"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Reddito di Cittadinanza -

ID 70557
 
AnhörenDownload
Am 12. Mai meldete die italienische Zeitung Repubblica, dass der Präsident der Region Lombardei sich für die Einführung eines Grundeinkommens in ebendieser Region einsetzen wolle.
Audio
11:47 min, 27 MB, mp3
mp3, 320 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 19.05.2015 / 16:16

Dateizugriffe: 1075

Klassifizierung

Beitragsart: Kommentar
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: Aus Neutraler Sicht
Entstehung

AutorInnen: Albert Jörimann
Radio: Radio F.R.E.I., Erfurt im www
Produktionsdatum: 19.05.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
Beim Präsidenten handelt es sich um den ehemaligen Innen- und Arbeitsminister Roberto Maroni, eine der Figuren, welche über Jahre hinweg mit dem korrupten Umberto Bossi und dem Schnapsfass Roberto Calderoli die Lega Nord angeführt hatten. Rechtspopulistisch, fremdenfeindlich und homophob – und Befürworter des Grundeinkommens. Schreck, lass nach.

Er lässt tatsächlich etwas nach, der Schreck, wenn man sich die Sache genauer ansieht. Erstens will Maroni nicht wirklich ein Grundeinkommen, sondern ein «Reddito di Cittadinanza», ein Bürger­geld, wie es auch auf Deutsch oft genannt wird, ihr erinnert euch vielleicht noch an das Modell eines solidarischen Bürgergelds eures ehemaligen Ministerpräsidenten Dieter Althaus, aber Maroni will es selbstverständlich nicht gemäß dem republikanischen Verständnis eines Bürgers, sondern gemäß dem nationalen, nationalistischen beziehungsweise sogar regionalen Verständnis. Und zur Finanzierung will er Mittel aus dem europäischen Sozialfonds verwenden, nämlich 220 Millionen Euro, welche zur Armutsbekämpfung bereitstehen. Das macht bei einer Bevölkerung von 10 Millionen Einwohnern gerade mal 22 Euro pro Person und Jahr. Bis zu einem vollwertigen Grundeinkommen ist da noch ein ordentliches Stück Budget zu gehen. Die Details sollen im Juli diskutiert werden.

Maroni ließ sich von einem Vorschlag des Movimento 5 Stelle von Beppe Grillo inspirieren, wenn man bei solch einem Kopf überhaupt von Inspiration sprechen kann – bei Calderoli wäre es einfacher, da würde es «inspiritieren» heißen, von Spiritus. Das Movimento 5 Stelle fordert so etwas wie eine Negative Einkommenssteuer; eine allfällige Differenz zwischen dem absehbaren Jahres­ein­kom­men und dem festzulegenden Mindesteinkommen wird dabei in zwölf Monatsraten ausbezahlt. Die Grillo-Anhänger kommentieren Maronis Absichten dementsprechend spöttisch, während der neue Parteisekretär der Lega Nord, der Rassist Matteo Salvini, sich strikt gegen das Bürgergeld-Projekt von Maroni ausspricht mit dem Argument, der Staat müsse Arbeit beschaffen und nicht Almosen verteilen. Man hat auf jeden Fall Grund zur Annahme, dass es sich bloß um eine weitere popu­lis­tische Aktion von Maroni handelt, und man erinnert sich in diesem Zusammenhang daran, dass früher auch schon ebenso namhafte wie chancenlose Politiker in Frankreich das Grund­ein­kom­men in ihre Wahlplattformen aufnahmen, namentlich François Bayrou oder Dominique de Villepin, um es nach den entsprechenden Kampagnen umgehend wieder zu vergessen.

Daneben habe ich wie alle anderen interessierten Subjekte das Land Italien etwas aus den Augen verloren, seit dieses faszinierende feixende Schleim-, Eiter- und überhaupt Ekelpaket Silvio Berlus­coni aus der Öffentlichkeit verschwunden ist. Schließlich gab es ja auch seit mehr als fünf Wochen keinen Regierungswechsel mehr. Was heißt da fünf Wochen: Matteo Renzi ist seit geschlagenen fünf­zehn Monaten, seit Februar 2014 Ministerpräsident und Chef einer zwar nicht vom Volk ge­wähl­ten, aber trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ziemlich stabilen Regierung! Er hat in dieser Zeit zwar nicht Reformen im angekündigten Tempo von einem Stück pro Monat durch­ge­führt; aber zwei wichtige Projekte gehen auf sein Konto: die Arbeitsmarktreform, welche einerseits den quasi absoluten Kündigungsschutz lockerte, welcher einen fest angestellten Proletarier mehr oder weniger in den Heiligenstatus versetzte und was umgekehrt dazu führte, dass sich viele mitt­lere und kleinere Betriebe, welche sich keine Heiligen leisten können, sondern nur normale Ange­stellte, auf Schummel-Vertragsformen auswichen, welche nun mit der Arbeitsmarktreform ihrer­seits abgeschafft werden. Dazu kommt die Einführung einer Arbeitslosenversicherung, was einen entscheidenden Schritt des Landes in Richtung einer modernen sozialdemokratischen Staatsform darstellt. Das kann man angesichts der kastenähnlichen Verkrustung großer Gewerkschaftsteile und der ideologischen Belastung des Themas nicht hoch genug einschätzen. Und dann die Reform des Wahlrechtes, das so genannte Italicum; hier soll in Zukunft jene Partei, die im zweiten Wahlgang die Mehrheit erringt, im Parlament zusätzliche Sitze erhalten, einen Bonus, wovon man sich eine Stabilisierung der italienischen Politik erhofft, indem die Regierungen nicht mehr auf die Unter­stüt­zung kleiner und kleinster Gruppierungen angewiesen sein werden. Auch dies bedeutet für das politische System im heutigen Italien einen objektiven Fortschritt. Dazu kommt noch die Reform des Senats, über welche ich an dieser Stelle auch schon referiert habe, wobei die Kompetenzen im Moment offenbar noch nicht vollumfänglich festgelegt sind. Auf jeden Fall werden in Zukunft im Senat zum Teil Abgeordnete der Regionen sitzen, welche dort nicht gewählt wurden, sondern von den jeweiligen Regionalregierungen abgestellt werden. Dieses Paket kam übrigens mit Unter­stüt­zung von Berlusconi zustande, wofür Renzi manchen scheelen Blick erntete, was ihn aber offen­sichtlich nicht besonders beeindruckt hat.

Matteo Renzi scheint gegenwärtig tatsächlich jener Politiker zu sein, der in Italien praktisch unan­gefochten die Geschäfte leitet, auch wenn die verschiedenen Flügel des Partito Democratico wie seit eh und je versuchen, ihre Intrigen zu spinnen; aber irgendwie hat der Mann den Dreh raus, die Hinterzimmer-Kamarilla vollständig ins Leere laufen zu lassen. Zum ersten Mal seit Tangentopoli anfangs der 1990-er Jahre hält sich eine Mitte-Links-Regierung stabil im Sattel, wobei sie dafür einen Preis zu bezahlen hat, nämlich das «Links». Matteo Renzi mag vieles sein, ein Linker ist er auf jeden Fall nicht. Aber angesichts von Linken wie Massimo D’Alema oder auch der industriellen Parolen­produktion der außerparlamentarischen Linken muss man geradezu froh drum sein. Nein, definitiv, Matteo Renzi ist ein Gewinn, ein treibender Faktor bei der Sozial­demo­krati­sierung Italiens. Das hat auch damit zu tun, dass die Rechte gegenwärtig absolut führungslos herum irrt. Und mit der Stabilität der Regierung Renzi strömen ihm natürlich auch all jene Kräfte zu, welche sich nicht nach dem Wind, sondern nach einem möglichen Nutzen im Umfeld der Macht ausrichten, und das sind in Italien weiß Gott nicht wenige. Renzi scheint im Moment so wenig umstritten zu sein wie Berlusconi auf dem Höhepunkt seiner Macht, ohne dass er über ein Medienmonopol und ergaunerte Milliarden verfügt. Auch das ist Italien.

Was das bedingungslose Grundeinkommen angeht, so gibt es auch sonst allerlei Schabernack. Ein gewisser Michael Bohmeyer zum Beispiel hat vor einem Jahr eine Crowdfunding-Initiative ge­star­tet, um Geld für die Ausrichtung einer möglichst hohen Anzahl einzelner Grundeinkommen zu sam­meln. Im Jahr 2014 waren es fünf Personen, welche für ein Jahr monatlich 1000 Euro zugesagt erhielten, und heuer sollen es 100 Stück sein. Schön für die BezügerInnen; daneben hat diese Initia­tive in erster Linie null Aussagekraft bezüglich welcher Grundeinkommens-Aspekte auch immer, und deshalb trägt sie den Titel «Grundeinkommen» absolut zu Unrecht. Das hier hat weder mit dem bedin­gungs­losen Grund­einkommen etwas zu tun noch mit Feldversuchen, aus welchen repräsentative oder schlüssige Fol­ge­rungen bezüglich seiner Auswirkungen gezogen werden könnten. Bohmeyer und der ehe­ma­lige Chef der Piraten-Partei Johannes Ponader stellten das Projekt anfangs Mai dieses Jahres an der «re:pu­b­lica 15» vor, der angeblich größten Konferenz über Internet und Gesellschaft in Europa, wobei ich auf denen ihrer Webseite lese, dass die Finanzierung der zusätzlichen Grund­ein­kom­men durch eine Art Steuer finanziert werden solle, und zwar wie folgt: «Mit einem Browser-Plugin und einer Bonuspunkte-Karte hackt sich die Initiative in den Konsumkreislauf und finanziert damit stän­dig weitere Grundeinkommen.» Es ist ja nicht neu, dass man Diebstahl als eine Art der Besteue­rung be­zeichnet in der Tradition von Robin Hood, aber wer sich um die tatsächliche Ein­füh­rung eines tat­sächlichen Grundeinkommens bemüht, der wird sich um andere Ansätze kümmern müssen als jener des Trägervereins «Mein Grund­ein­kom­men». «Könnten crowd- und webbasierte Projekte unser Sozialsystem hacken und die Politik zwingen, tatsächlich etwas zu verändern, weil es in der par­al­le­len Online-Welt schon funktioniert?», fragen die Damen und Herren auf der re-publica-Web­seite. Die Antwort ist einfach: Ein Grund­ein­kom­men, das auf dem Hacken bestehender Sozial­sys­teme beruht, ist Hacke-Kacke. Wie gesagt: Nicht mal ein echtes Crowdfunding, also die Aus­rich­tung eines Grundeinkommens dank frei­will­li­gen Spenden, hat irgendwelche Relevanz und Be­weis­kraft abgesehen vom Umstand, dass fünf oder hundert Personen ein schönes Leben in Würde führen können. Ein solcher Ansatz ist die gelebte Praxis des ultrareaktionären Modells, wonach man in Zukunft keinen Sozialstaat mehr braucht, in­son­derheit bezahlen die Superreichen keine Steuern mehr, sondern kriegen welche raus, und die Mittellosen leben von den Almosen der Besitzenden beziehungsweise den Raubzügen kühner Robin Hoods. Es ist das exakte, einhundert­pro­zen­tige Gegenteil eines bedingungslosen Grund­ein­kom­mens.

Und dann haben wir noch die VertreterInnen der so genannten Armutsbetroffenen, welche hin und wieder fordern, dass man ein Grundeinkommen an die Armen ausrichten solle. Diesen Ansatz kann man immerhin einigermaßen verstehen, indem er sich politisch gegen die Hartz-IV-Elendsgelder und gegen die damit verbundene Schikaniererei richtet. Der Schönheitsfehler dabei ist, dass es sich eben nicht um ein Grundeinkommen handeln täte. Es gibt kein Grundeinkommen für Arme. Es gibt nur ein Grundeinkommen für alle, also auch für die Milliardäre. Diesem Grundsatz wurde übrigens in einem völlig anders gearteten Projekt Rechnung getragen, nämlich in Namibia, in Otjivero, wo während der Dauer des Pilotversuchs eben nicht nur den armen Dorfbewohnern, sondern auch den paar umliegenden reichen Großgrundbesitzern das Grundeinkommen von 100 Namibia-Dollar pro Monat ausbezahlt wurde, vermutlich zu deren großem Erstaunen. Die Ausrichtung auch an die Reichen entspricht notwendig dem Charakter des bedingungslosen Grundeinkommens. Es handelt sich hier nicht um ein Armutsprojekt. Das Grundeinkommen beseitigt die Armut nur im Nebenher. Im Prinzip ist das Grundeinkommen so etwas wie eine Demokratie-Pauschale, wie das die Co-Chefin der Links-Partei Katja Kipping mal genannt hat.

Soviel zwischendurch wieder mal zu einem meiner Lieblingsthemen. Ein Wort zum Schluss noch zum Schluss des Tsarnajew-Prozesses: Ich muss noch einmal eingestehen, dass ich mich offenbar gründlich getäuscht habe, als ich die ganze Story um die bombenlegenden Brüder Tsarnajew als einen Fake der Polizei abgetan habe, mit welchem die öffentliche Meinung in Boston beruhigt werden sollte, wobei mir der mit dem eigenen Blut an die Bootswand gekrakelte Bekennerbrief des nun zum Tode verurteilten Dschochar nach wie vor zu denken gibt. Ich entschuldige mich hierfür, mache aber zu meiner Entlastung geltend, dass man gegenüber einem Land, in dem eine stattliche Anzahl an weißen Südstaaten-Konföderierten im Jahr 2015 im Ernst davon ausgeht, dass der moslemische afrikanische Kommunisten-Hitler Obama in den nächsten Wochen ebendiese Südstaaten militärisch besetzen und die Bevölkerung in KZs einsperren wird, dass man also gegenüber einem solchen Land kommunikationstechnisch mit Grund sämtliche denkbaren Vorbehalte pflegen muss.