"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Schildkröten -

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Wer wird beim FBI heilig gesprochen, wenn sich ein ermittlungstechnisches Wunder ereignet? Die zuständige Ermittlungsbeamtin oder ihre Vorgesetzte, welche sich das Ding ausgedacht hat?
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mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 10.06.2013 / 10:44

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 10.06.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Im vorliegenden Fall kenne ich beide nicht und kann somit keine Empfehlung abgeben, aber verdient hätten sie es sicher beide, die Verantwortlichen dafür, dass man nun auch noch ein Bekennerschreiben des jüngeren Zamajev gefunden hat, und zwar in jenem Boot, in dem er sich schwer verletzt versteckt hat, aber immerhin fand er noch Zeit genug, um das Teil im Dunkeln aufzuschreiben, und ich würde mich nicht wundern, wenn es mit seinem eigenen Blut geschrieben wäre, direkt von der Halsschlagader abgezapft, und zwar auf saudiarabisch. Hoch romantisch, diese Vorstellung. Erstmals ist auf der symbolisch-bildlichen Ebene der Zusammenhang zwischen Liebe und Terrorismus nachgewiesen.

Aber wie ich bereits gesagt habe: Mit dem logischen Nachweis einer plumpen Fälschung ist der Erkenntnis noch nicht gedient, und insbesondere ist keinerlei Verschwörung oder was auch sonst aufgedeckt; die Zamajevs sind jetzt einfach die Schuldigen für die Attentate in Boston, Punkt Schluss, und alles andere, dass sie auch noch den New Yorker Marathon in die Luft hätten sprengen wollen und was der Kuckuck noch alles, das ist Beigemüse, das gehört einfach zum Spiel. Es geht nicht um eine objektivierbare Wahrheit, sondern es geht darum, eine Volksseele in der Balance zu halten, welche offenbar je länger desto instabiler wird. In den Vereinigten Staaten beobachtet man das zum Beispiel rund um die Tea Party, die allerdings im Moment eher auf Eistee abgekühlt ist, aber zu ihren Hoch-Zeiten dampfte da ein Potenzial an Irrationalität, dass es eine wahre Freude war. Das gilt eben auch für die Volksseele, die meiner Treu etwas völlig anderes ist als die Volks-Vernunft, von der man nicht viele Exemplare kennt. Aber auch zu dieser Volksvernunft will ich ein Beispiel aufführen,

In der Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich aus dem Jahr 2010 befasst sich Ingmar Werneburg mit dem Thema: «Zum Ursprung der Schildkröten: Ansätze der Vergleichenden Embryologie». Es geht darum, ob die Schildkröten innerhalb der Landwirbeltiere am ehesten mit Echsen und Schlangen, mit Vögeln und Krokodilen oder ganz einfach mit der ursprünglichen fossilen Reptiliengruppe verwandt sind. Zur Klärung dieser wichtigen Frage stützt sich die Forschung neuerdings auf die Entwicklung der Embryonen ab, welche man mit neuartigen Untersuchungsmethoden, wen wunderts, heute besser erforschen kann. Fazit, ich zitiere: «Das Schwestergruppenverhältnis der Schildkröten zu allen anderen heute lebenden Reptilien und eine basale Stellung der marinen Schildkröten innerhalb der Halsberger-Schildkröten werden am besten unterstützt.» Zur Begriffsklärung trage ich nach, dass die Halsberger-Schildkröten nicht etwa eine besonders blauäugige Rasse ist, die nach dem berühmten Schildkrötenforscher Eugen Halsberger benannt wurde, sondern eine von zwei Großgruppen innerhalb der Schildkröten; die anderen sind die Halswender. Die Halsberger heißen auf Lateinisch Cryptodira, und sie ziehen ihren Hals als Schutzmechanismus in einer S-Form in den Panzer zurück, wogegen die Halswender, mit Namen Pleurodira, ihren Hals seitwärts unter die vordere Kante des Panzers legen.

Das wusstet Ihr natürlich schon längst, da Ihr ja auch die kühle Volksvernunft der kochenden Volksseele vorzieht. Ich will die Sache dennoch mit einem Zitat abschließen: «Untersuchungen an Reptilienschädeln zeigen eine Affinität der Schildkröten zu den nur fossil bekannten anapsiden Reptilien. Studien am gesamten Knochengerüst postulieren eine nahe Verwandtschaft der Tiere zu den Echsen und Schlangen (Lepidosauria). Zahlreiche, aber nicht alle molekularen Arbeiten zeigen eine Affinität der Schildkröten zu den Krokodilen und Vögeln (Archosauria, inkl. Dinosaurier). Untersuchungen von inneren Organen – fossile Gruppen können hier freilich nicht mit untersucht werden – resultieren entweder in der Archosauria- oder Lepidosauriahypothese.» Zitat Ende.

Das Thema Schildkröten und Halsberger bzw. Halswender erinnert mich an die andere brennende Frage: Was macht eigentlich Hayden Panettiere, die man auf Deutsch durchaus Heidi Bäcker nennen könnte? Die Internetseite seattlepi.com stellt am 15. Mai die wichtige Frage, ob der Ring, den sie an der Upfront-Party der ABC trug, womöglich ein Verlobungsring ihres ukrainischen Boyfriends Wladimir Klitschko sei, weil sie ihn nämlich an der rechten Hand trug anstatt wie üblich an der linken. Tatsächlich hat sie sich auch am Muttertags-Wochenende mit Wladimir gezeigt, und zwar in Miami Beach. Daneben spielt sie gegenwärtig hauptsächlich eine Rolle in der TV-Serie «Nashville». Dabei geht es um einen alternden weiblichen Countrystar, der gezwungen ist, mit einem jungen Nachwuchsstar zusammenzuarbeiten, weil er bzw. sie ansonsten Gefahr läuft, aus den laufenden Tour- und CD-Verträgen rausgeworfen zu werden. Hayden Panettiere spielt diesen Nachwuchsstar mit Namen Juliette Barnes, und wer will, kann sich mit ihr auf Facebook connecten unter Jul.Barnes. Wie schon für Präsident Wilhelm Busch, singt sie auch in dieser Serie mehr oder weniger ein Lied nach dem anderen, und ich wünsche viel Vergnügen.

Aber zurück zu den Schildkröten. Im Gegensatz zu Frau Werneburg bin ich nämlich nicht der Ansicht, dass Schildkröten verwandt sein könnten mit Echsen, Schlangen, Vögeln, Krokodilen oder was auch immer. Schildkröten sind verwandt mit Schnecken, das sieht man doch sofort. Beide haben ein Ganzkörperhaus, und wo die Schnecke auf einem Scheinfuß kriecht, hat die Schildkröte eben vier davon plus noch einen Scheinkopf. In der Geschwindigkeit der Fortbewegung sind beide ungefähr vergleichbar, beide ernähren sich schwergewichtig von Kopfsalat, bloß beim Alter muss die Schnecke noch ziemlich viel lernen, aber hier könnte man praktisch den Vergleich ziehen zwischen dem alten Countrystar und der jungen Panettiere. Die Schildkröte ist sozusagen die Doyenne unter den Schnecken. Für eine Schnecke ist sie auch ziemlich groß, wobei es unterschiedliche Gattungen gibt und damit auch Schnittmengen; die afrikanische Riesenschnecke zum Beispiel kann es volumenmäßig scheinbar sogar mit Ratten aufnehmen und schlägt damit mehrere Sorten von Zierschildkröten, mindestens aber Zierschildkrötenbabies.

Übrigens sind auch verschiedene Insekten so etwas wie Schildkröten und Schnecken, indem ihre Exoskelette praktisch wie ein Haus funktionieren, nicht ganz so massiv wie bei den ersten beiden, eher im Stil eines japanischen Papierhauses, aber grundsätzlich ist die Verwandtschaft auch hier erstellt, nämlich auf der Ebene des Eigenheims. Wer sich aber für Exoskelette interessiert, der kann auf der Webseite www.exoskelette.com ein Interview mit Professor Daniel Ferris nachlesen, der aber durchaus nicht Biologe ist, sondern außerordentlicher Professor am Institut für Bewegungs­wissenschaften und am Institut für Biomedizinische Technik an der University of Michigan; es geht hier nämlich gar nicht um Insekten, sondern um Menschen, denen mit externen skelettartigen Verstärkungen weiter geholfen werden kann, z.B. mit Laufhilfen, sozusagen Vorformen der Rennprothesen von Oskar Prätorius, der den 400-m-Final der Männer-Staffel in London dann doch nur auf dem 8. Platz beendete. Wie auch immer: Man sieht auch am Beispiel der Exoskelette, auf welch mannigfaltige Art die Welt und die Welten miteinander verwoben sind.

Sicher gibt es da auch irgendeine Verbindung zu Richard Wagner. Ich muss gestehen, dass ich lange einen großen Bogen um diesen Komponisten gemacht habe, vor allem wegen seines Publikums und wegen des sichtbaren Geschwulstes seiner Werke. Den Antisemiten habe ich ihm halbwegs geschenkt; im 19. Jahrhundert war der Antisemitismus bei zahlreichen an und für sich intelligenten Köpfen durchaus verbreitet, wobei sich niemand auch nur ansatzweise daran orientierte, was der Anstreicher aus Braunau damit anstellen würde. Wenn man das Wissen um die späteren Entwicklungen einmal abzieht, war das damals eine kleinere Sünde. Jedenfalls höre ich nun hin und wieder Auszüge aus dem ganzen Gebastel, und das tönt ja gar nicht so elend schlecht. Wagner zielt wohl schon oft auf die Effekte ab und lässt dabei manchmal das Komponieren in den Hintergrund treten, aber die überraschenden, manchmal sogar glücklichen Harmoniewechsel bieten durchaus Erfrischung, wenn man sich zuvor zum Beispiel die Zeit nur mit den französischen Effekthaschern wie Berlioz und Bizet vertrieben hat. Und ob sich heute wirklich noch jemand erhaben fühlt bei solchem Getöse, das wage ich zu bezweifeln, auch wenn einige Publikumsgäste das von sich zweifellos behaupten werden; uns ist nun mal einfach die Naivität abhanden gekommen, welche eine unerlässliche Voraussetzung für die Erhabenheit ist. Und das ist auch in Ordnung so.

Kommen wir zum Schluss noch kurz auf den alten Schnurrenspinner Nial Ferguson. Er sieht den Westen wieder mal bedroht, weil er in Stillstand verfällt, während die anderen Länder rund um den Globus beginnen, seine Killerapplikationen zu kopieren. Ferguson hat in gewissen Punkten zweifellos Recht, namentlich bezüglich der Institutionen: Eine Gesellschaft oder ein Staat, welche sich die richtigen Institutionen gibt, wird eine bessere Entwicklung hinlegen als eine mit falschen Institutionen. Nun ist aber die Tatsache, dass praktisch sämtliche Länder rund um den Erdball begonnen haben, politisch und wirtschaftlich gegenüber dem Westen aufzuholen, und zwar sicher auch dank den geeigneten Institutionen, doch noch lange kein Grund, sich über die schwindende Vormachtstellung des Westens zu beschweren. Aber genau dies tut Ferguson. Er entpuppt sich damit im Kern eben doch als Kolonialist und Imperialist, welcher der vergangenen Größe Englands nachtrauert. Denn dass man diese stolze Vergangenheit verherrlicht nicht zuletzt mit Theorien wie jener der Institutionen, das gehört halt zum Weltbild dieser alten Knaben. Und da ändert sich nichts dran, wenn sie in gewisser Beziehung trotzdem Recht haben.