Datenkraken schielen auf Bayerns Autobahnen

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Die Kameras sind abgebaut, die Kabel aufgerollt. Sechs Monate lang testete die bayerische Polizei bis zum Frühjahr letzten Jahres ein System, mit sie fette Beute machen will. Mit automatisierten Digitalkameras wurden die Autokennzeichen an zwei deutsch-tschechischen Grenzübergängen und auf der Autobahn München-Salzburg erfasst und mit dem Fahndungscomputer abgeglichen.


Ein erfolgreicher Pilotversuch, brüstet sich Bayerns Innenminister Beckstein und bastelt eifrig an einer Gesetzesgrundlage für das Kennzeichenscanning. Ein Beitrag von Maike Dimar:
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Upload vom 05.05.2004 / 08:56

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Beitragsart: Gebauter Beitrag
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: zip-fm - Einzelbeitrag
Entstehung

AutorInnen: Maike Dimar
Radio: RadioZ, Nürnberg im www
Produktionsdatum: 03.05.2004
keine Linzenz
Skript
Weitere Beiträge zum Thema:
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Datenkraken schielen auf Bayerns Autobahnen

Die Kameras sind abgebaut, die Kabel aufgerollt. Sechs Monate lang testete die bayerische Polizei bis zum Frühjahr letzten Jahres ein System, mit dem sie fette Beute machen will. Mit automatisierten Digitalkameras wurden die Autokennzeichen an zwei deutsch-tschechischen Grenzübergängen und auf der Autobahn München-Salzburg erfasst und mit dem Fahndungscomputer abgeglichen.
Ein erfolgreicher Pilotversuch, brüstet sich Bayerns Innenminister Beckstein und bastelt eifrig an einer Gesetzesgrundlage für das Kennzeichenscanning. Andere Bundesländer ziehen nach: Ein Unterausschuss der Innenministerkonferenz prüft entsprechende Pläne und soll bis zum Frühjahr diesen Jahres berichten. Nordrhein-Westfalen meldete schon Bedenken an, in Hessen und Bayern liefen dagegen Modellversuche. In Thüringen sorgten Videokameras zum Kennzeichenabgleich ohne jegliche rechtliche Grundlage für einen fetten Skandal.
Auch der Pilotversuch in Bayern, wie schon zuvor bei ähnlichen Projekten der Fall, war ohne juristische Basis. Nun soll das Filmen von Nummernschildern mit direktem Draht zur Fahndungsdatei Bestandteil des neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetzes werden, das im Herbst in Kraft treten soll.
Keine grundsätzlichen Bedenken hat Bayerns Datenschutzbeauftragter Vetter, doch dürften die Kennzeichen von unverdächtigen Fahrern nicht gespeichert werden. Anders der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar. Er bezweifelt, ob solche Überwachungsmethoden überhaupt durch Polizeigesetze zu regeln sind. Schließlich sei die Fahndung "Bestandteil der Strafverfolgung, so dass ein Scannen von Autokennzeichen möglicherweise bundeseinheitlich in der Strafprozessordung zu regeln wäre."
Auf heftigen Protest stoßen Becksteins Pläne bei den bayerischen Grünen. Deren innenpolitische Sprecherin Kamm fürchtet, die Daten könnten länger gespeichert und zweckentfremdet werden, wie bereits von CSU-Seite gefordert. Kamm verweist zudem auf die bisherige Erfahrung bei Videoüberwachung, dass nach anfänglich kleinen Schritten immer weitere Überwachungstatbestände hinzukommen. Schließlich könne es dahin kommen, dass auch "bei einer Demonstration gegen ein AKW oder einer türkischen Hochzeit gescannt wird."
Tatsächlich: Speicheltests, Videokameras im öffentlichen Raum, Wanzen in Telefonen entwickeln sich zur Seuche, die um sich greift. Beschränkungen und Kontrollmechanismen werden aufgeweicht, Straftatenkataloge erweitert. Man gewöhnt sich daran auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden. Es wird gefilmt, gescannt, gespeichert - und eben nicht gelöscht. Oder die gesetzliche Erlaubnis zum Speichern nachgeschoben.
Eine Falle, in die auch die Bündnisgrünen tappen, zumindest mit einem Fuß. In ihrem Dringlichkeitsantrag fordern sie, das Kennzeichenscanning "konzeptionell und rechtlich auf eine solide, im Einklang mit den Datenschutzerkenntnissen stehende Grundlage zu stellen". Doch ist die Forderung nicht vielmehr: kein Scanning? Schafft man mit dem Ruf nach einer gesetzlichen Grundlage nicht die Rahmenbedingungen für solche Projekte? Eine schwierige Frage, findet Kamm: "Wir wollen uns einerseits Fahndungsmethoden, die die Polizei als notwendig bezeichnet, nicht verschließen, und andererseits den Anforderungen des Datenschutzes gerecht werden."
Kennzeichenscanning ist nur ein Mosaikstein in der allgemeinen Datensammelwut. Es soll lage- und verdachtsunabhängig erfolgen und schafft die Möglichkeit weiter gehender Überwachungsmaßnahmen: "Wenn eine solche Technologie erst einmal da ist, ergeben sich immer Begehrlichkeiten, sie auch für andere Zwecke zu verwenden.", gibt Bundesdatenschützer Schaar zu bedenken, und nennt als Beispiel Geschwindigkeitskontrollen, für die das Scanning-System in anderen Ländern bereits eingesetzt wird.
Schwerwiegender ist, dass die erfassten Daten Bewegungsprofile aller Vorüberfahrenden ermöglichen. Kein Problem für Innenstaatssekretär Schmid, schließlich würden die Informationen nach negativem Abgleich unwiederbringlich gelöscht. Im Fokus stehe der international agierende Straftäter. "Mag sein, dass die Maßnahme zunächst auf diese Zielgruppe ausgerichtet ist", hält Datenschützer Schaar dagegen. "Doch dann hat man den sogenannten Beifang, diejenigen, die etwas getan haben, was nicht ganz in Ordnung ist, und letztlich will man dann womöglich von ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern vielleicht auch wissen: Wo fahren die eigentlich hin ...?"
Fakt ist: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird seit Jahren immer stärker beschnitten. Mit Folgen für die Einzelnen: "Alleine dadurch, dass man befürchten muss, dass das Gesamtverhalten erfasst wird, verhält man sich nicht mehr frei" gibt Schaar zu bedenken. "Wenn jemand befürchten muss, dass seine Teilnahme an einer Demonstration registriert wird, auch ohne dass er sich gewalttätig verhält, führt dies möglicherweise dazu, dass er gar nicht mehr demonstriert. Soweit darf es nicht kommen."
Wo der ungebremste Ausbau der Datenvorräte mit einer "extremen Gefährdungssituation" zusammentrifft, lauert nach Ansicht Schaars Gefahr: "In den USA geht die Entwicklung nach dem 11. September 2001 in diese Richtung." Dort entstünden "umfassende Datensammlungen riesigen Ausmaßes, ohne dass ein Verdacht gegen betroffene Personen vorliegt, und niemand weiß genau, was mit diesen Daten geschieht.", so Schaar.
Doch auch hierzulande brechen mehr und mehr die Dämme. Präventivmaßnahme ist das Zauberwort, der "Otto-Katalog", die Forderung Schilys nach "Sicherungshaft" für potenzielle Attentäter. Der Hinweis auf den internationalen Terrorismus rechtfertigt so ziemlich jede Maßnahme, auch ohne konkreten Tatverdacht.

Maike Dimar