Wer ist hier der "Terrorist"? Die ETA und die GAL

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Dutzende Menschenleben hat das paramilitärische "sozialistische Todesschwadron", die sogenannten Grupos Antiterroristas de Liberación auf dem Gewissen. 1983 verschleppten sie Joxean Lasa und Joxi Zabala in die leerstehende Villa la Cumbre in Donostia, nur einen Steinwurf von der Okupa Itxas Gain entfernt. Sie hielten sie dort drei Monate fest, verhörten sie unter Folter und ermordeten sie anschließend in der Wüste von Alicante mit einem Schuß ins Genick. Zwölf Jahre lang galten die beiden als verschwunden bis die Hunde mit ihren Gebeinen spielten. Über den Fall wurde nun der Spielfilm Lasa eta Zabala gedreht. https://www.freie-radios.net/66468 Zwei Bewohner von Itxas Gain äußern ihre Meinung über diesen "Schmutzigen Krieg". Dabei geht es ein bißchen durcheinander.

Mit Live-Übersetzung von Meike.
Audio
10:13 min, 10 MB, mp3
mp3, 134 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.10.2014 / 12:47

Dateizugriffe: 62

Entstehung

AutorInnen: die meike
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 07.10.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Aitor: GAL steht für Grupos Antiterroristas y Liberación - die antiterroristische Befreiungsgruppen. Ich weiß auch nicht so viel über die GAL aber wie auch immer. Was ich weiß ist, daß den Boden dafür die sozialistische Regierung von Felipe González bereitet hat. Auch das Innenministerium hatte seine Finger im Spiel. Die GAL waren paramilitärische, bewaffnete Polizisten. Das war ein schmutziger Krieg gegen das was sie "ETA-Terrorismus" nennen. Also sie haben Leute verschwinden lassen und sie ermordet.
Alex: Das richtete sich nicht nur gegen ETA-Mitglieder, sondern gegen jegliche bewaffneten Gruppen in den 80er Jahren.
Dani: Das Ding ist - das mit dem "Terrorismus", das setzt du in Anführungszeichen. Die Anführungszeichen waren gerade nicht zu hören...
Aitor: Ja, weil mit dem Wort "Terrorismus" gingen sie damals wie heute sehr großzügig um...
Dani: Man muß verstehen, daß die ETA aus einem Gefühl der Machtlosigkeit entstanden ist, damals in Biskaya wenn ich mich nicht irre. In den prkären, industriellen Arbeitervierteln ohne Strom, sanitäre Infrastruktur, wo die Vergessenen wohnen sozusagen, da war die ETA aus diesem Gefühl der Machtlosigkeit entstanden; wie jegliche andere Befreiungsgruppe, die von der Bevölkerung ausgeht. Das muß man verstehen, das ist nicht das gleiche - Terrorismus geht vom Staat aus. Das Wort "Terrorismus" wurde im 19. Jahrhundert geprägt und bezog sich genau auf die Methoden des Staates, um die Massen zu unterdrücken. Dann später erst wurde der Begriff umgedreht und auf Personen angewandt, die gegen den Staat kämpften. Da muß man differenzieren, die Geschichte der ETA berücksichtigen.
Meike: Ist die GAL denn in der spanischen Gesellschaft bekannt? Gibt es einen öffentlichen Diskurs darüber?
Aitor: Sie ist anerkannt und ja, ich glaube, daß man sie kennt in Spanien. Das wird auf jeden Fall immer so kommentiert wie "das war der Staat" und so, aber es gab nie Nachforschungen. Das ist etwas Scheiße, die man nie entfernen wollte. Und sie wird auch nie entfernt.
Dani: Mitte der 90er haben sie diesen Guardia Civil - Kommandant Galindo - verurteilt und seitdem weiß ich nicht mehr, was mit ihm passiert ist. Die letzte Nachricht von ihm war, daß er in Venezuela im Exil ist, auf der Flucht, aus dem Gefängnis ausgebrochen, was weiß ich...
Aitor: Neinein! Er war nur kurz im Gefängnis, hat nur vier Jahre abgesessen, dann wurde er 'rausgeholt.
Meike Derzeit wird ja von einer "Entspannung" des bewaffneten Konflikts mit der ETA geredet. Was bedeutet das?
Aitor: Warum? Weil jetzt nix mehr passiert! Genau gesagt gibt es einen Waffenstillstand...
Dani: ... einen Waffenstillstand und Vernichtung von Waffen...
Aitor: Hier passiert nix mehr, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute... Die Linke nimmt einen Diskurs an - sehr demokratisch, sehr systemkonform. Ich weiß nicht recht, aber für mich riecht das alles ein bißchen nach Scheiße. Ich meine nicht das Ende der Gewalt, auf keinen Fall. Klar, wir sollten uns natürlich für den Frieden einsetzen, aber ohne dich auf dei Knie begeben zu müssen. Verstehst du, ohne jemandem in den Arsch kriechen zu müssen. Und ohne dein Gesicht und deine Ideologie zu verlieren. Die Linke redet seit Jahren davon, die Gewalt zu beenden und den Dialog zu beginnen undsoweiter - am Ende haben sie bekommen, was sie wollten: Eine Linke im System, die nichts taugt, die keine Selbstkritik übt, die nicht kämpft.
Meike: Sprichst du von der Linken..?
Aitor: Von der nationalistischen Linken, ja.
Meike: Ich hab zwei Filme auf der Zinemaldia gesehn mit Thematik ETA: Lasa & Zabala und dann Negociador, eine Komödie über den Dialog zwischen Madrid und ETA. Ist das Zufall, daß das jetzt passiert, daß diese Filme herauskommen?
Aitor: Natürlich ist das jetzt. Jetzt, wo die Sache ruhiger geworden ist, kann man darüber lachen. Aber wir dürfen das auf keinen Fall karikieren, denn die Sache ist noch nicht vorbei. Die Leute sind immer noch im Gefängnis, die Leute sind immer noch im Exil, sie bezahlen noch immer. Die Sache sieht immer noch beschissen aus.
Dani: Es gibt Leichen, die noch nicht aufgetaucht sind....
Aitor: Die Familien müssen immer noch die Halbinsel durchqueren, um ihre Verwandten im Gefängnis zu besuchen...
Dani: Der Fakt, daß wir in Zeiten des Friedens leben, heißt nicht, daß wir "ihren" Frieden leben. Es ist nicht der Frieden der Bevölkerung, es ist "ihr" Frieden. Im Allgemeinen klappt das auch, aber es gibt noch keine Amnestie, die Leute sollten langsam aus dem Gefängnis 'rauskommen. Letztens wurde der Vater einer Freundin entlassen, Tomé. Er war schon seit Jahren sehr krank, ich dachte schon, er würde im Gefängnis sterben. Sie hätten ihn schon viel früher entlassen müssen. Das ist verfassungswidrig.
Aitor: Wenigstens haben sie ihn rausgeholt. Es sind schon viele im Gefängnis gestorben.
Dani: Die Verfassung sagt, daß die Leute ihre Strafe in der Nähe des Wohnorts ihrer Familien absitzen müssen. Aber das ist nicht der Fall. Manchmal sind sie tausend Kilometer weit weg im Gefängnis. Die Familien haben oft nicht die finanziellen Mittel, um die Verwandten zu sehen, oder aber sie sind selbst krank oder alt und können keine weite Reise auf sich nehmen. Aitor: Zum Beispiel kann eine Person aus San Sebastián in Puerto de Santa María inhaftiert sein, in Cádiz, am anderen Ende der Halbinsel. Und die Familien, um sie zu sehen, müssen 1.000 Kilometer zurücklegen. Und nicht nur das - manchmal lassen sie sie nicht zu ihnen, nach dem weiten Weg, den sie auch sich genommen haben, dürfen sie sich nicht einmal sehen.
Alex: Sie kommen dann mit Ausreden "Besuchszeit ist vorbei" undsoweiter...
Aitor: Ich finde es überhaupt nicht gut, Leute umzubringen, aber mit diesen Gefangenen und den Straßenkämpfen wird auch viel Politik gemacht - und vor allem werden die Familien, Freundinnen und Freunde der Inhaftierten mit bestraft.
Aitor: Was mich immer bestürzt ist, wenn Etarras festgenommen werden, heißt es in den Medien immer: "Zwei ETA-Mitglieder der Führungsspitze gefaßt; die, die vor zwei Monaten die und die Bombe gelegt haben." Ihnen wird von Anfang an der Schwarze Peter zugeschoben. Es ist jetzt ruhiger geworden in dem Konflikt, aber es wurden auch Mitglieder von ETA-nahen Jugendorganisationen teilweise zu 12 Jahren Haft verurteilt. Was ich sagen will ist, daß Justiz und Staat eins sind. Die Unabhängigkeit der Justiz ist ein Märchen, die beiden Kräfte sind eins, sie sind eins. Die jungen Leute haben höchstens Sachbeschädigung auf dem Kerbholz; sie haben vielleicht mit 17 mal einen Container angezündet. Dafür 12 Jahre Gefängnis?! Klar, du bist dann ein Terrorist. Und dann mußt du jede Woche vor dem zentralen Gericht, der Audiencia Nacional in Madrid erscheinen, über ein Jahr hinweg, jede verdammte Woche! Wenn du Arbeit hast oder so - das zerstört dein Leben, es zerstört dein Leben; es gefährdet dein Leben...
Meike: Wie viele sind derzeit inhaftiert?
Alex: Etwa 500 auf spanischem Gebiet.
Meike: Und im Exil?
Aitor: In Frankreich sind nochmal so viele. In Großbritannien auch einige. Und in Italien.
Dani: Dort sind es nicht nur die Linken, auch Anarchisten zum Beispiel.
Aitor: Vor einem Jahr hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich zur sogenannten "doctrina parot" geäußert. Und es scheint fast, als ob der spanische Staat dazu sagen würde: "Ist mir egal! Ich geh gegen Europa, ich geh gegen alle!"
Die Parotdoktrin besagt, daß du nicht länger als 35 Jahre im Gefängnis sein darfst. Was aber passiert ist, daß du 35 Jahre im Gefängnis bist und dann am ersten Tag, an dem du einen Fuß auf die Straße setzt nehmen sie dich gleich wieder fest so nach dem Motto: "Du hast jetzt die Strafe für den Mord an soundso abgesessen; jetzt kommst du für weitere 35 Jahre wegen dem und dem ins Gefängnis."

Kommentare
07.10.2014 / 17:01 Kurt, bermuda.funk - Freies Radio Rhein-Neckar
gesendet im Di Sonar
Danke !!!