Serbische Bewegung „Otpor“ wird Partei (für zip-fm)

ID 5514
 
Anmoderation: Serbiens Parteienlandschaft befindet sich im Umbruch. Seit dem offiziellen Zusammenbruch der DOS-Koalition am 20. November werden täglich neue Bündnisse geschmiedet. Denn eine Wiederkehr des Zweckbündnisses zum Sturz von Milosevic wird es nicht mehr geben. Bei den für Ende des Jahres angekündigten vorgezogenen Neuwahlen des Parlaments wird es also spannend. Auch die für den Umsturz vor drei Jahren so wichtige Bewegung „Otpor“ beteiligt sich nun aktiv daran. Sie hat sich in eine Partei umgewandelt. Aus Serbien berichtet Stefan Tenner.

Audio
06:26 min, 3013 kB, mp3
mp3, 64 kbit/s, Stereo (22050 kHz)
Upload vom 20.11.2003 / 23:44

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Internationales
Serie: interaudio.org
Entstehung

AutorInnen: Stefan Tenner
Radio: corax, Halle im www
Produktionsdatum: 20.11.2003
keine Linzenz
Skript
Sendetext:

Am 5. Oktober 2000 kam es in Serbien zum Sturz von Milosevic. Mobilisiert hatte damals vor allem die Bewegung „Otpor“, zu deutsch Widerstand. Und dieser wurde gewaltlos und mit treffenden Kampagnen, Massendemonstrationen und überall im Land verbreiteten Parolen und Symbolen letztendlich zum geplanten Erfolg geführt. Das alles Dank dem Rückhalt in der Bevölkerung und der finanziellen Unterstützung aus dem Westen. Doch die vergangenen drei Jahre waren in Serbien Jahre einer zerstrittenen Politik. Die Erben Milosevic – das einst aus 18 Parteien bestehende Bündnis DOS, hat sich nun endgültig aufgelöst. Am 28. Dezember finden in Serbien vorgezogene Neuwahlen statt. Auch die Otpor-Bewegung will nun mit dabei sein.

Otpor: Im Moment gründen wir eine politische Partei. Denn die Werte für die wir kämpfen wurden durch die regierenden Parteien in den letzten drei Jahren gefährdet. Sie habe nicht das gemeinsame Interesse der Bevölkerung erkannt und sie kämpfen allein für persönliche oder Parteiinteressen. Das konnte man bei den nun erneut gescheiterten Präsidentenwahlen sehen. Die Radikalen haben dabei mehr als 1Millionen Stimmen gewonnen. Die große Apathie der Wähler vertieft dabei die politische Krise. Deshalb haben wir uns entschieden nicht wie bisher nur den demokratischen Prozeß zu kontrollieren. Der beste Weg ist dabei, als politische Partei an den Wahlen selbst teilzunehmen und selbst auf der politischen Bühne vertreten zu sein.

Sagt Ivan Marovic, Mitglied im Vorstand von Otpor. Die am 16. November wegen zu geringer Wahlbeteiligung schon zum dritten Mal in Folge gescheiterten Präsidentenwahlen waren ein Schock für sie. Wäre die Abstimmung gültig gewesen, hätte der in Umfragen favorisierte DOS-Kandidat eindeutig gegen den Kandidaten der nationalistischen Radikalen Partei verloren. Otpor will deshalb als künftige Partei vieles anders machen.

Otpor: Das erste für das wir kämpfen, ist die Etablierung demokratischer Institutionen und die Basis für eine demokratische Gesellschaft. Das hatten wir in den letzten drei Jahren nicht. Das Andere ist der Bruch mit dem alten Regime, mit dem alten System. Das heißt auch verantwortliche Personen vor ein Gericht zu stellen, um sie zur Verantwortung zu ziehen für das was sie getan haben. Das einzige Mitglied des früheren Regimes das verhaftet wurde, war nur Milosevic. Und all seine Verbündeten wurden in Ruhe gelassen. Nun sehen wir, daß sie zurückkommen, denn wir haben diesen Bruch nicht vollzogen.

Wir wollen zu aller erst einen Sinn in die politische Landschaft bringen. Wir arbeiten mit allen demokratischen Partei gut zusammen. Aber zwischen Ihnen besteht der totale Hass, jeder hasst jeden. Das ist total verrückt hier. Wir wollen zeigen, dass Politik nicht Privilegien, Geld und Macht ist. Politik sollte die Interessen der Bevölkerung vertreten. Wir wollen dafür ein Modell sein. Wir sehen, dass die politische Landschaft hier noch nicht komplett ist. Die Parteien stehen auf keiner ideologischen Basis. Wir werden die erste Partei sein die nicht auf einer Führungsperson basiert.

Es ist hart für jede politische Partei, denn bis jetzt gibt es kein faires Spiel in diesem Fußballspiel. Es ist sehr schwer Tore zu schießen. Zuerst müssen wir einige Regeln aufstellen, eine neue Verfassung verabschieden. Erst dann werden unsere Ansichten mehr zur Sprache bringen können.

Seit dem endgültigen Bruch der DOS-Koalition, wurden in den letzten Tagen zahlreiche neue Bündnisse geschmiedet. Eine erste Neuordnung der politischen Landschaft in Serbien hat begonnen. Wieviele Stimmen rechnet sich „Otpor“ bei der kommenden Wahl aus?


Otpor: Wir hoffen, ins Parlament zu kommen. Wir sind nicht so verrückt, die Mehrheit der Stimmen zu erwarten. Wir sind eine neue Partei und unsere Zeit wird in den nächsten Jahren kommen. Hier herrscht eine totale Konfusion, Apathie und Enttäuschung bei den demokratisch orientieren Wählern. Denn sie haben für ein Team gestimmt, dass sich in drei Fraktionen aufgespaltet hat. Diese drei unterscheiden sich kaum und es fehlt der politische Wille zusammenzuarbeiten. So muss eine andere Gruppe kommen, die diesen Willen zeigt und das ist die Rolle in der wir uns sehen.

„Otpor“ lebte bisher von den guten Kontakten zu westlichen Regierungen, was Ihnen einiges an Glaubwürdigkeit genommen hat. Denn nach Meinung der Kritiker war Otpor nicht viel mehr als ein Werkzeug für die USA und Westeuropa um Milosevic zu stürzen. Wie wird sich Otpor künftig finanzieren?

Otpor: Als Nichtregierungsorganisation haben wir uns von Spenden der prominentesten europäischen und amerikanischen Stiftungen finanziert. Das war nach unserem und dem Gesetz dieser Länder ein normaler Vorgang. Das gute ist nun, dass ab Januar 2004 ein neues Gesetz über Parteienfinanzierung in Kraft tritt. Wir werden die erste Partei in Serbien sein, die sich von Anfang an nach dem neuen Gesetz finanziert. Eine Finanzierung mit „schmutzigem Geld“, wie sie zuvor bei den Parteien üblich war, ist damit nicht mehr möglich. Nun muss alles veröffentlicht werden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine finanzielle Unterstützung vom Staat.

Ortswechsel und letzte Frage an Ivan Marovic. In Georgien erinnern zur Zeit vieles an die Ereignisse in Serbien vor drei Jahren. Welche Beziehungen hat „Otpor“ zur Oppositionsbewegung in Georgien?

Otpor: Was Otpor vor drei Jahren getan hat, war eine große Inspiration für viele junge Leute in der ganzen Welt. Was hier passiert ist, sehen sie als erfolgreiche Geschichte. Es ist sehr wichtig für junge Leute, politisch aktiv zu sein. Und für die eigenen Rechte und für Freiheit zu kämpfen. In Georgien kopierten sie sogar unser Symbol der geballten Faust. Wir haben Kontakte zu ihnen und helfen ihnen mit Ratschlägen, was zu tun ist. Und sie haben einige unserer Methoden, den eines gewaltlosen Kampfes übernommen. Wir wünschen ihnen Glück dabei.