"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Von Lima nach Manizales -

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Die Zeitung «La República» gibt es nicht nur in Italien, sondern auch in Perú. Sie berichtet zum Beispiel über den Rechtsstreit zwischen Chile und Peru über die Seegrenzen, der vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag ausgetragen wird und wo demnächst ein Urteil erwartet wird.
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10:55 min, 20 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 29.07.2013 / 13:31

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 23.07.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Oder dann über den Herzstillstand eines 18-jährigen Fußballspielers mit Namen Jair Clavijo während einem Spiel mit den Reserven von Sporting Cristal in Urcos. Die Nachricht über die Explosion einer Erdölpipeline in Mexiko betrifft zwar nicht Perú selber, aber sie erinnert uns an die Explosion eines Rohöl-Transportzugs in Lac-Mégantic in Kanada, nach welcher eilige und windige Lobbyisten umgehend die Fertigstellung der Bitumen-Pipeline von Kanada in den Süden der Vereinigten Staaten forderten, von wegen sicherer und so weiter; über die Unfälle bei diesem Typ Pipelines habe ich an dieser Stelle bereits gesprochen, aber ich weiß nicht mehr, ob ich Euch schon erzählt habe, dass vor ziemlich genau 20 Jahren auf jener Bahnlinie, die direkt vor unserem Haus durchführt, einmal ein Benzin-Transportzug entgleiste und explodierte. Allerdings standen hier zu dieser Zeit noch keine Häuser herum, sodass der Unfall relativ glimpflich ablief; es gab bloß ein Todesopfer, das aber nicht direkt von der Explosion betroffen war, sondern tödlich von einem Schachtdeckel getroffen wurde, nachdem sich das Benzin in die Kanalisation verkrochen hatte und dort nachexplodiert war. – Eine Nachricht gibt es aus Jequetepeque, einem Ort in einer nördlichen Pazifikprovinz Pacasmayo, wo der Polizeichef am letzten Donnerstag mit Schüssen schwer verletzt wurde, als ihm sein Motorrad gestohlen wurde. Ein anderer Polizeichef, nämlich der Generalinspekteur der Bundespolizei General Orlando del Aguila Cabanillas, wurde vom Innenminister Wilfredo Pedraza bzw. vom für die Polizei zuständigen Disziplinargericht von seinem Amt enthoben wegen Korruption. Und dann gibt es eine Kolumne des Schriftstellers Mario Vargas Llosa zum Fall Snowden bzw. zur Zwangslandung von Evo Morales in Wien, nachdem verschiedene europäische Staaten auf Geheiß der USA ihre Überflugsrechte für die Präsidentenmaschine außer Kraft gesetzt hatten. Zu Snowden bzw. zur NSA bemerkt Vargas Llosa, dass die Spione halt das tun, was sie seit eh und je tun, einfach immer jeweils mit den technologischen Mitteln ihrer Zeit, welche heute ohne Zweifel riesig sind und Begriffe wie Privatsphäre lächerlich erscheinen lassen. Die Abgrenzung der Privatsphäre sei allerdings schon zuvor gefallen mit der Regenbogenpresse und dem Bedürfnis des Lesepublikums, immer intimere Details über die Prominenten in Erfahrung zu bringen. Immerhin räumt Vargas Llosa ein, dass diese Entwicklung die demokratischen Institutionen in Gefahr bringt; aber umgehend fügt er an, dass eine mindestens ebenso große Gefahr davon ausgehe, dass man die Freiheiten verwandle in eine Libertinage, also sozusagen Freiheitsexzesse. «Es steht noch lange nicht fest, dass das Legalitätsprinzip in Ländern wie den Vereinigten Staaten oder in Schweden derart stark abgeschwächt wurde, dass man die Freiheit nur noch ausüben kann, indem man gegen das Gesetz verstößt. Edward Snowden und Julian Assange sind deshalb nicht die Verteidiger, sondern Feinde jener Freiheit, die sie zu verteidigen vorgeben.»

Die bolivianische Zeitung «La Razón» trägt einen edlen Namen, nämlich eben «Die Vernunft». Sie schreibt über einen Gesetzesentwurf für den Bergbausektor, gemäß dem die einheimische Bevölkerung nicht mehr konsultiert zu werden braucht bei Erschließungsvorhaben im Bergbau. Gemäß Verfassung ist diese Konsultation nur bei einem allfälligen kommerziellen Abbau der Bodenschätze vorgesehen. Einen Artikel wert ist auch der Beginn des neuen Schuljahres am 22. Juli, wobei die Schulferien in der Stadt Tarija um eine Woche verlängert wurden, und zwar wegen der, hört, hört, Kältewelle in Bolivien, die noch bis in die erste Augustwoche anhalten soll. Falls es somit bei Euch in Erfurt zu heiß wird, könnt Ihr einfach einen Atlas nehmen und ihn dort, wo Ihr Bolivien vermutet, gegen Eure Stirne pressen, das kühlt enorm. Davon abgesehen gab der Vizegesundheitsminister Martín Maturano bekannt, dass die Zahl der erkälteten Personen im Land in den letzten drei Wochen um 15–20% gesunken sei. Ein Artikel ist einer Auseinandersetzung zwischen der Hauptstadt La Paz und der Nachbarstadt Guanay um ein 70'000 Hektar großes Stück Land gewidmet, das eigentlich zu Guanay gehört, nun aber von La Paz erschlossen wird unter Berufung auf entsprechende Beschlüsse lokaler Genossenschaften, welche in diesem Gebiet vermutlich nach Gold suchen wollen.

Die Konkurrenzzeitung «Diario» meldet Engpässe bei der Versorgung mit Flüssiggas im Land, obwohl erst am 10. Mai eine neue Flüssiggasfabrik eingeweiht wurde, welche die Selbstversorgung des Landes sichern und zudem Überschüsse für den Export produzieren sollte.

In Argentinien meldet «Clarin» ebenfalls Eiseskälte, verbunden mit Schneefall im ganzen Land. Daneben beschäftigt sich das Blatt mit der Vergangenheit des Militärchefs César Milani, der während der Diktatur in einer Einheit gedient hatte, deren Chefs heute wegen Freiheitsberaubung und Folter vor Gericht stehen und natürlich im Zusammenhang mit mehreren «Verschwundenen». Gleichzeitig druckt das Blatt einen Artikel der New York Times ab, in welchem auf das Zerwürfnis zwischen dem Clarin-Medienkonzern und der Regierung von Cristina Fernandez Kirchner hingewiesen wird; Frau Kirchner bemüht sich, vermittels eines neuen Gesetzes die Clarin-Gruppe mehr oder weniger zu zerschlagen. Im Artikel der New York Times wird auch darauf hingewiesen, dass die Regierung regelmäßig mit Verweisen auf Delikte unter der Militärdiktatur arbeite, um ihre Gegner zu diskreditieren. Aber mehr kann ich daraus zunächst nicht ableiten. Milani war 22 Jahre alt, als er als Unteroffizier und Assistent des Foltergenerals Hugo Maggi diente.

Die paraguayanische «Ultima Hora» schreibt, dass gemäß einer Vergleichsstudie zwischen verschiedenen Transportsystemen der Monorail für das Zentrum von Asunción nicht in Frage kommt; die Abstände zwischen den Gebäuden seien zu eng. Offenbar handelt es sich beim Monorail nicht um einen Siemens-Transrapid; die Rede ist von einer russischen Technologie, bei der die Startphase der Fahrt mit Treibstoff und dann der Normalbetrieb elektrisch erfolgen. In anderen Städten auf der Welt gibt es schon länger solche Systeme, eines wird gerade in Quito in Ecuador gebaut. Aber eben, in Paraguay scheint es nicht so weit zu kommen. – Daneben verfügt Paraguay über ein Problem, das ich als eher exotisch empfinde: den Zucker-Schmuggel. Dieses Problem lässt sich aber auf das grundlegende Problem des Landes zurückführen, nämlich dass es sich um ein Agrarland handelt.

Die digitale Zeitung «El Pais» aus Uruguay meldet einen Rückgang der Bekleidungsexporte nach Argentinien innerhalb der letzten Monate um 47%. Auch Brasilien und Mexiko kaufen weniger Textilien. Im Fall von Argentinien bekommt das Land aber vor allem die Importrestriktionen der Regierung Cristina Fernandez Kirchner zu spüren. Im Land selber stehen Neuverhandlungen der Gesamtarbeitsverträge bevor, und zwar sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor. In diesem Zusammenhang findet zum Auftakt am 25. Juli ein Generalstreik statt. Schon heute werden verschiedene Bereiche bestreikt, z.B. in einigen Gebieten die Lehrer oder der Zollpersonalverband.

«La Red 21» meldet dagegen, dass Uruguay am 31. Juli über einen Gesetzesentwurf zur Legalisierung des Cannabiskonsums abstimmen wird, ich nehme an, im Parlament. Am 26. Juli wird Präsident Mujica zusammen mit dem venezolanischen Präsidenten Maduro den Kubanern einen Besuch abstatten zur Feier des 60. Jahrestags des Sturms auf die Moncada-Kaserne, was ungefähr die politische Verortung der aktuellen Regierung erlaubt, und die wiederum erklärt weitgehend die fiebrigen Aktivitäten der Gewerkschaften.

Die kolumbianische «La Patria» aus Manizales feiert in erster Linie Nairo Quintana, der als erster Kolumbianer den zweiten Platz bei einer Tour de France erobert hat, abgesehen von den Titeln als bester Jungfahrer und des Bergkönigs. Daneben freut sich das Blatt über das Inkrafttreten des Freihandelsabkommens mit der Europäischen Union per August dieses Jahres, und gleich darunter wird vermeldet, dass ein Diakon in Risaralda vom Kirchendach gefallen und gestorben sei. Sodann steht ein Treffen des kolumbianischen Regierungschefs mit jenem von Venezuela bevor, wo alles grundsätzlich nur besser werden kann. Und auch hier scheint es Proteste in der Landwirtschaft und im Bergbau zu geben, auch wenn ich dies bloß auf der Kolumnenliste von Jorge Enrique Robledo entdecke. Dieser schreibt unter anderem: «Seit den Zeiten von César Gaviria leidet Kolumbien unter der Landplage des Freihandels beziehungsweise der fürchterlichsten nur denkbaren Landwirtschaftspolitik.» Getreide und Baumwolle seien verschwunden und ersetzt worden durch Früchte und fremdländische Gemüseprodukte; im Jahr 2012 habe man dagegen praktisch den gesamten im Land konsumierten Kaffee eingeführt neben über 300'000 Tonnen Zucker. Und da soll das Freihandelsabkommen mit der EU Fortschritte bringen?

Naja. Die einen Kontinente haben diese Probleme, andere haben andere. In Brasilien haben Basis­organisationen während dem Confederations Cup die Gelegenheit ergriffen, um mit ihren Protesten der Weltöffentlichkeit, vor allem aber der eigenen Regierung zu zeigen, dass jetzt nach ersten ansehnlichen Erfolgen im materiellen Wohlstand weitere Schritte gefragt sind. Die Schwellenländer, das ist im Kern die Botschaft, wollen nicht auf der Schwelle stehen bleiben. Sie verlangen den möglichst raschen Eintritt in die Region der Überflussgesellschaften auf der materiellen Ebene, auf der immateriellen Ebene in die Region der allgemeinen Freiheiten und der Menschenrechte. All dies kann einen neutralen Beobachter nur jubeln lassen. Genau so muss es gehen, das ist die Stoßrichtung der Geschichte, und offenbar haben wir jene Epoche überwunden, in denen Lobbyisten und Interessengruppen in den reichen Säcken die Entwicklung der armen Länder blockierten, nur um damit ihre eigenen Extraprofite zu erwirtschaften, wenn dieses Wort hier am Platz ist, denn es steckt doch immerhin noch der Begriff Wirtschaft drin, den ich nicht zum Vornherein negativ besetzt sehe. Allein ein Spaziergang durch die durchaus unspektakuläre Medienlandschaft in Lateinamerika im Juli 2013 zeigt eindrücklich, dass keineswegs alle Probleme gelöst sind, dass man sich aber auf dem ganzen Kontinent mit den richtigen und wichtigen Fragen befasst. Mit Erfolgen ist nicht immer und sofort zu rechnen, aber die Richtung stimmt.