Treme Terra - ein Projekt der Kinderkulturkarawane in Marburg

ID 59132
 
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Gespräch mit Ligia von Treme Terra aus Sao Paulo über ihre Performanceshow, und die Bedeutung von Kulturprojekten für die Identität von Schwarzen, afro-Brasilianischen Kindern und Jugendlichen.
Audio
10:36 min, 9933 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Mono (44100 kHz)
Upload vom 05.10.2013 / 10:25

Dateizugriffe: 729

Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, Jugend, Musik, Religion, Internationales
Entstehung

AutorInnen: nora
Radio: RUM-90,1, Marburg im www
Produktionsdatum: 03.10.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Script mit enthaltener An- und Abmoderation:

Gestern Abend, am 3. Oktober gab es in der Waggonhalle hier in Marburg ein Erdbeben zu erleben: Die Kinderkulturkarawane hatte acht Künstler und Künstlerinnen der Gruppe „Treme Terra“ aus Sao Paulo in Brasilien eingeladen. Vor ihrem Tanz, Musik und Performanceauftritt sprach ich mit Ligia aus der Gruppe.

Auf meine Nachfrage was für ein Projekt „Treme Terra“ sei, musste Ligia erstmal weit ausholen. Denn das Ganze ist viel mehr als nur Tanz und Musik:
Das Ganze ist ein soziales Projekt in Brasilien. Wie arbeiten mit afro-brasilianischer Kultur. Wir unterrichten Kinder und Jugendliche in Musik, Tanz und Capoera – einer Art Kampf-Tanz aus Brasilien. Alle Angebote sind kostenlos, sie können einfach da sein. Wir reden viel über afrikanische und brasilianische Kultur, und wir wollen ein Ort sein, an dem diese Kultur lebendig sein kann.

Ein Weg diese Kultur lebendig werden zu lassen ist die Performanceshow mit Treme Terra gerade in Deutschland auftreten. Sie enthält Elemente des modernen urbanen Lebens in Sao Paulo wie zum Beispiel Rap, aber auch auch Elemente der afro-brasilianischen Religion des Cadoblé. Ich bat Ligia davon zu erzählen.
Wir arbeiten mit afro-brasilianischer Kultur und in dieser Kultur gibt es eine Art Mythologie von Orishas. Orishas, das sind Gottheiten die Elemente der Natur repräsentieren. Da gibt es zum Beispiel den Gott des Wassers, den Gott des Feuers und den des Steins. Diese Gottheiten stammen alle aus einer Religion, die Cadomblé genannt wird. Der Ort, an dem diese Relegion stattfindet heisst Terreiro. Unsere Show heisst Terreiro Urbano , also urbanes Terreiro. Was wir versuchen ist den mythischen Ort Teheidu in die Stadt zu bringen. Wo ist zum Beispiel der Gott des Wassers, wenn wir in einer großen Stadt wie Sao Paulo sind? Wir versuchen also die Götter in unsere Welt zu bringen.

Auch wenn einige Mitglieder der Gruppe der Religion der Cadomblé angehören, und sie hinter der Bühne vor jeder Show ihren Respekt gegenüber den Orishas ausdrücken sehen sie ihre Arbeit in einem künstlerischen, kulturellen Kontext und nicht als religiös:
Das Projekt an sich ist nicht religiös. Wir arbeiten mit einzelnen Elementen der Gottheiten, nicht mit religiösen Aspekten. In der Mythologie hat jede der Gottheiten ihre enstprechende Farbe, ihre eigene Art von Musik, und damit arbeiten wir. Zum Beispiel wird der Gott des Wassers durch einen blauen Rock symbolisiert. Wir arbeiten also mit einem künstlerischen Blick darauf.

Ich wollte wissen, was Ligias Rolle im Projekt ist:
Ich bin Tänzerin, und auch Sängerin. Wichtig ist aber zu wissen, das die Show von uns allen erarbeitet wurde. Jeder von uns hat etwas eingebracht. Das war eine kollektive Arbeit. Jeder hat etwas zur Musik und zum Tanz beigetragen. Ich habe zum Beispiel die Kostüme designed.

Außerdem habe ich Ligia gefragt, wie sie zu Treme Terra gekommen ist:
Bei mir ging das mit den workshops los. Ich war eins von den Kindern die 2006 an den workshops teilgenommen hat. Tatsächlich haben alle die an der Tour teilnehmen so angefangen. Wir waren Lernende im Projekt und dann dachten wir irgendwann „Oh, wir könnten eine eigene Gruppe aufmachen, wir können anderen etwas anbieten!“ Und jetzt sind einige von Lehrende dort. Ich zum Beispiel gebe Tanzkurse. Das ist eine Möglichkeit etwas zurückzugeben.

Ligia hat in dem Projekt also schon einen langen Weg zurückgelegt. Ich wollte wissen, was das Wichtigste oder Prägenste ist, das sie auf diesem Weg erlebt oder gelernt hat?
Tatsächlich ist das wichtigste für mich nicht diese Show. Die Show ist nur ein Ergebnis von einem Prozess in dem wir versuchen an einer afrobrasilianischen Identität zu arbeiten. Die meisten Menschen in Brasilien haben Vorfahren aus Afrika, aber die meisten erkennen das nicht an. Wir haben oft Probleme mit unsere Hautfarbe, mit unserer Haarfarbe … Was wir versuchen ist den Kids das beizubringen, was uns im Projekt als Kinder beigebracht wurde. Soetwas wie „Es ist ok diese krausen Haare zu haben, das ist kein Problem. Denn du bist so wie du bist, und das ist gut so! Du musst nich so aussehen wie die Frau im Fernsehen!“ Das ist unser großes Ziel, ihnen das beizubringen. Es ist natürlich großartig während der Show auf der Bühne zu stehen, aber für mich war es das wichtigste mich als Afrikanerin zu begreifen. Jetzt mag ich mein Haar, ich mag meine Hautfarbe und das war noch nicht immer so. Früher hab ich immer irgendwie versucht mich zu verstecken. Und einige der Kids sind jetzt ganz ähnlich drauf, deshalb denke ich ist das der wichtigste Teil unserer Arbeit.

Der Titel der ersten Show von Treme Terra war „Cultura de Resistencia“ - Kultur des Widerstandes. Meint ihr damit Widerstand in diesem Kontext von Schwarz sein?
Ja, genau diese Art von Widerstand, Schwarz sein in Brasilien. Es ist keine leichte Sache mit schwarzer Kultur in Brasilien zu arbeiten. Dazu musst du dich der ganzen Zeit der us-amerikanischen Kultur und der weißen Kultur widersetzen. Im Fernsehen siehst du fast nichts anderes als us-amerikanische Kultur. Und deswegen Widerstand, weil du immer, immer kämpfen musst um am Leben zu bleiben.

Auf ihrer homepage schreiben Treme Terra, dass sie Instrumente aus recycelten Materialien spielen. Ich wollte wissen, ob sie sie auch selber bauen.
Einige ja, einige haben wir so wie sie sind aus dem Müll geholt. Sie waren sozusagen schon fertig. Zum Beispiel benutzen wir hier in Deutschland diese Gasflaschen, ohne Gas natürlich. Die haben einen ganz besonderen Klang, sehr hoch. Genau das machen wir auch in der Arbeit mit den Kindern. Wir sagen ihnen, dass sie etwas mitbringen können, das ihre Mutter wegschmeißen würde. Wir basteln daraus die Percusioninstrumente, zum Beispiel indem wir Dinge mit Reis füllen. Das ist eine Art den Kids zu zeigen, dass es nicht darauf ankommt Geld zu haben um Musiker zu sein. Denn du kannst mit allem Musik machen, alles hat seinen besonderen Klang.

In Deutschland sind Treme Terra nicht nur abends auf Bühnen aufgetreten, sondern haben auch Schulen besucht. Was haben sie dort gemacht?
Wir haben dort unsere Show gezeigt, und wir haben Workshops mit den Kids gemacht. Und das hat viel Spaß gemacht. Wir haben Musik- und Tanzkurse gegeben und das war großartig. Ich denke das beides toll war. Die Musikkurse waren toll, denn es die Kids mochten es Percussion zu spielen. Sie konnten so eine andere Kultur kennenlernen und eine andere Art Musik zu machen. Und die Tanzkurse waren auch sehr schön, am Anfang waren alle ein wenig steif und am Ende konnten sie sich total gehen lassen.

Bei ihren Auftritten in Brasilien stehen Treme Terra mit sehr vielen Menschen und Instrumenten auf der Bühne. Hier in Deutschland sind sie zu acht unterwegs. Wie fühlt sich das an?
Als wir in Sao Paulo angefangen haben zu üben war das echt hart. Normalerweise sind wir 24 Leute auf der Bühne und außerdem gibt es viele kleine Elemente wie Geräusche die plötzlich auftauchen und solche Sachen. Das war schwierig mit acht Personen umzusetzen. Am Anfang haben wir gedacht das kriegen wir nicht hin, das ist unmöglich – aber dann haben wir es doch hinbekommen und jetzt wird das Konzept immer beeindruckender. Am Anfang als wir hier in Deutschland aufgetreten sind, waren wir sehr unsicher. Dem Publikum hat unsere Show gefallen, aber wir hatten das Gefühl es fehlt etwas. Aber nach und nach sind wir sicherer geworden. Jetzt ist ein Gefühl von, damit kommen wir klar, wir sind nur acht, und daraus kann man etwas machen. Aber es wäre nicht möglich die gleiche Show zu machen. Aber wir haben uns unterhalten und Joan, unser künstlerischer Leiter hat gesagt, wir haben da eine neue Show erarbeitet und vielleicht funktioniert das in Brasilien auch. Wir könnten zwei Shows haben, und an Orten die sehr klein sind können wir mit acht Menschen auftreten.

Wer jetzt Lust bekommen hat Treme Terra zu erleben findet den weiteren Tourplan auf www. Kinderkulturkarawane.de, dort gibt es auch einen Link zur Seite der Gruppe mit Musik und Videos.