"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Wetterberatung -

ID 58485
 
AnhörenDownload
Die meisten Produktangebote auf der ganzen Welt nehmen wir gar nicht wahr, und von jenen, die wir wahrnehmen, machen wir nur sehr beschränkt Gebrauch. Aber in der Masse kommt dann doch etwas zusammen.
Audio
10:11 min, 19 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 09.09.2013 / 12:52

Dateizugriffe: 435

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 09.09.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Letzte Woche sah ich zum Beispiel eine Leuchtreklame oder sonst so ein Internet-Banner, das Werbung machte für eine individuelle Wetter-Beratung. Wenn man gemäß der Wahrscheinlichkeitsrechnung annimmt, dass Geld für Werbung nur dann ausgegeben wird, wenn eine realistische Verkaufschance besteht, dann muss man annehmen, dass es Menschen gibt, welche eine individuelle Wetter-Beratung in Anspruch nehmen und dafür bezahlen. Das zeigt vielleicht einen Weg auf, wie sich die entwickelten Gesellschaften aus dem Problem der Überproduktion befreien können. Die Hälfte der Bevölkerung wird umgeschult zu Wetterberatern, Atemtherapeuten, Farbanalysten, Furzexegeten, und das sind nur ein paar sehr offensichtliche und faszinierende Zukunftschancen für die heutige Jugend. – Nun, das gabs wohl auch früher schon, die meisten haben dann eine Weiterbildung gemacht als Neurolinguistische Programmierer oder Versicherungsvertreter, es gibt verschiedene Arten, den Menschen die Knete aus dem Portemonnaie zu ziehen, und vor der obersten Instanz des Marktes ist es letztlich egal, wofür das Stimmvolk sein Geld ausgibt.

Kaum Beratung braucht das Stimmvolk in Sachen Wahlen, nehme ich an; auch wenn sich Kandidat Steinbrück offenbar im Rededuell beachtlich geschlagen hat, wird er die aufgelaufenen Defizite der SPD kaum in letzter Minute kompensieren können. Dagegen hat mich etwas erstaunt, dass Stefan Raab nun auch im Politgeschäft mitmischelt. Wenn ich mich in dieser Beziehung mal selber berate, so komme ich zum Schluss, dass damit ein Renovationsprozess der Politik begonnen wird, der meiner alten Diagnose entspricht, nämlich dass wir nicht in einer Demokratie, sondern im Schauspiel einer Demokratie leben, und insofern ist es nur konsequent, wenn wir diesen Bereich auch tatsächlich als Showbusiness betreiben – daran hatte ich allerdings nicht gedacht, aber das scheint sich jetzt zu realisieren. Unwillkürlich denke ich dabei an die USA, muss aber gleich zurückrudern und festhalten, dass die Weiterentwicklung des Politischen ins Schaugeschäft bei uns respektive bei Euch unter dem Titel der Satire erfolgt oder mindestens des Witzes oder des Ulks, dass sich unter dem Deckel von Stefan Raab also kaum jemals ein überzeugter Idiot beziehungsweise eine überzeugte Idiotin wie Sarah Palin oder Michelle Bachmann finden wird. Und da auf der anderen Seite tatsächlich die großen Parteien gar nicht anders können, als ein sozialdemokratisches Programm durchzuziehen, da sie sich also in der Praxis nicht einmal mehr in Details voneinander unterscheiden, ist die Umwandlung in ein Affentheater nur konsequent. Insofern fühle ich mich rundum geehrt und bestätigt und trage Stefan Raab Blutsbrüderschaft an. Seinen Werdegang lehne ich nach wie vor ab, aber der Punkt, an dem er angelangt ist, diesen Punkt halte ich für absolut glaubwürdig und korrekt.

Damit beurteile ich auch die Überschwemmung des öffentlichen Raums mit Satire aller Art neu. Ich war lange ziemlich ratlos gegenüber diesem Phänomen, einmal abgesehen davon, dass vieles einfach schwach war, von den analen Sublimationen des Witzdoktors Hirschhausen ganz zu schweigen. Insgesamt halte ich nun aber dafür, dass der Erfolg des Gelächters darauf zurück­zu­führen ist, dass der Ernst selber heutzutage völlig lachhaft geworden ist. Damit meine ich nicht etwa den Ernst im wissenschaftlichen Bereich, noch nicht einmal im geisteswissenschaftlichen Bereich; im Gegenteil, ich beginne langsam, schlecht geschriebene, aber seriös recherchierte Dossiers zu lieben. Nein, ich spreche vom Ernst im Kommunikationsbereich. Ich spreche von den so genannten Nachrichten zum einen. Im Prinzip müsste bereits beim Einschalten der Tagesschau landesweit ein allgemeines Gegröle ausbrechen. Was und wie viel, der US-Geheimdienst hat unwiderrufliche Beweise dafür, dass Bashar Al Assad in Syrien eigenhändig Giftgas verstreut hat? – So, wie er damals unwiderrufliche Beweise für die Existenz eines Chemiewaffenarsenals von Saddam Hussein hatte? – Oder aber auf der Ebene von politischen Programmen. Ich habe an dieser Stelle vor längerer Zeit einmal die zirka siebenunddreißig Kernthesen des ehemaligen französischen Premierminister-Kandidaten François Bayrou vorgelesen. Man könnte jeden einzelnen Punkt unterzeichnen und weiß dabei ganz genau, dass sich an der französischen Politik überhaupt rein gar nichts ändern würde, auch wenn er mit seinem gesamten Parteiapparat an die Macht käme. Die Kommunikation ist durchlöchert von der Unwirksamkeit von Programmen zum einen – und darüber sollte man sich mal intensiver Gedanken machen, weil damit nämlich die Beschäftigung mit zentralen Themen der Gesellschaft zum Vornherein eben lächerlich gemacht wird, was schlecht ist für so genannte Demokratien. Zum anderen ist sie vollständig korrumpiert von der unterdessen absoluten Herrschaft der Kommunikationsbüros in der Politik und in den Unternehmen über die Art und Weise der Darstellung wovon auch immer. Wenn ich die Ausbreitung der Satire in diesem Zusammenhang sehe, dann ist das nur allzu gut verständlich. Es scheint mir sogar eine vernünftige Reaktion des kollektiven Intellekts auf die eigenartige Entwicklung im Kommunikationsbereich beziehungsweise auf die Ausbildung einer neuen gesellschaftlichen Instanz unter dem Namen Kommunikation, welche aber etwas völlig anderes beinhaltet. Es sind Public Relations, polarisierte Wahrheiten, die man nur aus dem Grund nicht Unwahrheiten nennen darf, weil auch die Gegendarstellung ihre eigene Polarisierungen enthält, und wenn sie noch so aufrichtig recherchiert und überdacht ist. Das Publikum bzw. die Öffentlichkeit hat verstanden und reagiert mit Gelächter, wofür natürlich als Katalysator ein so genannter Comedian oder Kabarettist vonnöten ist.

Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Wahljahr beziehungsweise diese Wahl, die eh von Anfang an entschieden war, ein einmaliges Stefan-Raab-Ereignis war oder ob sich die Komiker auch in einer Situation einschalten werden, die vielleicht etwas kontroverser aussieht. Aber solange die Kontroversen innerhalb gleichwertiger sozialdemokratischer Programme ablaufen, spricht nichts gegen eine Fortsetzung der Ironisierung des höchsten demokratischen Prozesses, zumindest in der indirekten Demokratie. Wenn man das als Problem ansieht, dann muss man tiefer ansetzen, dann muss man eine Möglichkeit finden, wie die Ideale der Aufklärung mit den höchsten Ansprüchen ans Individuum in eine effektive politische Form zu bringen sind und nicht nur in eine deklamatorische. Wie dies geht, das muss man halt ausprobieren, was umso leichter fällt, wenn man einmal den Spaß als Satire auf den gesamten demokratischen Apparat verstanden hat.

Übrigens funktioniert diese Spaßsorte natürlich nur dort, wo die Menschen insgesamt doch einigermaßen versorgt sind mit dem Lebensnotwendigen und wo die Elite nicht übertrieben elitär tut. Sobald sich hier die Kluft vertieft, und zwar ausschließlich in der Wahrnehmung, wird aus dem Witz schnell wieder politischer Ernst. Damit ist aber, und auch dafür stehen diese Bundestagswahlen, in absehbarer Zeit nicht zu rechnen; schließlich kann man dem deutschen Stimmvolk auch immer wieder schön vorrechnen, wie es den schlecht organisierten Staaten im Süden Europas ergeht mit ihren schlechten Regierungen. Die haben nichts zu lachen. In Italien wurde im Februar ein Komiker vorübergehend zur drittstärksten politischen Kraft, aber das ist eben noch einmal etwas anderes. Für euch bleibt einfach der disziplinierende Effekt, für den übrigens die EU ebenfalls steht als perfektes Macht- und Filzkartell, aber nicht etwa als neoliberales Projekt, sondern als etwas eigenartiger Mischtopf unterschiedlicher Ausbildungen eines zeitgemäßen Staates. Dass die effektiven Verhältnisse zwischen dem Zentraleuropa und den Nationalstaaten weitgehend okkult bleiben, trägt übrigens nicht unwesentlich dazu bei, dass im Staate selber derart massiv gelacht werden muss.

In den Vereinigten Staaten dagegen gibt sich unser Sympathieträger Barack Obama alle Mühe, den Nachweis zu erbringen, dass auch Demokraten nichts weiter sind als etwas weniger rüpelhafte Republikaner und vor allem, dass ein Schwarzer genauso gut Präsident der Vereinigten Staaten sein kann, ohne dass sich an der imperialen Politik der Supermacht etwas ändert. Wenn man ihre Todesurteile gegen tatsächliche und vermeintliche internationale Terroristen auch halbwegs versteht nach der vollständig hirnverbrannten Attacke auf die Zwillingstürme vor zwölf Jahren, ändert es nichts daran, dass dieser Komplex, den alle westlichen Staaten «Terrorbekämpfung» nennen, nichts anderes ist als das Prinzip Rechtlosigkeit als Staatsmaxime. Sollte in absehbarer Zeit einmal wieder eine Idee aufkommen, dass die Staaten dieser Welt ein gemeinsames Projekt von Frieden und Wohlstand unterstützen sollten, dann werden diese Hinrichtungen ohne Prozess nicht förderlich sein. – Aber damit wird offenbar nicht mehr gerechnet. Solche Ideen haben nur noch Menschen, über die man sich glatt lustig macht.

Eben, warum sollte ein Schwarzer besser oder auch nur anders regieren als ein Weißer? Wenn es wichtig und überfällig war, dass die USA endlich mal einen Afroamerikaner zum Präsidenten wählten, so ist dies die ebenso wichtige und zweite Einsicht und der definitive Beweis dafür, dass es keine Unterschiede gibt zwischen den Menschenrassen. Über die Kulturen, da kann man sich unterhalten und streiten, aber man sollte aufpassen, dass man dabei nicht zu stark ins Lachen kommt. Man kann sich übrigens auch über die direkte Demokratie streiten. Irgendwo in der Ostschweiz, also südlich von Süddeutschland, versuchte ein Bürgerkomitee, mit einer Volksinitiative einen Versuch des Islamunterrichts zu verbieten. Der Koran, so lautete eine der vielfachen Begründungen, sei ein Buch, in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten würden, von der Stellung der Frau schon ganz abgesehen. Das zuständige Gericht hat den Initiativtext als ungültig erklärt, weil er gegen die in der Verfassung garantierte Glaubens- und Religionsfreiheit verstößt. Was das Gericht nicht erwähnte, war der Hinweis auf das wichtigste Buch der Leitkultur der Initianten, auf die Bibel. Wenn man die unter dem Aspekt von Menschen- und Frauenrechten liest, dann wird einem genau so schummrig unter den Füßen wie beim Koran. Die Bücher sind weitgehend identisch.