Titica - eine queere Kuduro-Musikerin aus Angola

ID 53652
 
Ein Beitrag über die Sängerin und Tänzerin Titica. Titica hat es als trans* Person und als Frau geschafft, in dem nicht sehr queerfreundlichen Angola sehr bekannt und erfolgreich zu sein. Ihre Musikrichtung ist der Kuduro.
Audio
10:42 min, 15 MB, mp3
mp3, 192 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 12.02.2013 / 20:56

Dateizugriffe:

Klassifizierung

Beitragsart: Rezension
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Frauen/Lesben, Internationales
Entstehung

AutorInnen: sakura
Radio: Transgenderradio Ber, Berlin
Produktionsdatum: 12.02.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Die Musik die ihr grade gehört habt war das Stück Chao Chao von Titica. Titica ist eine angolanische Musikerin und Tänzerin die ich euch jetzt vorstellen möchte.
Titica hat es als trans* Person und als Frau geschafft, in dem nicht sehr queerfreundlichen Angola sehr bekannt und erfolgreich zu sein. Ihre Musikrichtung ist der Kuduro.
Wie ihr gehört habt, ist Kuduro eine Mischung der unterschiedlichsten Musikstile, und vor allem auch ein Tanz. Kuduro ist portugiesisch beziehungsweise angolanisch und heisst harter Hintern. Die Legende sagt, dass Kuduro von den seltsamen Tanzbewegungen von Jean Claude van Damme im Film „Karate Tiger 3“ inspiriert ist. Kuduro wird von Männern und Frauen gleich getanzt, oft stehen sich Gruppen von Tänzer_innen gegenüber oder in einer Linie. Zu den schnellen Beats wird mit schnellen, fast schon zuckenden, aber auch kreisenden Bewegungen des (harten?) Hinterns und des Oberkörpers getanzt. Es ist also ein recht körperbetonter Tanz. Wenn ihr mögt findet ihr auf unserer Webseite einen Link zu einem Video, in dem Titica zeigt wie Kuduro getanzt wird.

www.youtube.com/watch?v=qSo9hNn1XDk


Musikalisch ist Kuduro vor allem sehr Rap-lastig, Reggae und Dancehall, aber auch Technoeinflüsse sind deutlich. Und anders als im oft homophoben Dancehall, gibt es im Kuduro offenbar auch Platz für Musikerinnen wie Titica, die inzwischen auch ausserhalb von Angola bekannt ist, und als eine der besten Kuduro Musiker_innen gilt. In Angola gibt es diese Musikrichtung schon seit den 90er Jahren, und mit der zunehmenden Bekanntheit von Kuduro kopieren inzwischen auch westliche Musiker_innen diesen Stil. Die Musik wird heute, abgesehen vom Gesang, grösstenteils elektronisch erzeugt, teilweise sogar auf zu Musikcomputern umfunktionierten Handys.

Titica steht für die Vielfalt der Lebensformen die heute in Luanda, Angolas Hauptstadt, möglich sind. Einerseits ist dort Homosexualität verboten, und fundamentalistische und extrem intolerante Richtungen des Christentums sind auf dem Vormarsch, andererseits scheint es wenige Kuduro-Anhänger_innen zu interessieren ob ihre Musik von männlichen, weiblichen oder transgender Musiker_innen produziert wird. Allerdings sind auch im Kuduro die bekannteren Musiker_innen männlich.
Bemerkenswert an Musik in Angola generell ist, dass sie auch eine große Bedeutung in den Unabhängigkeitsbestrebungen hatte. Die Musik ist auch heute noch ein wichtiger Bestandteil einer eigenständigen angolanischen Kultur. In der sozialistischen Zeit in Angola nach der Unabhängigkeit von Portugal 1975 emigrierten viele Musiker_innen, denn auf die Unabhängikeit folgten fast 30 Jahre Bürgerkrieg. Dabei standen sich die von der Sowjetunion unterstützte Regierung und die Unita-Rebellen, die von den USA und Südafrika unterstützt wurden, gegenüber. Die Unita gewann. Der Krieg ist auch im Kuduro präsent. Einerseits macht die Musik einen sehr positiven, lebensbejahenden Eindruck, andererseits imitieren die Tanzbewegungen zum Teil das Gehen mit Krücken und amputierten Beinen. Es wird sich aber auch über westliche Medienbilder der hungernden Afrikaner_innen lustig gemacht. Auch in Titicas Videos fällt der zur Schau gestellte Reichtum auf. Sie betont in ihren Videos einen modernen, hedonistischen Lebensstil. Angola erlebt heute ein Wirtschaftswachstum, das vor allem auf dem Rohstoffreichtum des Landes basiert. Viele Angolaner_innen haben und hatten das Bedürfnis dem Alltag zu entfliehen, wobei der Kuduro in den Clubs eine wichtige Rolle spielt.

Titica veröffentlichte ihr erstes Stück als Sängerin im Oktober 2011, und hatte schnell großen Erfolg. In ihrer Musik spricht sie sich für Toleranz unterschiedlicher Lebensweisen und gegen Rassismus aus. Trotz aller Positivität der Musik ist das ein wichtiges Thema. In Interviews erzählt Titica, dass sie in ihrem Alltag mit Gewalt und Diskriminierung zu kämpfen habe. So wurde sie schon mit Steinen beworfen und geschlagen. Viele Leute hätten noch Vorurteile gegenüber queeren Lebensweisen, das ganze Thema sei ein großes Tabu. Allerdings ändert sich momentan in Angola einiges, was manche auf die Präsenz von queeren Charakteren in den beliebten brasilianischen Telenovelas zurückführen. Auch wenn Homosexualität in Angola offiziell verboten ist, sind vergleichsweise wenig Fälle bekannt in denen dieses Gesetz umgesetzt wird. Damit ist Angola offener als viele Nachbarländer, und es gibt gleichzeitig Bestrebungen für ein Gesetz das Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität verbietet.

Titica kam über den Tanz zum Kuduro, schon als Kind lernte sie Ballett, was sie heute, mit 26, sehr gut in ihren Musikvideos nutzen kann.
Ihre Musik ist für Kuduro geradezu poppig, einige ihrer Stücke haben einen langsamen Rhythmus, während im Kuduro eigentlich aus dem Techno entlehnte 4/4-Takte mit 130 bis 140 bpm Standard sind. Es gibt viele Verbindungen zum Rap, und wie bei Rap gibt es auch viele Musiker_innen, die sich gegenseitig dissen, wobei die Stadtviertel aus denen die Musiker_innen kommen eine wichtige Rolle spielt. Zur Verbreitung der Musik in den 90er Jahren trugen besonders die Taxifahrer_innen in Luanda bei. Kuduro-Musiker_innen verteilten ihre CDs kostenlos an die Fahrer_innen, die die Musik dann bekannt machten. Besonders während des Krieges waren die Autoradios für viele die einfachste Möglichkeit Musik zu hören.

Wenn euch Titicas Musik gefällt solltet ihr die Augen offen halten, sie ist in den letzten Jahren schon ein paar mal in Berlin aufgetreten, daher kann es gut sein dass sie hier weitere Auftritte hat. Ansonsten findet ihr sie bei Youtube, und jetzt könnt ihr noch ihr Stück „Kusi di Pole“ hören.