13. Februar: Kommt-nach-vorne-Prozess gegen Tim beendet

ID 68150
1. Teil (Hauptteil)
AnhörenDownload
Am Dienstag, am 6. Dezember, wurde am Landgericht Dresden der Prozess gegen Tim in 2. Instanz beendet. Vom schweren Landfriedensbruch wurde er frei gesprochen, wegen Beleidigung aber zu 90 Tagessätzen und zur Zahlung der halben Prozesskosten verurteilt. Am 19. Februar 2011 sollte in Dresden ein Naziaufmarsch stattfinden, der durch Blockaden, organisiert von Dresden Nazifrei, verhindert wurde. Tim war damals als Antifaschist in Dresden unterwegs.
Audio
06:57 min, 6392 kB, mp3
mp3, 125 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 07.01.2015 / 00:02

Dateizugriffe: 750

Klassifizierung

Beitragsart: Nachricht
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Entstehung

AutorInnen: AL
Radio: coloradio, Dresden im www
Produktionsdatum: 06.01.2015
Folgender Teil steht als Podcast nicht zur Verfügung
 
Download
Image
33 kB,
Anzeige neben Beitragsbeschreibung
Upload vom 07.01.2015 / 02:14
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Vor Pegida gab es in den 2000er Jahren in Dresden den größten regelmäßigen Neonaziaufmarsch Europas. Seit 2010 konnte dieser vom Bündnis Dresden Nazifrei blockiert werden. Um den 13. Februar 2011 hatten die Auseinandersetzungen um den Naziaufmarsch ihren Höhepunkt, dies vor allem am 19. Februar 2011. Einer der damals aktiven Antifaschisten war Tim. Gegen ihn wurde anschließend ermittelt. Die Dresdner Staatsanwaltschaft warf ihm vor, mit einem Megafon andere zum gewalttätigen Durchbruch durch eine Polizeikette angestachelt zu haben, mit Sprüchen wie "Kommt nach vorn!". Daher wurde bei ihm eine Hausdurchsuchung durchgeführt, sein Arbeitgeber wurde zur Zeugenaussage eingeladen und schließlich wurde er am 16. Januar 2013 vom Amtsgericht Dresden zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung wegen besonders schwerem Landfriedensbruch und Beleidigung verurteilt. Das Urteil basierte auf fragwürdigen Videomaterial. Daraufhin ging die Verteidigung in Revision. Der Tag des Urteils in 2. Instanz, der 3. Verhandlungstag, begann mit einer kleinen Kundgebung vor dem Landgericht, an der auch Lothar König teilnahm, der am Vortag in Dresden gegen Pegida demonstriert hatte. Lothar König ist übrigens einer der Unterzeichner des „Weihnachtsgrußes von Neunundachtzigern“, den ehemalige DDR-Oppositionelle 25 Jahre nach dem Mauerfall an Pegida gerichtet haben. Am Montag dieser Woche holte er auch den Lautsprecherwagen der JG Stadtmitte Jena bei der Dresdner Polizei ab, der dort seit einer Razzia in Jena im August 2011 stand. Der "Lauti" war also mit bei der Kundgebung vorm Landgericht dabei.

Die Verhandlung: Es wurde der Polizeizeuge aus Dresden vernommen, der das 28 1/2-minütige Beweisvideo zusammen schnitt, auf deren Grundlage Tim in 1. Instanz verurteilt wurde. In 1. Instanz war der Verteidigung und wohl auch der Staatsanwaltschaft nur das geschnittene Video bekannt, in dem viele wesentliche Szenen fehlten und das mit Hinweisen zur Täterschaft von Tim versehen wurde. Vor dem letzten Verhandlungstag konnte die Verteidigung allerdings auch das Videorohmaterial von der Polizei Düsseldorf anschauen. Daraus ergab sich ein etwas anderes Bild wie folgt: 19.02.2011: An der Ecke Bernhardstraße/ Bamberger Straße in der Dresdner Südvorstadt gab es eine Polizeikette. Es näherte sich eine Gruppe von Antifas. In den ersten Reihen sind die Leute vermummt. Die Polizisten wollen die Leute mit Pfefferspray stoppen. Die Gruppe stoppt und ruft: "Haut ab.". Aus der Gruppe fliegen Flaschen auf die Polizisten. Die Gruppe ruft einen Countdown. Polizisten schlagen auf einzelne Leute ein. Aus den ersten Reihen der Gruppe wird mit Latten auf die Polizisten eingeschlagen. Aus der Gruppe werden Feuerwerkskörper geworfen. Die Menschenmenge wird von hinten größer. Man hört immer wieder Megafondurchsagen wie "kommt nach vorn, weiter nach vorne, alle nach vorn". Die Polizeikette kann nicht aufrecht erhalten werden. Die Polizeikette wird von der Menschenmenge durchbrochen. 5 Personen mit Megafonen können gezählt werden. Am Bildrand schlägt ein Polizist mit seinem Schlagstock auf eine Person am Boden. Eine Person ruft zum Polizisten "Hau ab du Nazischwein". Daraus ergibt sich die Beleidigung im Urteil. Soweit das lange Video. Erkennbar ist dort auch, dass die gewalttätigen Personen der ersten Reihe kein Megafon tragen und dass es keine Anführerperson gibt. Nicht erkennbar ist, welche Durchsage durch welches Megafon gesagt wird. Damit ist das Konstrukt der Rädelsführerschaft, auf die der schwere Landfriedensbruch von Tim basieren soll, hinfällig.

Tim selbst, der im Prozess von 2 Anwälten aus Berlin vertreten wurde, verweigerte die Aussage. Ein Gutachten eines Anthropologen sollte klären, ob die eine Person mit dem Megafon und mit der Mütze wirklich Tim ist. Die vergleichbaren Merkmale stimmten überein, was dann bedeutete, dass beide Personen zu 95 %iger Wahrscheinlichkeit identisch sind. Die Verteidigung legte in ihrem Plädoyer dar, dass schon die Staatsanwaltschaft von der Polizei entmachtet wurde, indem die Polizei Videomaterial manipulierte und nannte das Verfahren "hart an der Grenze zur Rechtsstaatlichkeit." Außerdem erklärte die Verteidigung nocheinmal, dass es Sinn macht, wie es im aktuellen Gesetz steht, dass Demonstrationsteilnehmer nicht für Straftaten anderer Demonstrationsteilnehmer bestraft werden können, auch nicht bei Landfriedensbruch, eben weil sonst die Teilnahme an einer Demonstration zum Haftungsrisiko für jeden einzelnen Teilnehmer werden könnte und damit das Demonstrationsrecht nicht mehr sinnvoll wahrgenommen werden könnte. Doch gerade in Sachsen scheint dieses Prinzip nicht nur bei Behörden, sondern auch in weiten Bevölkerungskreisen unbekannt zu sein. Das Urteil, das der Richter am 6. Dezember nach 7 Stunden sprach, lautete: Geldstrafe von 90 Tagessätzen wegen Beleidigung plus die Hälfte der Verfahrenskosten für Tim.

Nicht ganz unwichtig und noch zu erwähnen wäre, dass Tim bei der Linkspartei angestellt ist. Schließlich wurden viele Prozesse im Zusammenhang mit Anti-Naziprotesten zum 13. Februar gegen Mitglieder der Linkspartei oder ihr nahe stehenden Personen geführt. Die Tochter von Lothar König, dessen Verfahren am 10. November gegen Zahlung einer Geldstrafe eingestellt wurde, ist Landtagsabgeordnete für die Linke in Thüringen. Die Dresdner Staatsanwaltschaft führt derzeit ein Verfahren gegen Thüringens linken Ministerpräsident Bodo Ramelow und der sächsische Landtagsabgeordnete Falk Neubert wurde am 28. Mai 2014 zu 1.500 Euro Strafe wegen "grober Störung eines genehmigten Aufzuges" verurteilt.

Kommentare
12.01.2015 / 07:21 hikE, Radio Unerhört Marburg (RUM)
in Frühschicht 12.1.2015
gesendet. Danke!