Europa erklärt Teil 1: Das Europäische Parlament

ID 51878
 
AnhörenDownload
Europa: multinationales Bürokratiemonster zur Festlegung des Krümmungswinkels der Standard-Gurke oder Modell zur Überwindung nationalstaatlicher Egoismen auf dem Weg in eine freie, multikulturelle Gesellschaft? In lockere Folge beschäftigt sich RDL im Rahmen von Focus Europa mit den europäischen Institutionen und versucht, die durchaus nicht einfachen Strukturen europäischer Machtausübung zu erklären.

Teil 1: Das Europäische Parlament
Audio
06:32 min, 6129 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 02.11.2012 / 10:57

Dateizugriffe: 609

Klassifizierung

Beitragsart: Anderes
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Internationales, Politik/Info
Serie: Focus Europa
Entstehung

AutorInnen: Volker
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 02.11.2012
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Europaparlament

Das Europaparlament wird für fünf Jahre in allgemeinen, unmittelbaren, freien, geheimen aber ungleichen Wahlen von den BürgerInnen der EU gewählt.

Als gewählte Volksvertretung übt das europäische Parlament Teile der Gesetzgebungsfunktion (Legislative) aus – allerdings nur zusammen mit den Rat der Europäischen Union (Vertreter der Regierungen der Mitgliedsländer – vergleichbar dem Bundesrat in BRD). Es ist nur für begrenzte Bereiche der Legislative zuständig. Insbesondere verfügt es über keine Gesetzgebungsinitiative – diese liegt allein bei der Europäischen Kommission (der Exekutive)
Das europäische Parlament hat weiterhin kein Mitentscheidungsrecht bei allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, sowie der Wettbewerbs – und Außenhandelspolitik! (es muss nur angehört werden)
Das europäische Parlament genehmigt zusammen mit dem Europäischen Rat den Haushalt der EU
und übt eine Art demokratischer Kontrolle über EU-Organe einschließlich der Europäischen Kommission aus, indem es die Kommissionsmitglieder (Vorschlagsrecht des Europäischen Rates) bestätigt – es kann die gesamte Kommission mit 2/3 Mehrheit abwählen
Es hat seinen Sitz in Straßburg mit wichtigen Institutionen in Luxemburg und Brüssel – die dadurch notwendige ständige Reisetätigkeit der Parlamentarier mit hohen ökonomischen und ökologischen Kosten und Zeitverschwendung ist ein besonderes Ärgernis und überwiegend nationalen Egoismen der Gastgeberländer der Institutionen (also Frankreich, Belgien und Luxemburg) geschuldet.

Eine Besonderheit ist die ungleiche Wahl: Länder mit geringerer Einwohnerzahl sind stärker repräsentiert - der Fachbegriff dafür lautet : degressive Proportionalität – das bedeutet 1 deutscher Parlamentarier repräsentiert 850000 BürgerInnen ein Maltese 62000 – im EU Schnitt sind es 667000 - dies verletzt den demokratischen Grundsatz gleichen Stimmengewichts, also der gleichen Wahl – Hintergrund ist der Wunsch, auch kleinen Staaten zu politisch pluraler (vielfältiger) Vertretung zu verhelfen, was nicht möglich wäre, wenn kleine Nationen nur über 2 oder 3 Stimmen verfügen würden.

Zur Zeit hat das Europaparlament 754 Abgeordnete – sie erhalten ein Gehalt von 7.646,99 Euro plus 4200 Euro Aufwandsentschädigung – dazu kommen noch rund 4000 Beschäftigte des Parlaments, vor allem ÜbersetzerInnen, AssistentInnen und andere Hilfskräfte.
Das Parlament hat sich in Fraktionen gegliedert, die wichtigsten sind (Stand 2012):
Europäische Volkspartei (christlich-konservative) 271 Sitze, Sozialdemokraten (190 S.), Liberale (85), Grüne (58). Es besteht faktisch eine seit Jahrzehnten bestehende große Koalition der christlich-konservativen und der Sozialdemokraten, die alle notwendigen Absegnungen des Parlaments durchführen.
Zusammenfassung: in der aktuellen Entwicklung der europäischen Institutionen ist das Europaparlament nach Stärkungen seiner Befugnisse auf halben Weg zur echten Volksvertretung. Wichtige Etappen waren die Verträge von Maastricht 1992 und Lissabon 2007.
Dennoch ist das Europaparlament noch deutlich von einer von den BürgerInnen gewählten, effektiven Institution der Gesetzgebung und der Regierungskontrolle, wie sie in den meisten demokratischen Ländern üblich ist, entfernt. Das Parlament wählt die Regierung, also die europäische Kommission nicht, sondern nickt einen Vorschlag des Europäischen Rates ab. Es kann die Zustimmung verweigern – nur ist dies noch nie vorgekommen – auch ein möglicher Misstrauensantrag (2/3 Mehrheit notwendig) wurde noch nie versucht. In der Praxis wird daher eine nicht gewählte Regierung von den Ministerrat der europäischen Union ernannt, und vom Parlament 'pseudolegitimiert'.
Weiterhin sind wichtige Politikbereiche, insbesondere die Außen -, Sicherheits- und Handelspolitik dem Einfluss des europäischen Parlaments, das heißt der Volksvertretung, entzogen.
Es ist erkennbar, dass die Politik das Demokratie-Defizit der Europäischen Institutionen, insbesondere des Parlaments wahrgenommen hat. Seit etwa 2 Jahrzehnten ist eine zunehmende Stärkung der Rechte des Europaparlaments zu beobachten. Noch stehen jedoch die nationalen Regierungen mit ihrem Machtanspruch einer weitergehenden Zuständigkeit des europäischen Parlaments im Wege. Auch innergesellschaftlich ist in den meisten Mitgliedsländern der Entscheidungsprozess, Rechte von den nationalen Parlamenten und Regierungen auf die europäische Ebene zu verlagern noch nicht abgeschlossen – in vielen Fällen wurde er nicht einmal richtig begonnen.
So bleibt das europäische Parlament in den Augen vieler BürgerInnen ein teurer Papiertiger ohne echte Befugnisse. Seine Funktion, als Vollvertretung die durchaus inzwischen eingeführten Momente einer europäischen Regierung (europäische Kommission) zu kontrollieren und zu beeinflussen, kann das Europaparlament in der jetzigen Form nur deutlich eingeschränkt wahrnehmen.