"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Der Mindestlohn -

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Der Mindestlohn war aus meiner Sicht eine der Entdeckungen des deutschen Wahlkampfes, vor allem, als sich die Bundeskanzlerin leichten Herzens dazu entschloss, das Thema aufzugreifen und zur eigenen politischen Forderung zu machen, lange vor der SPD.
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10:24 min, 19 MB, mp3
mp3, 256 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 08.10.2013 / 11:23

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 08.10.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Diese hatte es allerdings nicht einfach in dieser Disziplin, haftet ihr doch beim normalen Beobachter nach wie vor das Stigma von 1-Euro-Löhnen und Ich-AGs im Rahmen der Hartz-Arbeitsmarkt-Reformen an. 1 Euro, das prägt, das bleibt in irgend einer der Bewusstseinsschichten haften und klingt dauernd mit, wenn diese Partei über den Mindestlohn spricht, auch wenn man weiß, dass damit ein gewerkschaftlicher und nicht ein Hartz-IV-Mindestlohn gemeint ist. Nicht einfacher wurde die Diskussion auch mit dem Kanzlerkandidaten, der bis zum Zeitpunkt seiner Kandidatenkür lieber vor Aufsichtsräten und bei Managerkongressen gesprochen hatte, wo der Mindestlohn vermutlich nicht mal ein Mindestthema darstellt, das ist denen so was von egal –

Oder auch nicht? Auch hier verweise ich auf die oft gehörte Kritik, dass Deutschland seine Nachbarn ökonomisch zur Sau mache mit Dumpingpreisen dank Dumpinglöhnen, wofür wiederum die niedrigen Lebenshaltungskosten verantwortlich seien neben der Mäßigung der Arbeitnehmer-Vertretungen, und so weiter und so fort –

Wie auch immer: Frau Merkel hat auch das Thema Mindestlöhne rechtzeitig abgedeckt beziehungs­weise auf den Tisch gelegt, wobei ich hier mal nicht auf die Höhe und die Ausgestaltung der Vorschläge eingehen will, so viel Diskretion muss sein. Jedenfalls trat hier der Gegensatz zwischen CDU/CSU und ihrem gelben Koalitionspartner vielleicht am deutlichsten hervor; die F.D.P. sah in der Festsetzung von Mindestlöhnen seit eh und je die sozialistisch-kommunistische Weltrevolution, und die Bundestagswahl hat nun auch diesbezüglich absolute Klarheit geschaffen.

Ihr wisst vielleicht, dass die Mindestlöhne auch bei uns in der neutralen Schweiz ein Thema sind. Bis jetzt wurden sie je nach Wirtschaftszweig abgemacht, wenn ein Tarifvertrag vorlag, oder halt eben nicht, wo es keinen gibt, und nun wurde eine Volksinitiative eingereicht, welche einen gesetzlichen Mindestlohn von rund 4000 Franken pro Monat verlangt, das sind um die 3400 Euro brutto. Auch hier schießen die Luftabwehrgeschütze der Unternehmerverbände schon ihre Salven in den Luft- und Geistesraum, wobei sie gegenwärtig noch mit der anderen Volksinitiative beschäftigt sind, die eine Beschränkung des Lohngefälles zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Lohn innerhalb einer Firma auf das 12-fache verlangt und über die in einem Monat abgestimmt wird. «Nein zum Lohndiktat vom Staat!», schreit es von den Plakatwänden, und tatsächlich erscheint es auch dem gesunden Menschenverstand absolut skandalös, wenn so ein Spitzenmanager plötzlich nur noch 576'000 Franken im Jahr brutto verdienen darf – immer unter der Voraussetzung, dass der Mindestlohn 4000 Franken brutto sei, einmal abgesehen von Spesen und anderweitigen Honoraren. Ich kann mir den Scherz ersparen, dass so ein Manager gerade heraus verhungern würde, Ihr wisst alle, dass es hier vielmehr um den sozialen Tod geht, ums Abgleiten ins Prekariat im Rahmen der internationalen Manager-Gilde. Man muss sich bloß mal vorstellen, wie Daniel Vassella darunter gelitten hätte, jener CEO bei Novartis, der im Jahr 2010 um die 72 Millionen Franken einstrich. Ihr seht sofort, dass es moralisch, rechtlich und faktisch nicht haltbar ist, so einen Menschen von einem Tag auf den anderen auf gerade mal ein Einhundertzwanzigstel seines Lohns zu setzen. Macht mal das Beispiel mit Eurem eigenen Lohn: 1500 Euro netto geteilt durch 120, das macht doch gerade mal 50 Euro pro Monat. So kann man mit unseren Managern nicht umspringen, das seht Ihr doch ein.

Wie auch immer und unabhängig vom Ausgang dieser Abstimmung folgt irgendwann im nächsten oder übernächsten Jahr die Abstimmung über den Mindestlohn, und wie gesagt sperren sich die PR-Agenturen der Arbeitgeberverbände schon jetzt mächtig gegen dieses Projekt. Da kommt nun aber eine andere PR-Initiative so richtig schön mittenmang hinein in die Thermik der Gesamt­pro­ble­ma­tik: Seit vielleicht 10 Jahren versuchen die beiden deutschen Billigläden Aldi und Lidl, in der Schweiz Kaufkraft abzuschöpfen, sagen wir mal: mit mäßigem Erfolg, obwohl sich die Namen langsam zu etablieren beginnen. Dazu gehört nun offensichtlich auch die zunehmende Berück­sichtig­ung der kulturellen Eigenheiten des Schweizer Kaufpublikums, und dies hat nun eben dazu geführt, dass das schöne Unternehmen Lidl ausgerechnet jetzt in ganzseitigen Zeitungsanzeigen lauthals und unübersehbar ankündigt: Wir führen per sofort einen Mindestlohn von 4000 Franken ein für unser Verkaufspersonal! – Und zur abschließenden Untermalung der Stoßrichtung werden ebendiese Inserate nicht nur in Tageszeitungen und Konsumentenmagazinen geschaltet, sondern auch in der linken, oppositionellen Wochenzeitung, was vielleicht so etwas wie die taz in Deutschland ist.

Lidl nimmt die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns vorweg und hebt seine Löhne an auf 4000 Franken pro Monat – ich kann Euch sagen, dass ein Gelächter durch das ganze Land ging. Nicht ein lautes Gelächter, keine Schlagzeilen und so, aber alle haben die Ironie sowohl der Maßnahme als auch der PR-Strategie zu 100 Prozent verstanden, und so wird Lidl den entsprechenden Anstieg der Lohnsumme um, was weiß ich, 5 oder 10 Millionen Franken im Jahr problemlos unter Werbeaufwand verbuchen können anstatt unter Lohnkosten.

Jedenfalls ist diese Aktion ziemlich aussagekräftig, sowohl was die Lernfähigkeit von Lidl betrifft als auch bezüglich des Schweizer Konsumverhaltens. Selbstverständlich können MediaMarkt oder Saturn auch hier Reklame machen mit Geiz ist Geil oder Ich bin doch nicht blöd, aber das ent­spricht nicht dem Massengeschäft, es trifft nicht dort hin, wo das meiste Geld liegt beziehungsweise ausgegeben wird. Wie jeder andere Konsummarkt ist auch der Schweizer Konsummarkt viel­schich­tig, die KonsumentInnen teilen sich in zahlreiche Segmente auf, wobei die Trennlinien zwischen den Segmenten oft durch ein und dieselbe Konsumentin laufen. Wenn das Warenangebot ungefähr gleichwertig ist bei nicht allzu großen Preisdifferenzen, entscheiden sich die Kundinnen viel stärker nach Sympathie oder einer fast schon erblichen Vordisposition als Coop-Kinder oder Migros-Kinder für diese oder jene Einkaufskette. Viel stärker als der Preis wiegt das Vertrauen, das man in die entsprechenden Produkte setzen kann und für welches eben die beiden Einzelhandelsriesen in der Schweiz ungefähr gleich stark stehen. Aldi und Lidl stehen dem gegenüber in einem schlechten Licht da; ihre lieblos feilgehaltenen Produkte schreien geradezu heraus: Ich bin nichts wert!, sie präsentieren sich wie ein Mann, der vergessen hat sich zu rasieren, und damit erreicht man in der Schweiz zwar durchaus Kundschaft, aber es entgeht einem gleichzeitig Kaufkraftpotenzial in Konsumregionen, welche viel interessanter wären. Und an diese kommt man nur mit glaub­wür­digen PR-Aktionen heran. Somit ging es in den ersten zehn Jahren darum, das eigene Negativ-Image bezüglich der angebotenen Produkte aufzupolieren, was so halbwegs gelungen ist; nun muss man das kollektive Einkaufsbewusstsein auf einer anderen Ebene attackieren, und hier kommt offenbar diese ganze Mindestlohn-Kampagne ganz ausgezeichnet zupass. Nicht zuletzt deshalb, weil die Migros in den letzten Jahren in die Schlagzeilen gekommen ist, weil sie ihrem Personal eben diesen Mindestlohn verweigerte. Geschickt gemacht vom deutschen Discounter, das muss man sagen. Übrigens geht damit durchaus nicht einher, dass man etwa mit den Gewerkschaften einen Tarifvertrag abschließen würde, oh nein, so weit geht das soziale Verständnis denn doch auch wieder nicht. Aber trotzdem.

Lidl bezahlt dem Verkaufspersonal mindestens 4000 Franken pro Monat – stellt euch das mal vor in der Bundesrepublik Deutschland: «Lidl bietet seinen Angestellten 3400 Euro brutto im Monat!» – Wenn Lidl auch nur ein einziges solches Inserat publizieren würde, die Verkaufsgeschäfte wären vom nächsten Tag an menschenleer. Und das sagt wohl viel mehr aus über den Unterschied zwischen unseren schönen Ländern als ganze Bibliotheken voll von Vergleichsstudien, vor allem an weniger anspruchsvollen Universitäten. Trotzdem möchte ich all jene Zuhörerinnen und Zuhörer, die bei Aldi und Lidl beschäftigt sind, freundlich dazu auffordern, sich mit ihren Vorgesetzten in Lohngespräche zu begeben unter Verweis auf die Löhne von Lidl in der Schweiz bzw. auf den Stolz, mit welchem das Unternehmen seine Höchstlohnpolitik an die Öffentlichkeit bringt. Und dann wollt ihr euch bitte den Schmonzes ganz genau anhören, welche die Filialleitung zu bieten hat neben den einfachen, aber wirksamen Sätzen wie: «Wenn es Ihnen bei uns nicht gefällt, können Sie ja kündigen» oder solche schönen Sachen.

Abgesehen davon aber war die letzte Woche aus meiner Sicht eine erfreuliche Woche. Am Freitag wurde nämlich die Volksinitiative «für ein bedingungsloses Grundeinkommen» mit rund 126'000 gültigen Unterschriften eingereicht. Es gibt also in rund 2 Jahren eine Volksabstimmung darüber, und wenn die angenommen wird, dann führen wir das System ein. – Für einen kurzen Moment erlaubte ich mir den Luxus eines kleinen patriotischen Gefühls, nicht bezüglich der schönen Eigenschaften des hier ansässigen Menschenschlags oder so, sondern einfach wegen dieses eigenartigen Instrumentes der Volksinitiative und wie man damit eben auch schöne Sachen unter die Leute bringen kann, neben verschiedenen anderen weniger schönen Sachen; ich glaube, im Moment wird auch für eine Volksinitiative für ein Burkaverbot in der Gesamtschweiz gesammelt oder vielleicht für die Einführung der Todesstrafe oder für die Senkung des Cholesterinspiegels bei Asylbewerberinnen, aber an und für sich, als Instrument der Demokratie, ist solch ein Initiativrecht doch nicht zu verachten. Aus neutraler Sicht würde ich Euch sogar empfehlen, dieses Volksrecht auch mal bei Euch auszuprobieren. In Frankreich haben sie es eingeführt, aber unglaublich hohe Hürden aufgestellt; man muss über 3 Mio. Unterschriften zusammen bringen, wo doch 750'000 vollauf reichen täten. Also, nehmt Euch das mal zu Herzen. Man kann das übrigens auch auf Landes- oder auch Kommunalebene einführen. Alles völlig legal.