„Denk doch mal jemand bitte an die Kinder!“ - Kommentar zur letzten LPG(A) Löwenzahn

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„Denk doch mal jemand bitte an die Kinder!“


Mit diesen Worten fällt die Frau des Pastors von Springfield jeder rationalen Debatte ins Wort. Kinder sind die besten Opfer, sie sind unschuldig, unpolitisch und daher der beste Narrativ, um als moralisches Kanonenfutter zu fungieren. Die Kinder werden zum funktionalem Neutrum, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt sich moralisch über den gegnerischen Diskutanten zu erheben. Die gegenseitige Aufrechnung von Opfern, allerlei historische Vergleiche, sowie Appelle an die Menschlichkeit und Frieden wurden vorher schon ins Feld geführt, hatten aber keine rhetorische Durchschlagskraft. Auch in diesem Gazakrieg wurde schon alles versucht um auf dem Schlachtfeld der Propaganda zu die Oberhand zu behalten.
Auch die Sendung der LPG(A) Löwenzahn vom Juli 2014 war ein Debattenbeitrag, zu einer Debatte über Antisemitismus. Im Nachhinein jedenfalls hat die Sendung eine Sprengkraft entwickelt die erwartbar und doch heftig war. Denn Sie scheint für viele das Schweigen gebrochen zu haben, das Schweigen in einem Konflikt, der, immer da wo er angesprochen wird, die Lager spaltet. Zwar ist tatsächlich auch hier der Nahostkonflikt Teil der Sendung und doch wird eine völlig andere Dimension stark gemacht, die geflissentlich klein geredet wird: Die Gretchen-Frage ist nicht: „Wie hält du es mit Israel?“, sondern: „Wie hältst du es mit dem Antisemitismus?“. Ausgangspunkt der Löwenzahnsendung sind massive antisemitische Übergriffe, so geschehen bspw. in Kiel, Hamburg und Bremen. In Bremen wurde ein Mensch im Verlauf einer antisemitischen Manifestation lebensgefährlich verletzt. Die radikale Linke schweigt zu diesen Übergriffen: Keine spontanen Demonstrationen, keine linke Folklore mit Hasskappen und Böllern. Nichts. Erst die Berichterstattung der Koordination gegen Antisemitismus und der Redaktion Löwenzahn im FSK führen überhaupt zu Reaktionen in Kiel. Überraschenderweise reagiert die Linke aber genau so, wie das Objekt ihrer Kritik: Die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft. Genau wie die bürgerliche Gesellschaft reagiert die Linke reflexhaft abwehrend, leugnend, verharmlosend. Die Linke, wie die bürgerliche Gesellschaft, machen die KritikerInnen und die Opfer zum Ziel ihrer Wut über das Stören der hegemonialen Gemeinschaft. Insbesondere in Bezug auf Juden fällt die Reaktion meinst wahnhaft aus.
Ähnliches zeigt sich bei den Reaktionen auf die Löwenzahnsendung. Die massiven Anfeindungen und Kritiken verwehren sich, den Nahostkonflikt einseitig zu sehen, sie meinen sogar nicht mehr eigenständig denken und analysieren zu können, was im Nahostkonflikt passiert, weil die Kritik in unserer Sendung zu drängend gewesen sei. Wohlwollend wird hinzugefügt, man stünde eigentlich auf der gleichen Seite, möchte sich aber fragend dem Nahostkonflikt erst einmal nähern. Allesamt wichtige Einwände und doch so fern der Inhalte der letzten LPG(A) Löwenzahn. Denn zentraler, nicht einziger, Punkt war die Frage warum es ein Verhalten des Abwartens, Ingnorierens oder auch Gutheißens von europaweiten antisemitischen Demonstration gibt. Warum eine Linke stillhalten kann, während Synagogen angegriffen werden, Juden und Jüdinnen auf offener Straße angegriffen werden, jüdische Symbole verbrannt werden und stumpfester Antisemitismus in allen Formen durch die Straßen hallt. Um sich diesem Antisemitismus offen entgegen zu stellen, dafür bedarf es keinerlei Wissen um den Nahostkonflikt. Es gibt keinerlei legitime Argumention, die Juden und JüdInnen dieser Welt in Kollektivhaftung zu nehmen für Israel, es sein denn man ist Antisemit.
Wie erniedrigend es sein muss, wenn jede Shabbat-Feier, jede jüdische Einrichtung und jedes jüdische Fußballspiel nur unter Polizeischutz stattfinden kann. Der Linken ist es egal: Nach 500 Jahren Antisemitismus und über 60 Jahren Israel möchte man sich ja dem Nahostkonflikt ersteinmal fragend nähern. Die Ausreden sind vielfältig, lieber nimmt man abgebrannte Synagogen und geschlagene und gedemütigte Jüdinnen und Juden hin, als sich in Zeiten des heißen Nahostkonfliktes gegen Antisemitismus zu positionieren.

Die Sprachlosigkeit der Linken ist kein Ergebnis einer Überforderung, sie ist konsequente Politik. Israel ist seit seinem entstehen fester Eskalationspunkt in der Linken der BRD und ganz konkret auch in Schleswig-Holstein. Bereits im vergangenen Jahr wurde die Frage antisemitischer Israelkritik in den Mittelpunkt einer Veranstaltungsreihe an der Kieler Uni gesetzt. Die Veranstaltungen waren voll, aber die radikale Linke war mehrheitlich nicht vor Ort, man wollte sich wohl raushalten. Dabei waren diese Foren ein Angebot, um Anhand von fundierten Inputs sich dem Thema zu nähern und in die Debatte zu gehen.
Die Linke geht lieber ihren Weg und dies ist der Weg der repressiven Vergemeinschaftung. Statt einzufordern mit auf Sendung zu gehen und die Inhalte zu diskutieren, statt fundierte Kritiken zu schreiben, fordert die Linkeein unkritisches „Weiter so, wie bisher“ ein. Die soziale Ebene der Szenegemeinschaft wird dem politischen Aushandeln vorgezogen.
Die Linke bangt um ihre inneren Hierarchien und ihren Zusammenhalt und bekämpft daher die Abweichung auf schärfste. Weshalb Jüdinnen und Juden wohl auf die eigene antifaschistische Selbsthilfe angewiesen sind, die Linke wird ihnen wohl nicht beistehen. Diese Bitterkeit des kollektiven Raushaltens, Wegschauens oder Mitmachens in Bezug auf Antisemitismus macht Israel umso notwendiger.
Audio
07:31 min, 7042 kB, mp3
mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 01.08.2014 / 22:49

Dateizugriffe: 2184

Klassifizierung

Beitragsart:
Sprache:
Redaktionsbereich:
Entstehung

AutorInnen: LPG(A) Löwenzahn
Radio: FSK, Hamburg im www
Produktionsdatum: 01.08.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
„Denk doch mal jemand bitte an die Kinder!“


Mit diesen Worten fällt die Frau des Pastors von Springfield jeder rationalen Debatte ins Wort. Kinder sind die besten Opfer, sie sind unschuldig, unpolitisch und daher der beste Narrativ, um als moralisches Kanonenfutter zu fungieren. Die Kinder werden zum funktionalem Neutrum, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt sich moralisch über den gegnerischen Diskutanten zu erheben. Die gegenseitige Aufrechnung von Opfern, allerlei historische Vergleiche, sowie Appelle an die Menschlichkeit und Frieden wurden vorher schon ins Feld geführt, hatten aber keine rhetorische Durchschlagskraft. Auch in diesem Gazakrieg wurde schon alles versucht um auf dem Schlachtfeld der Propaganda zu die Oberhand zu behalten.
Auch die Sendung der LPG(A) Löwenzahn vom Juli 2014 war ein Debattenbeitrag, zu einer Debatte über Antisemitismus. Im Nachhinein jedenfalls hat die Sendung eine Sprengkraft entwickelt die erwartbar und doch heftig war. Denn Sie scheint für viele das Schweigen gebrochen zu haben, das Schweigen in einem Konflikt, der, immer da wo er angesprochen wird, die Lager spaltet. Zwar ist tatsächlich auch hier der Nahostkonflikt Teil der Sendung und doch wird eine völlig andere Dimension stark gemacht, die geflissentlich klein geredet wird: Die Gretchen-Frage ist nicht: „Wie hält du es mit Israel?“, sondern: „Wie hältst du es mit dem Antisemitismus?“. Ausgangspunkt der Löwenzahnsendung sind massive antisemitische Übergriffe, so geschehen bspw. in Kiel, Hamburg und Bremen. In Bremen wurde ein Mensch im Verlauf einer antisemitischen Manifestation lebensgefährlich verletzt. Die radikale Linke schweigt zu diesen Übergriffen: Keine spontanen Demonstrationen, keine linke Folklore mit Hasskappen und Böllern. Nichts. Erst die Berichterstattung der Koordination gegen Antisemitismus und der Redaktion Löwenzahn im FSK führen überhaupt zu Reaktionen in Kiel. Überraschenderweise reagiert die Linke aber genau so, wie das Objekt ihrer Kritik: Die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft. Genau wie die bürgerliche Gesellschaft reagiert die Linke reflexhaft abwehrend, leugnend, verharmlosend. Die Linke, wie die bürgerliche Gesellschaft, machen die KritikerInnen und die Opfer zum Ziel ihrer Wut über das Stören der hegemonialen Gemeinschaft. Insbesondere in Bezug auf Juden fällt die Reaktion meinst wahnhaft aus.
Ähnliches zeigt sich bei den Reaktionen auf die Löwenzahnsendung. Die massiven Anfeindungen und Kritiken verwehren sich, den Nahostkonflikt einseitig zu sehen, sie meinen sogar nicht mehr eigenständig denken und analysieren zu können, was im Nahostkonflikt passiert, weil die Kritik in unserer Sendung zu drängend gewesen sei. Wohlwollend wird hinzugefügt, man stünde eigentlich auf der gleichen Seite, möchte sich aber fragend dem Nahostkonflikt erst einmal nähern. Allesamt wichtige Einwände und doch so fern der Inhalte der letzten LPG(A) Löwenzahn. Denn zentraler, nicht einziger, Punkt war die Frage warum es ein Verhalten des Abwartens, Ingnorierens oder auch Gutheißens von europaweiten antisemitischen Demonstration gibt. Warum eine Linke stillhalten kann, während Synagogen angegriffen werden, Juden und Jüdinnen auf offener Straße angegriffen werden, jüdische Symbole verbrannt werden und stumpfester Antisemitismus in allen Formen durch die Straßen hallt. Um sich diesem Antisemitismus offen entgegen zu stellen, dafür bedarf es keinerlei Wissen um den Nahostkonflikt. Es gibt keinerlei legitime Argumention, die Juden und JüdInnen dieser Welt in Kollektivhaftung zu nehmen für Israel, es sein denn man ist Antisemit.
Wie erniedrigend es sein muss, wenn jede Shabbat-Feier, jede jüdische Einrichtung und jedes jüdische Fußballspiel nur unter Polizeischutz stattfinden kann. Der Linken ist es egal: Nach 500 Jahren Antisemitismus und über 60 Jahren Israel möchte man sich ja dem Nahostkonflikt ersteinmal fragend nähern. Die Ausreden sind vielfältig, lieber nimmt man abgebrannte Synagogen und geschlagene und gedemütigte Jüdinnen und Juden hin, als sich in Zeiten des heißen Nahostkonfliktes gegen Antisemitismus zu positionieren.

Die Sprachlosigkeit der Linken ist kein Ergebnis einer Überforderung, sie ist konsequente Politik. Israel ist seit seinem entstehen fester Eskalationspunkt in der Linken der BRD und ganz konkret auch in Schleswig-Holstein. Bereits im vergangenen Jahr wurde die Frage antisemitischer Israelkritik in den Mittelpunkt einer Veranstaltungsreihe an der Kieler Uni gesetzt. Die Veranstaltungen waren voll, aber die radikale Linke war mehrheitlich nicht vor Ort, man wollte sich wohl raushalten. Dabei waren diese Foren ein Angebot, um Anhand von fundierten Inputs sich dem Thema zu nähern und in die Debatte zu gehen.
Die Linke geht lieber ihren Weg und dies ist der Weg der repressiven Vergemeinschaftung. Statt einzufordern mit auf Sendung zu gehen und die Inhalte zu diskutieren, statt fundierte Kritiken zu schreiben, fordert die Linkeein unkritisches „Weiter so, wie bisher“ ein. Die soziale Ebene der Szenegemeinschaft wird dem politischen Aushandeln vorgezogen.
Die Linke bangt um ihre inneren Hierarchien und ihren Zusammenhalt und bekämpft daher die Abweichung auf schärfste. Weshalb Jüdinnen und Juden wohl auf die eigene antifaschistische Selbsthilfe angewiesen sind, die Linke wird ihnen wohl nicht beistehen. Diese Bitterkeit des kollektiven Raushaltens, Wegschauens oder Mitmachens in Bezug auf Antisemitismus macht Israel umso notwendiger.