500 Jahre Kolonisierung und kein Ende in Sicht - Genozid an Indigenen am Tapajós

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Christian Poirier lebt in Paris und arbeitet für amazonwatch, eine menschenrechts- und umweltorganisation in kalifornien, die kampagnen in Brazilien, Peru, Ecuador und kolumbien macht. Wir sprachen mit ihm über die aktuelle kampagne am Rio Tapajós, Brazilien: Ademir Kaba Mundurukú und der rechtsanwalt Felicio Pontes waren vergangenen mittwoch bei einem sogenannten „side event“ bei den vereinten nationen in Genf. Außerdem sollten sie zuvor einige führungskräfte von der EDF (Electricité de France) treffen...
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mp3, 128 kbit/s, Stereo (44100 kHz)
Upload vom 30.06.2015 / 14:21

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Klassifizierung

Beitragsart: Interview
Sprache: deutsch
Redaktionsbereich: Politik/Info, Kultur, in anderen Sprachen, Umwelt, Arbeitswelt, Internationales, Wirtschaft/Soziales
Serie: MoRa3X
Entstehung

AutorInnen: die meike
Radio: RDL, Freiburg im www
Produktionsdatum: 30.06.2015
CC BY-NC-SA
Creative Commons BY-NC-SA
Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen erwünscht
Skript
CHRISTIAN: Sie sollten eigentlich den Chef von „New Energy“ von EDF treffen und eine Reihe anderer Führungskräfte im Bereich Nachhaltigkeit – oder sogenannte „Nachhaltigkeit“, Wasserkraft undsoweiter. Leider kam die Person, mit der wir verabredet waren, nicht, aber dafür kamen einige hohe Tiere.

Meike: Was ist die Rolle von EDF in diesem Konflikt?

CHRIsTian: EDF baut einen Staudamm namens „SINOP“ auf dem Fluß Telespires. Telespires ist Teil des Tapajós-Beckens. Diese vier Staudämme – die als „Telespires-Komplex“ bekannt sind – werden gerade erst gebaut - manche sind schon fast fertig - und haben schon zur Folge, daß die Fischerei zurückgegangen ist; riesige Flächen wurden abgeholzt und die indigene Bevölkerung und andere lokale, traditionelle Gemeinden leiden unter den Folgen. Das Hauptproblem ist, das hat Ademir hier in Europa auch nochmal betont, daß diese Bauvorhaben nicht vorher mit der lokalen Bevölkerung abgestimmt waren. Sie wurden auch während der Bauarbeiten ignoriert und ihre Lebensgrundlage wurde zerstört. Die Folgen von SINOP sind also ein großes Problem und eine große Sorge – was erwartet erst die Leute im Hauptarm vom Fluß Tapajós, im sogenannten „Tapajós-Komplex“? EDF, die Electricité de France ist Teil einer Gruppe namens „Tapajós Untersuchungsgruppe“ zusammen mit dem französischen Energieversorgungskonzern GDF Suez – jetzt bekannt als Aktiengesellschaft „Engie“. Da liegen die einzigen internationalen privaten Interessen in einer Arbeitsgemeinschaft, in der fast alle Gruppen komplett dem brasilianischen Staat angehören, die die Folgen von zukünftigen Staudämmen im Fluß Tapajós untersucht.
Also – einerseits haben wir EDF, das einen großen Damm im Fluß Telespires baut, mit gravierenden Folgen und ohne die Bevölkerung hinzuzuziehen. Andrerseits untersuchen sie die Möglichkeit, weitere Staudämme am Tapajós zu bauen mit katatrophalen Folgen für die Region und das natürlich alles, ohne die indigene Bevölkerung zu fragen.

Meike: also neben EDF sind noch andere europäische Konzerne in den Bau dieses Staudamms involviert – was sind ihre Interessen in Brasilien?

Christian: die Interessen sind ganz klar finanzielle. EDF und GDF Suez versuchen beide, ihren Marktanteil in Brasilien zu vergrößern, denn die Regierung plant den Bau von mehreren Dutzend neuer Staudämme im ganzen Becken. Diese Konzerne wollen eine Führungsposition für sich als europäische Unternehmen in Sachen technisches Knowhow, Unterstützung beim Bau, Finanzierung – und im Falle vom Belo Monte Staudamm verkaufen europäische Unternehmen ihre Turbinen. Da ist Siemens aus Berlin dabei, und auch Voith in Heidenheim, welche ein Joint-Venture haben, um Turbinen an diese zerstörerischen Staudämme zu verkaufen.
Also die Interessen dabei sind klar: Fakt ist, daß in Europa die Nachfrage für diese Produkte zurückgeht. Aber in den sogenannten Entwicklungsländern gibt es einen wachsenden Markt, folglich müssen diese Konzerne nach Übersee gehen um Neuland zu gewinnen.


Meike: … und die Elektrizität, die dort dann produziert wird, ist nicht für die lokale Bevölkerung, nehme ich an...


Christian: nein. Das sehen wir jedes Mal, es wiederholt sich immer wieder: der Strom, der bei diesen neuen, im Bau befindlichen, Megastaudämmen im Amazonas – erst auf dem Fluß Madeira, dann am Xingú mit Belo Monte und jetzt am Tapajós – produziert wird, sollte ja eine Verbesserung für die Zivilbevölkerung sein. So werden diese Projekte von den Bauherren auch beworben. Aber Fakt ist, daß die Leute, die dort wohnen die allerletzten sind, die von diesen Projekten profitieren und die ersten sind, die darunter leiden. Sie verlieren ihre Häuser, sie verlieren den Fluß, ihre Lebensgrundlage. Sie bekommen keine Entschädigung nur Zerstörung, das ist meistens der Fall, auch hier. Und dann stellt sich die Frage, ob dieser Strom wirklich an die brasilianische Bevölkerung geht, denn der Löwenanteil ist für die Großindustrie, die sehr verschwenderisch ist und außerdem nicht einmal besonders viele Arbeitsplätze anbietet. Im Amazonas ist vor Allem die Frage von Rohstoffabbau eine sehr wichtige, denn die Industrie dort wächst, sie ist sehr energieintensiv und beschäftigt auch nicht besonders viele Leute. Also für den hohen Energiekonsum, den der Bergbau hat, profitiert die lokale Wirtschaft gar nicht. Er ist ein grausamer Energiekonsument und abhängig von den Staudämmen in der Nähe. Die Projekte sind also nicht für die Leute sondern für die zerstörerische Industrie, die dann beispielsweise Aluminium nach China exportiert. Aber nicht nur Mineralien, sondern auch Energie, die es braucht, diese Metalle herzustellen wird exportiert.

Meike: ich war 2013 mal bei den Vereinten Nationen, als die comites populares auf die massenhaften Zwangsräumungen im Vorfeld der MännerWM hinwiesen. Es waren damals etwa 30 Leute im Raum, interessiert am Thema, aber ich glaube nicht, daß es einen großen Unterschied gemacht hat. Was glaubst du, was der Eindruck, den die Delegation am Mittwoch bei den Vereinten Nationen hinerlassen hat?


Christian: wir hatten ein sehr erfolgreiches „side event“ mit Ademir Mundurukú, Felicio Pontes und Bianca Jagger von ihrer Stiftung für Menschenrechte. Wir hatten sehr viel Aufmerksamkeit. Das war nicht das erste Mal, daß wir bei den Vereinten Nationen waren, die Bemühungen der Indigenen Südamerikas und Brasiliens, auf die Folgen der Staudämme aufmerksam zu machen, gibt es schon sehr lange. Auch den Aufruf an die brasilianische Regierung wurde erneuert, das Recht der indigenen Bevölkerung in der nationalen Gesetzgebung zu bewahren, vor allem in der Konvention 169 der ILO, der internationalen Arbeitsrechtsorganisation der UN.
Ich glaube nicht, daß wir davon unmittelbare Ergebnisse erwarten können, die UN ist eine komplexe Institution, die sich nicht immer besonders schnell bewegt, aber ich glaube schon, daß das Auswirkungen haben wird.
Wir sprachen mit der Botschafterin, der ständigen Vertretung Brasiliens, schon das zweite Mal – das letzte Mal waren wir letztes Jahr dort mit einer Vertreterin der indigenen Protestbewegung Apibi. Und sie fragte uns: „ warum bringt ihr euren fall uns, das ist keine internationale sondern eine nationale interne Angelegenheit, ihr solltet damit nach brasilia gehen“. Und Ademir wiederholte, was Sonja von Apibi letztes Jahr schon ausführte: „das ist sehr wohl eine internationale Angelegenheit denn Brasilia ignoriert uns. Brasilia begeht gerade einen Völkermord an der indigenen Bevölkerung und die Welt muß das wissen. Wenn Brasilia uns nicht zuhört, müssen wir es der Welt erzählen, um unsere Regierung zu zwingen, uns zu respektieren und auf unsere Bedürfnisse zu reagieren.“ und das hat, wie wir gesehen haben, tatsächlich Erfolgt. Denn Brasilien ist sehr empfindlich, was sein Image in der Welt, vor den Vereinten Nationen und anderen internationalen Institutionen, angeht. Deshalb glaube ich wenn auch nicht an ein unmittelbares, aber doch an ein auf lange Sicht, schrittweise positives Ergebnis, das diese Bemühungen haben.

Meike: einige abschließende worte?

Christian: sicher. Ich glaube das was Ademir Mundurukú und Felicio Pontes letzte Woche vor die Vereinten Nationen brachten, ist eine der wichtigsten Angelegenheiten, die nicht nur Brasiliens indigene Bevölkerung betrifft, sondern die indigene Bevölkerung weltweit. Sie ist derzeit konfrontiert mit einer Welle von zerstörerischer extraktivistischer Industrie – im Grunde die habgierigste Form des destruktiven Kapitalismus, der wir uns als „zivilisierte Gesellschaft“ gemeinsam stellen müssen. Wir müssen zu der indigenen Bevölkerung stehen, die den Wald und die Flüsse beschützen, von denen wir alle für unser Überleben abhängen – der Amazonas ist ein unglaublich wichtiger Lebensraum, der das Weltklima reguliert. Also tun diese Leute etwas für uns indem sie ihren Lebensraum, ihre Lebensweise und ihre Kultur beschützen. Deshalb müssen wir ihnen gemeinsam beistehen und unsere nationalen Industrieunternehmen auffordern – beispielsweise in Frankreich mit EDF und GDF Suez sowie den Turbinenproduzenten Siemens und Voith in Deutschland – sich aus ihrem dreckigen Geschäft im Amazonas zurückzuziehen.
Diese Staudämme sind heutzutage eine der größten Gefahren für den Amazonas. Wir müssen außerdem garantieren, daß die betroffenen Gemeinden, die von den Staudämmen bedroht werden, gefragt werden. Das ist die Verantwortung und die Pflicht der Regierung, die Leute in Verhandlungen mit einzubeziehen in einer Art und Weise, die kulturell angemessen ist anstatt ihnen diese Projekte in den Hals zu stopften, ihre Rechte mit Füßen zu treten und ihr Land plattzuwalzen. Im 21. Jahrhundert, nach 500 Jahren kolonialen Mißbrauchs und Ausbeutung, darf das nicht mehr so weiter gehen. Es ist unsere Verantwortung, dies zu beenden und alternative Energie zu fordern, denn es gibt sie. Wir brauchen saubere Energie für das 21. Jahrhundert, große Staudämme im Amazonas sind nicht die Lösung.