aus, dass die nächste Kunstturn-Weltmeisterschaften abgesagt werden müssen, weil sich die Sportler die Hände nicht mehr mit Magnesium einreiben können, weil keines mehr auf dem Markt ist. Insgesamt gehe ich allerdings davon aus, dass Microsoft mit diesem Schritt in den nächsten Sachzwang taumelt, nämlich ein zusätzliches Verkaufssystem für die Hardware aufzuziehen, was durchaus nicht identisch ist mit den Software-Verkaufskanälen, ganz abgesehen davon, dass das Unternehmen in Konkurrenz tritt zu den bisherigen Partnern. Insgesamt aber finde ich es lustig, wie die Firmenphilosophien immer wieder hin und her pendeln zwischen vertikaler Integration, also dem Beschluss, den ganzen Produktionsprozess vom Rohstoff bis zum Endprodukt unter einem Dach zu behalten, und anderseits der Auslagerung oder Verteilung an Zulieferfirmen, die ihrerseits eigenständig auf dem Markt auftreten. Da gibt es wohl keine zeitübergreifende Maxime. Manchmal ist das eine richtig und manchmal das andere. Wenn ich mir die Softwarepreise so ansehe, habe ich den Eindruck, Microsoft würde klüger bei ihrem Leisten bleiben und sich ihrer Lizenzeinnahmen erfreuen als schon wieder in Konkurrenz zu treten zu Macintosh. Aber vielleicht ist der Umfang des gesamten Tablet-Marktes trotz allem nicht so gewaltig, dass er an der Firmenausrichtung groß etwas zu ändern vermag. Und umgekehrt steht Microsoft trotz allem nicht unter dem Druck, alle paar Jahre oder sogar Monate eine Erfindung präsentieren zu müssen, welche den Technik- und Kommunikationsmarkt revolutioniert, wie dies bei Apple der Fall ist. Hier war die Präsentation der iCloud wohl eine grafische Darstellung davon, wo sich Steve Jobs jetzt befinden mag, aber ansonsten warte ich wie die meisten anderen Menschen so ungeduldig auf die Ankündigung davon, was ich als nächstes dringend brauche, dass ich wohl gegenüber Apple renitent werde, wenn die nicht dieses Grundbedürfnis in nächster Zeit mal wieder so richtig ordentlich befriedigen.