In Atomkraftwerken der EnBW fehlen wichtige Zentrierstifte

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Am Mittwoch, den 17. März wurde Block 2 des Atomkraftwerks Philippsburg abgeschaltet. Zentimeterdicke Zentrierstifte, die sicherheitsrelevante Pumpen im Falle eines Erdbebens an Ort und Stelle halten sollten, fehlten völlig. In den folgenden Tagen wurde festgestellt: auch Obrigheim und Neckarwestheim II sind von dem Fehler betroffen.
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Upload vom 24.03.2004 / 00:00

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Klassifizierung

Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Wirtschaft/Soziales, Umwelt, Politik/Info
Serie: zip-fm - Einzelbeitrag
Entstehung

AutorInnen: Phillip (Redaktion Restrisiko)
Radio: bermuda, Mannheim im www
Produktionsdatum: 24.03.2004
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
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Am Mittwoch, den 17. März wurde Block 2 des Atomkraftwerks Philippsburg abgeschaltet. Zentimeterdicke Zentrierstifte, die sicherheitsrelevante Pumpen im Falle eines Erdbebens an Ort und Stelle halten sollten, fehlten völlig. In den folgenden Tagen wurde festgestellt: auch Obrigheim und Neckarwestheim II sind von dem Fehler betroffen.

Dazu ein Beitrag von Phillip von der Redaktion Restrisiko, bermuda.funk Mannheim.


Skript:

In den Atommeilern Baden-Württembergs, Philippsburg, Obrigheim und Neckarwestheim, wurde festgestellt: es fehlen zentimeterdicke Stahlstifte. Pumpen und Pumpenmotoren sollen von ihnen im Falle eines Erdbebens an Ort und Stelle gehalten werden, damit die Leitungen nicht abreißen. Dazu ein Sprecher des Landesumweltministeriums.

-Antwort Landesumweltministerium-

Dem Landesumweltministerium zufolge handelt es sich um sicherheitsrelevante Pumpen:

-Antwort Landesumweltministerium-

Als EVA-Lastfall werden Einwirkungen von Außen bezeichnet. Die Reaktorsicherheitskommission des Bundes führt in ihren Leitlinien zum Betrieb eines Druckwasserreaktors als EVA-Lastfälle Erdbeben, Flugzeugabstürze und Gaswolkenexplosionen an. Die Pumpen sind also tatsächlich sicherheitstechnisch relevant.

Deswegen wurde Philippsburg in der Nacht des 17. März abgeschaltet, als der Vorfall bemerkt wurde.

Inzwischen soll die EnBW jedoch bewiesen haben, dass das Fehlen der Stifte doch nicht so schlimm war.

-Antwort Landesumweltministerium-

Zwei Tage nachdem der Fehler in Philippsburg entdeckt worden war, wurde er auch im Neckarwestheimer Reaktor GKN II entdeckt. Hier ließ man den Reaktor jedoch am Netz.

-Antwort Landesumweltministerium-

Plötzlich sind die Stifte also doch nicht mehr wirklich notwendig. Ersetzt werden müssen sie merkwürdigerweise trotzdem. In Philippsburg ist Block 2 nach wie vor abgeschaltet und wird erst wieder angefahren werden, wenn die Stifte eingesetzt worden sind.

In Neckarwestheim fehlen die Stifte an 16 sicherheitsrelevanten Pumpen. In Philippsburg sogar an 29. Hier fehlen die Stifte schon mindestens seit 1992 und ob sie vorher vorhanden waren, da sind sich EnBW und Landesumweltministerium auch nicht so ganz sicher.

-Antwort Landesumweltministerium-

Es ist also sicher, dass diese sicherheitsrelevanten Stifte seit 12 Jahren fehlen. Vielleicht auch länger, aufgefallen war das bisher niemandem. Man muss also die Frage aufwerfen, ob die EnBW die Anforderungen, die an Betreiber von Atomanlagen gestellt werden, überhaupt erfüllen kann. Denn das Gesetz fordert hier: Zuverlässigkeit.
Ob die EnBW diese Anforderungen erfüllt, ist insbesondere dann fragwürdig, wenn man daran denkt, dass erst im August 2001 entdeckt wurde, dass die Notkühlbehälter in Philippsburg über 17 Jahre falsch befüllt worden waren. Abgeschaltet wurde der Reaktor jedoch erst zwei Monate später, im Oktober 2001. Auf Anweisung des Bundesumweltministers Trittin.

Zur Entziehung der Betriebsgenehmigung meint der Sprecher des Landesumweltministeriums:

-Antwort Landesumweltministerium-

Die Betriebserlaubnis soll also nicht entzogen werden. Schließlich habe EnBW ja diesmal alles richtig gemacht -- anders als früher.

Hat die EnBW heute also eher die Kompetenz Atomanlagen zu betreiben, als früher?

-Antwort Landesumweltministerium-

Nach dieser Logik heißt das für Autobesitzer:
Wenn man ein Auto besitzt und erst nach 17 Jahren bemerkt, dass die Bremsen nicht funktionieren, man das sofort dem nächsten TÜV meldet, dann sollte man also sein Auto nachrüsten dürfen (im Falle der
Borsäurekonzentration in den Notkühlbehältern sogar während man fährt), und muss mit keinen Konsquenzen rechnen.
Zwei Jahre später stellt man fest: in den Scheinwerfern sind gar keine Glühbirnen!
Man hält an und informiert den TÜV und dieser sagt: "Es ist toll, dass du angehalten hast und dass du es gemerkt hast!" In einer Pressemitteilung heißt es dann dazu: "Es ist positiv, dass dieser Fehler entdeckt und auch gemeldet wurde. Wir sehen das als Beweis, dass der Fahrzeugführer jetzt auch auf die Sicherheit Wert legt."

Man sollte die Pressestelle des TÜVs mal anrufen und fragen, ob die das genauso sehen.

Aber Atomanlagen sind keine Kraftfahrzeuge. Es gelten andere Regeln, denn wie schon Michael Sailer, Vorsitzender der Reaktorsicherhitskommission des Bundes, in der TAZ vom 28.04.2003 sagte:

"Man kann nicht alle Details in einem so komplexen System wie einem Atomkraftwerk auf die Übereinstimmung zwischen den Sicherheitsnachweisen und den Bauplänen und der Betriebsrealität vergleichen."