"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Martin Sonneborn -

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Automobilistinnen und Automobilisten, die etwas auf sich halten, hergehört: Es gibt Neuigkeiten von der Staatskarossenfirma Audi. Und zwar wie folgt: Letzte Woche sah ich im Augenwinkel einen Wagen davon flitzen, nun, es war im Fernsehen, und es handelte sich um eine Automobil-Werbung für ein ganz neues Modell von Audi, nämlich eines mit einem Hybridantrieb, wobei ich auf der Audi-Webseite dann ganz einfach nicht fündig wurde, weil die nämlich komplett gesperrt war für sämtliche Sorten des Zugriffs, mindestens am Sonntagabend, am 25. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer, und auch noch am Montag. Hätte mich auch ein bisschen gewundert.
Audio
10:31 min, 24 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 11.11.2014 / 10:54

Dateizugriffe: 620

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Umwelt, Wirtschaft/Soziales
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 11.11.2014
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Im Dezember 2008 habe ich hier darauf hingewiesen, wie Audi mit einem Hybrid-Modell aus dem Jahr 1986, also mit einem damals 22 Jahre alten, längstens ausgedienten und seit 15 Jahren nicht mehr produzierten Modell Werbung machte, als ob es sich hier um eine Weltneuheit handle; und offenbar arbeiten auf der Audi-Werbeabteilung immer noch die gleichen Damen und Herren, welche dem geneigten Pub­likum Fahrzeuge anbieten, die es in Tat und Wahrheit gar nicht gibt. Bei dieser Gelegenheit erin­nere ich mich daran, dass ich im gleichen Jahr 2008 ungefähr einen Monat zuvor ebenfalls in die­sem Radio eine Audi-Werbung vorgestellt habe für das Modell Q 7 mit der Schlagzeile: «Der Audi Q7. Viel Kraft, effizient eingesetzt: 1.31 Liter pro 100 km.» Im Kleingedruckten hatte Audi dann erklärt, dass es sich um 1.31 Liter pro Sitzplatz handle oder ähnlich. Auf jeden Fall ist die Audi-Wer­be­abteilung schon damals in einen Bereich vorgestoßen, in dem die Satire nichts mehr zu su­chen hat. Es ist schön, dass sich daran in den letzten sechs Jahren nichts geändert hat. In dieser Zeit des permanenten Wandels ist man ja extrem froh, wenn man wenigstens da und dort ein paar Konstanten entdeckt. Und jetzt noch die Nebenbemerkung: Alle Zeiten sind Zeiten des perma­nen­ten Wandels. – Also weiter: Die Audi-Werbeabteilung ist in dieser Welt des Wandels eine authentische Konstante. Und das wiederum sollte diesem Unternehmen in diesem höchst dynamischen Sektor doch etwas zu denken geben. Wann rollen hier endlich mal die Köpfe?

Was macht eigentlich, nein, nicht Hayden Panettiere, sondern Martin Sonneborn? Der Satiriker, früher Redaktor und Chefredaktor der Titanic und Mitarbeiter der ZDF-heute-Show, sitzt seit einem halben Jahr für die Partei mit dem schönen Namen «Die Partei» oder in der langen Version Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative im Europaparlament. Im Englischen nennt man so was einen «practical joke», ein deutscher Ausdruck fällt mir nicht spontan ein, vielleicht praktische Satire oder ein angewandter Scherz? – Schabernack oder Streich kommen nur in die ungefähre Nähe dieser Politik-Veräppelung erster Güte. Laut Wikipedia sitzt Sonneborn im Europaparlament als Mitglied des Ausschusses für Kultur und Bildung sowie der Delegation für die Beziehungen zur koreanischen Halbinsel. Letzteres dürfte ein Beweis sein dafür, dass es auch so etwas wie einen institutionellen Humor gibt. Wir sind wohl nicht wirklich gespannt, wie Nord- und Südkorea auf eine satirische Vermittlungsanstrengung reagieren werden.

Daneben spielt sich das Leben des Abgeordneten Sonneborn beziehungsweise das, was davon an die Öffentlichkeit dringt, vor allem auf Facebook ab, was für mich ein unzugänglicher Ort ist, weil ich mein Gesicht lieber für mich behalte. Die Partei selber, für welche Sonneborn unterwegs ist, wirbt für sich mit dem Slogan «Die endgültige Teilung Deutschlands, das ist unser Auftrag», dem es gerade in diesen Tagen natürlich nicht an Aktualität mangelt, wobei Aktualität vielleicht nicht der richtige Ausdruck ist, denn ein solcher Programmpunkt wirkt heute nicht mal mehr absurd, im Gegensatz zum getrennten Nord- und Südkorea, worauf der erwähnte institutionelle prak­tische Scherz mit einiger Sicherheit abzielt. Vor, was weiß ich, zwanzig Jahren mag der Auftrag zur endgültigen Teilung Deutschlands ein halbwegs ernst gemeinter Aufruf gewesen sein, nicht in jene Großmachtsansprüche zu verfallen, die heute von allen Seiten gefordert werden, bloß nicht in Deutschland selber, was ich persönlich übrigens sehr zu schätzen weiß. Im Grunde genommen war es aber schon damals ein Bekenntnis zur kleinbürgerlichen Muffeligkeit, welche die Durch­schnitts­bevölkerung vermutlich sowohl hüben wie drüben auszeichnete. 25 Jahre nach dem Mauerfall ist die Trennungsforderung ein Gag ohne jeglichen Bezug und Inhalt und damit absolut massen­tauglich, die Entsendung Sonneborns nach Brüssel erscheint in diesem Licht als absolut kohärent.

Dabei haben Sonneborn und die Titanic durchaus ihre politischen Hintergründe. Beide verstanden die Satire als Instrument zur Herstellung von Wahrheit gegenüber der Unzahl an Halbwahrheiten und Lügen, als Kampf der blitzenden Ritter des Lichts der Vernunft gegen alle Sorten von Unver­nunft und ganz besonders als Agitation gegen die Macht und die Mächtigen und die in ihren Diensten stehenden Legionen an Dummheit. Das hat sich in der Zwischenzeit ganz ordentlich verflüchtigt, und dementsprechend braucht man nicht der Partei beizutreten, wenn man solch hehre Vorsätze haben sollte. Falls Ihr diesbezüglich aber Fragen haben solltet, so wendet euch ver­trauensvoll an die Zweigniederlassung Thüringen bzw. an ihren Vertreter, Eggs Gildo.

Im Übrigen habe ich gehört, dass eben der Thüringer Ableger der Partei am letzten Sonntag sozusagen als neutrale Größe ebenfalls auf dem Domplatz in Erfurt tätig war, als die 5000 Demonstranten gegen eine wahrscheinliche künftige Landesregierung Ramelow ihre Lichter und Plakate in die Luft hielten, wobei wohl keiner von den Protestlern im Ernst davon ausging, dass Bodo Ramelow die Wiedereinführung der DDR betreiben wird. Ich gehe davon aus, dass das Hauptmotiv für die Demonstration entweder ein eigenes, unterdessen etwas angejahrtes Unrechts­empfinden war oder aber der Versuch, aus diesem Unrechtsempfinden politisches Kapital zu schlagen. Jedenfalls ist dieses Unrechtsempfinden ein fester Bestandteil des politischen Alltags ich nehme an, vor allem in den neuen Bundesländern, während man in den alten Bundesländern beziehungsweise in der ehemaligen Bundesrepublik eher die Kraft des Faktischen sieht; letztlich haben Kohl und Konsorten die Partie ja gewonnen, und zwar radikal. In der ehemaligen DDR dagegen hallen die Erfahrungen von Knast und Benachteiligung wohl noch länger nach, weil sie in den eigenen Biografien oder im eigenen Umfeld verwurzelt sind. Das sieht man ja auch beim aktuellen Bundespräsidenten, dessen Vergangenheit als Chefermittler in Sachen Staatssicherheit ihm eine kritische Distanz zur DDR-Vergangenheit schlicht und einfach verunmöglicht. Besonders erhebend sind jeweils die Debatten darüber, ob die DDR nun ein Rechts- oder ein Unrechtsstaat war. Gottseidank nennt sich die SED-Nachfolgepartei nicht die Rechte, sondern die Linke, sonst wäre die Verwirrnis umfassend. Was den Rechtsstaat angeht, so kommt man der Frage einfach über die Definition bei, zum Beispiel jene aus der Wikipedia: The exercise of governmental power is constrained by the law, and the power of the state is limited in order to protect citizens from the arbitrary exercise of power, was aber eigentlich aus dem ersten Satz schon hervorgeht. Es sei denn, das Gesetz selber oder die Verfassung schränke die Freiheit der Bürger ein. Was die Verfassung selbstverständlich tut, zum Beispiel, indem sie neben Rechten auch Pflichten festschreibt, aber darum geht es ja nicht, sondern um den Missbrauch. Und in der Beziehung bleiben die Auffassungen zur DDR wohl noch lange geteilt. Die meinige nicht: Selbstverständlich war die DDR ein Rechtsstaat. Sonst wäre nämlich nur allein die Wiedervereinigung ungültig, wie die Titanic schon vor Jahren schrieb. Das schließt ja nicht aus, dass auch in einem Rechtsstaat Fehler passieren. Schon mal was gehört von Klassenjustiz? Das gab es mit Sicherheit in der DDR auch, es gab sie in der BRD, und es gibt sie auch heute noch im Neuen Deutschland, das jetzt halt eben auf eine andere Art neu ist, als es sich die DDR-Gründerinnen ausgedacht haben. Im deutschen Grundgesetz steht zum Beispiel, die Würde des Menschen sei unantastbar. Ich glaube, man muss nicht große logische Sprünge machen, um festzustellen, dass die Würde der ärmeren Menschen in diesem Staat tatsächlich nicht angetastet wird, sondern mit Füßen getreten, zumal, wenn sie in die Mühlen von Hartz IV und solchen Späßen kommen. Aber damit wird Deutschland noch nicht automatisch zum Unrechtsstaat.

Soviel hierzu, und hier wollte also die Partei das Zünglein an der Waage spielen, vielleicht auch zwischen den paar Rechtsradikalen, welche sich dieser CDU-Veranstaltung anschlossen, und den Gegendemonstranten, aber vermutlich war diese Aktion nicht übermäßig erfolgreich.

Aber sprechen wir von etwas anderem. Was macht jetzt doch Hayden Pannettiere? Sie macht etwas Sinnvolles, nämlich ein Kind. Vielleicht wird es ein Weihnachtsgeschenk für ihren Verlobten Wladimir Klitschko, den man in Fachkreisen auch «Die dargebotene Hand» nennt. Möglicherweise wird die Geburt in Kiew inszeniert, wo Schwager in spe Vitali Bürgermeister ist. Frau Pannettiere hat sich dahingehend geäußert, dass sie schon immer wusste, dass das Muttersein ihre Bestimmung wäre; da könnte sie sich wie Julia Timoschenko das Haar blond färben und in einem schönen Ährenkranz um den fotogenen Kopf flechten. nun wollen wir mal sehen, ob sie ihrem kommenden Kind eine gleich gute Betreuung bietet wie Katie Holmes ihrer Suri. So als Beispiel. Ansonsten entgleitet mir Hayden Pannettiere ebenso wie Martin Sonneborn, bloß ist sie nicht wie der satirische Politiker vor allem auf Facebook aktiv, sondern auf Twitter, aber auch hier bin ich ganz und gar passiv, mir muss man die Dinge auf dem Internet präsentieren oder in den altmodischen Printmedien, aber Tweets, Posts und Blogs, all das sind doch nichts weiter als Notate von Umgangsgesprächen, das heißt, sie sind nach drei Sekunden abgestanden, wenn man sie aufbewahrt.

Aber wem sage ich das, euch treuen und theuren RadiohörerInnen in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt!

Kommentare
30.08.2022 / 14:31 John, Radio F.R.E.I., Erfurt
Auszug verwendet im kleinen feinen großen FRN-Quiz 2022
Danke. Hier geht's zum Beitrag: https://www.freie-radios.net/117215