"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Die Finanzkrise ist vorbei -

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Kennt jemand von euch eine Frau namens Anna Sophia Robb? Nein? Auch gut. Es handelt sich um eine US-amerikanische Nachwuchsschauspielerin, die am 8. Dezember ihren 20. Geburtstag feiert. Ansonsten nichts Nennenswertes. Kennt jemand von euch Roger Köppel? Auch nicht? Auch gut.
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11:15 min, 21 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 06.08.2013 / 13:55

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 06.08.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Er war mal zwei Jahre lang Chefredakteur der deutschen Zeitung «Welt», wurde dann aber wieder nach Hause gerufen, um im Schweizer Journalismus die reaktionäre Wende einzuleiten, und zu diesem Behuf schenkten ihm Christoph Blocher und Tito Tettamanti das Magazin «Die Welt­wo­che». Seither verbreitet er dort in selbst gewählter Vereinzelung und Vertrottelung einfach das Gegenteil dessen, was ich schon lange Zeit als sozialdemokratischen Medienkonsens bezeichne. So auch auf dem Höhepunkt der internationalen Finanzkrise. Am 16. Oktober 2008 prangte auf der Titelseite der Weltwoche der Aufreißer «La crise n’existe pas», die Krise gibt es gar nicht. Am gleichen Tag meldeten die UBS, die Schweizerische Nationalbank sowie die Schweizer Regierung, dass sie zur Rettung der UBS einen Deal im Umfang von knapp 70 Milliarden Franken abg­e­schlos­sen hätten. Ein Japaner an Köppels Stelle hätte umgehend Sudoku gemacht, nein, Seppuku: Kaum je zuvor in der Geschichte des Journalismus hatte eine Zeitung derart krass gleichzeitig ihre maximale Inkompetenz wie auch den absoluten Mangel an Zugang zu Informationen gezeigt. Den Köppel aber ließ das natürlich kalt. Ihm geht es ja nicht um Journalismus, sondern um Kampagnen, zum Beispiel gegen das gewaltige gesellschaftliche Problem der Sozialhilfebetrüger. Nun gut, ganz kalt ließ es ihn wohl auch nicht, denn eine Kampagne kann man auch nicht ordentlich fahren, wenn zuvor schon jegliche Glaubwürdigkeit verspielt ist. Aber was solls, Roger Köppel ist und bleibt Chefredaktor der «Weltwoche»; hin und wieder sieht man ihn auch in den Gesprächsrunden im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen aufblitzen, die unterdessen praktisch jeden Abend die politische Diskussionskultur pflegen – was ist das eigentlich? Ein Abgleich der neuesten Version der alten Floskeln? – Jedenfalls liefert Köppel auch dort zuverlässig den für eine erfolgreiche beziehungsweise ausgewogene Zusammensetzung der Gesprächsrunde offenbar erforderlichen reaktionären und beklöppelten Part, für den wir ihn auch in der Schweiz unterdessen zu lieben gelernt haben.

Viel Ehre für diese Witzfigur, bloß um auf die relevante Meldung zu kommen: Letzte Woche gab die wie gesagt im Jahr 2008 gerettete UBS bekannt, dass sie die in eine Spezialgesellschaft ausgelagerten faulen Wertschriften, welche von der Nationalbank übernommen worden waren, zurückkaufen wolle. Aus dem ganzen Rettungsmanöver ergibt sich per Saldo ein Gewinn für Staat und Nationalbank von rund 7 Milliarden Franken. Ist das nicht wunder-wunderschön? Eine Liebesgeschichte, nämlich zwischen Staat und Großbanken, mit einem echten Happy End. Wir aber, die wir in diesem Spektakel von Anfang an nur Zuschauer auf den billigen Plätzen waren, wir schütteln den Kopf und fragen uns, wie die Ramschpapiere nun plötzlich doch wieder zu Wert gekommen sind. Wir ziehen den Schluss, dass die Finanzkrise vorbei ist, mindestens auf der operativen Ebene. Dies ist die definitive Mitteilung des heutigen Tages: Schluss mit Finanzkrise! Die Börsen florieren seit zwei Jahren wieder, die Staatsschulden zwar sind geblieben, machen unterdessen aber einen zahmen Eindruck; in Deutschland ist die Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinland­produkt im Jahr 2011 gegenüber dem Vorjahr sogar um 2% gesunken auf 78%, während die Vereinigten Staaten Schulden von rund 105% des BIP ausweisen. Dort erholt sich aber gegenwärtig die Wirtschaft wieder, was in der Regel zu einem Anstieg der Staats- und Steuer­ein­nahmen führt, sodass auch hier die Ampeln auf grün stehen. Und wie gesagt: Wenn es den Chine­sen beifällt, endlich auch einmal in der Finanzindustrie mitzumischen – und dafür gibt es eine ganze Reihe von Anzeichen –, dann kommt das globale Finanzkapital wieder genau gleich in Fahrt wie vor zehn Jahren.

Hat sich etwas geändert? Hat die Finanzindustrie etwas gelernt? Soviel ich weiß, gab es gewisse Korrekturen, zum Beispiel beim Eigengeschäft oder bei der Eigenkapitalquote, welche dafür sorgen sollen, dass die Finanzinstitute einerseits besser abgesichert sind und anderseits stärker für ihre Geschäfte mit haften. Solche Regelungen und vor allem die Überwachung ihrer Einhaltung liegen aber nach wie vor in der ausschließlichen Zuständigkeit von Personen aus der Finanzindustrie selber, da die anderen vom großen Spiel eh nichts verstehen; allerdings die Finanzfachleute selber auch nicht, wie man vor sechs Jahren festgestellt hat. All jene, die es im Nachhinein besser gewusst haben wollen, machen es wie ich gerade jetzt, sie weisen nämlich darauf hin, dass sich fundamental nichts geändert hat, bis vielleicht auf jenen kleinen Umstand, dass kein einziger Mensch mehr die Gültigkeit der Effizienzmarkt-Theorie verteidigen wird, also jener Theorie, wonach die inter­natio­nalen Finanzmärkte vor allem dazu dienten, das benötigte Kapital möglichst schnell und effizient dorthin zu lotsen, wo es auch gebraucht würde. Diese Theorie hat sich als pure Behauptung erwiesen, als ideologisches Make-up für die Innovation und Kreativität beim Gewinnmaximieren. Die Effizienzmarkt-Theorie war in der Ökonomie ungefähr das, was in der Philosophie und Sozio­logie die französischen Schulen der jüngeren Generation sind: Geflunker, Gebrabbel, Raunen und Rauschen, hier allerdings in der Form lauten Gebrülls an den Wirtschaftsabteilungen der Wirt­schafts­universitäten. Ich bin mal gespannt, was nun an ihre Stelle tritt, um die Profitideologie nach der Finanzkrise zu rechtfertigen.

Möglicherweise braucht es gar keine theoretische Rechtfertigung mehr. Unterdessen wissen wir nämlich, dass in der Finanzkrise nicht nur die Reichen ein Stück ärmer geworden sind, sondern auch all jene Vorsorgeeinrichtungen, welche mit ihren Erträgen die Altersrenten zahlreicher Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen garantieren sollten. Und selbstverständlich fraß die Finanzkrise auch einen Teil der in Wertpapieren investierten Ersparnisse der breiten Mittelschichten weg. Der einzige bekannte Ausweg für diese breiten Schichten besteht in einer Erholung der Kapitalmärkte, wie wir sie gegenwärtig erleben. Volle Hoffnung voraus lautet der Kurs also nicht nur für die Reichsten der Reichen, sondern auch für die normalen Bürgerinnen und Bürger. Eine Theorie ist dafür nicht vonnöten. Und so lebt vorderhand halt die Vermutung wieder auf, dass sich das Finanzsystem möglicherweise in Zukunft doch als stabiles Alias-System einrichten wird, in welchem hypothetische Werte hypothetische Renditen erzeugen, welche aber im realen Leben durchaus die Lebensgrundlagen zu sichern vermögen, einem jeden nach seinem Kapital, sozusagen. Die Alternative dazu ist, dass es wieder kracht, wohl frühestens in zwei Jahren; aber zwingend ist das nicht, das Potenzial zur Besetzung neuer Landstriche auf dem Globus mit den Parametern des Finanzkapitals ist riesig. Ich sage es noch einmal: China!, und vielleicht auch Brasilien oder Indien oder Mexiko. Wer weiß.

Einen dritten Weg vermag ich nicht zu erkennen. Er müsste darin bestehen, dass die global produzierten Güter und die sozialen Verhältnisse auf der ganzen Welt halbwegs geordnet in eine postkapitalistische Struktur überführt werden, wo die Menschen mehr oder weniger ungehinderten Zugang zu sämtlichen Gütern haben, wobei sie auch gescheit genug wären, nur solche Waren zu kaufen oder vom Produzenten ausschließlich solche Waren zu fordern, welche unter Einhaltung ökologischer und sozialer Mindest- oder sogar Maximalstandards erzeugt worden sind. Daneben müsste es weiterhin die Möglichkeit von Forschung und Entwicklung geben und erst recht eine intensive industrielle oder postindustrielle Innovationspraxis. Mobilität ist für mich nach wie vor ein Schlüsselbegriff für die Moderne; wie kriegt man die Dorfbewohner endlich dazu, einmal aus ihren Hütten zu kriechen und sich im Ausland umzusehen, bevor sie dann meinetwegen wieder nach Hause zurückkehren mögen. Und so weiter. Wie das alles gehen soll ohne Geld und ohne Kapital, das sehe ich gegenwärtig hinten und vorne nicht.

Aber das ist nicht weiter dramatisch, und damit schließe ich diesen Teil ab unter Wiederholung der Schlagzeile: Die Finanzkrise ist vorbei. Punkt.

Was haben wir sonst? Im Iran wurde ein neuer Präsident gewählt, dessen Vokabular etwas gehobener aussieht als jenes von Ahmadinejad. Ob er dann konkret eine andere Politik betreibt als sein Vorgänger, muss sich noch weisen. Es wäre jedenfalls die Gelegenheit, um ohne Gesichtsverlust einige Anpassungen vorzunehmen, welche mindestens zur Lockerung der Sanktionen gegenüber dem Land führen könnten. Wenn man die Presse als Maßstab dafür nimmt, was die Politik hinter den Kulissen zu tun gedenkt, befinden wir uns tatsächlich auf diesem Pfad, und das bräuchte ja nicht das Schlechteste zu sein, was dem Iran passieren könnte. Eine Voraussetzung für eine Normalisierung wäre allerdings auch eine Normalisierung in Syrien, wo sich Präsident Assad erneut als Antihumanist erweist, indem er gesagt hat, er wolle mit eiserner Faust die Ruhe im Land wieder herstellen. Darauf haben die friedliebenden Rebellen mit dem Steigenlassen von 1000 Luftballons reagiert. Ach was, natürlich nicht, aber das könnte nach wie vor die Grundstimmung bei der Berichterstattung über den Bürgerkrieg umreißen. Allerdings versichern die USA neuerdings, sie würden sich militärisch im Land nicht engagieren; vielleicht hat ihnen ihr Geheimdienst endlich mitgeteilt, dass die ABC-Waffen nicht nur bei Assad selber zu suchen sind und dass vor allem die R-Waffen, also die religiösen Fanatiker, durchaus bei ihren Alliierten kämpfen. Auch hier bildet die Medienberichterstattung nur jene Oberfläche, an deren Kräuseln man manchmal ablesen kann, was in den Kommandozentralen tatsächlich erwogen wird.

Während bei euch ein Wahlkampf tobt, dass Gott erbarm, bereiten die US-Parteien die Wahlen zur Legislatur-Halbzeit und langsam auch die Präsidentschaftswahlen 2015 vor. Die Republikaner müssen dabei in erster Linie mit der Frage fertig werden, wie sie mit der Tea Party umgehen werden. Soviel steht fest: Die meisten Abgeordneten, welche mit Tea-Party-Stimmen nach Washington gewählt wurden, haben den antietatistischen Furor dieser Basisbewegung längstens verraten und mischen munter mit im politischen Establishment. Eine logische Möglichkeit wäre die Aufspaltung der Republikanischen Partei in einen wilden radikalen Flügel und in einen angepassten, korrupten Flügel. Bloß hat man den Eindruck, dass das große Spiel in Kongress und Senat viel zu mächtig ist, als dass es eine landesweite Partei über längere Zeit schaffen würde, draußen zu bleiben und dagegen zu stänkern. Schließlich hängen auch im Land des Ultraliberalismus praktisch alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Akteure direkt oder indirekt am großen Fass des Zentralstaates, und auch in den Vereinigten Staaten heißt es jeweils für die Gruppierungen, die ihren Kandidaten ins Parlament bringen: Oazapft is!