"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Journalismus -

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In einer Tageszeitung lese ich, dass Microsoft und Fujitsu Siemens für einen Staatsauftrag in Ru­mä­nien Minister bestochen haben sollen. Meine Damen und Herren, hiermit erhebe ich offiziell Ein­spruch gegenüber einem solchen angeblichen Qualitätsjournalismus. Das ist einfach Fucking Bull Shit, große Weltmeeresscheiße, was der Zürcher Tages-Anzeiger hier verbreitet.
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11:05 min, 25 MB, mp3
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Upload vom 07.10.2014 / 10:31

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich:
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 07.10.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Sein Österreich­kor­res­pondent Bernhard Odehnal verwendet hier einerseits sprachwidrig den Konjunktiv, wo der Indikativ imperativ am Platz ist. Microsoft und Fujitsu Siemens sollen nämlich auf keinen Fall Minister bestochen haben, sie haben es mit jeder Gewissheit getan, mit letzter, mit allerletzter und mit aller-allerletzter, weil es sich hier um ein kosmisches Grundgesetz handelt, um eine Regel aus der Physik, welche bekanntlich heute nicht nur die Metaphysik, sondern auch die Religion abgelöst hat, mit Ausnahme selbstverständlich des Islamistengesocks, welches allerdings mit Religion ungefähr gleich viel am Hut hat wie das Evangelistengesocks, das die entwickelte Welt seit Jahr­zehn­ten mit seinem Eifer und Geifer, mit einem mittelalterlichen Furor Dei wie ein wanderndes Gruselkabinett überzieht und das seit gut zwanzig Jahren auch gut­gläu­bige und religiös minder bemittelte Heeres- und Volksscharen in der Dritten Welt, zum Beispiel Brasilien in seiner Gewalt hält. Allerdings arbeiten die brasilianischen Evangelisten weniger mit Enthauptungen als vielmehr mit Wund- und Wunderheilungen. Ich habe mal eine solche Wunderheilung in einer Di­rekt­über­tra­gung auf einem brasilianischen Fernsehkanal gesehen. Ein Evangelist beziehungs­weise ein frei­kirch­licher Prediger stand vor einem Menschen mit einem Magengeschwür, wo nicht sogar mit Magenkrebs. Der Prediger betete, schrie, sang und fuchtelte mit dem Mikrofon herum und stieß dieses Mikrofon am Schluss dem Krebs- oder Geschwürkranken in den Magen, ungefähr an jener Stelle, wo er den Krebs beziehungsweise den Teufel vermutete, ich fühlte mich ein wenig an meine Kindheit erinnert beziehungsweise an unsere damaligen Boxversuche, aber der Krebs- oder Ge­schwür­kranke knickte nicht ein, auch als der Prediger mit dem Mikrofon am Bauchnabel herum pulte und drückte, und dann war er geheilt, Hallelujah. Auf rein spiritueller Ebene sind mir da die Enthauptungen lieber, das ist direkt, ehrlich, transparent und wahr.

Aber das ist noch nicht alles. Odehnal unterstellt nämlich mit dieser Formulierung nicht nur, dass Fujitsu Siemens und Microsoft möglicherweise auch niemanden bestochen hätten, «es gilt die Unschuldvermutung», für einen Staatsauftrag in Rumänien, was eigentlich von der Rechtsabteilung dieser beiden Firmen sofort vor Gericht gezogen gehört von wegen Rufschädigung und so, sondern er unterstellt auch, dass es überhaupt Staatsaufträge gebe in ärmeren und womöglich sogar über­haupt in armen Ländern, welche ohne jede Bestechung vergeben würden. Wäre ich der Chef­re­dak­tor dieses Blattes, ich wäre versucht, den Korrespondenten sofort zu feuern. Solche Unterstellungen untergraben die öffentliche Moral, indem sie einen Schein von Ehrlichkeit in der Armut unterstellen oder aufrecht erhalten, welche in der Natur, nämlich im gelebten Menschenleben, nie und nimmer und nirgends vorkommt, weil sie gar nicht vorkommen kann. Man stelle sich bloß einmal vor, welches Renommée ein rumänischer Minister oder eine ganze rumänische Regierung in Brüssel hätten, wenn die mal zwischendurch nicht bestochen wären. Ich bin nicht sicher, ob man die überhaupt noch in die EU-Gebäude hinein ließe, und wenn doch, dann würde auf den Gängen getuschelt und vermutlich im Parlamentssaal jeweils laut heraus gelacht, wenn einer von ihnen ans Rednerpult träte. Hahahaha, wieder einer der zehn Aufrechten! Tragt seinen Namen ein auf der Ehrentafel in Jad Vaschem! – Ganz zu schweigen von den mausbeinarmen Staaten in den verbliebenen Ländern der Dritten Welt, also in Afrika. Die moralische Forderung von Gut­men­schen, dass sich dort die Verantwortlichen durch alle Staatsinstanzen hindurch der Korruption enthalten sollten, ist derart realitätsfremd, dass man wirklich auf die Zeit wartet, da der Gutmensch als solcher einmal öffentlich einer Bastonade unterzogen wird, und zwar nicht von irgendwelchen grölenden Populisten, sondern von der reinen Vernunft.

Auf der anderen Seite erinnern wir uns an die Siemens-Schmiergeldaffäre, beispielsweise mit Zah­lun­gen an Regierungsbeamte in Griechenland, ebenfalls ein Leuchtturm der effizienten und ehr­li­chen Staatsverwaltung. Im Jahr 2009 hieß es, Siemens-Schmiergelder seien in Bangladesch an eine Terrorgruppe weitergeleitet worden. Die Siemens-Tochter Siemens Industrial Turbomachinery schmierte Gazprom-Manager beim Bau der Yamal-Pipeline für die Lieferung von Turbinen für Kompressorstationen, wobei SIT offenbar bereits ein Schmiergeldvehikel war, als es noch nicht zu Siemens gehörte, sondern noch zur schwedisch-schweizerischen ABB. Sogar in Norwegen, wo die Standards doch deutlich anders sind als in den Ländern der Dritten und Zweiten Welt, bestach Siemens Beamte der Aufsichtsbehörden bei einer Lieferung an die norwegische Armee. Mitte der Nuller Jahre wurde die Konzernspitze geopfert, um das unrettbar beschädigte Öffentlichkeitsbild des Unternehmens wieder gerade zu rücken; Heinrich von Pierer und Klaus Kleinfeld legten ihre Ämter nieder und wurden ersetzt durch Gerhard Cromme und Peter Löscher, und die interne Korruptions­bekämpfungsstelle, die bisher anerkanntermaßen zuständig war nicht für die Bekämpfung, sondern für die Koordination der Schmiergeldzahlungen, wurde aufgepeppt und unter die Leitung von Peter Solmssen gestellt, der sich brüstete, aus diesem Organ so etwas wie einen internen FBI gemacht zu haben. Aber am Schmiergeldsystem selber hat dies mit letzter Sicherheit nichts geändert, warum: Weil das nun mal so läuft auf der großen weiten Welt, die grausam klein wird, wenn es um Großaufträge geht oder um strategische Entscheidungen, zum Beispiel eben wo man eine Pipeline baut und wo nicht. Da wird nun mal einfach bestochen, das ist die Normalität. Wie in der Quantenphysik gelten hier eigene Gesetze. Und dass Odehnal in seinem Artikel über die rumänischen Kinkerlitzchen dergleichen tut, als wäre dies auch nur entfernt anstößig oder anrüchig, ohne die Realität als solche anstößig oder anrüchig zu bezeichnen, das muss man einfach als Verdummungsversuch an der Leserschaft anprangern, der mindestens in meinem Fall gescheitert ist. Wie Figura zeigt.

Nun wohnen in meiner Brust nicht, ach, zwei Seelen, wie beim einfach gestrickten Tölpel Doktor Faust, sondern ungefähr so viele, wie in einen durchschnittlichen Plattenbau hinein gehen, und dementsprechend bin ich nicht in der Lage, den Wien-Korrespondenten Bernhard Odehnal voll­stän­dig zu verdammen, wie es im Faust-Kontext wohl heißen müsste, sondern ich belasse es beim Ver­ur­teilen, und eben, ich will Bernhard Odehnal nicht mehr verurteilen als nötig, denn er schreibt oft vernünftige und informative Artikel über Österreich und über Osteuropa, und überhaupt ist er als Journalist ganz offensichtlich dazu verdammt, und hier stimmt das Wort, eine Fiktion der Öffent­lich­keit zu bedienen, nämlich dass eine durch und durch transparente und ehrliche Geschäfts­ab­wicklung im Rahmen idealer marktwirtschaftlicher Bedingungen möglich und sogar die Regel sei unter den Bedingungen absolut freier Konkurrenz. Diese Ideologie darf so ein, nicht einmal daher gelaufener, sondern überhaupt in Wien residierender Journalist natürlich niemals in Frage stellen, da können nur Spurenelemente von Verdachtsmomenten aufschimmern wie zum Beispiel im Titel des besagten Artikels: «Spuren führen in die Schweiz»; geschätzte Freundinnen und Freunde, liebe Angehörige und insonderheit Herr Journalist Bernhard Odehnal, wohin sollten sie denn sonst führen, beim Teutates?

Nämlich hat der kritische Journalismus insofern zu seiner Identität gefunden, indem er die kon­sti­tuierenden Elemente des Systems aufdecken darf und soll als Abweichungen, als Entgleisungen, als Furunkel, die man entfernen soll. Dies ist die Dialektik dieses Berufes, der im Übrigen unter enormen Druck geraten ist durch den Zerfall der alten und die Entstehung neuer Medienstrukturen. Der Online-Journalismus bietet, einmal abgesehen von den Furunkel-Berichten im Rahmen der kritischen Berichterstattung, nicht mehr die gleichen Strukturen, und die Verlage verfügen auch zunehmend weniger über die entsprechenden Berichterstatter. Was da neu heranwächst, kann ich noch nicht so richtig beurteilen; es wird wohl in erster Linie aufgrund empirischer Werte etabliert, also der Gewohnheiten jener Menschen, die man in diesem Zusammenhang nicht Leserinnen nennt, sondern Benutzerinnen oder Userinnen, was allerdings ein flaues Gefühl aufkommen lässt in Bezug auf eine künftige derartige empirische Struktur, die benutzerfreundlich sein wird, aber nicht in erster Linie auf das Gebot a priori der Informationsvermittlung abstützt. Denn dies steht fest: Auch wenn man die Informationsvermittlung als solche immer kritisch anschauen muss, da sie nämlich immer auf Vorurteilen aufbaut, so droht doch ein gewichtiger Block an Wissen über die Ereignisse im Weltdorf weg zu brechen, wenn dieses Angebot auf dem freien Markt wegfällt.
Naja, da muss man sich halt andernorts bedienen, wird man hier zu Recht einwenden; bloß ist das noch nicht ins Bewusstsein der Öffentlichkeit vorgedrungen. Die Entwicklungen in der Geisteswelt zum einen, in der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft anderer Länder und Kontinente zum anderen haben einerseits ihren Einfluss auf die Entwicklungen bei uns, manchmal stärker, manchmal schwächer; vor allem aber rücken sie die Bedeutung unserer Probleme zurecht, die Kenntnis der Ereignisse in anderen Weltregionen relativiert unsere eigene Wahrnehmung, und zwar nicht etwa zu Recht, sondern es ist absolut obligatorisch, seinen Horizont mit dieser Dimension anzureichern. Die entsprechende Praxis muss sich im Bereich des Online-Journalismus wohl erst noch etablieren.

Im Übrigen gratuliere ich nachträglich zum Tag der deutschen Einheit, insonderheit deshalb, weil die Umkrempelung in Deutschland doch relativ friedlich und effizient ablief, wie man nach der relativ kurzen Zeit von vierundzwanzig Jahren sagen kann. Selbstverständlich traf auch kein anderes Land des ehemaligen Ostblocks auf vergleichbar positive Rahmenbedingungen wie die ehemalige DDR. Gerade Rumänien und Bulgarien, diese Weltmeister der ineffizienten Staatsord­nung und der Korruption, sind von der Europäischen Union bei der Integration ja nicht im Ansatz vergleichbar zur Brust genommen worden wie die neuen Bundesländer von den alten. Gegenwärtig ist die EU sowieso viel stärker damit beschäftigt, sich mit der Ukraine neue Probleme zu schaffen, als die bestehenden zu lösen, wozu ich übrigens nicht nur die beiden Schwarzmeerländer zähle, sondern vor allem die Fragen im Süden. Und damit meine ich zum Vornherein nicht Griechenland, das nach meinen Beobachtungen trotz halbwegs positiven Meldungen nach wie vor ein Gebiet außerhalb jeglicher institutioneller Rationalität darstellt.