-Aus neutraler Sicht- von Albert Jörimann - Sonneborn -

ID 64152
 
AnhörenDownload
Nicht nur die Rechtsextremen, Nationalisten und Rechtspopulisten haben zugelegt bei den Europawahlen, sondern auch die Satire. Martin Sonneborn, ehemalige Schreibkraft beim Satiremagazin Titanic und heute freier Satire-Mitarbeiter des ZDF, hat es als Spitzenkandidat der Ulk-Partei mit dem aussagewuchtigen Namen «Die Partei» ins Parlament in Brüssel geschafft.
Audio
11:48 min, 27 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 03.06.2014 / 10:22

Dateizugriffe: 767

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Politik/Info
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 03.06.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Er vertritt Deutschland dort als Sonstiger neben Ulrike Müller aus Bayern, der jagdpolitischen Sprecherin der Freien Wähler, Julia Reda aus Bochum von den Piraten, Stefan Bernhard Eck aus Saarbrücken von der Tierschutzpartei, Udo Voigt aus Berlin von der NPD, Arne Gericke aus Tessin, aber nicht in der neutralen Schweiz, sondern bei Rostock, von der Familien-Partei sowie Klaus Buchner aus Mün­chen von der Ökologisch-Demokratischen Partei. Das ist schön für ihn und für die so genannte Realsatire. Die Sonne lacht über Sonneborn. Die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Eliten­för­derung und basisdemokratische Initiativen wurde ursprünglich zum Zweck der endgültigen Teilung Deutschlands gegründet; im Europawahlkampf lautete der Slogan «Für Europa – Gegen Europa», und in ihrem Regierungsprogramm stehen Forderungen wie die Einführung der Faulen­quote, natürlich der Bau einer Mauer oder auch Nummer 7, Von Griechenland lernen, Nummer 10, Artenschutz für die Grünen, Nummer 11, Änderung des Wahlalters, Nummer 12, Merkel muss weg und Nummer 13: Das Bier entscheidet. Das ganze Manöver könnte man zusammenfassen unter dem Titel: «Gebt der Politik, was sie verdient hat!», denn dass es sich bei den parlamentarischen Veran­stal­tungen längstens um ein Volks- und Affentheater handelt, in welchem die echten Kräfte und Akteure hinter den Kulissen nach Möglichkeit verborgen gehalten werden, darüber sind sich unter­dessen wohl alle einig, welche das Geschehen im Bundestag einigermaßen verfolgen, vom EU-Parlament ganz zu schweigen. Mit seiner Wahl macht Sonneborn bzw. mit ihm die gesamte Titanic-Satire bzw. die Nachkommen der Neuen Frankfurter Schule etwas Terrain gut gegenüber Stefan Raab, der im letzten Herbst das Kanzlerduell mit moderiert hatte, zusätzlich zur Bundestags­wahl­sen­dung seiner Comedysendung TV Total. Ihr erinnert euch vielleicht daran, dass ich damals den Verdacht geäußert habe, dass mit Stefan Raab die Politik zu ihrer korrekten Form findet. Im Flimmern zwischen Spaß und Ernst liegt Raab deutlich vorne; Sonneborn will nur veräppeln, während bei Raab das Korn Wahrheit im Politspaß schon zu einem echten Pfund angeschwollen ist. Würde Raab aus seiner Fernsehshow eine politische Partei keltern, er würde bei den nächsten Wahlen die 5%-Hürde mit Leichtigkeit nehmen. Die Parteipolitik hat sich dem Showgeschäft derart assimiliert, dass umgekehrt die Show, egal, ob mit Spaß- oder mit Ernst-Faktor, mühelos in die Politik übergeht. Die Voraussetzung für solche Vorgänge ist es dabei, dass sich die Inhalte der auf der Bühne opponierenden Parteien so weit angenähert haben, dass sie in der Praxis jene Identität erreichen, die ich hier immer wieder den sozialdemokratischen Zustand nenne, eine stillschweigende Übereinkunft zu den wesentlichen Macht- und Einflusssphären, -symmetrien und –asymmetrien sowie darüber, dass eigentlich niemand so ganz mit leeren Händen da stehen sollte. Darüber, nämlich über den sozialdemokratischen Sozialstaat, besteht im Grunde ein Konsens von links bis rechts. Der Rest ist nicht Schweigen, sondern Brüllen und Show.

Mit Satire hat das nichts zu tun, wobei mir die Abgrenzung nicht ganz leicht fällt in den Comedy- und Kabarettzonen. Ich gehe davon aus, dass Satire in abgekarteten und vor allem hoch kommuni­kativen Systemen einen zunehmend schweren Stand hat. Auch das ist nicht neu: Wenn Satire alles darf, dann wird sie in modernen Gesellschaften bald alles müssen. Darf Satire Faschismus? – Aber klar doch. Insofern ist auch ziemlich logisch, dass die Titanic eine viel höhere Hitler-Frequenz auf ihren Titelblättern hat als noch der Spiegel unter Augstein oder sogar die Landser-Magazine. Eben: Neu ist das nicht, und eigentlich sollte uns das auch nicht die Freude darüber verderben, dass Martin Sonneborn nun vier Jahre lang in Brüssel glänzen wird und dort, wie ich hoffe, für einige schöne Beiträge zur Late-Night-Show im ZDF erarbeiten wird. Nur daran, dass das System mehr oder weniger ungehemmt vor sich hin läuft und brummt, werden weder er noch Stefan Raab noch alle Witze dieser Erde irgend etwas ändern. Howgh.

Letzte Woche habe ich im Zug wieder mal ein liegen gebliebenes Exemplar der famosen Zeitschrift «In Touch» mitgehen lassen. Da steht auf Seite 3 laut und deutlich: «Inhalt No. 23». Ich habe aber keinen gefunden, trotz Titelangaben wie «Sabia Boulahrouz: Body-Duell: So krass wird die Spielerfrau von ihrer Erzfeindin Sylvie Meis bloßgestellt» auf Seite 12, Kim Kardashian: Warum die Märchenhochzeit mit Kanye West zum absoluten Desaster wurde auf Seite 22, «Cara Delevingne: Außer Kontrolle! Das Model versucht die Trennung von Michelle Rodriguez im Alkohol zu ertränken» auf Seite 28, wobei gerade dieser Beitrag in erster Linie aus drei Bildern aus einer Sequenz besteht, in welcher diese Cara ausweislich der Fingerstellung und des Glas-Füllstandes am gleichen Whisky-Glas nippt, was die Zeitung garniert mit «Sie kippt einen Drunk nach dem anderen!», und in der Legende: «Und runter damit! Cara trank einen ihrer Wodka Red Bulls sogar auf Ex». Im Text steht: «Auf einer Party in Cannes bestellte Topmodel Cara Delevingne einen Drink nach dem nächsten», also nicht etwa einen nach dem anderen, sondern sie trank sozusagen vorauseilend schon den übernächsten Drink. Ach Gott, was rege ich mich überhaupt auf über solche Sachen. Nun, ich rege mich ja gar nicht auf. Ich wundere mich bloß. Besteht vielleicht ein geheimer Zusammenhang zwischen der Verwandlung der Politik oder überhaupt des Politischen in pure Show auf der einen Seite und der Tatsache, dass Magazine wie In Touch nach wie vor gedruckt werden, also Abnehmer, Verzeihung: Abnehmerinnen finden, welche in Deutschland 2 Euro und in der Schweiz 4 Franken zehn dafür bezahlen? Handelt es sich hierbei um eine Beschäftigungstherapie für ansonsten arbeitslose Gehirnzellen? – Ich weiß es nicht, und anderseits möchte ich solche Hefte auch nicht ins Zentrum einer Daseinsanalyse rücken, aber wundern tue ich mich eben doch und immer wieder. Ob so was lustig ist, weiß ich nicht.

Ganz sicher nicht lustig sind die Zustände in den afrikanischen Regionen, die unter allen Sorten von Plagen leiden. Bürgerkrieg ist eigentlich schon ein zu großes Wort, es sind auch keine reli­giö­sen Auseinandersetzungen, im Kern handelt es sich einfach um einen möglichen Zustand bei der Verwandlung von im Kern noch eisenzeitlichen in moderne Gesellschaften. Da schwirrt wirklich alles durcheinander, und wenn man den Jungs und Mädels noch ein paar Waffen in die Hände drückt, dann machen die im Schnellzugstempo sämtliche Epochen durch von der Völker­wan­derung bis zu den Bettler- und Vagabunden-Zügen im europäischen Spätmittelalter, sodass man sich jetzt dann mal an die Gründung richtiger Staaten machen kann. In der Zwischenzeit aber erreichen uns Grauensmeldungen am Laufband, und dabei erscheinen mir die Boko-Haram-Mädchenentführer noch relativ zivilisiert, die setzen einfach das um, was sie in ihren Kommunikationsseminaren gelernt haben, ähnlich wie die evangelikalen Speerspitzen in Uganda mit ihren Homosexuellen-Gesetzen; aber die Mischung aus Bandenkrieg und Hungersnöten, wie sie in der Region um den Südsudan herum herrscht, das ist schon atemberaubend. Nahrungsmittelhilfe ist hier eine Notmaßnahme, aber die Aussichten, dass die Tausenden von Flüchtlingen später einmal wieder ein geregeltes Ackerbauleben aufnehmen werden, sind gering. Eigentlich müsste die internationale Gemeinschaft, wenn es so etwas überhaupt gibt, dort mit einer Dampfwalze durchfahren und schlicht und einfach eine Reihe von miteinander verbundenen kleineren oder mittleren Städten aus dem Boden stampfen. Das ist allerdings im Zeitalter des Selbstbestimmungsrechtes der Völker schwierig beziehungsweise unmöglich. Also kann der Schluss nur lauten, dass sich solche Situationen sowohl der Intervention als auch und deshalb der Interpretation entziehen. – Das wiederum ist keinesfalls ein Plädoyer gegen Hilfeleistungen; bloß sollte man sich keinerlei Illusionen hingeben darüber, dass diese etwa einen Beitrag zu besseren Strukturen darstellen. Wenn überhaupt, dann leisten sie höchstens einen Beitrag zur Flüchtlingsökonomie, was man angesichts des dort herrschenden Elends nur als vollkommen rational bezeichnen kann.

Aber was heißt schon rational. Public Relations bedeutet heute in erster Linie, alle möglichen Formen von Rationalität auf der Gegenseite in Zweifel zu ziehen. Die öffentliche Meinung wird so lange an den Schultern geschüttelt, bis sie nicht mehr weiß, wo ihr der Kopf steht. Klimaerwärmung, was ist das schon wieder? Das war doch dieser Wahlslogan, mit dem die Grünen vor zwanzig Jahren mal Politik gemacht haben, aber heute ist heute, wie lautet denn der Wahlspruch heute? – Heute geht es den PR-Abteilungen in erster Linie darum, die alternativen Energieträger madig zu machen, denn die Elektrizitätswirtschaft ist noch ziemlich massiv im Atomstrom engagiert und hat keine Lust, diese Investitionen einfach abzuschreiben. So bildet sich halt auch hier eine wechselnde Landschaft von Allianzen, von Natur- und Tierschützern bis zu Erdgas- und Erdöl-Allianzen, die wunderbar marktwirtschaftliche Idee mit den CO2-Zertifikaten hat dazu geführt, dass wegen Markt- und Preiszerfalls sogar Braunkohle wieder zur Energiegewinnung verbrannt wird, um den Ausstieg aus der Atomenergie zu ermöglichen, und unter dem Arsch schmelzen uns, nämlich der Menschheit insgesamt, die Gletscher weg. Dabei geht es nicht mal in erster Linie um die Eismassen im Hochgebirge; dramatisch ist die Schmelze an den Polen, in Grönland und Alaska, wenn sich jener Trend bestätigt, den Wissenschaftler heute schon als unumkehrbar bezeichnen. Diese Prozesse verlaufen nämlich nicht linear; von einem gewissen Punkt an lassen sie sich nicht mehr stoppen, auch wenn die globale Erwärmung nicht weiter zunimmt, und es scheint, als hätten wir diesen Punkt bereits erreicht. Ob das nun auch tatsächlich zutrifft, vermag ich gar nicht zu beurteilen; was ich aber zu beurteilen vermag, ist, dass es nicht irgendwelche Freaks sind, die das behaupten, sondern Tausende von Wissenschaftlern, denen ich durchaus keine Verschwörungstendenzen unterstellen möchte wie z.B. den Bilderbergern, denen ich sie übrigens auch nicht unterstelle. Ich sehe das so: Die Klimaerwärmung ist eine Tatsache, über ihre Geschwindigkeit und über die Konsequenzen lässt sich streiten, aber dass bei einer globalen Eisschmelze der Meeresspiegel um einen halben bis einen ganzen Meter steigt, soviel steht fest, und das mag die Leute in Holland und New York meinetwegen sogar freuen, weil sie dann höhere Dämme kriegen oder bauen müssen, aber insgesamt müsste man längst alle Energien darauf verwenden, den Energieverbrauch zu drosseln, denn nur davon kommen all diese Treibhausgase; und das hieße wiederum eine recht gründliche Umstellung unserer Produktions- und Konsumverhältnisse nach vernünftigen Prinzipien – aber ach, das kennt ihr, geschätzte Hörerinnen und Hörer, ja alle schon längst, und ihr wisst so wenig wie ich, wie man da einen richtigen Druck mit einem großen Ruck aufsetzen könnte. Eines ist sicher: Stefan Raab und Martin Sonneborn werden keinen Finger in diese Richtung rühren.