statistischer Kommentar zur Thüringenwahl

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Upload vom 16.06.2004 / 00:00

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Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info
Serie: zip-fm - Einzelbeitrag
Entstehung

AutorInnen: wolli
Radio: RUM-90,1, Marburg im www
Produktionsdatum: 16.06.2004
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
99,9% haben in Thüringen die KPD nicht gewählt. Wie zu Zeiten der DDR, äh, nein, genau das Gegenteil.
Geblieben aus DDR-Zeiten ist aber etwa das CDU Ergebnis: fast 82 % haben die CDU nicht gewählt.
Aber halt, werden die politisch wohlinformierten Zuhörenden rufen. Die CDU hat doch die absolute Mehrheit im Landtag. Was wie ein Widerspruch klingt, nennt sich nur in Wirklichkeit Demokratischer Parlamentarismus.
Aber fangen wir doch mal langsam an:
Sicher wird es dem ein oder der anderen aufgefallen sein, daß bei der Landtagswahl in Thüringen die CDU mit nur 43 % der abgegebenen gültigen Stimmen die absolute Mehrheit im Landtag errungen hat. Wie geht das? Ein ganz einfacher rechnerischer Trick. 16,5% der abgegeben gültigen Stimmen, werden einfach nicht gezählt, weil sie auf Parteien fielen, die die 5%-Hürde nicht übersprungen haben. Und wer so eine Partei wählt, zählt halt bei der Sitzverteilung im Parlament nichts.
Ebenso ergeht es den Menschen, die zwar was zu sagen haben, denen aber die Parteien nicht zusagen. Wenn solche Menschen sich bei der Wahl enthalten, werden sie schlicht weg für zu blöd gehalten, denn ihre Stimmen werden für ungültig erklärt. Und das 4 % der Menschen in Thüringen, die an der Wahl teilgenommen haben, einfach zu blöd sind einen Stimmzettel auszufüllen, würde ich mich nicht trauen zu sagen. Aber Fakt ist, ihre Stimmen werden bei der %-Verteilung raus gerechnet, denn es zählen nur die gültigen abgegebenen Stimmen. Würden sie mit eingerechnet, hätte die CDU nicht 43 %, sondern nur gut 41 % der abgegeben Stimmen erhalten. Wie mit solchen „üngültig-Wählenden“ umgegangen wird zeigt noch ein anderer Zahlentrick: wenn wer raus bekommen möchte, wieviele denn nun ungültig gewählt haben, der hat meist Pech. Denn in den hübschen Tabellen in den Zeitungen sind zwar meist die abgegebenen Stimmen (also mit den ungültigen) aufgelistet, ebenso die Stimmen für die Parteien, aber eben nicht die ungültigen. Wer das wissen will muß halt den Taschenrechner bemühen. Ach ja, für die Wahlbeteiligung werden die dummen ungültig Wählenden aber dann doch mitgerechnet; sieht ja dann auch schöner aus, weil’s so ‘ne höhere Wahlbeteiligung gibt.
Aber ich möchte das Zahlenspiel noch etwas weiter treiben. Es wird ja schließlich in der Presse die zunehmende Wahlmüdigkeit betrauert. Daher wäre es doch mal interessant zu wissen, wie viele der Wahlberechtigten nun die CDU in Thüringen wirklich gewählt haben: um es kurz zu machen, gut 22 % der Wahlberechtigten haben die CDU gewählt. Wenn jetzt auch noch all diejenigen mit rein gerechnet werden, die nicht wählen dürfen, weil sie etwa gerade umziehen, im Knast sitzen oder ihre Eltern blöder weise nicht in Deutschland geboren sind oder sie zu spät zu Welt gebracht haben, dann sind es nur noch gut 18 % der Bevölkerung die der CDU in Thüringen eine absolute Mehrheit im Parlament beschert haben. Ach ja, die Auswirkungen der Politik treffen übrigens 100 % der Bevölkerung.
Das mag jetzt alles etwas hoch gegriffen daherkommen, aber es geht noch arger. Bei einer Oberbürgermeisterwahl in Marburg wurde der Kandidat der CDU mit über 50 % der abgegebenen gültigen Stimmen gewählt. Nun ja, es gab zwar mehr ungültige Stimmen, als Stimmen für diesen Kandidaten, aber was soll’s, er ist bis heute Oberbürgermeister von Marburg und gibt sich immer wieder wie ein kleiner König. Vielleicht, weil er auch damals nur 8 % der Bevölkerung wirklich hinter sich hatte.
Manche werden jetzt sicher einwenden, das ist doch alles bloße Zahlenpielerei, denn daran ist nichts zu ändern. Nicht ganz, denn wenn es z.B. um Volksentscheide geht, spielt die Wahlbeteiligung oft eine Rolle, d.h. es müssen mindestens soundso viel % der WählerInnen für den Entscheid stimmen. Oder wenn wir nach Montenegro schauen, dort waren Wahlen schon ungültig, weil unter 50 % zur Wahl gegangen sind.
Und wenn dieser Kommentar nun wem den glauben an den Parlamentarismus erschüttert hat, schön, denn das sollte er, denn es ist immer noch besser die stimme zu erheben, als sie abzugeben.