"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Boston -

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So gut kennen wir das kollektive Bewusstsein unterdessen, dass wir wissen, dass es unbedingt einen Schuldigen brauchte nach den Bombenanschlägen in Boston, sozusagen koste es, was es wolle.
Audio
11:33 min, 21 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 23.04.2013 / 09:40

Dateizugriffe: 273

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 23.04.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Zwei Fast-Tschetschenen, das war sicher eine gute Wahl des FBI, die Bevölkerung tanzt auf den Straßen, und daneben kann weiter ermittelt werden, sofern das die Geheimdienste tatsächlich noch interessiert. Dafür, dass es wirklich gerade die Gebrüder Zamajew waren, spricht vorderhand nicht wirklich viel, insbesondere nicht die Umfeld-Informationen, welche wir als regelmäßige Konsumenten von Kriminalserien wie «Der Profiler» und so weiter unterdessen sehr hoch gewichten. Alles, was uns die Polizei glauben machen will, tönt extrem unwahrscheinlich. Wir vertrauen vorderhand fast blindlings der Mutter Zamajew, wenn sie sagt: Meine Söhne wurden reingelegt. Ja, sie wurden reingelegt, aber eigentlich nicht aus böser Absicht, sondern einfach, weil die Bevölkerung unbedingt einen Schuldigen brauchte, oder halt eben zwei. Zwei islamistische Dampfkochtopf-Attentäter. Ausgezeichnet. Fall erledigt. Laut Meldungen vom Montag konnte der jüngere Zarnajew zwar nicht sprechen, gab aber bereits schriftlich Auskunft auf die Fragen der Untersuchungsbehörden. Das ist wirklich wunderbar.

Eines aber ist mir bei den Kommentaren zu den Bostoner Anschlägen immer wieder ins Ohr gestochen, nämlich die Betonung der Risiken, welche es mit sich bringt, in einer freien Gesellschaft zu leben. Mit Verlaub oder, eigentlich bedeutend viel besser: ohne Verlaub und dafür mal im Ernst: Wir leben nicht wirklich in einer freien Gesellschaft. Insbesondere die Vereinigten Staaten sind ein gigantischer Überwachungsstaat, nicht nur im Inland, sondern weltweit, bei dem man fast froh sein muss, dass sich die verschiedenen Geheimdienste gerne auch mal konkurrenzieren. Zum zweiten kann man Bombenattentate nun einfach nicht im Ernst als einen Beweis für eine offene Gesellschaft interpretieren, sonst wäre nämlich Bagdad einer der freiesten Orte auf der ganzen Welt. Solch eine bekloppte beziehungsweise vielmehr absichtliche Verdrehung der offensichtlichsten Tatsachen gibt sogar mir, der ich eine riesige Toleranz gegenüber Blödsinn jeglicher Art habe, doch zu denken.

Tschetschenen und Araber, da ist überall nix Gutes drin, außer es würde sich grad gegen einen anderen Araber richten, zum Beispiel eben gegen diesen Despoten Bashir al Assad, gegen den die Rebellen immer nur mit humanitären Wattebäuschchen vorgehen, darüber habe ich hier schon verschiedentlich berichtet. Nun ist aber gar der Pulitzer-Preis für Fotografie im Wert von 10'000 Franken vergeben worden für eine Foto, welche die Rebellen gegen Assad an ihren Wattebäuschchen zeigt, also an ihren Gewehren, wie sie da in einem Haus aus ihren Schießscharten zielen. Unglücklicherweise handelt es sich beim dekorierten Werk um ein tatsächlich dekoriertes, nämlich verschönertes Werk, um ein Photoshop-Produkt, wie man relativ schnell feststellt. Der Lichteinfall aus den Einschusslöchern in der gegenüber liegenden Wellblech-Wand wird mit pädagogisch wunderbar aufgefrischten Spuren nachgestellt, welche die Flugbahnen der Geschosse dokumentieren, aber in Tat und Wahrheit auf eine Lichtquelle verweisen, die so gar nicht existieren kann, es sei denn, draußen wären zirka fünf 50’000-Watt-Scheinwerfer in unterschiedlichen Winkeln auf diese Wand gerichtet. Aber diesen Luxus kann sich doch der Assad-Schurke gar nicht mehr leisten. Am schönsten ist dabei jener zweitdickste Lichtstrahl, der sich aus zirka Bildmitte oberes Drittel nach rechts unten ergießt; der macht nämlich sogar noch einen Bogen um eine Ecke in der Seitenwand, wo dann eigentlich laut Physik trotz dem wellenförmigen Charakter des Licht-Phänomens keine Lichtpartikel hinfallen dürften, mindestens nicht in dieser Strahlenform, aber stattdessen tritt der Strahl hier erst richtig leuchtend an die Wand beziehungsweise von der Wand hervor. Dem Scharfschützen in zentraler Position fällt dabei noch ein zarter Lichtstrahl aus einem Einschussloch ums Ohr, welcher sich laut den Regeln der Lichtfortpflanzung beziehungsweise der Geometrie einfach nicht dort befinden dürfte beziehungsweise mindestens keine uns zugewandten Teile seiner Kopfbedeckung illuminieren sollte. Das Teil ist klar ersichtlich eben eine Photoshop-Arbeit an einer Foto, welche sonst einfach wie hunderttausend andere Fotos zwei Männer in einem Verhau zeigen würde und ihre Pulitzer-Ehre erst durch die Strahlen der Bildbearbeitung erhalten hat.

Der Staub von über hundert Tagen mit Geschoßeinschlägen, Bombardements und Feuergefechten hing in der Luft, steht im Kommentar, und das ist ebenfalls erstaunlich, weil er zwar in den Lichtstrahlen hängt, während dagegen die Gesichter der zwei tapferen Kombattanten in einer durchaus erfreulichen Klarheit zu erkennen sind, was angesichts des herrschenden Dunkels natürlich hilfreich ist.

Muss man sich darauf einen Reim machen? Nicht wirklich. Die Jury wollte ein Foto mit syrischen Rebellen, und die hat der mexikanische Freelance-Bildermacher und Kriegs-Tourist Javier Man­za­no geliefert. Der Pulitzer-Preis ist offensichtlich eine weitere Promotionsanstalt für eingebettete Jour­nalisten, was die korrekte Übersetzung ist für «Freelance». Eingebettet braucht er gar nicht in die Armeeführung zu werden, obwohl Javier Manzano offensichtlich mehrere Wochen mit den US-Truppen in Afghanistan verbracht hat; es reicht schon, wenn der Journalist jene Fotos hervor bringt, welche die Öffentlichkeit braucht, so wie eben die Reporters sans Frontières vom französischen Waffenproduzenten Dassault gesponsort werden. Kriegsberichterstattung, Authentizität, öffentliche Meinung und Waffenschieberei, das ist alles dasselbe.

Die weiteren Pulitzer-Preise gehen zum Beispiel im Bereich «Breaking News Reporting», sozusagen Frontberichterstattung im Inland, an die Denver Post für ihre tapfere Reproduktion der Polizeiberichterstattung anlässlich des Kino-Massa­kers in Aurora während der Première des Batman-Films, und zwar unter Berücksichtigung der Social Media wie Facebook und Twitter. Ihr erinnert Euch vielleicht, dass ich vor etwas mehr als einem Monat hier den Verschwörungstheoretiker Wisnewski zitiert hatte, welcher verschiedene Ungereimtheiten bei diesem Attentat schildert, welche sich ziemlich perfekt mit jenen beim Attentat in Boston decken – Plausibilität gleich null gleich Pulitzer-Preis. – Aber dies nur am Rande. – Der Pulitzer-Preis für internationale Reportagen geht an David Barboza von der New York Times für die Schilderung der Vermögensverhältnisse des damaligen chinesischen Premierministers; für die nationale Reportage erhalten Lisa Song, Elizabeth McGowan und David Hasemyer von der Inside­Cli­mate News aus Brooklyn den Preis für ihre Reportage über ein Leck in einer Pipeline mit Flüs­sig-Bitumen im US-Bundesstaat Michigan im Jahr 2010, bei dem rund 4 Mio. Liter dieser Flüssig­keit «austraten», weil das gesamte Pipelinesystem in den USA morsch ist und kaum kon­trol­liert wird. Dieser Artikel ist selbstverständlich im Kontext der aktuellen Entscheidung zum Keystone- Pipeline-Projekt zu lesen, durch welche die Kanadier ihr Erdöl in die USA pumpen wollen. Dage­gen regen sich erhebliche Proteste in den USA, eben unter anderem von Seiten der Umweltschützer, welche auf das Kyoto-Protokoll verweisen, aber vor allem eben die Sicherheitsstandards kritisieren. Dazu passt übrigens die Meldung von Exxon von Anfang April, dass im südlich gelegenen Bundes­staat Arkansas etwa 300'000 Liter Dilbit ausgetreten seien. Unser aller Obama scheint grundsätzlich gegen das Keystone-Projekt zu sein, riskiert damit aber ernsthaft Krach mit dem benachbarten Kanada, welches auf die entsprechenden Einnahmen angewiesen ist, so wie die Schweiz auf die Gelder der deutschen Steuerhinterzieher.

Hach, diese Wendung! Schön, was? Nachdem sich nun sogar der Chef des FC Bayern Uli Höness als Steuerhinterzieher geoutet hat mit einem Konto in der Schweiz, nicht aber mit einem globalen Offshore-Konstrukt, was wir ihm hoch anrechnen wollen, unter der Bedingung, dass es ihm nicht einfach gut gelungen ist, das Konstrukt zu verstecken, nach diesem Outing also jubilieren und tirilieren die SPD-Wahl­kämpferInnen über alle Maße und recken sich in der Pose der Steuer-Saubermänner. Dagegen ist übrigens noch nicht mal etwas einzuwenden, bloß sind noch ein paar Details zu klären: Nämlich ist dieses Steuergeheimnis, welches ja eben nicht nur in der Schweiz existiert, sondern auch in Luxemburg und kurioserweise sogar in Österreich, ja nicht einfach eine Erfindung der üblen Schweizer Gnome zur Ausplünderung der anderen Ländern, sondern es ist das logische Ergebnis der Kräfteverhältnisse im umliegenden und überhaupt globalen Umfeld. Will sagen, wenn die EU mitten in ihrem Zentrum einen schwarzen Fleck aufweist, in welchem EU-Recht nicht gültig ist – einmal abgesehen von der Tatsache, dass die Mitgliedländer eh ihre eigenen Steuervorschriften haben –, dann ist das nicht einfach das Werk der Schweizer Stierenköpfe, sondern dahinter steckt mindestens ebenso viel EU-Kalkül, wie ich immer wieder sage: Wie schon damals unter dem Adolf. Die Steuergesetze in Frankreich und Deutschland wurden seinerzeit erlassen in Anbetracht dessen, dass die reiche Elite ihre Knete auf die eine oder andere Art vor dem Fiskus in Sicherheit bringen würde. Das erklärt auch die ansonsten recht unerklärlich hohen Spitzen-Steuersätze in diesen Ländern. Erst mit der Schulden- und Staatsschuldenkrise ergab sich die Notwendigkeit für die einzelnen Länder, ihre Einnahmen auch von den reichen Säcken in die Höhe zu treiben, und nur so erklärt sich das internationale Gesumms um Steuerflüchtlinge, Bankgeheimnis und eben Offshore-Konstrukte.

Grundsätzlich ist allerdings nichts gegen die Steuerehrlichkeit einzuwenden, denn dann kann man auch wieder mal vernünftig über die Organisation der Besteuerung sprechen. In den Vereinigten Staaten wäre dann dafür zu sorgen, dass alle Karibik-Inseln steuerrechtlich am Schlafittchen gefasst würden, ebenso wie die Steuerparadiese im US-Inland. Die paar Pazifik-Inseln kriegen wir hinterher dann auch noch. Solange dies noch nicht gelungen ist, werden wir weiterhin Meldungen lesen wie jene, dass die argentinische Familie Bàez, enge Freunde der argentinischen Präsidentin Kirchner, ihr Geld vor dem Fiskus, also vor dem Staat justament von Cristina Kirchner, in der Schweiz in Sicherheit gebracht hat. Mit hoher Wahrscheinlichkeit im Wissen und mit Zustimmung der Präsidentin. Der Zürcher Tages-Anzeiger schildert das wie folgt: «Um keine Spuren zu hinterlassen, wurden Geldsäcke im Privatjet des Unternehmers Làzaro Bàez von Buenos Aires zu einem kleinen Flughafen nach Montevideo in Uruguay geflogen. Dort sorgte ein geschmierter Zöllner dafür, dass der Geldtransfer unbehelligt blieb. Mittels 40 bis 45 Offshore-Gesellschaften in der Karibik wie die «Teegan» wu5rde das Geld in der Schweiz parkiert.» – So geht das nämlich zu und her in Argentinien, das seine Staatsschulden sowieso etwas anders interpretiert als ein durchschnittliches europäisches Land. Es ist wohl kein Zufall, dass Argentinien als jenes Land gilt, das hauptsächlich von emigrierten Italienerinnen und Italienern kolonisiert wurde. Irgendwie passen Silvio Berlusconi und Cristina Kirchner wirklich ganz ausgezeichnet zusammen.

Und in Deutschland haben wir die Hönessens, in Frankreich die ENA-AbsolventInnen usw. usf., welche sich allesamt Steuerberaterinnen und Anwältinnen leisten können, welche das internationale Finanz- und Steuerrecht bis in die Details kennen und, wie in Deutschland unter der Regierung Schröder geschehen, es zum Teil sogar selber schreiben. Was sagt uns das? Eigentlich nichts, außer dass es im Kern nicht auf die Reichen und die Halbreichen ankommt, sondern darauf, unter welchen Bedingungen die große Mehrheit der EinwohnerInnen lebt und welche Hoffnungen sie sich leisten können.