"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Die Universität Nikosia -

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Die Universität Nikosia hat Ende November beschlossen, dass man Studiengebühren jetzt auch mit Bitcoins bezahlen kann. Vom Frühjahr 2014 will sie zudem einen Masterstudiengang in Digital­wäh­­rungen anbieten. Das tönt natürlich gut, und ich bin sicher, dass die Universitäten von Athen und Neapel bald nachziehen werden.
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10:27 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 16.12.2013 / 20:14

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 16.12.2013
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Auf jeden Fall sind wir jetzt mit den Bitcoins wieder bei 850 Dollars, die Passfahrt geht weiter rauf und runter, über Serpentinen und durch Tunnels, ganz wie man es sich für ein ordentliches Freizeitvergnügen wünscht, und mehr wird kaum daraus werden, auch wenn sich das viele freie Geister wünschen würden. Der Wunsch kommt aus dem Mutter­wunsch, den Zufälligkeiten des Geldmarktes zu entrinnen und endlich und ein für allemal ein über alle Jahrtausende hinweg gültige Währung einzurichten, damit uns nicht die Inflation oder die Spe­ku­lation oder die periodischen Finanzkrisen alles wieder wegfressen, was wir mühsam ange­spart haben.

Da fällt mir ein, dass seit der letzten richtigen, also globalen Finanzkrise auch schon wieder bald sechs Jahre vergangen sind, und sofern es auch im Geldwesen gewisse Wirtschaftszyklen gibt, nähern wir uns mit großem Tempo dem nächsten Absturz. Sämtliche Parameter weisen darauf hin, in erster Linie die Börsen, welche auf Rekordständen notieren, während die Zentralbanken ihr Geld weiterhin zu 0% Zins auf den Markt schmeißen, kein Schwein weiß, weshalb, es muss irgend einen Zusammenhang geben mit der Staatsverschuldung und zum Schuldendienst, die Realwirtschaft jedenfalls ist nicht auf dieses Schleudergeld angewiesen. In einer Mitteilung vom 12. Dezember lese ich zum Beispiel, dass Volkswagen Financial Services in Brasilien Asset Backed Securities im Umfang von rund 300 Mio. Euro auf den Markt gebracht hätten, und zwar haben sie damit die Leasing- oder Finanzierungsverträge von knapp 60'000 VW-Fahrzeugen zu Geld gemacht. Oder anders gesagt: Volkswagen finanziert 30% ihres Absatzes in Brasilien selber mit den Volkswagen Financial Services und holt sich anschließend das Geld dafür auf dem brasilianischen Finanzmarkt. Daran ist wirtschaftsdogmatisch nichts auszusetzen, und den Vergleich mit jenen Asset Backed Securities, welche mit verantwortlich für die Finanzkrise im Jahr 2008 waren, müssen wir auch nicht anstellen, weil hinter den VW-ABS immerhin echte verkaufte Fahrzeuge, und zwar zum Großteil Neufahrzeuge stehen, die im Konkurs- oder Verwertungsfall doch immerhin noch einen Restwert von um die 50% hätten, während die in Spezialgesellschaften ausgelagerten ABS auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt halt überhaupt nichts mehr wert waren. Abgesehen davon sind 300 Millionen Euro ein Klacks angesichts der gesamten Außenstände von 87 Milliarden Euro, welche die Volkswagen Financial Services per 2012 ausweist – im Jahr 2008 waren es noch 57 Milliarden gewesen. Und das ist doch fast ein Viertel des Jahresumsatzes 2012, auch wenn man Umsatz- und Kapitalwerte nicht so einfach miteinander vergleichen kann. Die Unternehmen im Produktionssektor wissen sich, mit anderen Worten, selber zu helfen und sind nicht direkt angewiesen auf das Buchgeld der Nationalbanken. Und so reiht sich bezüglich des Finanz-, Kapital- und Geldmarktes Frage an Frage. Gibt es nach der Niedrigzins-Phase jetzt dann wieder mal eine echte Inflation? Sinken die Immobilienpreise, wenn die Hypothekarzinsen steigen? Hat die Flutung der Geldmärkte nur damit zu tun, die Inhaber von gefährdeten Staatsschuldenpapieren vor dem Kollaps zu retten beziehungsweise ihnen künstliche Renditen zu garantieren?

Künstlich ist in jedem Fall ein zentraler Begriff in diesem ganzen Spiel. Wenn man einmal unterstellt, dass es nach wie vor so etwas wie echte Wertschöpfung und die dazu gehörigen Mechanismen gibt, dann heben sich die Ereignisse auf den Geldmärkten davon ganz gewaltig ab. Das muss nicht zum Vornherein schlecht sein, denn auch die Realwirtschaft ist zur Realisierung ihrer Wertschöpfung auf zahlreiche, wo nicht zahllose künstliche Konstrukte angewiesen, angefangen von simplen Exportmechanismen bis hin zur Arbeitsmoral. Alles künstlich, all das, was wir als Wirtschafts-Naturgesetz wahr- und hinnehmen, ist nichts weiter als das Gebilde aus Menschenhand, allerdings in der Regel erprobt in trilliardenhaften Aktionen und Transaktionen. Die Transaktionen bei Geld und Kapital haben sich allerdings in den letzten Jahrzehnten dramatisch ausgeweitet und immer mehr vom ursprünglichen Zweck, nämlich der Beschaffung von Mitteln für die Produktion entfernt. Sie haben sich ausgeweitet nicht vor allem in der Menge, sondern vielmehr in der Art, und deshalb steckt hinter den neuen Instrumenten auch noch kein Bruchteil der akku­mulierten und gewohnheitsrechtlich verankerten Erfahrungen aus den konventionellen kapita­lis­ti­schen Geschäften. Das erklärt wohl, weshalb es tendenziell immer häufiger zu Finanzkrisen kommt. Den Beginn in der neueren Zeit stellte möglicherweise anfangs der achtziger Jahre die Über­schwem­­mung der latein­ame­ri­kanischen Gesellschaften mit US-Bankenkapital dar, was dort für eine jahrelange Blockade in Politik und Wirtschaft sorgte und von vielen als vorsätzliche Politik der USA wahrgenommen wurde, um diesen Hinterhof wirtschaftlich so weit als möglich unter der Knute zu halten. So richtig los ging es dann laut dem Schlauen Buch des Fähnleins Fieselschweif, nämlich der Wikipedia mit der Finanzkrise in Japan in den 1990-er Jahren, die ideal ergänzt wurde durch die Asienkrise 1997/1998, dann kam die erste richtig schöne Spekulationswelle in den westlichen Industrienationen mit der Dotcom-Krise im Jahr 2000, und dann waren es eben die Banken mit ihren sagenhaften neuen Finanzprodukten, welche den Kapital­trans­fer im Jahr 2008 zeitweise vollständig zum Erliegen brachten.

Ob man dagegen die Griechen­land-Krise als Finanzkrise einstufen sollte, ist alles andere als klar, die Griechenland-Krise ist in erster Linie eine Krise Griechenlands, so doof das auch tönen mag. Soweit es sich aber um eine Euro-Krise handelt, geht es in erster Linie um die im Euroraum vereinigten Volkswirtschaften beziehungsweise um deren Produktionskosten unter dem Dach einer gemeinsamen Währung bei unterschiedlichen Standortfaktoren, Strukturen und Entwicklungs­graden, was ich ebenfalls in keiner Art und Weise als Finanzkrise bezeichnen würde. Diese Aus­ein­an­der­set­zung unter den Nachbarn hat in gewissem Sinne Kriegscharakter, vor allem, wenn man das nationalistische Konzert betrachtet, das aus allen Löchern tönt; dafür braucht man zum Beispiel in Deutschland durchaus nicht Mitglied der Allianz für Deutschland zu sein, während die Fremdenfresser in Frankreich schon ganz selbstverständlich und überlaut auftreten. Wenn man sich hier eine neue Finanzkrise dazu rechnet, dann kann das so richtig kreativ werden.

Es spielen in diesem Konzert ziemlich alle Faktoren ihre Rolle, die man sich nur vorstellen kann. Einen wichtigen Treibhauseffekt erzielen die Rentensysteme mit Kapitaldeckung, die Pensions­kas­sen, welche verzweifelt nach Anlagemöglichkeiten suchen, um die erforderlichen Renditen zu erzie­len. Es sind also nicht mehr nur die reiche Säcke, welche den Rentabilitätsdruck erzeugen, sondern die Durchschnittsbevölkerung wird je länger, desto mehr selber zum Akteur auf den Finanz­märkten, allerdings ohne ein entsprechendes Bewusstsein oder eine entsprechende Hand­lungs­vollmacht zu besitzen. Die Banken, Versicherungen und Finanzintermediäre selber sind unterdessen wohl selber zu Gejagten ihrer eigenen Machenschaften geworden. Umso unverständ­licher ist es, dass sie sich gegen die Regulierungen sperren, die sie weitgehend selber mit gestaltet haben. Aber das ist eine Nuance, die vielleicht eher einen ideologischen Hintergrund hat.

A proposito Regulierungen: Ob wir nun tatsächlich der Einführung der Kapitaltransaktionssteuer beiwohnen werden unter der neuen rot-schwarzen Regierung? Oder mindestens ein paar energischen Ansätzen in diese Richtung? Die Engländer werden sich natürlich dagegen sperren, aber möglicherweise findet man einige Alternativen, wenn man sich nur ein bisschen anstrengt, eben wieder beim Regulieren. Wenn es die EU schafft, gewisse Bankgeschäfte unter die Bedingung der Kapitaltransaktionsbesteuerung zu stellen, dann wird auch die britische Regierung mit der Zeit nachziehen, selbstverständlich unter lautem Gezetere von wegen Wettbewerbsverzerrung und so weiter, aber damit muss man dann halt leben.

Abgesehen davon wirft man der neuen Regierung mindestens in der neutralen Schweiz schon jetzt vor, dass sie die wirklich drängenden Fragen überhaupt nicht angehe. Ich selber sehe das nicht so eng, indem ich die wirklich drängenden Fragen noch nicht so richtig identifiziert habe, einmal abgesehen von meinem andauernden Vorschlag für sämtliche Länder auf der ganzen Welt, nämlich eben das be­din­gungs­­lose Grundeinkommen, aber davon war im Koalitionsvertrag wohl auch keine Rede. Aber was sind die übrigen dringenden Punkte? Die Reform des Rentensystems, selbst­ver­ständ­lich, gebongt, immer und immer wieder, aber hierzu verweise ich nicht nur auf das Grund­ein­kommen, sondern auch auf die Tatsache, dass man so etwas nicht einfach so in einen Vertrag hinein schreiben soll, wenn man keine Ideen hat dazu. Der Schuldenabbau? Ebenfalls klar, aber wie will man das machen, mit welchem Ziel, müssen die Staatsschulden auf null gesenkt werden, oder gibt es doch eine akzeptable Quote, und wo liegt die, auch im internationalen Vergleich? Schwer zu sagen, und vor allem ist so etwas schwer in einen Koalitionsvertrag aufzunehmen, in dem man doch die eine oder andere Mehrausgabe vorgesehen hat, während man keine Steuern erhöhen will. Erinnert ihr euch übrigens an jenen Bush-Präsidenten, der einmal gesagt hatte: Read my Lips, und auf diesen Lippen stand dann geschrieben, keine Steuererhöhungen, was sozusagen die Garantie beziehungsweise die Vorankündigung jener Steuererhöhungen war, die er dann vorgenommen hatte? – Natürlich keine Steuererhöhungen für die Reichen, aber doch für die Armen und für den Mittelstand. – Investitionen in die Infrastrukturen, das wäre mal etwas, und hiervon ist tatsächlich nirgends die Rede, wobei das vermutlich am ehesten die Kommunen und die Länder betrifft. Aber sonst? Alles wie gehabt, sozialdemokratischer Konsens, wie er sich für einen durchschnittlichen Staat gehört. Die Diskussion von Grundsatzfragen dagegen, die wird nicht ausgerechnet von der Bundesregierung angerissen werden. Das müssen schon die klugen Köpfe außerhalb des Parlamentes und vielleicht auch außerhalb der Parteien besorgen.