"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Die Welt im März 2013 -

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Ich stehe immer noch ein bisschen im Bann der Verschwörungstheorien von Kamerad Wisnewski, zweifellos hauptsächlich wegen der Verwandtschaft gewisser Vermutungen mit den meinen, natürlich nicht bezüglich der arierfeindlichen Tendenzen in den Vereinigten Staaten von Amerika mit den dunkelhäutigen und ...
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10:40 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 20.03.2013 / 08:37

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Andere
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 20.03.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
... eventuell eben doch in Kenia geborenen Präsidenten und all den dunkelhäutigen Richtern und Bürgermeistern, und es hätte nicht viel gefehlt, und es wäre uns auch noch ein schwarzer Papst dazu gekommen. Auch das Lamento gegen die UNO will ich nicht teilen, welche uns beziehungsweise euch einen Costaricaner schickt, um das fein ziselierte Schulsystem mit der hoch effizienten Behinderten- und Begabtenförderung zu verhackstücken und in eine Einheitsschule kollektivistischen Zuschnitts zurechtzustutzen. Ich hege zwar auch in Bezug auf die Schule durchaus meine Bedenken, brauche dafür aber keinen UNO-Emissär aus Costa Rica, da reichen mir die hausgemachten Debatten und die Praxis der höchstmöglichen Verwirrung im Unterricht völlig aus. Und ich bin mir auch nicht so absolut sicher, ob es im Iran tatsächlich eine weit verbreitete Praxis der Zeitehe gibt, welche auch schon mal nur auf 30 Minuten geschlossen werden kann und somit mindestens den vor- oder nachehelichen Seitensprung legalisiert, ebenso wenig, wie ich von der absoluten Harmlosigkeit und gar vom Philosemitismus der iranischen Ayatollahs und des iranischen Premierministers Ahmadinejad überzeugt bin. Trotzdem stimme ich Wisnewski zu 100% darin zu, dass gegen den Iran eine Medienkampagne am Laufen ist, die von den zuständigen Stellen in Washington oder in der UNO oder der Nato oder von was weiß ich denn orchestriert wird, ungefähr ähnlich wie in Syrien, wo sämtliche Gräueltaten tendenziell den Regierungstruppen angelastet werden, während die Rebellen immer nur mit Wattebäuschchen gegen Bashir al Assad vorgehen, aber das kennt Ihr ja bereits. Und hier ist Wisnewskis Fragestellung eben nicht so abwegig wie in anderen Bereichen, nämlich: Was soll das alles? Wollen die US-Amerikaner tatsächlich diese Region beherrschen? – Und wenn die Antwort zunächst sowieso Ja lautet, weil dort die größten Erdölreserven liegen, was die Komplizität der US-Amerikaner mit den mittelalterlichen salafistischen Saudi-Stammesfürsten erklärt inklusive der Unterstützung aller antidemokratischen Bewegungen in dieser Region durch die Saudis, während die USA offiziell die demokratischen Strömungen unterstützen, wenn dieser Sachverhalt also offen auf dem Tisch liegt, so bleiben doch manche andere Fragen unbeantwortet. Was macht denn der Russe? Unabhängig von der Niederlage im Afghanistan-Krieg steht fest, dass es sich sowohl bei Afghanistan als auch beim Iran und bei Syrien um Länder handelt, in denen Russland früher, jetzt und in Zukunft ein Wort mitzureden haben wird, sei es als Handelspartner oder als Waffenlieferant. Hier befindet sich in der Tat seit mindestens 10 Jahren eine direkte Frontlinie zwischen Russland und den Vereinigten Staaten, bei der ich angesichts des zähflüssigen und langlebigen Charakters der Zeit selber die Russen deutlich im Vorteil sehen gegenüber den US-Amerikanern, welche in dieser Region eigentlich nicht so überragend viel verloren haben. Militärisch gesehen verfügen sie mit Israel über so etwas wie einen recht gut vertäuten gigantischen Flugzeugträger und mit der Türkei über einen echten Waffenpartner, aber für eine echte Dominanz bis zum Hindukusch reicht das auf Dauer nicht aus.

Was macht der Russe? – Im Moment offenbar nicht allzu viel, wenn man davon absieht, dass er antisyrische Resolutionen im UNO-Sicherheitsrat blockiert. Aber neben der militärstrategischen Komponente hat die Tatsache, dass im Süden eine direkte Frontlinie besteht mit dem, na ja, nennen wir ihn halt so, wie es ist: Erzfeind USA mit Sicherheit Auswirkungen auf die innenpolitische Lage. Ich gehe davon aus, dass Wladimir Putin durchaus nicht oder mindestens nicht ausschließlich wegen eines Anfalls von Despotismus mit immer stärkerer Repression gegen seine politischen Gegner vorgeht. In den westlichen Medien wird das selbstverständlich dargestellt als Rückkehr zum Zarentum oder sogar als ein Schritt auf dem Weg zurück in den Stalinismus. In Tat und Wahrheit braucht es vor dem Hintergrund dieser regionalpolitischen Lage nicht einmal eine effektive Unterstützung durch die US-Geheimdienste für die demokratische Opposition, um die Nervosität der russischen Regierung zu erklären. Hier wird das große Spiel gespielt, da sind Pussy Riot und solche Sachen absolute Kinkerlitzchen.

Und wie hält sich dabei der Chinese? – Man kann davon ausgehen, dass die Chinesen, wie jedes vernünftige Nation, zunächst einmal auf die eigenen Interessen schauen, und die werden wohl so aussehen, dass sie versuchen, ihren Einflussbereich auszudehnen, ohne dabei die materiellen Grundlagen ihrer Macht zu gefährden. Und die chinesische Macht beruht gegenwärtig in erster Linie auf Geld; im offiziellen diplomatischen Bereich bestehen wohl noch massive Defizite. Bloß ist Geld ja auch nicht völlig unbedeutend. Anstelle von großen Abmachungen und Interventionen haben die Chinesen in den letzten Jahren ihre Präsenz eher subkutan aufgebaut mit Millionen von Händlern und Unternehmern, in den USA selber, wo die entsprechenden Infrastrukturen schon lange bestehen, in Lateinamerika, seit vielen Jahren auch sehr gezielt in Afrika und zum Teil auch in Europa, wobei mir vor allem Italien als Stützpunkt für die chinesische Exilwirtschaft aufgefallen ist. All dies geht parallel zu den gewaltigen Handelsflüssen, die nach wie vor gänzlich ungestaut in sämtliche Weltgegenden strömen. Diplomatisch aber hält man sich noch zurück bis auf wenige Ausnahmen in der unmittelbaren Nachbarschaft; und in Vorderasien unterstützen die Chinesen offensichtlich die Russen, wobei hier die zugrunde liegende Absichten wohl nicht Vorderasien, sondern vielmehr die Zusammenarbeit entlang der russisch-chinesischen Grenzen und im Pazifik beschlagen.

Die US-Amerikaner dagegen treten seit bald 20 Jahren, seit dem ersten Angriff von Bush Senior auf Saddam Hussein, im Nahen Osten mit der imperialen Geste auf, welche von den Neokonservativen nach dem Rückzug aus Vietnam in Ansätzen entwickelt, unter Präsident Reagan ausgebaut und dann mit Vater und Sohn Bush und ihren BeraterInnen zur vollen Blüte getrieben wurde. Ich bin geneigt, diese Haltung als vormodern einzustufen, aber wenn man natürlich genügend Geld hat, um eine Invasionsarmee für die gesamte Welt zu unterhalten, dann kann man sich solche Späße natürlich leisten. Bis sie irgendwann einmal nicht mehr finanzierbar sind. Und an diese Grenze scheinen die USA nun gestoßen zu sein.

Garantiert ist dies noch lange nicht, denn die militärische Gewalt wird in der Regel auch dazu benutzt, um die Opfer dieser militärischen Gewalt auszuplündern. Dazu habe ich bisher noch nichts Gescheites gelesen, aber auf die eine oder andere Art findet das mit Sicherheit statt. Trotzdem steht der Truppenabzug aus Afghanistan auf der Agenda, aus dem Irak ist man weitgehend draußen, und nach Syrien werden die US-Amis wohl keine Invasionsmacht entsenden. Es ist somit über kurz oder lang mit einer Rückkehr zu früheren Zuständen zu rechnen; ich kann mir nicht vorstellen, dass die Vereinigten Staaten ihre Militärpräsenz ausschließlich mit Drohnen aufrecht erhalten können, zumal es vermutlich schon längst Abwehrdispositive gegen solche Drohnen gibt, welche allerdings offensichtlich den mittelalterlichen Al-Kaida-Kriegsherren noch nicht zur Verfügung stehen, ganz im Gegensatz zu den Russen, welche aber diesbezüglich allem Anschein nach stille gehalten haben. Das wiederum lässt darauf schließen, dass es den Russen gar nicht so unangenehm war, dass die Amerikaner in Afghanistan ein bisschen auf die Pauke gehauen haben. Jetzt, wo sie abziehen, können sie die früheren Beziehungen nach und nach wieder aktivieren.

Und was macht denn eigentlich der Europäer in dieser Lage? Im Rahmen der Nato sind sie zum Teil in die militärischen Okkupationshandlungen eingebunden, halten sich daneben aber vornehm zurück, was den Mittleren Osten angeht; dagegen spielen die postkolonialen Verbindungen nach Afrika weiterhin zuverlässig auf allen Ebenen. Die Beziehungen zu den ehemaligen Kolonien in Südamerika dagegen haben sich weitgehend normalisiert; hin und wieder entsenden diese Länder noch einen Schulinspektor, welcher das deutsche Schulsystem umkrempeln will, aber abgesehen davon befinden sie sich auf ihren eigenen Wegen, die jeweils recht unterschiedlich ausfallen und uns manchmal modern anmuten, zum Beispiel im Fall von Chile oder Uruguay oder vor allem die jüngste Entwicklung in Brasilien, zum Teil exotisch wie die halbsozialistischen Experimente in Bolivien, Ecuador und Venezuela und zum Teil nur ärgerlich wie gerade Argentinien, das zu institutionellen Reformen schlicht nicht in der Lage zu sein scheint. Immerhin haben die jetzt einen Papst.

Insgesamt aber hält sich Europa weitgehend bedeckt und agiert soweit normal, wobei im Moment wohl auch die Dynamik innerhalb der Europäischen Union einem aggressiveren Auftreten enge Grenzen setzt. Man hat da noch nicht so recht zu einem gemeinsamen Nenner gefunden. Noch nicht einmal die Frage ist geklärt, ob Deutschland nun der große Profiteur oder der große Verlierer der europäischen Einigung bzw. der Einführung des Euro sei. In Deutschland selber fühlen sich die BewohnerInnen mehrheitlich als Bezahl-Esel, während die anderen Länder unter dem Übergewicht der deutschen Exportwirtschaft ächzen und stöhnen und nicht wissen, wie sie ihre eigenen Volkswirtschaften im Lot halten sollen. Aber auch hier wird sich die Lage verbessern, spätestens dann, wenn Spanien wieder auf festem Boden steht, und das dürfte in absehbarer Zeit der Fall sein. Was die Franzosen wollen, erschließt sich mir nicht so richtig; dass man dem Hollande vorwirft, er halte seine Wahlversprechen nicht ein, erscheint mir etwas frivol, denn damit wird ja unterstellt, Wahlversprechen seien überhaupt dafür da, eingehalten zu werden, und davon ist mir in der jüngeren Geschichte der Menschheit, so ungefähr seit Hannibal überhaupt nichts bekannt. Unklar ist mir vielmehr der zentrale Punkt, ob sich die französische Elite, die wohl in keinem anderen Land dieses Kontinents eine derart schöne Ausprägung und Identität hat, ob sich diese Elite irgendwie dazu entschließt, europäische Standards in Sachen Unternehmensführung, Staatsverwaltung oder wobei auch immer zu übernehmen oder ob es ihr gelingt, ihre elitären Strukturen in die Moderne zu retten, ohne dabei das Land in den Ruin zu treiben, das ist mir nicht klar. Aber ich sehe eigentlich gar nicht ein, wieso das ausgerechnet mir klar sein sollte.