"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Migration 2014 -

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Wie Ihr vermutlich wisst, unterscheidet sich Zürich von Erfurt unter anderem dadurch, dass es an einem See liegt, und zwar nicht erst seit gestern, was dazu geführt hat, dass seit der Einrichtung des Zunftwesens im auslaufenden Mittelalter auch die Fischer und ihre Frauen beziehungsweise ihre Nauen in einer eigenen Zunft verbunden sind, nämlich in der Zunft zur Schiffleuten.
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10:27 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 04.08.2014 / 11:43

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 04.08.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Selbst­ver­ständ­lich haben die Zünfte heute ihre praktische Bedeutung verloren, aber als Beziehungsnetzwerk taugen sie nach wie vor und sind sogar heiß begehrt, denn der Zugang ist beschränkt, mindestens bei den historischen Organisationen. Einerseits sind hier die alten Zürcher Geschlechter vertreten und anderseits all das, was sich im Lauf der Jahrhunderte so zusammen geläppert hat an geld- und einflussreichen Familien. Dies musste zum Beispiel Genosse Filippo Leutenegger schmerzlich erfahren, der seine Karriere als Anti-AKW-Aktivist begonnen hatte, dann ein Gastspiel als Journalist bei der linksalternativen Wochenzeitung WoZ gab, bevor er zum Fernsehen wechselte und dort eine Polit-Talkshow moderierte, bis er sich selber für geeignet genug für das Polittheater und selber den Einstieg in dieses Theater fand, allerdings nicht mehr für die Sozialdemokraten oder die Grünen, sondern jetzt für die staatstragende FDP, wo er seither am äußersten rechten Rand politisiert, vom Populisten-Milliardär und Rechtsaußen-Nationalisten Christoph Blocher mit Geld versorgt wird und jüngst zum Stadtrat in der schönen Stadt Zürich gewählt wurde – bloß den Einlass als Zünfter, den hat man ihm immer wieder verwehrt. Eine gewisse Konstanz muss nun mal sein bei diesen traditionsbewussten Herren, die übrigens keine Damen in ihre Vereinigungen aufnehmen.

Kurz: Es handelt sich um stockkonservative Organisationen, die jedes Jahr im Frühjahr so etwas wie ein Hochamt feiern, das so genannte Sechsilüüte, das aus einem Umzug besteht, der in ein Treffen aller Zünfte auf dem Sechsilüüte-Platz mündet, und dort wird der so genannte Böögg in die Luft gesprengt, womit dann der Frühling beginnen kann. Anlässlich dieses Umzuges pflegen alle Zünfte gewisse spezifische Bräuche, und die Zunft zu den Schiffleuten benutzt die Gelegenheit, um Fische zu verteilen. Konkret handelt es sich um tote Weißfische, also um so genannten Beifang ohne kommerziellen Wert, die ins Volk geworfen werden, wobei die Zünfter gerne auch auf Balkons und auf offene Fenster zielen, ein Hauptspaß, mit anderen Worten, und viel mehr gibt es hierzu nicht zu sagen, beziehungsweise gab es hierzu nicht zu sagen, bis der Zürcher Tierschutz sich dieses Brauches annahm. Wer nun meint, der Zürcher Tierschutz hätte eine Tierquälerei gerügt, der täuscht sich erheblich, denn diese Fische sind nun mal mausetot, wenn sie durch die Lüfte fliegen, im Gegensatz zu jenem großen Hecht, dessen Fischfänger eine gute Stunde benötigte, bis er ihn sauber aus dem Wasser gedrillt und zu Tode gebracht hatte, wofür er später zu einer Geldbuße verurteilt wurde, wenn ich mich recht erinnere. Nein, der Zürcher Tierschutz hat entdeckt, dass dieser Brauch ein «Affront gegen das Leben und respektlos gegen die Tiere» sei; diese Fische durch das Rumwerfen als unwert abzustufen, nur weil sie für den menschlichen Verzehr nicht geeignet sind, verletze die Würde der Tiere und unser ethisch-moralisches Empfinden.»

Dass ich diesen Vorfall hier zitiere, hat in erster Linie damit zu tun, dass mich die Tierschutz- Argumentation in meiner Würde und vor allem in meinem, nein, korrekt: im allgemeinen ethisch-moralischen Empfinden verletzt. Anderseits verwundert mich dieses Affentheater insofern nicht, als es sich beim Verfasser des Protestes um York von Ditfurth handelt, um den Sohn von Hoimar von Ditfurth, der nicht nur zu den Gründungsaktivisten bei den westdeutschen Grünen zählte, sondern auch ein Gegner der Ansicht war, dass der Mensch im Zentrum stünde – nun aber im Zentrum wo­von? Soweit es sich um eine Frage des Bewusstseins handelt, kann der Mensch ja nur im Zentrum des menschlichen Bewusstseins stehen, und in diesem Zentrum hat ganz einfach niemand anders als der Mensch seinen Platz. Sohn York ist aber auf seine ihm eigene Art doch konsequent, wenn er die Würde des Weißfischs verletzt sieht, wenn selbiger auf dem Balkong einer Zürcher Patrizier­woh­nung landet. Dagegen kann ein menschliches ethisch-moralisches Empfinden sich niemals auf tote Weißfische beziehungsweise eine ihnen vermuteterweise zugeeignete Würde erstrecken, und ich will den Fall zu den Akten legen mit der abschließenden Bemerkung, dass auf der ganzen Welt und auch in Europa der Mensch selber nicht in seiner Würde, sondern noch viel primitiver in seinen Organen und Gliedmaßen getroffen wird, was solche Tierschutz-Ideologen auf besondere Art und Weise inhuman erscheinen lässt. Wer das Tier über den Menschen stellt, ist ein geistiger Sodomit. Basta.

Italien steht immer stärker unter dem Druck aller Migranten aus Afrika. Ich muss zugeben, dass ich die Schengener Verträge nicht genau kenne, ich kann mich also irren, wenn ich sage: Die Klausel, wonach Asylanträge nur im Erst-Einreiseland gestellt werden dürfen, ist eine verdammte Scheiß-Klausel für die Italiener, wenn sämtliche Asylanten über Italien einwandern, und zwar in erster Linie wegen der geografischen Nähe zur nordafrikanischen Mittelmeerküste, gekoppelt mit den weitgehend herrschaftsfreien Zonen an der libyschen Küste. Da sind natürlich die anderen europäischen Länder fein raus, weil Italien gemäß dieser Klausel sämtliche Asylanträge selber abwickeln müsste. Das ist idiotisch. Diese Last muss auf den ganzen Kontinent verteilt werden, soweit dies im Rahmen einer halbwegs anständigen Lösung überhaupt möglich ist.

Zuerst stellt sich die Frage nach den Flüchtlingen selber. Unterdessen ist es nicht mehr erheblich, ob sie tatsächlich aus höchster Lebensgefahr, Hunger und Krieg geflohen sind – die genauen Abklärungen sind längstens unmöglich geworden, sodass das Prozedere insgesamt nicht mehr darauf abstützen kann. Die Jungs und Mädels werfen ihre Papiere auf Anweisung ihrer Schlepper spätestens auf dem Meer ins Wasser, Schlepper übrigens, die ihnen durchaus 5000 bis 10'000 Euro pro Person abgeknöpft haben; ich habe mich schon früher mal zum Thema dieser Flüchtlings-Ökonomie geäußert. Die Geschichten, welche sie dann in den Auffanglagern erzählen, können durchaus ihre eigenen sein; in der Regel sind es aber jene Geschichten, von denen ihnen ihre Angehörigen, die bereits in Europa Unterschlupf gefunden haben, mitteilen, dass sie im Moment am besten ziehen bei den zuständigen Behörden. Aber wie gesagt: All das lässt sich längstens nicht mehr verifizieren oder falsifzieren.

Was macht man also mit diesen MigrantInnen? Zum einen kann man sie zurückschicken. Das geht aber nur unter bestimmten Umständen, also nach Abklärung des Herkunftsortes und nach Abklärung der Sicherheitslage, das versteht sich von selber, was auf ähnliche Probleme stößt wie die Abklärung der Herkunft selber. Mit gewissen afrikanischen Staaten bestehen Rückführungs­abkommen, aber so richtig griffig sind die nicht.

Stattdessen sollte man sich überlegen, ob man für einen Teil dieser Menschen neue Städte bauen soll. Mir persönlich gefällt diese Option über alle Maßen. Ich würde diese Städte nicht in Europa bauen, versteht sich, sondern irgendwo in der Nähe der nordarabischen Mittelmeer-Küste, in Regionen, die einigermaßen stabil sind und die einen Entwicklungsbedarf haben. Gleichzeitig mit den Häusern müsste selbstverständlich eine Infrastruktur her, einschließlich der Anbindung an die internationalen Verkehrsnetze und vor allem einschließlich gewisser Erwerbsmöglichkeiten. Das macht ja in der Regel eine normale Stadt auch aus. Hier könnte man also mal ein paar interessante Experimente wagen, und zwar Experimente mit weitgehend bekannten Variablen.

Die nächstliegende Veränderung muss es aber sein, die Migranten ungefähr gleichmäßig auf die europäischen Länder zu verteilen, und zwar egal, ob im Verhältnis zur Einwohnerzahl oder zur Wirtschaftsstärke oder beides. Zentral ist dann aber, dass auch hier die Leute irgendwie in eine vernünftige soziale Umgebung integriert werden und insbesondere die Möglichkeit erhalten, zu einem einigermaßen anständigen Entgelt Arbeiten zu verrichten, die sonst nicht erledigt würden, und damit meine ich gar nicht in erster Linie dreckige und gefährliche Arbeiten, sondern Verschönerungsarbeiten. Ich habe vor einigen Jahren mal das Projekt eines großen Damms im Nordosten von Erfurt vorgestellt, den man aufschichten könnte und darin Ateliers, zur Not auch Wohnungen, einen Vergnügungspark oder was auch immer einrichten. Es könnte aber auch etwas völlig anderes sein, ein gigantischer Überraschungs-Garten zum Beispiel mit einer kleinen Garten-Bahn hindurch, egal, irgend etwas würde sich mit Bestimmtheit finden lassen, ein Projekt, an dem die MigrantInnen eben auch ihre Energien rauslassen und bei dem sie sich idealerweise sogar in bestimmten Berufen qualifizieren könnten. Mit anderen Worten: Wir betrachten diese Leute immer als Störefriede, als Eindringlinge und Konkurrenten in erster Linie bei unseren sozialen Sicherungssystemen; aber nehmen wir sie doch mal bei ihrer Arbeitskraft zum einen, bei ihrer Kreativität und Lebensfreude zum anderen, dann werden die Länder Europas am meisten profitieren von dieser ganzen, grundsätzlich verfahrenen Situation; die Situation ist deshalb verfahren, weil unsere Länder so reich sind und die ihrigen so arm, und unsere Länder sind deshalb so reich, weil wir über die erforderliche Tradition in Institutionen und Wirtschaftsgebaren verfügen im Gegensatz zu den Herkunftsländern. Sobald sich die Verhältnisse dort verbessern, wird der Druck auf Europa nachlassen; solange sie es dagegen nicht tun, wird dieser Druck höchstens noch zunehmen, da nämlich die Kommunikations- und Transportmittel nicht schlechter werden im Lauf der Zeit.

Etwas möchte ich noch vorschlagen: Schafft das Asylrecht insgesamt ab. Das Asylrecht hat nur einen Sinn in bestimmten Situationen in der unmittelbaren Nachbarschaft, wo es dazu dient, die Nachbarinnen und Nachbarn in echter Notlage vor der Ausbeutung durch Populistinnen und auch vor der Verfolgung durch den Volkszorn zu schützen. Aber auf globalem Niveau kann es kein Asylrecht geben. Stattdessen sollten die Länder Europas ganz wie die Vereinigten Staaten von Amerika ein System von Green Cards einführen. Das würde zwar die Migrationsflut kaum eindämmen, aber es würde einen formell korrekten Mechanismus zur Immigration in die europäischen Länder bringen, den es ansonsten in der Praxis überhaupt nicht mehr gibt.