"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Aktenzeichen Naher Osten ix -

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Die letzte mir zugängliche Ausbaustufe des munteren Orakelns zum Nahen Osten betrifft das Verhältnis zwischen den USA und Saudiarabien, nachdem die Verhandlungen mit dem Iran über die Uran-Anreicherung wunderbare Fortschritte machen.
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10:29 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 14.01.2014 / 11:11

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 14.01.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Dabei hat doch der Iran als Erzfeind sowohl der US-Amerikaner als auch der Saudis die beiden Staaten eng aneinander gebunden, ich sage bloß Harken Energy, George W. Bush und Erdöl. Und nun soll das alles plötzlich vorbei sein, unter anderem auch deshalb, weil sich die Amerikaner weigerten, in Syrien direkt mit dem Militärhammer draufzuschlagen und einen Sohn oder Cousin oder Wesir des saudiarabischen Königs einzusetzen, und überhaupt. Die US-Amerikaner stünden dank dem Fracking kurz vor der energietechnischen Autarkie, weiß ein anderer Analytiker und Kommentator, und zu alledem würden in Kürze jene paar Dutzend Seiten aus dem Bericht zum Anschlag vom 11. September 2001 veröffentlicht, welche der Universaltrottel Wilhelm Busch seinerzeit noch schwärzen hatte lassen, weil da offenbar ein paar unangenehme Informationen zu den Beziehungen der saudiarabischen Familien zu den Terroristen und ihren Organisationen drin stünden. Das war wohl auch ausgezeich­netes Material, um die Saudis so ein bisschen zu erpressen, und offenbar hat es sich nun ausgepresst, also kann das ganze Spiel von neuem losgehen.

Irgendwie passt der Abgang von Ariel Sharon mit Tod gut in diesen Szenenwechsel, obwohl er in den letzten Jahren nicht mehr viel gesagt hat. Wenn die Karten im ganzen Nahen Osten neu gemischt werden, dann muss sich auch Israel an die neuen Gegebenheiten anpassen. Plötzlich ist die Hisbollah, die bisher der treuste Feind von Israel war, so etwas wie ein Verbündeter im Kampf gegen die Al Kaida, und die halbe vernünftige Welt trauert der Destabilisierung von ganz Syrien nach, denn der Al-Assad-Clan hatte doch immerhin für eine anständige Ruhe gesorgt, und zwar weitaus moderner als seinerzeit der bekloppte Despot Saddam Hussein im Irak. Die Spannung steigt, wobei man sie im eigenen Interesse nicht allzu hoch kochen sollte, denn die Geschichte von der Energie-Autarkie des weltgrößten Energieverschleuderers USA mag für das eine oder andere Jahr stimmen, aber ganz sicher nicht über längere Zeit hinaus, und bei all dem Schlechten, was man über die Vereinigten Staaten sagen mag oder ihnen zutraut, so dumm werden die nicht sein und sich ihre langjährigen Verbündeten definitiv vergraulen. Eine vorübergehende Trübung besteht offenbar, verschiedene regionale Machtverhältnisse werden auf Vordermann gebracht, aber insgesamt ist nicht mit grundlegenden Verschiebungen zu rechnen. Das beste Indiz dafür sind nach wie vor die USA selber: Solange die nicht irgend eine Sorte von nationalem Notstand ausrufen, und sei es nur in der Form eines patriotischen Konsenses, der über die Parteigrenzen hinaus reicht, solange hat sich nichts ereignet, was für die Militärmacht Nummer eins auf diesem Erdenplaneten von mittelfristiger Bedeutung wäre.

Dass daneben die Streikbewegung der Textilarbeiter in Kambodscha mir das Herz im Leibe hüpfen lässt, versteht sich von selber, und zwar neben der grundsätzlich richtigen Einsicht, dass sich die Arbeiter in Gottes Namen für ihre Rechte wehren müssen, wenn sie nicht untergehen wollen, auch deswegen, weil diese Bewegung ein Beleg dafür ist, wie weit die Industrialisierung in China schon fortgeschritten ist: weit, sehr weit und längstens über die Landesgrenzen hinaus. China beschäftigt sich gegenwärtig mit der Konsolidierung einer explosionsartig wachsenden Konsumentenschicht, und dabei nehmen offenbar die umliegenden Ländern und einige verbliebene Landstücke im Westen jene Rolle ein, welche zuvor das chinesische Hinterland für die Hafenregionen hatte. Soweit es nicht zu tieferen diplomatischen Zerwürfnissen kommt, ist nicht einzusehen, weshalb diese Länder bei Gelegenheit nicht auch am Konsumerfolg teilhaben sollten. Vielleicht stellt sich irgendwann und irgendwo noch die Frage der Verschuldung als letztes Hindernis auf diesem Weg beziehungsweise als das letzte und modernste Hindernis vor der Befreiung sämtlicher Konsumpotenzen weltweit, aber das ist ein anderes Kapitel. Insgesamt sehe ich meinen Optimismus bestätigt.

Manchmal gebe ich mir dabei selber einen kleinen Dämpfer, zum Beispiel anhand des Todes von Oscar Niemeyer im Alter von 104 Jahren. Der Junge hat vor über 50 Jahren die neue Hauptstadt Brasilia aus dem Boden gestampft, und zwar justament zu einem Zeitpunkt, in dem man dort ebenfalls von einer schönen Zukunft ausging, was sich dann überhaupt nicht bestätigt hat; die Kommunistenfresser haben alle Emanzipationsansätze im Kern erstickt und die Aktivisten hinter Gitter gebracht oder auf die Friedhöfe, sodass Lateinamerika bis in die 90-er Jahre hinein unter der Fuchtel der USA beziehungsweise der mit den USA verbandelten Eliten null Entwicklungschancen hatte. Ich denke nicht, dass das heute wieder ähnlich läuft, aber dieses Beispiel zeigt doch, dass es auch heute noch durchaus keine Automatismen gibt, und zwar nirgends.

Daneben hoffe ich, dass Ihr auch davon erfahren hat, dass der nordkoreanische geliebte Führer Kim Jong Un sich beziehungsweise dem nordkoreanischen Volk, was ungefähr das gleiche ist, ein Skiresort hat herstellen lassen. Offenbar hat ihn seine Jugend in einem schweizerischen Internat mindestens diesbezüglich doch geprägt. Als er dagegen bei einer Schweizer Firma anfragte, ob diese ihm die entsprechenden Geräte im Sinne von Skiliften und Pistenfahrzeugen etc. etc. liefern würde, und zwar gegen gutes Geld, war diese natürlich bereit, diesen Auftrag umgehend anzunehmen beziehungsweise auszuführen, aber der Zentralstaat griff beherzt ein und untersagte diese Lieferung im Namen der Kontrolle von Rüstungsgütern. Nun fahren halt alte Skilifte aus China auf den Schneeberg hinauf, und es wurden Occasions-Pistenfahrzeuge der Firma Kässbohrer und Walzen der Südtiroler Firma Prinoth gesichtet. Ja, noch mehr: Bei einer Militärparade in Nordkorea fuhr kürzlich ein alter Mercedes-Benz der S-Klasse durch das Bild einer unvorsichtigen Kamera! – Die Welt hat definitiv ihre großen Probleme, und fragt mich jetzt nicht, wie die nordkoreanische Schützen-Olympiamannschaft zu ihren Waffen gekommen ist, sonst erzähle ich euch das noch.

Sodann wird es nun doch noch zum Prozess kommen gegen den ehemaligen griechischen Finanzminister Papakonstantinou, und ich benutze die Gelegenheit, mich nach der eigenartigen Namensgebung in diesem Land zu erkundigen: Da gab es doch auch einen Papadopoulos oder gibt es einen Venizelos, der auch noch Evangelos heißt, aber egal. Jedenfalls hatte Papakonstantinou argumentiert, dass es gegen ihn kein Strafverfahren geben dürfe, weil das Vergehen in einer vorhergehenden Amtsperiode geschehen sei. Beim Vergehen handelt es sich darum, dass Papakonstaninou die Namen von ein paar Bekannten und Verwandten von ihm von jener Liste mit griechischen Steuerhinterziehern entfernen hat lassen, welche die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde der griechischen Regierung zugestellt hatte. Jetzt hat das zuständige Gericht gemeint, dass die Amnestieregelung für diese vorhergehende Amtsperiode nicht gelte, weil die dazwischen liegende nur gerade ein paar Monate gedauert habe, während der das Parlament nur ein einziges Mal zusammen getreten war. Mal sehen, wie das Verdikt ausfällt. Jedenfalls erinnern wir uns daran, dass der Journalist Kostas Vaxevanis verhaftet wurde, weil er diese Liste publiziert hatte. Die weiße Rose aus Athen, sozusagen.

Eine weitere Meldung hat mich sehr erfreut, nämlich dass anlässlich der USA-Kältewelle in Fargo im Staat North Dakota nicht nur –35 Grad gemessen wurde, sondern dass die gefühlten Temperaturen aufgrund der eisigen Winde laut dem nationalen Wetterdienst bei minus 60 Grad Celsius lagen. Ich sehe also, dass jene Skala, die ich an dieser Stelle vor ein paar Wochen gefordert hatte, in den USA bereits existiert und kalibriert ist. Ein Prosit hierauf!

Weniger interessiert, sondern aus unerklärlichen Gründen ziemlich kühl gelassen, um nicht gerade kalt zu sagen, hat mich die Meldung von der Verunfallung des ehemaligen Formel-I-Automobilsport-Weltmeisters Michael Schumacher, ich glaube, es war am 29. Dezember. Zunächst musste ich an Euren ebenfalls ehemaligen Ministerpräsidenten Dieter Althaus denken, der vor etwa sieben Jahren nicht sich selber, sondern eine österreichisch-kanadische Touristin in den Sarg geritten hatte. Unsereiner sagt hierzu: Pech und lässt es mehr oder weniger dabei bewenden, aber die französische Staatsanwaltschaft setzt sofort eine Untersuchungskommission ein und versucht, eine Schuldfrage zu montieren, wohl weniger aus eigenem Antrieb, sondern um möglichst nicht in den Sog einer öffentlichen Meinung zu kommen, welche ins Rasen gerät, wenn es keinen Schuldigen gibt, den man bestrafen kann, beziehungsweise und korrekter: dessen Bestrafung man fordern kann. Diese öffentliche Meinung ist wirklich ein seltsames Tier, vor allem deshalb, weil ich selber ein integrierender Bestandteil davon bin, zum Beispiel mit dieser Sendung hier; das heißt unter anderem, dass sie weit davon entfernt ist, einheitlich zu sein, aber die Mehrheitsmeinung, welche ihren Ausdruck in den hohen Auflagen von Bild und Konsorten findet, die kann wohl noch nicht einmal unterscheiden zwischen Strafe und Rache.

Das wäre mal ein Thema für eine Abiturarbeit: Was ist der Unterschied zwischen Strafe und Rache? Ist der Staat als Inhaber der öffentlichen Gewalt tatsächlich ein geeigneter Strafer ohne jegliches Gramm Rachegefühle? – Selbstverständlich nicht, wie es die regelmäßig aufflackernden Debatten über das Strafrecht belegen. Strafe ist so etwas wie die an das Gemeinwesen delegierte Rache, wenn man so will. Anderseits aber eben auch nicht, denn die Strafe beschlägt den Verstoß gegen die Regeln, nicht aber die Tat selber. Das ist alles ziemlich kompliziert und deshalb, wie gesagt, ein schönes Thema für eine Abiturarbeit.

Und zum Schluss noch eine Frage: Früher hieß ein berühmter Roman von Fjodor Dostojewski «Schuld und Sühne»; heute heißt er «Verbrechen und Strafe». Weshalb? Handelt es sich hier um ein Werk aus dem Strafrecht oder um eines aus dem Moralbereich? Auch dies wird sicher eine eindrückliche, mindestens 46-seitige Abiturarbeit, für die es eine glatte Eins geben wird.