"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Google und andere -

ID 59782
 
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!!! wirkliche Länge: 11:26 Minuten !!!

Seit einiger Zeit verwende ich nicht mehr Google als Suchwebseite, sondern ixquick, soweit das möglich ist, denn ixquick ist einfach nicht so mächtig wie Google. Immerhin liefert man den Google-Amerikanern so nicht geradewegs sämtliche digitale Informationen zur Person frei Haus.
Audio
11:26 min, 11 MB, mp3
mp3, 134 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.11.2013 / 14:15

Dateizugriffe: 477

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 05.11.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Gemäß einem vom Netzwerk Xing geposteten Artikel eines Hamburger Suchmaschinen-Optimierers ist Google drauf und dran, ihre bestehenden Informationen über den Menschen vor dem Bildschirm neuerdings sofort in die Google-Suche einfließen zu lassen, ja, noch mehr: der Mensch als Google-Benutzer braucht schon gar nicht mehr zu suchen, Google macht ihm selbständige Vorschläge. Hummingbird oder Kolibri nennt sich diese neue Vernetzungs­generation, welche einerseits in der allerfröhlichsten aller Naivitäten die globale Datensammlung über das Ding vor dem Bildschirm, das wir früher mal Individuum oder Subjekt genannt haben, bestätigt und daneben auch noch vorgibt, es würde besagtes externes Teilchen unterstützen; anderseits muss man anerkennen, dass Google damit den Versuch unternimmt, das menschliche Hirn zu externalisieren beziehungsweise tatsächlich extern zu unterstützen, was per Saldo auf den Versuch herauskommt, das Hirn zu kopieren und in letzter Konsequenz zu automatisieren. Das Individuum kann dann, wenn die Google-Server endlich alle in der Wüste Gobi stehen, unmittelbar neben dem definitiven Endlager für sämtliche radioaktiven Abfälle der Welt, in China für sich denken lassen. Das macht mächtig Freude, vor allem die Begeisterung, mit welcher die Userinnen und User sich diesem Such-Moloch in die Arme werfen werden. Mit anderen Worten: Die Zivilisationskritik beziehungsweise die Zivilisationsskepsis wird eine Hochblüte erleben, und zwar vermutlich wie unterdessen fast alle Themen in der Form eines hysterischen Aufkochens, gefolgt vom sofortigen hundertprozentigen Vergessen.

Google baut damit logisch zusammen, was die Firma mit Google Docs, Google Maps, Street View, der Kombination von Mail- und Telefondaten und allen anderen schönen Sachen mehr schon längstens angelegt hat, und dass diese Mitteilung ausgerechnet auf dem Höhepunkt der NSA-Ausspäh-Affäre erfolgt, möchte ich kommunikationstechnisch als ideales Timing bezeichnen: Wir haben dann alles in einem Aufguss erledigt. Mit anderen Worten und wie gesagt: Wo immer möglich, Finger weg von dieser nach außen weit geöffneten Suchmaschine.

Ich lasse mich neben dem etwas nüchternen ixquick von der amerikanischen Yahoo-Webseite über den neuesten Tratsch informieren, im vollen Wissen darum, dass Yahoo genau die gleichen Bestrebungen unternimmt und der NSA meine Suchanfragen ebenfalls eins zu eins weiterleitet. Aber dennoch. Und im Tratsch und Klatsch finden sich immer wieder Besonderheiten, welche mir eben das personalisierte Google so ganz und gar nicht mehr liefern würde. Eine Meldung vom letzten Freitag möchte ich Euch nicht vorenthalten: Da berichtet ein Passagier des Flugs Delta 2255 von Atlanta nach Los Angeles, dass der Chefpilot oder Kapitän eine Dreiviertelstunde vor der Landung mitgeteilt habe, dass ein gefallener Soldat an Bord sei, dass man beim Aussteigen warten müsse, bis die ebenfalls mitfliegende Ehrengarde ausgestiegen sei und dass das Flugzeug mit Feuerlöschfahrzeugen in Empfang genommen würde, welche dem Toten einen Gruß aus Wasserkanonen entbieten würden, weil das so der Brauch sei in Los Angeles, wenn ein toter Soldat nach Hause komme. Nach einem eher verwunderten Kopfschütteln, das begleitet oder verursacht wird u.a. von der Frage nach ähnlichen Ritualen in Deutschland, ich denke da an eine Runde Trauer-Bier oder Trauer-Skat, eindeutig aber nicht ein Salut aus Wasserpistolen, aber wie auch immer: Nach einigem Verwundern erinnerte ich mich an die Walt-Whitman-Lieder, welche Kurt Weill im amerikanischen Exil vertont hat; Whitman macht dabei nicht in Siegespathos, sondern in Todespathos, aber auch dies nicht im heroischen Sinne, sondern aus der Warte der Hinterbliebenen; es geht immer um Eltern oder Bräute, welche zuhause auf ihren Sohn oder Bräutigam warten, und der kommt dann auch zurück und ist aber leider tot. «Come up from the Fields, Father», heißt das eine, die Mutter ruft den Vater von der Feldarbeit nach Hause, denn ein Brief ihres Sohns ist angekommen, allerdings seltsamerweise nicht in seiner Handschrift, na klar: «The only son is dead.» Oder das Klagelied für zwei Veteranen: «The son is brought with the father. In the foremost ranks of the fierce assault they fell; two veterans, son and father, dropt together, and the double grave awaits them.» Ja, so sehen oder behandeln die US-Amerikaner ihre Kriegsopfer wieder oder immer noch oder vielleicht doch eher schon wieder, vierzig Jahre nach Vietnam findet der kitschige Bericht über die Salutschüsse der Feuerwehr-Wasserkanonen wieder Eingang in die Tagesnachrichten. Und all das hat niemand anders geschafft als die alten Geschäftsfreunde der Erdölfamilie Bush, die Familie Bin Laden, wenn auch zugegebenermaßen ein missratener Sprössling, aber die missratenen Sprösslinge spielen bekanntlich in der Zivilisationsgeschichte seit eh und je eine wichtige Rolle.

A propos Walt Whitman: In der Schweiz gibt es einen, unterdessen an die 80-jährigen Wirtschaftswissenschaftler mit dem Namen Walter Wittmann, der so schöne Werke verfasst hat wie «Das globale Desaster. Politik und Finanzen im Bankrott», das allerdings nicht im Jahr 2010, sondern 1995 erschienen ist, oder auch «Direkte Demokratie: Bremsklotz der Revitalisierung» aus dem Jahr 2001. Acht Jahre lang präsidierte er auch eine Vereinigung für Zukunftsforschung und war ansonsten das, was man gemeinhin einen Querkopf nennt, das heißt ein Konformist, der manchmal den Denkfaden verliert. Titel wie «Der Steuerstaat: Die Ausbeutung der Fleißigen» oder «Kreuzzug gegen die Realität: Die ersten 100 Jahre nach Karl Marx» geben ausreichend Hinweise auf die globale geistige Heimat von Wittmann, der ansonsten in Disentis geboren und insofern beheimatet ist, was man als eines der Zentren der Schweizer Trockenwurst-Manufaktur bezeichnen kann.

Und a propos Familie Busch: Ihr erinnert euch vielleicht, dass mein Schätzchen Hayden Panettiere zum Nationalfeiertag 2008 für den Hanswurst, oder im Zusammenhang mit Disentis könnte man vielleicht sagen für die Hauswurst Wilhelm Busch die Nationalhymne geträllert hat im Park des Weißen Hauses. Nun kann sie schon mal die ukrainische Nationalhymne auswendig lernen, denn ihr Schwager in spe Witali Klitschko schickt sich an, die nächsten Präsidentschaftswahlen in der Ukraine zu gewinnen. So verschränkt sich Wahn und Wirklichkeit sowie die Vorstellung von beiden immer wieder aufs Schönste und Genaueste.

Was ich dagegen als echten Schock empfunden habe, war die Mitteilung, dass die UNO eines ihrer Millenniums-Ziele erreicht hat, und zwar zwei Jahre vor Ablauf der Frist bis im Jahr 2015. Das verstößt vollumfänglich gegen mein Vorurteil, wonach die UNO vieles kann, aber ganz sicher niemals Entwicklungsziele verwirklichen. Die UNO steht für mich in Sachen Produktion von heißer Luft unmittelbar hinter den französischen Universitäten. Und nun dieses: Die absolute Armut auf der Welt ist auf die Hälfte zurückgegangen! Im Millenniums-Bericht per 2013 steht nicht nur dies, sondern weiter, dass der Zugang zu Trinkwasser für über 2 Mia. Menschen verbessert wurde, dass es in der Bekämpfung von Malaria und Tuberkulose sichtbare Fortschritte gegeben habe, dass die Ziele bezüglich des Hungers in Reichweite seien, wogegen die Ziele bezüglich Umwelt-Nach­hal­tigkeit, Sterblichkeit von Müttern, AIDS-Therapien und AIDS-Information und Zugang der Kinder zu Primarschulausbildung nicht erreicht würden. Zudem stünden zuwenig Hilfsgelder zur Verfügung, was die ärmsten Länder am stärksten betreffe, wobei wir diesen letzten Logikschluss in praktisch jedem beliebigen Zusammenhang immer wieder hören, in der Regel heißt es bei uns: Die Armen werden immer ärmer und die Reichen immer reicher. Wenn nun jedoch die Armut halbiert wurde, dann kann das irgendwie nicht stimmen. Aber egal. Hauptsache, es wirkt.

Wir kommt das? Mitten im Jammertal blühen die Blumen des echten Fortschrittes. Bilden wir uns all das nur ein mit der Misere rund um die Weltwirtschaftskrise und so weiter? Eins steht jedenfalls fest: Die Schwellenländer haben sowohl bezüglich der Bevölkerung als auch bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung den größten Teil zu dieser positiven Bilanz beigesteuert. Aus der gegebenen Distanz betrachtet, lassen sich einige wichtige Faktoren feststellen, zum Beispiel für Brasilien das Erdöl-Wunder, das dem Staat erhebliche Mittel in die Kassen gespült hat, neben einer anständigen und weltmarkttauglichen Industrie; in China die bekannte Kurve vom Billiglohnland bis hin zum Hochtechnologie-Standort, der sämtliche umliegenden Staaten in seinem Schlepptau mit zieht. Indien dagegen erscheint mir als Land viel zu disparat, um kurze treffende Aussagen zu machen, nicht zuletzt deshalb, weil es nach wie vor in einem dauernd schwelenden Konflikt mit Pakistan steht, welches seinerseits noch in keiner Art und Weise nachweisen kann, dass es den Schritt geschafft hat weg vom Lieferanten von Billigst-Arbeitskräften für die Sklavenhalter-Staaten auf der arabischen Halbinsel. Aber insgesamt eben: Der Fortschritt ist real.

Dabei gibt es unterschiedliche Arten oder Ebenen von Fortschritt. Irgendetwas in der Beziehung hatte man sich vom Wahlsieg der französischen Sozialisten erhofft, und gegenwärtig fragt man sich, was da los ist. Die Reichtumssteuer kann man nachvollziehen, und die Reaktion von Hohlköpfen wie Gérard Dépardieu oder der französischen Superfußballer ist eher ein Hinweis auf ihre Richtigkeit als auf allfällige Fehler dabei. Aber sonst weiß man nicht so recht, was die Genossen veranstalten. In erster Linie weiß man nicht, ob die Meldungen, die zu uns durchdringen, oder auch die Nachrichten zuhanden der französischen Öffentlichkeit nicht mindestens stark dramatisiert werden von den Medien der französischen privaten Oligarchen, welche sich eine gefügige Regierungsmannschaft gewohnt sind, mit welcher man die Interessen problemlos abstimmen kann. Das Remmidemmi um die Einführung der Lastwagen-Maut weist stark in diese Richtung, denn das Projekt als solches ist absolut unumstritten, technisch steht die Lösung bereit, aber die Transporteure waren schon immer anfällig für politische Aktionen. Jetzt ist es ihnen offenbar gelungen, die Forderung nach Abschaffung bzw. Nichteinführung dieser Maut in den allgemeinen Forderungskatalog der Unzufriedenen einfließen zu lassen, wozu man eigentlich gratulieren sollte; aber wie gesagt, aus der Distanz lässt sich nicht leicht erkennen, was in Frankreich abläuft. Zu kritisieren gäbe es verschiedene Punkte, zum Beispiel die neurotische Ausrichtung auf die Atomenergie, die unglaublich ineffiziente Sozialgesetzgebung, den nach wie vor zentralistischen Aufbau von Staat und Wirtschaft und eben die offensichtliche Machtausübung durch eine Wirtschaftselite, an deren Laufband so ziemlich alles zappelt. Jedenfalls bin ich vorderhand nicht bereit, jene Auffassung zu übernehmen, welche die bürgerlichen Medien jetzt schon zum zweiten Mal durchzusetzen versuchen, nämlich dass die Sozialisten nun plötzlich alles viel schlechter machen sollen und überhaupt keinen Plan haben im Gegensatz zum wunderbaren Vorgänger, dem Kokskind und Louis-de-Funès-Widergänger Nicolas Sarkozy. Dessen Format hat François Hollande noch allemal.