"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Indonesien -

ID 62917
 
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Eine Kollegin erzählte am Wochenende, dass die Regierung in Indonesien das Rechtssystem noch mehr auf Scharia getrimmt hätte und dass jetzt der Alkoholkonsum gänzlich verboten sei, was dramatische Auswirkungen auf die katholischen Gottesdienste hätte, indem dort jetzt beim Abendmahl nur noch Sirup ausgeschenkt werden dürfe und in erster Linie kein Wein mehr.
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11:45 min, 27 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 31.03.2014 / 15:03

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 31.03.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Sie sei nicht besonders religiös, meinte die Kollegin, aber dieses Wein-Verbot erscheine ihr nun doch übertrieben, und ich habe durchaus Lust, ihr zuzustimmen, aber vermutlich geht das eben wieder zurück auf eine prinzipiellere Abneigung gegen religiösen Fundamentalismus. Diese Abneigung hat seit einiger Zeit die Religionskritik als solche abgelöst, und dies wiederum nicht vor allem, weil die Religionskritik sich als unbegründet herausgestellt hätte – das ist sie selbstverständlich nicht -, sondern weil sich die Religion bei uns zwangsläufig den veränderten Lebens- und Gesellschafts­umständen angepasst hat und sowohl die Gläubigen als auch die Ungläubigen nicht mehr stärker piesackt als gerade notwendig, ja, gewisse Ausbildungen der Religion verzichten fast gänzlich auf die herkömmliche Missionstätigkeit und findet sich damit ab, dass die Kommunikation mit dem Herrn und Meister grundsätzlich auf individueller Ebene zu erfolgen hat. So weit ist man im Islam offenbar noch nicht, beziehungsweise frage ich mich immer wieder, wie weit man im Islam überhaupt schon ist beziehungsweise wie weit man überhaupt kommen kann, denn die haben ja nicht mal einen Papst, sondern bloss ein paar Priesterseminare und Universitäten, und ansonsten darf jeder Prediger im Rahmen der Koran-Auslegung mehr oder weniger verkünden, was ihm gerade gefällt. Soweit mein Informationsstand. Das versetzt mich noch keineswegs ins Recht, mich über den Islam lustig zu machen, denn es steht nirgends geschrieben, dass die dezentrale Auslegung Nachteile hat gegenüber einer Auslegungszentrale; es ist bloss etwas schwierig, einerseits das gesamte Glaubensgebäude und zweitens und vor allem die damit verbundene Institution, sozusagen die islamische Kirche, einigermassen kohärent zu begreifen und dann eben vielleicht auch religiös zu kritisieren; denn selbstverständlich ist der zugrunde liegende Text, der Koran, nichts anderes als die etwas unstrukturiert neu geschriebene Bibel, und auch diese hat, wie jeder religiöse Text, welcher mehr als zwölf Jahre überdauern will, alles zum Inhalt ebenso wie sein Gegenteil. Gewalt zum Beispiel wird nicht gerade verherrlicht, aber doch als legitimes Mittel zum Zweck rechtfertigt zum einen, und zum anderen wird sie schärfstens verdammt, und noch wo die Gewalt begründet wird, steckt sie doch meines Wissens in beiden Fällen in einem dicken Pelz, in einem Mantel von unumschränkter Liebe. Armut und Reichtum finden sowohl in der Bibel als auch im Koran ihre Rechtfertigung und Verherrlichung ebenso wie bittere Anklage und die Aufforderung, beide zu bekämpfen und zu beseitigen. Bloss die Rolle der Frau in Gesellschaft und Familie ist gemäss beiden Texten nicht besonders hervorragend, aber das ist wiederum eine andere Geschichte, wobei man hier soweit gehen könnte zu sagen, dass sich Christentum und Islam heute in erster Linie darin unterscheiden, dass es im Christentum eine feministische Theologie gibt, wovon der Islam immer noch ein paar Jahrzehnte entfernt ist. Soviel ich weiss.

Aber eben, in einigen Weltregionen hat das islamische Scharfrichterrecht im Rahmen des be­rühm­ten Selbstbestimmungsrechtes der Völker wieder Hochkonjunktur. Von Indonesien nehme ich deswegen noch nicht an, dass sie geradeaus die Beschneidung junger Mädchen aufnehmen werden; meines Wissens ist diese Praxis eher im Zusammenhang mit steinzeitlichen Unterdrückungsritualen in gewissen Regionen in Afrika zu sehen als mit der Scharia, obwohl diese solche Verstümmelungen durchaus nicht unter Strafe stellt, und wenn es der massgebenden Priesterschaft in Indonesien beifallen sollte, Gefallen an drakonischen und barbarischen Massnahmen zu finden, dann würden sie sicher versuchen, auch das einzuführen, aber eben, kulturgeschichtlich sehe ich keine Indizien für so was. Das Verbot von Messwein anderseits kann ich nur als einen minderen Verstoss gegen die Menschenrechte sehen; da muss durch, was ein rechter Christenmensch ist, und diese kleine Verbeugung vor den islamischen Machthabern dürfte erstens deutlich weniger krass sein als zum Beispiel die Verbeugungen des Kirchenvaters Augustinus vor seinen weltlichen Herrn im römischen Reich und zweitens sozusagen eine Messe wert angesichts eines Potenzials von doch 200 Mio. Heidenkindern, welche man im Reiche Indonesien noch bekehren kann.

Allerdings müsste man zu diesem Behuf zuerst eine starke katholische Kleinschiffflotte aufstellen oder eine christliche Kleinflugzeug-Fluggesellschaft, denn das Land besteht aus weit über 10'000 Inseln, auf denen hunderte von unterschiedlichen Ethnien und Sprachgruppen zu missionieren wären. Die Moslemisierung erfolgte offenbar vom 13. Jahrhundert an, und zweihundert Jahre später ging es mit der Kolonisierung los, hauptsächlich durch die Holländer. Die jüngere Geschichte war geprägt von der Unabhängigkeitserklärung nach dem Zweiten Weltkrieg unter Präsident Sukarno und dem anschließenden Konflikt zwischen dem Militär und der Kommunistischen Partei, welcher zum Sturz von Präsident Sukarno durch General Suharto führte und zur Auslöschung der KP, von welcher rund 500'000 tatsächliche oder vermeintliche Mitglieder ums Leben kamen. Suharto musste 1998 zurücktreten, nachdem das Land besonders stark von der Wirtschaftskrise in Asien betroffen war. 2004 kam es dann zu den ersten demokratischen Wahlen. Unter dem aktuellen Präsidenten Judhoyono hat sich die Lage generell entspannt, nachdem es vorher immer wieder zu internen und Grenzkonflikten gekommen war. Das Land ist Mitglied der G-20-Staaten mit einem Brutto­inland­pro­dukt von rund 1 Billion, also 1000 Milliarden US-Dollars, was pro Kopf rund 5000 US-Dollar ergibt. Die Verteilung zwischen Industrie, Dienstleistungen und Landwirtschaft beträgt 46%, 38% und 14%. Nach Beschäftigten steht allerdings der Dienstleistungssektor an erster Stelle mit fast 50%, gefolgt von der Landwirtschaft mit fast 40% und am Schluss die Industrie mit etwas über 20 Prozent. Zur Scharia bzw. zur islamischen Ausprägung des Staates ist noch der Hinweis auf verschiedene Bomben­atten­tate von islamistischen Terroristen am Platz, u.a. jenes auf Bali im Jahr 2002, das über 200 Todesopfer forderte. Der Hauptgrund dafür: Militärisch-politisch gesehen ist Indonesien seit den Zeiten von Suharto ein verlässlicher Partner der Westmächte und wird von diesen auch treu mit Waffen beliefert, unter anderem mit Panzern aus Deutschland. Bloß vom deutschen Rechtssystem wollen die IndonesierInnen offenbar nach wie vor nichts wissen.

Da kommt mir in den Sinn, dass sich kürzlich auch der bekannteste moslemische Fernsehsender Al Jazeera mit dem bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigt hat, und zwar in der Form einer Live-Schaltung mit verschiedenen Protagonisten, u.a. Stanislas Jourdan aus Paris und Enno Schmidt aus Basel. Anlass war die erfolgreiche Unterschriftensammlung für ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz, und den ganzen Beitrag kann man sich ankucken auf der Webseite der Initiative, also www.grundeinkommen.ch. Auch hier kann man sich die Frage stellen, ob das System Grundeinkommen nicht nur kompatibel ist mit den Staatsfinanzen, sondern auch mit den ethisch-moralischen Grundpfeilern; in erster Linie interessieren uns dabei natürlich die Aussagen der verschiedenen Kirchen, aber eben, das Grundeinkommen kann durchaus auch für Moslems ein Thema sein, wiewohl meines Wissens der Islam eher auf der Verpflichtung zur Ablieferung von Almosen beruht als auf sozialversicherungsähnlichen Staatssystemen; aber wenn sich die Zeiten ändern, wird sich ja auch der Islam entwickeln, ebenso der Not gehorchend wie die christlichen Kirchen. Finanziell wäre es den Vereinigten Arabischen Emiraten jedenfalls ein Leichtes, ein Grundeinkommen auszurichten, und soviel ich weiß, haben die arabischen BewohnerInnen dieser Länder durchaus keine Existenzprobleme; kompliziert wird die Sache dort, wo es darum ginge, auch den oft wie Sklaven gehaltenen Arbeitnehmern aus Pakistan und anderen asiatischen Ländern entsprechende Leistungen auszurichten. Erstens sind diese Menschen gar nicht in den Golfstaaten, um dort ihre Existenz aufzubauen, sondern sie wollen in erster Linie Knete nach Hause senden und dann wieder zurückkehren; zweitens und vor allem aber habe ich noch nirgends von einer Politik der Emirate gehört, welche diesen Lohnsklaven irgendwelche menschlichen Dimensionen zuge­ste­hen würden. Ihr Rechtsstatus entspricht mehr oder weniger jenem der Frauen. Da stoßen auch schöne Ideen wie das Grundeinkommen an ihre Grenzen. – Trotzdem ist es mindestens interessant, dass das Konzept auch im arabischen Raum auf Resonanz stößt, und sei sie noch so gering. Dafür will ich Al Jazeera loben und gleichzeitig meine Zweifel formulieren, dass dieser Fernsehsender nun tatsächlich beginnt, die islamistischen Bewegungen zu unterstützen, wie dies offenbar gegen­wärtig von der ägyptischen Armee behauptet wird.

In München hat man den Nachfolger von Oberbürgermeister Ude gewählt, und nach einem ersten Wahlgang, der vieles offen ließ, hat sich nun im zweiten doch wie gewohnt der SPD-Vertreter durchgesetzt, und darüber sind wir nicht unglücklich; wir wollen schließlich keine nord­korea­ni­schen Verhältnisse in unseren Nachbarstaaten, auch wenn es sich nur um ein einzelnes Bundes­land handelt. In diesem Sinne hoffen wir, dass Dieter Reiter im kommenden Oktober den Zapfhahn ziel­sicher und mit Verve ins Fass treibt, denn das ist meines Wissens die einzige nicht reprä­sen­ta­tive Aufgabe des Münchner Oberbürgermeisters; in der Kommunalpolitik dagegen dürfte sich Dieter Reiter nicht wirklich unterscheiden von seinem Wahlgegner Josef Schmid von der CSU. Nicht nur die Wahl, sondern auch die alljährliche Narrensitzung auf dem Nockherberg haben wir überstanden, wobei ich zugeben muss, dass ich ausgerechnet die Moralansprache von Luise Kinseher als Bavaria verpasst habe. Dafür schaute ich kurz in die Inszenierung einer Faust-Inszenierung hinein, die anschließend dargeboten wurde, und ich kann melden, dass ich sehr schnell weiter gezappt habe; es sah nicht nach einem wirklichen Erkenntnisgewinn oder auch nur nach Gymnastik für die Lachmuskeln aus, vielmehr roch das Ganze sehr stark nach Ritual und Routine, und dass man im allerkatholischsten Bayernstaat auch noch die fastnächtliche Regierungsschelte als Ritual und Routine herunter haspelt, das macht mich denn doch ein bisschen betroffen. Gegenwärtig hat der Stoiber- und Seehofer-Darsteller Wolfgang Krebs Hochkonjunktur in allen Kabarettproduktionen des Bayrischen Rundfunks; ich habe den Verdacht, dass das ursprüngliche Ziel der Satire mit der Zuspitzung auf die beiden Politikkasperl Stoiber und Seehofer je länger, desto gründlicher verfehlt wird. In der Sendung Schlachthof, die nach dem Abgang von Ottfried Fischer jetzt am Donnerstag ausgestrahlt und von Christian Springer und Michael Altinger moderiert wird, erinnert wenigstens Christian Springer noch hin und wieder an echte bayerische Fehlfunktionen, zum Beispiel mit Zitaten des nach wie vor aktiven evangelischen Bayern-Politikers Peter Gauweiler, zum Beispiel zu AIDS-Kranken. Aber sonst macht mir dieses Kabarett, das ich lange Zeit als ziemlich aufmüpfig empfunden hatte, heute einen weitgehend domestizierten Eindruck. Was nicht heißt, dass seine Akteure nicht trotzdem sehr komisch sein können. Aber praktisch nie mehr politisch komisch.